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Sterbehilfe in Deutschland
von Gerhard Rampp

 

1. Die verschiedenen Formen der Sterbehilfe (Grundbegriffe)

Neben der Abtreibung ist die Sterbehilfe die meistdiskutierte gesellschaftspolitische Streitfrage der letzten drei Jahrzehnte. Gerade bei einem so heiklen Thema kommt es darauf an, mit präzisen Begriffen zu beschreiben, was gemeint ist. In der klerikal geprägten öffentlichen Diskussion wird oft der Eindruck erweckt, als existiere bei der Sterbehilfe nur die Alternative zwischen der unumstrittenen Sterbebegleitung und der durchaus kontrovers diskutierten Tötung auf Verlangen. Diese wiederum wird gern mit der Beihilfe zum Freitod zu dem missverständlichen Begriff „aktive Sterbehilfe“ zusammengefasst.

Eine kurze Definition ist deshalb mehr als nötig:

a) Sterbebegleitung (oder Sterbebeistand)

ist die seelische Zuwendung und persönliche anteilnehmende Begleitung eines Sterbenden im direkten Sterbeprozess durch eine bestimmte Bezugsperson.

b) Passive Sterbehilfe

ist das Unterlassen lebensunterstützender Maßnahmen im Sterbeprozess. Dazu zählt auch der Abbruch solcher Maßnahmen (z.B. Abstellen einer Herz-Lungen-Maschine), so dass hier letztlich von einem „natürlichen Sterben“ gesprochen werden kann.

c) Indirekte Sterbehilfe

ist die ungewollte Inkaufnahme eines beschleunigten Todes infolge der Verabreichung schmerzstillender Medikamente, die einen geschwächten Organismus zusätzlich belasten. (Eine Unterscheidung zwischen „gewollter“ und „ungewollter“ Beschleunigung des Todeszeitpunktes ist allerdings praktisch unmöglich.)

d) Freitod

ist eine Selbsttötung, die eine Konsequenz längerfristiger, wohlüberlegter Abwägung darstellt. Er stellt z.B. bei einer tödlichen Erkrankung, deren Ende sich langwierig und qualvoll gestaltet, als Abkürzung des Sterbeprozesses eine Variante der Sterbehilfe dar.

e) Beihilfe zum Freitod

ist die Besorgung von Hilfsmitteln zum Freitod für geschäftsfähige Personen, ohne dass der Helfer auf die Durchführung des Freitods Einfluss nimmt. Die Tatherrschaft bleibt beim Betroffenen.

f) Tötung auf Verlangen (oder populärwissenschaftlich: aktive Sterbehilfe)

liegt vor, wenn der Helfer bei der unmittelbaren Lebensbeendigung eingreift. In Deutschland wird sie nur unter der (extrem seltenen) Bedingung diskutiert, daß der Freitodwillige seinen Tod eindeutig und zurechnungsfähig wünscht, physisch aber zum Freitod nicht (mehr) in der Lage ist („Freitod von fremder Hand“).

Allen Formen der Sterbehilfe ist gemeinsam, daß sie ausschließlich von der Selbstbestimmung des Betroffenen ausgehen und das Prinzip der Freiwilligkeit auch für potentielle Helfer gilt.

 

2. Die Rechtslage

Das deutsche Recht ist relativ liberal. Von den sechs angeführten Formen der Sterbehilfe ist nur die letzte strafbar.

Die Rechtsgrundlage für die passive Sterbehilfe bietet der § 226a StGB. Danach ist jede Heilbehandlung Körperverletzung, wenn nicht der Patient seine Einwilligung gegeben hat. Bei Äußerungsunfähigkeit (Bewußtlosigkeit) muß der Arzt vom mutmaßlichen Willen des Patienten ausgehen. Ist dieser nicht bekannt, darf er analog zur „Geschäftsführung ohne Auftrag“ nach eigenem Ermessen entscheiden.

