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Materialien zum Ethikunterricht

Eine verhaltensbiologische Näherung an das Phänomen Glück

Studientag der 11. Klassen am 30. 01. 2003 auf Burg Feuerstein
von Dr. Angelika Weiß-Merklein


 

 

 

 

 

1. Was ist Glück?

2. Wie äußert sich Glück? Gibt es ein Glücksgen? Wozu hat die Natur das Glück erfunden?

2.1 Wie äußert sich Glück? Glück ist subjektiv.

2.2 Glück ist universell

2.3 Gibt es ein Glücksgen?

2.4 Wie entsteht Glück?

2.5 Wozu hat die Natur das Glück erfunden?

3. Anatomie der Leidenschaften- das Streben nach Glück

3.1 Bedürfnis nach Nahrung und körperlichem Wohlbefinden

3.2 Bedürfnis nach Liebe

4. Wege zum Glück - bewusste Steuerung unserer Leidenschaften

4.1 Glückserleben und Lebensglück- das State-Trait-Konzept

4.2 Die ethischen Wirkungen von Glück bzw. über die Pflicht, glücklich zu sein

4.3 Wie erreicht man Wohlbefinden?

4.4 Freundschaft und Liebe

4.5 Kognitive Bedürfnisse

4.6 Glück und die Sinnfrage

5. Wie kann sich eine Gesellschaft eine Kultur des Glücks aneignen?


1. Was ist Glück?     Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Die Mädchenzeitschrift "Young Miss" vom November 2002 hat ihre Leserinnen gefragt, was für sie Glück sei und fast 600 Mails erhalten.
Ich zitiere nur drei Antworten:
"Glück ist, morgens vom Wecker und nicht vom Bomben geweckt zu werden."
"Glück ist jetzt! Ich erlebe gerade die schönste Zeit meines Lebens. Ich habe die tollsten Freundinnen und den tollsten Freund, mehr brauche ich nicht, um glücklich zu sein."
"Glücklich ist, wer sich auch an kleinen alltäglichen Dingen erfreuen kann."

Was ist Glück nun? Die Gelegenheit eines einzelnen Moments, eines langen Tages oder das Glück eines ganzen Lebens?
Das Wort Glück fand erst spät Eingang in die deutsche Sprache. Erst im Mittelhochdeutschen taucht das Wort "g(e)lücke" (passend) auf. Im Althochdeutschen findet sich der Bedeutungsinhalt von Glück in den Begriffen "heil" (glücklicher Zufall, Gesundheit) und "salig" (wohlgeartet, gut, gesegnet).
Die deutsche Sprache muss für "Glück haben" und "Glück empfinden" mit einem Begriff auskommen. Die anderen europäischen Sprachen unterscheiden genauer, das Englische etwa in "luck" und "happiness". Und das Sanskrit, die Sprache des alten Indiens; sie kennt ein gutes Dutzend Wörter für die verschiedenen Weisen, Glück zu empfinden.

Die Philosophie versucht seit 2000 Jahren dem Phänomen Glück näher zu kommen, aber für die Psychologie war bis Mitte des 20. Jahrhunderts "Glück" kein Thema. Der vorherrschende Behaviourismus besagte, die subjektiven Emotionen seien nicht hinreichend fassbar, um zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung gemacht zu werden. Der Existentialist Sartre erklärte uns in seiner Philosophie gar, dass die Menschen, die sich glücklich nennen, unter einem falschen Bewusstsein litten und stimmt darin mit der pessimistischen Aussage von Karl Marx überein, der meint, dass das subjektive Glücksempfinden eine Selbsttäuschung sei.

Wir wollen uns heute jedoch mit unserer unmittelbaren Erfahrung befassen und damit, dass unsere eigenen Deutungen richtig sind, wir also , wenn wir Glück empfinden, dies auch der Wahrheit entspricht.

2. Wie äußert sich Glück? Glück ist universell! Gibt es ein Glücksgen? Wie entsteht Glück? Wozu hat die Natur das Glück erfunden?

2.1 Wie äußert sich Glück? Glück ist subjektiv.    

Das Glück soll als subjektive Emotion vorgestellt werden, denn nur der Einzelne kann erkennen, ob er Glück empfindet. Gleichzeitig ist aber ein Gefühl der objektivste Inhalt des Geistes, denn das Kribbeln im Bauch, das wir bekommen, wenn wir verliebt sind, ist für uns wirklicher als alles, was wir in der äußeren Welt beobachten oder was uns die Wissenschaft oder Logik lehrt. So geraten wir häufig in eine paradoxe Situation: Betrachten wir andere, so sind wir wie Verhaltensbiologen, betrachten wir uns, so gehen wir wie Phänomenologen vor und nehmen unsere inneren Gefühle ernster als äußere Ereignisse.
So halte ich auch eine englische Studie zum Thema Glück überflüssig. Danach machen sich Glückspilze und Pechvögel etwas vor, indem sie meinen, dass ihr Leben vom Schicksal bestimmt sei.
Abgesehen davon, dass diese Forscher die subjektiven Emotionen der untersuchten Personen infrage stellen, unterscheiden sie nicht zwischen "glücklich sein" und "Glück gehabt haben". So hat Hans im Glück sein Gold gegen ein Pferd, das Pferd gegen eine Kuh, seine Kuh gegen ein Schwein, sein Schwein gegen eine Gans, die Gans gegen einen Stein eingetauscht und war am Ende objektiv mittellos, aber subjektiv glücklich.
(So glücklich wie ich, rief er, gibt es keinen Menschen unter der Sonne. Mit leichtem Herzen und frei von aller Rast sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war.) Glück gehabt haben aber all die, die mit ihm getauscht haben. Die haben ein gutes Geschäft gemacht. Waren sie aber glücklich?

