Dr. Michael Schmidt-Salomon, Trier Leben ohne Gott: Vortrag, gehalten auf der Veranstaltung "Atheismus und Christentum" im Rahmen der ökumenischen Veranstaltungsreihe „Leben mit und ohne Gott“ (Esslingen, 19.November 1996), erstmals veröffentlicht in: Aufklärung und Kritik. Zeitschrift für humanistische Philosophie und freies Denken. 1/1997.
In der Esslinger Zeitung vom 4.11. stand in großen Lettern: „Atheist kommt ins kirchliche Haus“ und darunter fand man den Kommentar: „Berührungsängste dürften sie nicht haben, die Frauen und Männer des Ökumenischen Arbeitskreises (...). Wie sonst hätten sie einen ausgewiesenen Atheisten (...) in ein kirchliches Haus einladen können?“ Nun, ich freue mich, dass Sie den Mut hatten, mich hierhin einzuladen. Es kommt - wie Sie wissen - sehr selten vor, dass Gläubige und Nichtgläubige in einen kritischen Dialog miteinander treten. Deshalb möchte ich mich bei den Veranstaltern ganz besonders herzlich bedanken, insbesondere bei Herrn GELTZ, der mich bisher sehr freundlich betreut hat - und ich hoffe, dass er dies nach meinem Vortrag nicht bitter bereuen wird. Bevor ich nun beginne, Ihnen darzulegen, warum ich das „Leben ohne Gott“ für einen „humanistischen Imperativ“ halte, erlauben Sie mir bitte, zwei Vorbemerkungen: 1. Wie viele andere sog. „Atheisten/Atheistinnen“ bin auch ich kein reiner Atheist, sondern eigentlich ein Agnostiker, der nur in seiner Lebenspraxis atheistische Standpunkte vertritt. Das heißt: Ich maße mir kein Urteil darüber an, ob Gott wirklich existiert oder nicht, ja, ich halte diese Frage für prinzipiell nicht entscheidbar. Aus lebenspraktischen Gründen gehe ich aber davon aus, dass wir auf die Rede von Gott verzichten sollten, weil die Rede von Gott mehr Unheil als Heil unter die Menschen gebracht hat. In diesem praktischen Sinne bin ich also ein klarer Vertreter des Atheismus. Ich plädiere ganz entschieden für ein Leben ohne Gott, und ich werde versuchen, die Gründe hierfür in meinem Beitrag darzulegen 2. Ich bin nicht als atheistischer oder agnostischer
Missionar hierhin gekommen, also als einer, der nur bekehren und belehren
will, aber nichts lernen. Im Gegenteil. Als „leidenschaftlicher
Wissenschaftler“ erhoffe ich mir von dieser Diskussion auch, dass Ihre
Kritik mir hilft, dass ich mich von meinen eigenen Fehlannahmen befreien
kann. Nach dieser allgemeinen Vorbemerkung nun in medias res. Ich werde meinen Vortrag in drei Teile untergliedern:
1. Teil: : Warum es - aus humanistischer Perspektive - prinzipiell problematisch ist, mit Gott zu leben und zu argumentieren Ich sehe insgesamt drei gravierende Probleme, die prinzipiell aus jedem intakten religiösen Glauben an Gott, Götter oder Göttinnen erwachsen. 1. Das Grundproblem des religiösen - auf Gott
ausgerichteten - Denkens besteht meines Erachtens darin, dass jede
religiöse Argumentation notwendigerweise auf Etikettenschwindel
beruht, da hier menschliche Wirklichkeitskonstruktionen mit anderen
als menschlichen Gütekriterien (z.B. „göttlicher Wille“) versehen
werden, was zu einem unlauteren Wettbewerb der Gedanken und damit
zu einem Verstoß gegen das Prinzip der Gleichberechtigung führt. 2. Religiöses Denken ist auch deshalb problematisch, weil es (durch seine jenseitige und nicht diesseitige Begründungsform) jede rationale, menschliche Argumentation außer Kraft setzt und damit eine nicht mehr hinterfragbare Beliebigkeit der Argumentation nach sich ziehen kann. Anders ausgedrückt: Mit dem Jenseits lässt sich - wie bereits NIETZSCHE wusste - jede beliebige Lüge im Diesseits begründen. 3. Das größte Problem des religiösen - auf Gott
ausgerichteten - Denkens besteht meines Erachtens darin, dass dieses
Denken stets mit einem ungeheuren Restrisiko verbunden ist, nämlich
mit der Gefahr des religiösen Supergaus, der einen
menschenfresserischen, aggressiven Fundamentalismus/Fanatismus freisetzt.
