Materialien zum Ethikunterricht Alter,
Sterben, Tod Eine Unterrichtseinheit für Klasse
10 mit einer Einführung in die Arbeit mit philosophischen Texten. Meine
Schüler haben zunächst nur die Nase gerümpft als ich vorgeschlagen hab,
nur durch reines Nachdenken und Diskutieren etwas über den Tod und ein mögliches
Leben nach dem Tod zu erfahren, doch genau dies wollen wir in dieser
Unterrichtseinheit versuchen. Dabei werfen wir einen Blick auf einige
Originaltexte und lernen, wie man sich philosophischen Texten nähern
kann. Ich würde empfehlen, dieser Einheit einige Unterrichtsstunden
voranzustellen, in denen sich die Schüler dem Thema Sterben und Tod aus
einer persönlichen Perspektive nähern können und in der Fragen zunächst
ganz frei gestellt und besprochen werden können. Erst wenn sich die Schüler
mit der Thematik vertraut gemacht haben, sollte man sich auf die abstrakte
philosophische Ebene begeben. Überblick
Zur Zeit stehen nur für die
Einheiten (2) und (3) Materialien zur Verfügung, die folgenden Themen
sind Vorschläge, wie man die Unterrichtseinheit weiterführen könnte. 2. Platon Gibt es
eine unsterbliche Seele? Der griechische Philosoph Platon berichtet von dem letzten Gespräch seines Lehrers Sokrates mit seinen Schülern. Sokrates wurde vom Athener Gericht zum Tode verurteilt und wartet auf seine Hinrichtung. Seine Freunde und Schüler versuchen, ihn zur Flucht zu überreden, doch Sokrates will nichts davon wissen, denn er fürchtet den Tod nicht und verweist darauf, dass die Seele nach dem Tod fortbestehe. Seine Schüler Simmias und Kebes sind jedoch noch nicht überzeugt. Sokrates: „Lasst uns nun, zu uns selbst aber sagen, ob wir wohl glauben, dass der Tod etwas sei? Und wohl etwas andres als die Trennung der Seele von dem Leibe? Und dass das heiße tot sein, wenn abgesondert von der Seele der Leib für sich allein ist und auch die Seele abgesondert von dem Leibe für sich allein ist? Oder sollte wohl der Tod etwas anderes sein als dieses?“ Simmias: „Ob die Seele, nachdem wir gestorben sind, noch sein wird, das scheint mir, o Sokrates, noch nicht bewiesen zu sein. Sondern es steht noch entgegen, wie auch Kebes eben sagte, jene Rede vieler Menschen, ob nicht, indem der Mensch stirbt, die Seele zerstiebt und dies auch ihr Ende ist.“Sokrates: „Also müssen wir uns selbst fragen: Welcherlei Dingen kommt es wohl zu, das Zerstieben, und für welche muss man also fürchten, dass ihnen dieses zustoße. Welchen aber kommt es nicht zu? Dann müssen wir untersuchen, zu welchen von beiden die Seele gehört, und hieraus und demgemäß entweder Mut fassen oder besorgt sein für unsere Seelen. Und nicht wahr, dem, was seiner Natur nach zusammengesetzt ist [nämlich dem, was man anrühren, sehen und mit den andern Sinnen wahrnehmen kann], kommt wohl zu, auf dieselbe Weise aufgelöst zu werden, wie es zusammengesetzt worden ist; wenn es aber etwas Unzusammengesetztes gibt [welches unsichtbar ist und nur im Denken erfasst werden kann], kommt diesem wohl zu, dass ihm dieses nicht zustoße? Wie nun, wenn sich dieses so verhält, kommt nicht dem Leibe wohl zu, leicht aufgelöst zu werden, der Seele hingegen, ganz und gar unauflöslich zu sein oder wenigstens beinahe so?“Aufgaben: Bearbeite die folgenden 2 Aufgaben alleine oder zusammen mit deinem Partner. Notiere dir Stichpunkte. 1. Beschreibe, was Sokrates unter dem Tod versteht. 2. Nenne jeweils drei Eigenschaften von „Leib“ und „Seele“. Diskutiere die folgende Aufgabe mit deinem Partner: 3. Überlegt, inwiefern mit dieser Unterscheidung von Leib und Seele die Unsterblichkeit der Seele bewiesen ist. Quelle: Platon.