2.2 Glück ist universell     

Schon der Verhaltensbiologe Eibl-Eibesfeldt konnte nachweisen, dass nicht nur Tiere, sondern auch Menschen mit angeborenen Bewegungsweisen ausgerüstet sind.
Säuglinge schreien nicht nur, sondern lächeln die Mutter oder Bezugsperson an.
Und Untersuchungen an blind und taub geborenen Kindern zeigen, dass auch Lachen angeboren ist.
Noch weiter führt uns der Kulturenvergleich. So muss man zwar mit der Möglichkeit unabhängiger Erfahrung rechnen, aber es ist doch auffällig, dass die Menschen in allen Kulturen beim freundlichen Grüßen lächeln, nicken und mit einer schnellen Bewegung die Augenbrauen heben.
Die Psychologie hat bis zu neun grundlegende Emotionen identifiziert, die sich bei den Angehörigen ganz verschiedener Kulturen zuverlässig durch den Gesichtsausdruck bestimmen lassen. Echtes Lachen und Lächeln als ein möglicher Ausdruck von Glück, ist also universell.
Die Psychologen Paul Ekman und Wallace Friesen haben eine wissenschaftliche Analyse der Gesichtsmimik beim Lachen durchgeführt, indem sie durch eine besondere Methode sämtliche beobachtbaren Muskelbewegungen auf die Fünfzigstelsekunde genau beschrieben haben. Reflektierende Punkte auf dem Gesicht verraten dem Computer, ob der Mensch gerade gut aufgelegt ist. Dabei provozierten die Forscher Glücksgefühle oder Enttäuschung und beobachteten die damit verbundenen Gesichtsausdrücke.
Aber auch das Lächeln hat viele Gesichter. Über 15 verschiedene Arten hat man herausgefunden.

2.3 Gibt es ein Glücksgen?    

Nun, warum ist der eine stets gut gelaunt, der andere selten oder nie? Ich zitiere Buhumil Hrabel: "Dies Leben ist schön, zum Verrücktwerden schön! Nicht, dass es das wäre, aber ich sehe das so!"
Es scheint also auf der einen Seite also Menschen zu geben, die quälen sich ihr ganzes Leben durch eine Wüste des Unheils. Begegnet man ihnen, erfährt man, was sie alles erleiden und was ihnen noch bevorsteht. Dann gibt es Menschen mit wahrhaft schmerzhaften Erinnerungen, und diese lachen!
Einige Verhaltensbiologen und Psychologen sprechen daher auch von einem Glücksgen.
Amerikanische Psychologen befragten zu diesem Nachweis 2310 eineiige Zwillinge über ihr subjektives Wohlbefinden. Dabei berichteten diese über ein ähnliches Maß an Wohlbefinden, auch wenn sie getrennt aufwuchsen und in unterschiedlichen sozialen Milieus lebten. Bei zweieiigen Zwillingen war das nicht der Fall.
Sehr intensiv hat sich der Psychotherapeut Hans Holderegger in seinem Buch " Das Glück des verlorenen Kindes" mit der angeborenen psychischen Organisation beim Menschen befasst. Seine Analysen führten zu dem Schluss, dass der Mensch eng mit anderen höher organisierten Lebewesen verwandt ist und dass nach der Geburt des Menschen viel mehr an psychischer Struktur da ist, als bisher angenommen, noch mehr, als uns die moderne Säuglingsforschung in den letzten Jahren und Jahrzehnten gelehrt hat.
So bezeichnet Holderegger den Helden aus Eichendorffs "Aus dem Leben eines Taugenichts" als ein verlorenes Kind, weil dieser nach dem frühen Tod seiner Mutter aus der Welt gefallen ist. Es geht danach in seiner Lebensgeschichte um den dauernden Versuch, das früheste Glück mit der lebendigen Mutter zu beleben. Das Glück des verlorenen Kindes ergibt sich daraus, dass der junge Taugenichts trotz der Not seiner schlimmen Erfahrung als Kind in seinem Innern eine Welt gefunden hat, die ihm innere Lebendigkeit und Glück zu schenken vermag.

2.4 Wie entsteht Glück?   

Ich wende mich zunächst den neurobiologischen und biochemischen Ursachen zu.
Im Limbischen System des Gehirns gibt es Bereiche, deren Erregung von Tier und Mensch als angenehm empfunden werden. Man spricht vom sogenannten Belohnungssystem. Bei Säugetieren lassen sich diese Bezirke im Hirn-Selbstreizungsversuch bestimmen. Dabei wird zum Beispiel einer Ratte die Gelegenheit gegeben, sich durch Drücken eines Hebels selbst im Gehirn über eine Elektrode elektrisch zu reizen. Wenn die Elektrode im Belohnungssystem lokalisiert ist, dann betätigt sie diesen Hebel bis zur Selbsterschöpfung. Dieses Belohnungssystem "arbeitet" mit dem Überträgerstoff Dopamin, der unsere Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit fördert, Lustempfinden weckt und daher oft als "Glücksdroge" bezeichnet wird. Es gibt noch andere Transmittersubstanzen und körpereigene "Glückshormone" wie die Endorphine, die bei Extremsportlern ausgeschüttet werden und als "runner's high" bekannt sind und ein intensives Glücksgefühl auslösen.
Die höher organisierten Prozesse im Gehirn können ohne die Verbindung zu den basalen Systemen der primären Gefühle nicht funktionieren. Die Großhirnrinde kann keine Vorstellungen erzeugen, wenn die alten Bassistrukturen des Gehirns (Hypothalamus und Gehirnstamm) nicht intakt und kooperativ sind. Holderegger unterscheidet primäre (Emotionen) und sekundäre Gefühle, dazu könnte man das "Glücksgefühl" zählen. Nach seiner Meinung reichen für die Entstehung der sekundären Gefühle die Strukturen im limbischen System nicht aus, sondern sind auf die Mitwirkung der Großhirnrinde angewiesen. Ein Gefühl entsteht aus einem geistigen Bewertungsprozess und kann wiederum Empfindungen zur Folge haben.