Dem Betroffenen ist also zu raten, rechtzeitig vor Eintreten des Ernstfalls eine „Verfügung an Ärzte“ (Patientenverfügung) abzufassen, die den Ärzten bei Eintritt des Sterbeprozesses, ggf. aber auch schon früher, lebensverlängernde Eingriffe untersagt und die Beschränkung auf schmerzstillende („palliative“) Maßnahmen gebietet.

Damit diesem Grundrecht in der Praxis noch besser Geltung verschafft werden kann, ist eine eigene gesetzliche Regelung der passiven Sterbehilfe wünschenswert. Als Grundlage hierfür ist der Verfassungsentwurf des „Runden Tischs“ in der Ex-DDR von 1990 beispielgebend. Dort heißt es im I. Kapitel „Menschen- und Bürgerrechte“ im 1. Abschnitt in Artikel 4,1: „Jeder hat das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Achtung seiner Würde im Sterben. In das Recht auf körperliche Unversehrtheit darf nur durch Gesetz eingegriffen werden.“

Der Freitod ist in Deutschland nicht strafbar. Der aufgeklärte Monarch Friedrich der Große von Preußen verfügte bereits 1752 die Aufhebung der Strafbarkeit des Freitods. Diese Regelung fand 1871 auch Eingang in die gesamtdeutsche Gesetzgebung. Ebenso ist die Beihilfe zum Suizid straffrei, weil nach dem deutschen Rechtssystem die Beihilfe zu straffreiem Handeln grundsätzlich nicht unter Strafe steht.

Erst die Nazis machten 1935 eine Einschränkung, weil sie jeden Selbsttötungsversuch als Unfall einstuften, was eine Hilfeleistungspflicht für Dritte vorschreibt. Nach dem Krieg griffen die Kirchen dieses Nazi-Gesetz nur allzu gern auf, weil auf diese Weise das Leben der Verfügungsgewalt des Betroffenen zumindest teilweise entzogen werden konnte. In den letzten Jahren setzte sich allerdings eine Rechtspraxis durch, wonach einerseits der Wille des urteilsfähigen Suizidenten zu respektieren ist (und eine Hilfeleistungspflicht somit entfällt), andererseits aber auch ein reanimierender Helfer straflos ausgeht, obwohl er den Willen des Betroffenen mißachtet. Diese Grauzone ist unbefriedigend.

Überdies bestehen praktische Schwierigkeiten, geeignete Mittel zur Selbsterlösung zu verschaffen, da es Vereinigungen (mit Ausnahme des Apothekerverbands) verboten ist, Medikamente an Mitglieder weiterzugeben und inzwischen zwar nicht der Besitz, wohl aber die Weitergabe von (bzw. juristisch: „der Handel mit“) derartigen Mitteln als Strafbar betrachtet werden kann.

Die Tötung auf Verlangen hingegen ist strafbar nach § 216 StGB. Eine solche Regelung erscheint für den Normalfall begründet, doch sind verschiedene Initiativen (Strafrechtsreformkommission, Ausschuss des Juristentags, DGHS u.a.) bestrebt, auch die Möglichkeit der Straffreiheit in Sonderfällen zu gewähren, wenn die zurechnungsfähige sterbewillige Person zu einem Freitod physisch nicht mehr in der Lage ist. In den letzten Jahren haben Gerichte in einzelnen Grenzfällen bereits von einer Bestrafung abgesehen.

Streng von der Tötung auf Verlangen sind allerdings jene spektakulären Skandale zu trennen, in denen Kranken- oder Altenpfleger(innen) nach eigenem Gutdünken aus angeblicher Barmherzigkeit alte Menschen umbrachten. In all diesen Fällen handelte es sich um Tötung ohne Verlangen der Betroffenen, was mit Recht als Totschlag oder u.U. sogar als Mord geahndet wurde und wird.

 

3. Weltanschauliche Zusammenhänge

Würden nicht Papst und Kirchen gegen die Sterbehilfe propagieren, man könnte auf den ersten Blick kaum verstehen, warum es sich um eine weltanschauliche Streitfrage ersten Ranges handeln sollte. Die häufigste Begründung für die Bestreitung eines Selbstbestimmungsrechtes des Betroffenen lässt sich in dem Satz zusammenfassen: „Gott hat das Leben gegeben, nur Gott darf es auch wieder nehmen.“ Liberale Theologen wenden ein, niemand könne mit Gewissheit sagen, ob ein Suizid gottgewollt sei, da er dem Menschen immerhin die Möglichkeit dazu gegeben habe. Nichtreligiöse erinnern an die Tatsache, dass schon die Annahme einer göttlichen Existenz reine Vermutung sei, auf der niemals eine für alle geltende Norm aufbauen könne.