Phaidon (von mir gekürzt und aufbereitet). hrsg. von B. König, 292002. 3. Epikur und die Atomisten „Der Tod
ist nichts, was uns betrifft“ Zum Umgang mit dem Tod sagt Epikur im Brief an Menoikus: „Gewöhne dich ferner daran zu glauben, der Tod sei nichts, was uns betrifft. Denn alles Gute und Schlimme ist nur in der Empfindung gegeben; der Tod aber ist die Vernichtung der Empfindung. Daher macht die richtige Erkenntnis – der Tod sei nichts, was uns betrifft – die Sterblichkeit des Lebens erst genussfähig, weil sie nicht eine unendliche Zeit hinzufügt, sondern die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit von uns nimmt. Denn es gibt nichts Schreckliches im Leben für den, der im vollen Sinne erfasst hat, dass nichts Schreckliches im Nicht-Leben liegt. [...] Das Schauererregenste aller Übel, der Tod, betrifft uns überhaupt nicht; wenn ‚wir’ sind, ist der Tod nicht da; wenn der Tod da ist, sind ‚wir’ nicht. Er betrifft also weder die Lebenden noch die Gestorbenen, da er ja für die einen nicht da ist, die andern aber nicht mehr ihn da sind. Doch die Masse der Menschen flieht bisweilen den Tod als das größte aller Übel, bisweilen ersehnt sie ihn als Erholung von allen Übeln im Leben. Der Weise indes weist weder das Leben zurück, noch fürchtet er das Nicht-Leben; denn weder ist ihm das Leben zuwider, noch vermutet er, das Nicht-Leben sei ein Übel.“ Die naturphilosophischen Grundlagen
Epikur legt seinem Denken den Atomismus Demokrits zugrunde. Der Tod ist für Epikur wie auch für Demokrit eine Zerstreuung der Atome eines Körpers. „Was sagt Demokritos? Im leeren Raum bewegen sich zerstreut Substanzen umher, die an Menge unendlich, unteilbar, nicht voneinander verschieden, ferner ohne Qualität und für Einwirkungen unempfindlich seien. Wenn diese sich einander nähern, zusammenfallen oder miteinander verflechten, dann erscheint von den daraus gebildeten Aggregaten das eine als Wasser, das andere als Feuer, als Pflanze oder als Mensch. Alles bestehe aus Atomen [griech. átomon = unteilbar] oder Formen (Ideen, wie er sie auch nennt). Sonst gebe es nichts.“ Aufgaben: Zu Text A 1. Vollziehe in Stichpunkten Epikurs Argumentation nach. Zu welchen Schlüssen über den Umgang mit der Sterblichkeit gelangt er? Zu Text B 2. Überlege, welche Ansichten die Lehre Demokrits über die menschliche Seele zulässt. (Schreibe deine Lösung in Stichworten auf ein Blatt und sei bereit, sie der Klasse vorzustellen.) Unterrichtseinheit:
Umgang mit dem Tod Thema der Stunde: (3) Epikur und die Atomisten Lernziele: à Die Schüler erarbeiten sich Epikurs Haltung zum Tod anhand eines Textausschnitts. à Die Schüler eignen sich die Lehre der Atomisten in Grundzügen an und folgern daraus mögliche Ansichten der Atomisten zur Frage nach der Existenz bzw. dem Wesen der Seele à Die Schüler vergleichen die sokratische und die epikureische Position zur Frage nach dem Tod und stellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus. Unterrichtsverlauf
Unterrichtseinheit:
Umgang mit dem Tod Thema der Stunde: (2) Platon: Gibt es eine unsterbliche Seele? Lernziele: Die Schüler erarbeiten sich Platons Argumentation über die Unsterblichkeit der Seele. Die Schüler exzerpieren wichtige Aspekte aus einem Text. Die Schüler beziehen Stellung zu Platons Argumentation und äußern ggf. Kritik. Sachanalyse Die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gebe, bzw. ob der Mensch eine unsterbliche Seele besitze, ist eine der zentralen Fragen, die sich im Themenkomplex Alter – Sterben – Tod aufdrängt. Der Ethikunterricht muss beim Versuch, diese Frage zu beantworten nicht in einer