2.5 Wozu hat die Natur das Glück erfunden?  

Es gibt eine große Skala von Wunscherfüllungen, die unmittelbar ein Gefühl von Befriedigung und Glück auslösen.
Ich richte mich im Folgenden nach einer Beschreibung der Bedürfnisse des Menschen, die der amerikanische Psychologe Abraham Maslow hierarchisch geordnet hat:

Dabei werde ich mich nur auf drei Bereich beschränken.

1. Die Erfüllung der physisch-animalischen Grundbedürfnisse
Wenn wir unsere menschlichen Vorfahren betrachten, die Jäger und Fleischfresser waren, so war ihr Leben hart und gefährlich. Sie litten unter dem Klima und unter Nahrungsmangel. Fast immer waren sie hungrig. Und sicher waren sie schon mit Wenigem zufrieden. Da sie in einer offenen Landschaft lebten und nur primitive Waffen hatten, lebten sie auch in ständiger Angst. Also waren unsere Vorfahren besonders glücklich, wenn einmal ein großes Tier erlegt war und sie sich dem Essen hingeben konnten. Auch setzten sie sich keinen unnötigen Risiken aus, das heißt, sie strebten nach Sicherheit. Der Wunsch, sich wohl zufühlen, ist für die Evolution äußerst bedeutsam. Ein Tier, ein Organismus, hält sich so von schädlichen Umwelteinflüssen fern, bewahrt ihn in einem Optimum. Und dies erst hat eine fortschreitende Entwicklung zur Folge. Nur so ist die Weitergabe der eigenen Gene über das bloße eigene Überleben an die nächste Generation gesichert.

2. Bedürfnis nach Liebe
Ein paar Worte zur erotischen Liebe: Verliebtheit wird, bedingt durch die Botenstoffe Dopamin und Serotonin, von den meisten Menschen als außerordentliches Glücksgefühl wahrgenommen. Die Liebe scheint den Menschen in dieser Phase dermaßen zu ergreifen, dass er meint, eine lebenslange, monogame Sexualbeziehung und eine Familie bewältigen zu können. Das Hochgefühl der Verliebtheit wird dann in eine Zuneigungs- und Geborgenheitsphase überführt. In dieser Phase bekommt der Körper endogene Morphine, die beruhigend und angsthemmend wirken. Später, zur Zeit der Familiengründung, sollte sinnvollerweise die emotionelle Bindung der Partner aufrecht erhalten werden, um die Betreuung der Kinder zu gewährleisten. Dies geschieht durch verschiedene sozialbindende Funktionen, allen voran die Sexualität.

3. Kognitive Bedürfnisse
Die Evolution hat in unserem Nervensystem zwei unterschiedliche Motivationen angelegt: Da ist einmal die Lust, das Wohlgefühl, das wir empfinden, wenn wir gut essen, wenn wir uns ausruhen oder mit Menschen Kontakt haben, aber da ist andererseits auch die Freude und ein beflügelndes Glücksgefühl, das uns befällt, wenn es uns gelingt, über die bloßen Erfordernisse des Überlebens hinauszukommen. Letztes Jahr habe ich darüber berichtet. Die beiden einander widersprechenden Motivationen lassen sich durch die Verhaltenbiologie erklären: Der Mensch überschreitet nur dann Grenzen, wenn er sich sicher fühlt. Der Sinn besteht darin, etwas Neues aufzusuchen, es zu erforschen und damit zu Bekanntem zu machen, seinen "Sicherheitsradius" zu erweitern. Nur damit wird die Grundlage für den evolutionären Fortschritt gelegt. Geht man von einem Neugiertrieb aus, dann wird mit der Exploration Unsicherheit in Sicherheit verwandelt. Und für die Anstrengung, die mit dem Aufsuchen und mit der Verwandlung von Unsicherheit in Sicherheit verbunden ist, werden wir mit Lust belohnt. Jeder kennt die Lust oder das Glücksgefühl, das mit der Lösung eines Problems verbunden ist. Dabei kann es sich um eine bestandene Prüfung handeln, eine gelöste Mathematikaufgabe oder um ein spannendes Buch. Die Reaktion reicht vom Aha-Erlebnis (Karl Bühler) bis hin zum Freudentanz. Csikzentmihalyi nennt es "Flow". 

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3. Anatomie der Leidenschaften- das Streben nach Glück    