Es fällt auf, dass bei der Gründung zahlreicher europäischer Sterbehilfe-Gesellschaften Freidenker, Humanisten oder Laizisten die Geburtshelfer waren, so in den Niederlanden, Frankreich, Schottland, Belgien (Flandern) und nicht zuletzt in Deutschland, wo es Mitglieder des Bundes für Geistesfreiheit Augsburg und Nürnberg waren, die 1980 die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) gegründet hatten, die heute (Stand Mai 2005) mit 35.400 Mitgliedern die bei weitem größte deutsche Vereinigung auf diesem Sektor ist.

Auch später war festzustellen, daß Kirchenfreie besonders häufig dort Mitglied wurden. In der französischen Gesellschaft ADMD bekannten sich z.B. 1987 bei einer Mitgliederumfrage nur 3% ausdrücklich zum Christentum (in der Bevölkerung damals 18 %, heute 14 %), aber 29 % zum Atheismus (Gesamtbevölkerung: damals 16 %, heute 27 %). Auch in der DGHS sind nach interner Schätzung etwa die Hälfte der Mitglieder konfessionslos. Auch in der deutschen Bevölkerung findet, nach sämtlichen Umfragen der letzten Jahrzehnte, die Befürwortung der Sterbehilfe zwar selbst bei kirchentreuen Katholiken eine Mehrheit, jedoch wird diese umso größer, je mehr die Kirchenbindung abnimmt.

Inzwischen hat die DGHS sogar ihre Zielsetzung ausdrücklich in diesem Sinne geändert: War sie früher laut Satzung „parteipolitisch und weltanschaulich wie religiös unabhängig“, so ist sie seit November 1990 „parteipolitisch unabhängig und den Zielen von Aufklärung und Humanismus verpflichtet“.

Der elementare Unterschied zwischen christlicher und säkularer Sicht der Sterbehilfe wurde treffend in der Frankfurter Rundschau vom 9.12.1990 bei der Vorankündigung einer Fernsehsendung über „Tod und Sterben“ auf den Punkt gebracht:

„Die größte Sehnsucht des Menschen ist es, ewiges Leben zu erlangen. Jede Religion bietet daher ihren Gläubigen ein Heilsversprechen, was im Grunde ewiges Leben bedeutet. Der Tod wird dann nur als eine Art Durchgangsstadium zum eigentlichen Leben im Jenseits verstanden. Erst unsere moderne, von Rationalität und Wissenschaft geprägte Gesellschaft konzipiert ein ausschließlich diesseitiges Leben. Wo das Leben nicht mehr auf religiöse Sinngebung angewiesen ist, ist es prinzipiell auch der Tod nicht mehr. In der 'säkularen' Gesellschaft lassen sich Tod und Sterben sinnvoll nur noch vom Leben selbst her bestimmen.“

Allgemeiner und pointierter formulierte Spaniens Ministerpräsident Zapatero, in dessen Land derzeit (wegen der Neuregelung von Sterbehilfe, Homo-Ehe und Religionsunterricht) ein regelrechter Kulturkampf zwischen Klerikalen und Säkularen abläuft, den Unterschied im Spiegel vom 9.11.04: „Das gesellschaftliche Zusammenleben kann meiner Meinung nach nur in einem laizistischen Staat funktionieren. Wenn Glaubensregeln sich in die Gesetze des Staates einmischen, ist Schluss mit der Bürgerfreiheit.“

Genau um diese Freiheit des Individuums geht es in ethischer Hinsicht: Niemand darf zu einer Sterbehilfe gezwungen werden, aber jeder muss in einer offenen, pluralen Gesellschaft das Recht dazu haben.

 


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