neutralen Beobachterrolle bleiben, von der aus man die Deutungen unterschiedlicher Religionen abwägt und vergleicht. Im Rahmen der Philosophie können die Schüler selbst aktiv werden und versuchen, Argumente und Ansichten zu prüfen und zu bewerten. Platons Phaidon ist einer der klassischen Texte, die sich mit der Unsterblichkeit der Seele befassen. Im Verlauf des Dialogs werden von Sokrates vier Beweise für die Unsterblichkeit der Seele angeführt. Für den Unterricht sind sie jedoch nur bedingt geeignet, da sie sehr stark dem antiken griechischen Weltbild verhaftet sind und deshalb zum einen ein gutes Vorverständnis voraussetzen und zum anderen aus heutiger Perspektive nur noch schwer nachvollziehbar sind. Eine Ausnahme stellt der dritte Beweis dar, der sich im Kern auf eine Begriffsanalyse von „Zusammengesetztem“ und „Unzusammengesetztem“ stützt. Sokrates geht davon aus, dass der Mensch aus einem Leib und einer Seele besteht. Der Leib ist zusammengesetzt, also materiell greifbar, wahrnehmbar und messbar. Seine Identität erhält er durch die Art und Weise der Zusammensetzung seiner Einzelteile (der unteilbaren platonischen Körper, in letzter Konsequenz). Aus diesem Grund ist der Körper Wandel und Zersetzung unterworfen. Was zusammengesetzt wurde, so Sokrates, wird auf dieselbe Art und Weise wieder zerstieben. Dem stellt er die Seele entgegen: sie ist immateriell und unzusammengesetzt. Sie kann nicht zersetzt werden, da sie immer eine Einheit darstellt. Sie ist nicht wandelbar, da sie stets mit sich selbst identisch ist. Der Beweis geschieht also durch das Zuschreiben der Eigenschaften „zusammengesetzt“ und „unzusammengesetzt“, und den Zuschreibungen, die sich daraus ableiten. Der Begriff der „Seele“ erfüllt für die Schüler vermutlich mehrere Funktionen. Er kann beispielsweise im Sinne von „Identität“, „Moral“ (=“eine gute Seele“), oder im religiösen Sinne, als der göttliche Teil unseres Daseins, gebraucht werden. Die Auseinandersetzung mit Platons Text erlaubt eine konkretere Definition und ein differenziertes Nachdenken über den Begriff. Die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Seele eignet sich gut für eine Einführung in die Philosophie und die Arbeit mit philosophischen Texten. Da eine empirische Untersuchung nicht möglich ist, ist jeder auf sich selbst zurückgeworfen. Die systematische Prüfung von Begriffen und Annahmen erlaubt eine Untersuchung, die jeder für sich durchführen und nachvollziehen kann, und ein Mittel, Ansichten und Hypothesen auf ihre Erklärungskraft zu prüfen, ohne auf Aussagen Dritter angewiesen zu sein. Dadurch unterscheidet sich eine philosophische Argumentation von Ansichten, die auf Überlieferung, Offenbarung oder bloß auf persönlicher Meinung beruhen. Bedingungsanalyse Dies ist erst die zweite Stunde, die ich in diesem Kurs halte. Aus diesem Grund hatte ich noch nicht die Gelegenheit, alle Namen zuverlässig zu lernen. Umgekehrt sind die Schüler im Umgang mit philosophischen Texten noch ungeübt. Die Arbeit mit philosophischen Texten muss demnach mit einer Einführung ins philosophische Vorgehen allgemein verbunden werden. Die Klasse hat bereits vor den Ferien das Thema „Umgang mit dem Tod“ mit dem Kurslehrer eingehend bearbeitet. Dabei standen aktuelle und praktische Themen und Fragestellungen im Vordergrund, etwa der Besuch eines Friedhofs und Fragen nach Patientenverfügung und Sterbehilfe. Die Klasse besteht aus 27 Schülern – 21 Mädchen und 6 Jungen. Ich habe während der Hospitation die Klasse als interessiert und fleißig erlebt. Störungen sind bislang kaum aufgetreten. Insgesamt macht die