Wenn also das Glück für unsere Evolution so bedeutsam ist, dann ist es verständlich, dass wir nach Glück streben. Das Glücksstreben, unter der Überschrift "Anatomie der Leidenschaften" möchte ich wieder in Anlehnung an die Bedürfnispyramide exemplarisch an Hand zweier Bereiche verhaltensbiologisch untersuchen.
Zuvor möchte ich jedoch versuchen, das Phänomen Leidenschaft oder Emotion allgemein zu beschreiben.
Dass es Emotionen schon im Tierreich gibt, weiß jeder Hunde- und Katzenfreund . Eine Emotion ist ein Programm, das automatisch abläuft, sie setzt kein Bewusstsein voraus, aber Emotionen sind der Kern jeden Gefühls. Bei der Betrachtung der Gehirnevolution ist zunächst als ältester Teil das sogenannte Reptiliengehirn zu nennen, das identisch mit dem Hirnstamm ist, zu dem auch das Kleinhirn gehört. Es steuert die grundlegenden Lebensfunktionen wie Verdauung und Atmung und spielt beim Entstehen der Emotionen wie Hunger und Angst eine wichtige Rolle. Das älteste Säugetiergehirn, der sogenannte Hippocampus, die Amygdala, enthält Bereiche, die Erinnerungen an Gefühle und Orte speichern. Dies war schon bei den ersten Säugetieren wichtig, da Brutpflege und die Bindung an einen Partner mehr Emotionen voraussetzte. Der größte Entwicklungsschub setzte allerdings vor gut 100 Millionen Jahren ein, als sich die Großhirnrinde enorm ausdehnte. Nun konnten Handlungen im voraus geplant werden und Regungen wie Mitgefühl, der Altruismus, haben da ihre Wurzeln. Der Mensch hat daher nicht nur eine enorme Vielfalt an Emotionen, sondern er kann sie auch reflektieren und somit Gefühle entstehen lassen.
Wir können den Menschen aufgrund seiner Evolution einerseits als Instinktwesen betrachten und andererseits auch als ein Wesen, das seinen Trieben nicht hilflos ausgeliefert ist, sondern lernen kann, damit umzugehen.
Betrachten wir zunächst den Menschen als Instinktwesen. Ich möchte zur Beschreibung des Instinkts ein Modell vorstellen, das von Konrad Lorenz stammt, und das das Zusammenwirken von äußeren und inneren Faktoren betrachtet, die am Auftreten einer Verhaltensweise beteiligt sind.
Unter dem Einfluss motivierender Faktoren fließt aktionsspezifische Energie oder Erregung (hier Wasser) in ein Instinktzentrum (Tank). Ein Ventil blockiert den dauernden Abfluss der Erregung, die somit aufgestaut wird. Der Druck, den die Wassersäule auf das Ventil ausübt, entspricht der spezifischen Handlungsbereitschaft. Auslösende Reize (Gewichte) setzen die Instinkthandlung (Ausfließen des Wassers) in Gang. Die Intensität des Verhaltens ist aus der Skala abzulesen. Ist die Handlungsbereitschaft gering, so können selbst starke Reize nur eine wenig intensive Verhaltensweise in Gang setzen . Ist die Bereitschaft höher, so löst auch ein schwacher Reiz eine intensive Handlung aus.
Konrad Lorenz beschreibt Versuche mit Lachtaubenmännchen, denen das Weibchen für längere Zeiträume entzogen wurde. Wenige Tage nach Verschwinden des artgleichen Weibchens war der Lachtauber bereit, eine weiße Haustaube anzubalzen, die er vorher völlig ignoriert hatte. Einige Tage später ließ er sich herab, vor einer ausgestopften Taube seine Verbeugungen und sein Gurren vorzuführen, noch später vor einem zusammengeknüllten Tuch und schließlich nach Wochen richtete er seine Balzhandlungen in die leere Raumecke seines Käfigs.
Aus vielen Beobachtungen wird folgendes deutlich:
Triebe sind spontan. Die Triebstärke nimmt in Abhängigkeit von der Dauer des stillgelegten Triebverhaltens zu. Man denke an den Hunger oder Durst beim Menschen. Dies führt dazu, dass - wie Lorenz sagt- "ein urgewaltiges Streben" einsetzt, jene erlösende Situation herbeizuführen, in der sich der gestaute Instinkt entladen kann. Lorenz nennt dieses Streben "Appetenzverhalten". Die Triebhandlung selbst wird als lustvoll erlebt, die aufgelöste Triebspannung erzeugt Zufriedenheit.
Das Streben nach Lust gilt für alle Triebe und noch vor der "Gründung" der Verhaltensbiologie spricht der Psychoanalytiker Sigmund Freud vom Lustprinzip, das dem menschlichen Streben zugrunde liegt.
An zwei bereits vorgestellten Bereichen möchte ich mich nun mit der Grundlage unserer Leidenschaften befassen.

3.1 Bedürfnis nach Nahrung und körperlichem Wohlbefinden 

Unsere menschlichen Vorfahren waren Jäger und Fleischfresser; sie mussten um ihre Nahrung kämpfen und auf eine anstrengende Jagd folgte Faulheit. Wir aber haben heute genug zu essen und alle möglichen technischen Errungenschaften, die unser Leben leichter machen. So sind wir zunehmend intoleranter gegen Unlust geworden. Zur Steigerung der Lust wird versucht, die Lust der Endhandlung wiederholt zu erleben. Die bekannte Methode der alten Römer, das Gegessene mit einer Pfauenfeder zu erbrechen, gehört dazu. Wirkungsvoller, den Lustgewinn zu erhöhen, ist die zweite Strategie, die Erhöhung der Reizstärke. Da kann die Triebstärke gering sein, der Reiz muss nur genügend hoch sein. Wenn wir satt sind und wollen aus Gründen des Lustgewinns weiteressen, so stehen uns erlesene Delikatessen zu Verfügung. Weltweit ist der Mensch auf dem besten Wege, ganze Tierarten auszurotten. Die biologische Evolution hat mit der kulturellen Evolution nicht Schritt gehalten, das Angebot an Nahrungsmitteln hat sich so ausgeweitet, dass die Ess-Sucht ein ernsthaftes Problem geworden ist. Stefan Klein spricht in seinem Buch "die Glücksformel" in diesem Zusammenhang von der Sucht als einem Unfall auf der Suche aller Menschen nach dem Glück. So können wir nachvollziehen, dass das Luststreben menschlich ist und von unserer Evolution her verständlich ist. Aber das Streben nach Lust ist unersättlich. Dies führt dazu, sich Lust und Wohlbefinden durch Drogen zu schaffen. Ganz sicher werden Drogen dazu benutzt, um die eigene Lust zu verstärken. Heroin soll beispielsweise Gefühle des absoluten Glücks hervorrufen.

3.2 Bedürfnis nach Liebe 

"Sascha liebt mich, jedenfalls hat er das soeben gesagt und mir damit ein klopfendes Herz, rote Wangen und wohlige Wärme in meiner Brust beschert. Wann war ich zum letzten Mal so glücklich?" Christine, 19 Jahre.
Die großen Gefühle machen glücklich, süchtig und mitunter auch verrückt. Die Symptome einer leidenschaftlichen Verliebtheit (oder Liebe) sind also bekannt, die Diagnose ist schnell gestellt und auch Fallbeschreibungen finden sich in Fülle in der Literatur, Malerei, in der Musik oder im Film. Wie schon angedeutet, hat man mittlerweile jene biochemischen Stoffe entschlüsselt, die den Menschen seit Hunderttausenden von Jahren betören. Die an das Gehirn gemeldeten Sinnesreize werden dort ausgewertet; hier fällt das Urteil, ob wir die andere Person schön oder hässlich, sexy oder unsympathisch finden. Dabei hat jeder Mensch seine speziellen Vorlieben, ob beim Essen oder bei der Partnerwahl. "Wen wir attraktiv und erotisch finden", so die amerikanische Anthropologin Helen Fisher, "ist abhängig vom Zeitpunkt, vom gesundheitlichen Befinden und sozialen Status, von Kindheitserfahrungen und einer Unzahl anderer kultureller und biologischer Faktoren". Ein flüchtiger Augenblick, eine Geste kann genügen und die Leidenschaft erwacht. Schlagartig wird im limbischen System eine Kaskade an Reaktionen losgetreten.
Diese Leidenschaft ist ein Produkt der Evolution, damit ein geeigneter Geschlechtspartner gefunden wird, emotional gebunden wird, um das Überleben des Nachwuchses zu sichern. Warum aber muss die Leidenschaft wie ein Blitz aus heiterem Himmel entbrennen, bevor man den Partner sorgsam prüfen kann? Nun, zu einer Zeit, als es noch keine Büros und keine Discos gab, um einen potentiellen Partner kennen zu lernen, sondern als man in kleinen, weit verstreuten Gruppen lebte, muss sich der Blitzangriff millionenfach bewährt haben, wenn man gelegentlich an der Wasserstelle auf Freunde traf: Liebe auf den ersten Blick, Küsse als olfaktorischer Gentest, Sex zur Arterhaltung.
Was aber dann? Das Hochgefühl der Liebe hält nicht an, da das limbische System einen Regulierungsmechanismus besitzt und wieder normale Verhältnisse ansteuert, die die Glückseligkeit beenden.
So wird das Ende des Liebestaumels - wenn alles gut geht- abgelöst durch eine Zuneigungs- und Geborgenheitsphase. Das Hormon Vasopressin, das sogenannte Treuehormon, sorgt für die Glücksstufe II.
Warum aber scheitern so viele Partnerschaften, warum wird dann so oft ein neuer Partner gesucht?
Wie ich schon weiter oben ausführte, haben wir in unserem Nervensystem zwei unterschiedliche Motivationen angelegt, das Streben nach Sicherheit und den Wunsch, Grenzen zu überschreiten. Wenn sich in einer festen Partnerschaft die Sicherheit über längere Zeit hinweg erstreckt, sie zudem noch verbrieft und versiegelt ist, so regt sich der Sicherheitstrieb in Form von Appetenz nach Neuem. Man sucht wieder die Unsicherheit, man ist bereit, Risiken einzugehen, und zwar umso eher, je sicherer man sich in seiner Beziehung fühlt.
Unsere ständige Glückssuche macht uns anfällig für Untreue. Wir erwarten, dass wir glücklich sein müssen, um ein erfülltes Leben zu haben, Glück wird dabei in hohem Maße von der Liebe, im Extremfall sogar nur von der Sexualität erwartet. Diese verkürzte Sichtweise kommt daher, dass heutige Partnerschaften im Alltag oft sehr belastet sind und andere Glücksbringer wie Erfolg im Beruf und Reichtum meist stark begrenzt sind. So konstruiert sich mancher eine verkürzte Glücksbahn für sein Leben, sucht das Glück in Liebe und Sex, die er von seinem Partner erwartet. Das Glück pervertiert damit zur Leistung, die ein Anderer zu erbringen hat.
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4. Wege zum Glück - Bewusste Steuerung unserer Leidenschaften  

"Die meisten Menschen sind so glücklich, wie sie es sich selbst vorgenommen haben." (Abraham Lincoln)

Sprüche (Volksmund):
"Jeder ist seines Glückes Schmied."
"Das Glück ist dem Kühnen hold."
"Das Glück hasst weise und gelehrte Leute, die mit Vernunft alle Dinge vermögen."

4.1 Glückserleben und Lebensglück - das State-Trait-Konzept     

In der Psychologie wird Glück differenziert in Glückserleben und in Lebensglück. Man spricht vom sogenannten State-Trait-Konzept. Mit States (engl. Zustand) werden vorübergehende Zustände und Aktivitäten von Menschen bezeichnet, mit Traits (trait= Charakterzug) Persönlichkeitszüge. Die psychologische Forschung hat jeweils einen Kanon von Merkmalen für diese beiden Formen des Glücks aufgestellt. Ich nenne nur den wesentlichen Unterschied:
Das Glückserleben, auch das State bezeichnet, ist kurzfristig veränderbar.
Das Lebensglück - auch als Trait bezeichnet, wird im Lebenslauf entwickelt und ist deshalb nur langfristig veränderbar.

4.2 Die ethischen Wirkungen von Glück bzw. über die Pflicht, glücklich zu sein  

Glück schützt vor Depression. Glücksgefühle stärken das Immunsystem, wie die Psycho-Neuro-Immunologie nachgewiesen hat.
Glückliche Menschen sind belastungsfähiger als andere. Ihre Persönlichkeit ist gekennzeichnet von hoher Sensibilität und Offenheit der Realität gegenüber.
Als ethische Konsequenz ergibt sich daraus, dass glückliche Menschen Interesse am Leben anderer zeigen, und ihre Haltung den Mitmenschen gegenüber ist gekennzeichnet von Einfühlungsvermögen und Anteilnahme. Glück ist aber gewissermaßen "ansteckend" und wer von glücklichen Menschen umgeben ist, dem mag es ein Stück weit leichter fallen, den Anforderungen und Belastungen des Alltags gewachsen zu sein.