Klasse einen eher passiven Eindruck, obgleich die meisten Schüler um eine solide Mitarbeit bemüht sind. Unterschiedliche Themen und Arbeitsaufträge werden anstandslos angenommen und umgesetzt. Eigene Impulse, Ideen und Vorschläge, etwa zur Themenwahl und zur Gestaltung des Unterrichts, werden selten eingebracht. Die Stunde findet in einem Biologie-Arbeitsraum statt, in dem sich gut unterrichten lässt, da er eine Sitzordnung in Hufeisenform erlaubt. Einen Nachteil stellt jedoch das große Lehrerpult dar, welches wie eine Barriere wirkt, wenn der Lehrer an der Tafel steht. Das Ausweichen auf den Overheadprojektor ermöglicht zwar eine Positionierung vor dem Pult, jedoch wird in dieser Stunde bewusst ein Tafelanschrieb gewählt, da die Darstellung an der Tafel in der Regel übersichtlicher und besser lesbar ist. Die fünfte Stunde dauert lediglich 40 Minuten. Es müssen demnach Materialien und Arbeitsformen gewählt werden, die ein zügiges Vorankommen ermöglichen. Die Lernziele dürfen nicht zu umfangreich ausfallen, damit eine eingehende Erarbeitung und Vertiefung möglich ist. Methodisch-didaktische Analyse Diese Unterrichtsstunde soll eine Doppelfunktion erfüllen: Zum einen zielt sie darauf ab, dass die Schüler eine klassische Position zur Frage nach der Unsterblichkeit der Seele kennen lernen. Gleichzeitig erhalten sie einen ersten Eindruck von den platonischen Dialogen. Zum anderen werden die Schüler in dieser Stunde in die Arbeit mit philosophischen Texten eingeführt. Konkret sollen die Schüler einen anspruchsvollen Text genau lesen, zentrale Zusammenhänge herausarbeiten und in eigenen Worten formulieren können und zuletzt die Vorgehensweise reflektieren und bewerten können (s.u. Punkt 2 unter „Vertiefung“). Die Stunde beginnt mit einem Bildimpuls, mit dem zügig das Stundenthema und die Leitfrage eingeführt werden können. Zudem sollen die Schüler einen affektiven Bezug zum Thema herstellen können, indem sie sich die Frage stellen, was der Glaube an eine unsterbliche Seele für sie persönlich bedeutet. In der vorhergehenden Stunde wurden Fragen zum Thema Tod gesammelt und verschiedene Ansätze (Religion, Naturwissenschaft, Philosophie, etc.) erörtert, mit denen man zu einer Antwort gelangen könnte. Nun wird an beide Teilaspekte angeknüpft, indem man Fragestellung und Vorgehensweise direkt den Vorüberlegungen der letzten Stunde entnimmt. Der Text wird ausgeteilt und vom Lehrer vorgelesen, da eine richtige und deutliche Betonung das Verständnis erleichtert. In der sich daran anschließenden Arbeitsphase sollen die Schüler sich selbständig die Beweisführung erarbeiten. Die Arbeitsphase wird durch ein Auswertungsraster und detaillierte Fragen stark gelenkt. Dies scheint mir aufgrund der fehlenden Erfahrung der Schüler mit philosophischen Texten geboten. In den folgenden Stunden werden die Schüler schrittweise weniger Hilfe erhalten. Die Fragen sollen die Aufmerksamkeit auf die Kernbegriffe des Textes lenken und den Schülern helfen, mit den ungewohnten Begriffen und Formulierungen besser zurecht zu kommen. Eine gemeinsame Fixierung der Ergebnisse dient als Basis für vertiefende Fragen und eventuelle Kritik an der Beweisführung. Am Ende der Stunde sollen die Schüler nach Möglichkeit das Erarbeitete in ihr Vorverständnis von Tod und Seele integriert und somit einen hermeneutischen Zirkel durchlaufen haben. Eine Reflexion über die Argumentation und dem philosophischen Zugang zu diesem Thema insgesamt schließt die Stunde ab und ermöglicht eine Bewertung der Stunde insgesamt. Unterrichtsverlauf
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