Wie erreicht man nun Glück? Ich nehme als Grundlage wieder die "Bedürfnispyramide" von Maslow und möchte drei Bereiche untersuchen:
1. die physisch-animalischen Grundbedürfnisse mit dem Bereich des Wohlbefindens - dem State-Bereich zuzuordnen
2. den Bereich Freundschaft und Liebe
3. und den Bereich der kognitiven Bedürfnisse - beides dem Trait-Bereich zuzuordnen.
4. Weiterhin möchte ich mich mit der Beziehung Glück und Sinn befassen.

4.3 Wie erreiche ich Wohlbefinden? 

Zum Wohlbefinden gehören zunächst einmal die kleinen Freuden des Alltags, die man sich selbst schaffen kann.
So sammelt das Mädchen aus dem Film "Die fabelhafte Welt der Amélie" besondere Momente wie andere Postkarten. Da sitzt sie vor einem Schälchen Crème brulée und strahlt über das ganze Gesicht. Sie kann den Moment kaum erwarten, wenn sie mit dem Löffel in die knusperige Karamelschicht sticht und es so wunderbar knackt. Dieses Geräusch macht sie glücklich.

Eine Möglichkeit, auf der physisch-animalischen Basis Glück zu erhalten, ist die Bewegung.
-Schon bei Tieren kann man dies beobachten. So können gefangen gehaltene Zugvögel im Sommer in einem großen Vogelhaus ohne Anzeichen von Unwohlsein gehalten werden, doch im Herbst drängen sie darauf, wegzufliegen. Werden sie daran gehindert, zeigen sie schwere Stresssymptome. Mäuse brauchen ein gewisses Maß an Bewegungsfreiheit. In kleinen Käfigen, wie in vielen Laboratorien üblich, leiden sie an Depressionen mit entsprechend hormonellen Veränderungen.
-In einer Ausgabe des Focus wird unter dem Titel "Trikot statt Tristesse" beschrieben, wie der Sport Menschen aus einem seelischen Tief geholfen hat.
-Dass wir uns speziell beim Wandern so wohlfühlen, hängt damit zusammen, dass Gehen ein sehr altes Verhalten des Menschen darstellt und dass wir uns in dem Lebensraum aufhalten, in dem wir entstanden sind. Evolutionsbiologisch gesehen leben wir erst seit kurzem in Großstädten. Dabei finden wir eine savannenartige Landschaft als angenehm, die eine gewisse Bewuchsdichte hat, aber noch übersichtlich ist.
-In der Frauenzeitschrift "Shape" verspricht der Ayurveda-Trainingsplan Fitness und Glück unter dem Titel "Fit mit der Glücksformel". Dabei soll man durch eine besondere Trainingsmethode, die kombiniert ist mit Yoga-Übungen vor dem Sport zu einem euphorischen Hochgefühl kommen, einer magischen Hochstimmung, die einen beim normalen Joggen erst nach einer längeren Zeit erfasst und als Runners High bekannt ist.

Ich möchte nun bei den Grundbedürfnissen des Menschen auch auf das Phänomen von Schönheit und Ästhetik für das Glücksempfinden des Menschen hinweisen. Schönheit ist ein wichtiges Bedürfnis. Kommen wir plötzlich in eine schöne Umgebung, dann sind wir sofort anders gestimmt. Zwar hat das Phänomen Schönheit eine subjektive Seite, aber man weiß heute, dass ästhetisches Empfinden auf sinnlicher Wahrnehmung und damit physiologischen Prozessen beruht.

"Da sind verschlungene Pfade. Es geht über Stock und Stein, Wurzeln, Moos, dichtes Gebüsch, Rinnsale.... Am Ende des Weges sind wir erfrischt, fast wie neugeboren...Im Wald war ich mit Körper, Seele und allen Sinnen voll beansprucht. Überall kleine mit Hindernissen verbundene Wagnisse. Auf der risikolosen Betonbahn forderte mich nichts heraus. Ich hatte nichts zu bestehen. Ich war sozusagen überflüssig. Das ist es, was uns kaputt macht: die Unterschlagung unserer Fähigkeiten. Leben bedarf der Hindernisse. Wo kein Wagnis, da kein Leben." (Hugo Kükelhaus)

Neben körperlicher Aktivität scheint die sinnliche Wahrnehmung eine stammesgeschichtlich sehr alte zu sein; sie wirkt stark auf das Unterbewusstsein und ist daher auch eine wichtige und nicht zu unterschätzende Quelle des Glücks.
Man kann die Ästhetik aber auch auf den Sinn des Lebens übertragen und sich fragen: Ist ein Leben ohne Orientierung am Schönen überhaupt möglich? Die Philosophie der Lebenskunst vereint so ethische und ästhetische Dimensionen.

4.4 Freundschaft und Liebe  

Freunde sind Glückboten "Glück ist, wenn ich mit meinen Freunden und meiner Familie zusammen sein kann. Ich bin immer für sie da und kann mich hundertprozentig auf sie verlassen." (Lisa, 14)
Freundschaften geben uns Sicherheit und Vertrauen. Sind deshalb die Isländer auch glücklicher als die Deutschen? Das einsame Land im Nordatlantik, wo es die Hälfte des Jahres stockdunkel ist, steht nämlich auf Platz 1 der Weltrangliste des Glücks. Der Grund: Sie haben weniger sozialen Stress und verbringen viel Zeit mit Freunden und Familie.
Man hat herausgefunden, dass durch Freundschaften der Stress vermindert und das Immunsystem gestärkt wird. Glück findet man durch Geborgenheit in einer guten Freundschaft und jeder muss sich selbst darum bemühen.

Amor bringt Glück
"Glück ist, wenn ich heimlich meinen Schwarm ansehe. Wenn er lacht, leuchten in seinen Augen zigtausend Sterne." (Sandra, 16)
Die Liebe ist ein ganz großes Glück und mit kleinen Freuden kaum zu vergleichen.
Bindung an einen Partner erzeugt gute Gefühle und Menschen in guten Partnerschaften leben normalerweise glücklicher als Singles und erkranken weniger häufig an Depressionen. Moderne Psychologen betonen immer wieder, dass wir selbst zum großen Teil für unsere Liebe verantwortlich sind. Emotionen dringen nicht nur von außen auf den Menschen ein, sondern werden vom Individuum selbst herbeigeführt oder konditioniert. Liebe ist nach modernem Verständnis nicht mehr der Blitzschlag von oben, sondern das Ergebnis eigener Bemühungen und dazu gehören unter anderem:
- Verständnis für den anderen haben
- der Wille zum Frieden und Einhalten von Kompromissen
- Toleranz
- ständig und ununterbrochen ein hohes Zuwendungsniveau aufrechterhalten
- Hilfreich ist das Wissen um die Gefährdung, gerade wenn der erste Rausch verflogen ist.
- Es gilt, in der Partnerschaft eine gewisse Spannung aufrechtzuerhalten. Und diese ist weder durch totale     Selbständigkeit noch durch totale Hingabe zu erreichen.

Sehr schön hat der libanesische Schriftsteller Khali Gibran (1883-1931) in einem Gedicht geschrieben, wie die Balance zwischen Autonomie und Nähe zu halten ist.
1. Strophe:
"Aber lasst Raum zwischen euch.
Und lasst die Winde des Himmels zwischen euch tanzen.
Liebt einander, aber macht die Liebe nicht zur Fessel:
Lasst sie eher ein wogendes Meer zwischen den Ufern eurer Seelen sein.
Füllt einander den Becher, aber trinkt nicht aus einem Becher.
Gebt einander von eurem Brot, aber esst nicht vom selben Laib.
Singt und tanzt zusammen und seid fröhlich,
aber lasst jeden von euch allein sein."

4.5 Kognitive Bedürfnisse   

Flow, eine Handlungsttheorie des Glücks

Csikszentmihalyi hat jahrzehntelang über 100000 Menschen aus aller Welt nach ihren Glückerlebnissen befragt und ihre Angaben systematisch ausgewertet.
Ein leidenschaftlicher Bergsteiger sagt: "Eines der schönsten Erlebnisse beim Klettern besteht darin, die Möglichkeit jeder einzelnen Position herauszufinden. Jede weist unendlich viele Gleichgewichtsvariationen auf, und aus diesen nun die beste herauszutüfteln, sowohl im Bezug auf die jetzige wie auf die nächste Position, das ist wirklich toll. Man probiert und probiert, bis eine Lösung gefunden ist." C. bezeichnet den "besonderen dynamischen Zustand", das holistische Gefühl bei völligem Aufgehen in einer Tätigkeit, als Flow.
Die Verhaltensbiologie erklärt das Flow-Erlebnis als Triebbefriedigung. Weiter oben habe ich schon ausgeführt, dass der Neugiertrieb in Wirklichkeit ein Sicherheitstrieb ist. Die Triebhandlung besteht im Bekanntmachen des Unbekannten, im Lösen von Problemen, in der Exploration, in der Verwandlung von Unsicherheit in Sicherheit. Dieser Gewinn an Sicherheit wird mit Lust erlebt und dieses Gefühl ist ein Selektionsvorteil, denn es führt zu weiterer Exploration, zu immer größerer Sicherheit.
Die Handlungstheorie des Flow gilt als die derzeit bedeutendste; sie betrifft sowohl das augenblickliche Glückserleben( State-) als auch das Lebensglück (Trait-Glück).

Während evolutionsbiologisch Lust und Freude am rein sinnlichen Erleben- von wohlschmeckenden Speisen, betörenden Düften, leuchtenden Farben- als Belohnung für das physisch richtige Verhalten gedeutet werden kann, stellt Flow eine vergleichsweise moderne Glücksquelle dar. Nachdem der Mensch seine Instinktgebundenheit weitgehend verloren hat, ist es für ihn wichtig geworden, sich ein mannigfaltiges Spektrum an Wissen und Können anzueignen. Damit dies tatsächlich auch geschieht, ist im Laufe der Evolution diese weitere Form des Glückserlebens entstanden.

4.6 Glück und die Sinnfrage  

Am Ende dieser Ausführungen wage ich mich einen Schritt in die Philosophie vor. Nach Victor Frankl will der Mensch letztes Endes nicht das Glücklichsein an sich, sondern einen Grund zum Glücklichsein. Dann stellt sich das Glück selbst ein. Und der Grund zum Glücklichsein, das stellt den Sinn des Lebens dar. Auch der Dalai Lama beschreibt den Weg zum Glück, indem man Sinn im Leben findet. Sinn findet der Mensch aber nur, wenn er sich in den Dienst einer Sache stellt oder sein Leben in Liebe zu einem und anderen Menschen gestaltet.

Und wie soll man mit Schuld, Leid, Krankheit und Tod umgehen? Was ist mit dem Unangenehmen, Schmerzlichen, Hässlichen, dem Scheitern und Negativen? Entscheidend ist, ob das Leben insgesamt als bejahenswert erscheint. Dabei ist das Schöne der Leitstern, der das Leben zu orientieren vermag. Und schließlich kann eine Wahrnehmung, die auf den Sinn des Lebens gerichtet ist, Hilfe geben und Akzeptieren dessen, was nicht zu ändern ist. Friedrich Nietzsche: " Wer ein Warum zu leben hat, der erträgt fast jedes Wie." 
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5. Wie kann sich eine Gesellschaft eine Kultur des Glücks aneignen? 

Sieben von zehn Deutschen meinen, der Sinn des Lebens liege darin, glücklich zu sein. Aber nur drei von zehn nennen sich glücklich. Stefan Klein hat in seinem Buch "die Glücksformel" das ‚Glück der Nationen' untersucht und Folgendes festgestellt:

1. Es fällt auf, dass zwischen Wohlstand und Wohlbefinden kein Zusammenhang besteht. So haben manche Länder im Verhältnis zu ihren geringen Mitteln sehr viel Wohlbefinden geschaffen. Zu ihnen zählt Kerala, ein Bundesstaat im Süden Indiens, wo 30 Millionen Menschen auf engstem Raum leben. Allerdings hat jede Bauernfamilie ihr eigenes Land, das sie ernährt. Im Durchschnitt verdienen sie jedoch weniger als 40 Euro im Monat. Kerala hat nicht wie andere Entwicklungsländer in Stahlwerke und Flughäfen investiert, sondern in Schulen und Krankenhäuser. Es gibt keine Analphabeten, viele haben höhere Schulbildung, die Kultur ist hochentwickelt, die ärztliche Betreuung hervorragend.

2. Nicht der absolute Wohlstand, sondern die gleichmäßige Verteilung der Güter beschert ein langes Leben, dies zeigt sich besonders in den Industrienationen Schweden und Japan. Wachsende soziale Ungerechtigkeit geht in die Statistik mit niedrigerer Lebenserwartung ein.

3. Ein gut funktionierendes Gemeinschaftsgefüge beeinflusst die seelische und körperliche Verfassung von Menschen so, dass die Lebenserwartung steigt. Solidarität ist ein Schutzschild.

4. Der Schlüssel zum Glück in der Gesellschaft ist es, sein Leben selbst in der Hand zu haben. Dabei kann ein relativ kleiner Zuwachs an Selbstbestimmung Menschen sehr viel glücklicher machen und ihr Leben verlängern, wie man in amerikanischen Altersheimen festgestellt hat, als die Senioren ermuntert wurden, über Kleinigkeiten ihres Alltags selbst zu bestimmen.

5. Demokratie macht glücklich. Die glücklichsten Europäer leben in der Schweiz. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass sie durch ihr politisches System -direkte Demokratie mit Volksbefragung und Volksabstimmung- ein hohes Maß an Mitbestimmung haben.

Aber: Wir alle müssen etwas für das Glück tun. Dies gilt für das private Glück und für das Glück in der Gesellschaft. Ein glückliches Leben ist keine Gabe des Schicksals.

Zum Schluss möchte ich noch ein Gedicht zum Lesen und Nachdenken empfehlen, das der argentinische Dichter Jorge Luis Borges verfasst hat:

Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte

"Wenn ich mein Leben noch einmal
leben könnte, im
Nächsten Leben, würde ich versuchen,
mehr Fehler zu machen.
Ich würde nicht so perfekt sein wollen,
ich würde mich mehr
entspannen.
Ich wäre ein bisschen verrückter, als
ich es gewesen bin,
ich würde viel weniger Dinge so ernst
nehmen.
Ich würde nicht so gesund leben.
Ich würde mehr riskieren, würde mehr
reisen,
Sonnenuntergänge betrachten, mehr
Bergsteigen
Mehr in Flüssen schwimmen.
Ich war einer dieser klugen Menschen,
die jede Minute ihres
Lebens fruchtbar verbrachten;
Freilich hatte ich auch Momente
Der Freude, aber wenn ich noch
Einmal anfangen könnte, würde
Ich versuchen, nur mehr gute Augen-
Blicke zu haben.
Falls du es noch nicht weißt, aus diesen
Besteht nämlich das Leben;
Nur aus Augenblicken; vergiss nicht
Den jetzigen.
Wenn ich noch einmal leben könnte,
würde ich von Frühlingsbeginn an
bis in den Spätherbst hinein
barfuss gehen. Und ich würde mehr mit
Kindern spielen, wenn ich das Leben
Noch vor mir hätte.
Aber sehen Sie ... ich bin 85 Jahre alt
Und weiß, dass
Ich bald sterben werde."

Jorge Luis Borges, argentinischer Dichter

Literatur

Axt und Axt-Gadermann: Vom Glück der Faulheit. München 2001
Csikzentmihalyi Mihaly: Flow, das Geheimnis des Glücks. Stuttgart 2002
Dalai Lama: Der Weg zum Glück. Freiburg und Basel 2002
Eibl-Eibesfeldt: Der vorprogrammierte Mensch. München 1974 (Abb. 1 und 2)
Holderegger H.: Das Glück des verlorenen Kindes. Stuttgart 2002
Klein, Stefan: Die Glücksformel. Hamburg 2002 (Abb.7)
Krauß, Helmut: Glück. Grundkurs Ethik, bsv München 1998 (Abb. 3 und 6)
Lamprecht ,Jürg: Verhalten. Freiburg, Basel, Wien 1972 (Abb.4)
Weiss Rainer, ausgewählt von: Das Leben lieben, Frankfurt 2000
Wetz, Franz Josef, hrsg. von: Glück. Stuttgart 2002
Zeitschriften:
Focus vom 12. 8. 2002: Die neue Wohlfühlfitness
Focus vom Oktober 1996 (Nr. 41): Das Geheimnis der guten Laune
Geo Wissen Nr. 26 von August 2000: Frau und Mann (Abb. 5)
Naturwissenschaftliche Rundschau vom Januar 2003: Wann sind Tiere glücklich?
Shape Nr. 1 vom Januar 2003: Fit mit der Glücksformel
Young Miss vom 13. 11. 2002: Hallo Glück

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