Damit sind wir auch schon beim zweiten Teil angelangt,
der die Frage beantworten soll, warum speziell der christliche
Gottesglaube problematisch ist. 2.Teil: Warum speziell der christliche Gottesglaube problematisch ist Der Freiburger Entwicklungspsychologe Franz BUGGLE, der
in einer bewundernswert klaren und detailreichen Studie die Kernteile der
christlichen Bibel (also die fünf Bücher Mose, die Psalmen, das Buch
Jesaja sowie insbesondere das gesamte Neue Testament) auf ihren
ethischen Wert hin untersucht hat, kam zu dem Ergebnis, dass die Bibel und
damit die basale, ethisch/religiöse Quelle des Christentums, „zutiefst
inhuman“ sei, weil sie einen Gott als Vorbild propagiert, Wie gesagt, BUGGLE bezieht sich in seiner Analyse nicht
nur auf das Alte Testament, dessen autoritär- gewaltverherrlichende
Grundtendenz mittlerweile bekannt sein dürfte. Nein, BUGGLE bezieht sich
in seinem Urteil über die Grundlagen des Christentums ausdrücklich auch
auf das Neue Testament, das - einem hartnäckigen Vorurteil zum Trotz -
keineswegs nur ein Aufruf zu Friedfertigkeit und Feindesliebe ist. „Wer siegt und bis zum Ende an den Werken festhält, die ich gebiete, dem werde ich Macht über die Völker geben. Er wird über sie herrschen mit eisernem Zepter und sie zerschlagen wie Tongeschirr; (und ich werde ihm diese Macht geben,) wie auch ich sie von meinem Vater empfangen habe [...]“ [kursiv im Original] (2) Auch in den Evangelien zeigt der mythische Jesus als Erfüllungsgehilfe seines traditionell rachsüchtigen Vaters wenig Erbarmen mit Andersdenkenden, Andersgläubigen. So heißt es unmissverständlich im Markusevangelium: „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“ (3) Die Brutalität dieser Drohung den Anders- oder Nichtgläubigen gegenüber ist erst dann zu ermessen, wenn man weiß, was es bedeutet, vom Menschensohn verdammt werden! Verzeihen Sie mir die Formulierung, aber ich finde keinen besseren Vergleich: Auf die Verdammten wartet nämlich eine Art himmlisches Auschwitz: „Der Menschensohn wird seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und werden sie in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt. Dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen.“ (4) Nur ein Ausrutscher, eine singuläre, unglückliche Metapher? Nein: Nicht einmal zehn Verse später findet sich noch einmal die gleiche, pyromanische Vorstellung von einer sauberen Endlösung der Ungläubigenfrage. In Mt 13,49-50 werden die Engel abermals mit der Selektion an der himmlischen Rampe beauftragt, wo sie „die Bösen von den Gerechten trennen und in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt“, so dass sie „heulen und mit den Zähnen knirschen.“ Selbst in der Bergpredigt, der viel gerühmten, viel zitierten, aus der die humanistischen Theologen/Theologinnen ihre wichtigsten Argumente beziehen, finden sich solche - auf infantiler Gewalt- und Machtphantasie beruhenden - radikal inhumanen Strafandrohungen, „deren unheilvolle, psychisch verheerende Wirkung in der Geschichte des Christentums auf unzählige Menschen gar nicht übertrieben werden kann.“ (5) So wird im Rahmen der ansonsten recht humanen, progressiven Bergpredigt, das eigentlich harmlose, versteckte, lüsterne Betrachten einer verheirateten Frau, auf eine Weise interpretiert, die jedes Fundamentalisten / Fundamentalistinnen-Herz vor Entzückung höher schlagen lässt: „Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird“ (6) In der Parallelstelle im Markusevangelium werden die Rachegelüste des Gottessohnes noch deutlicher: „Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde. Wenn dich deine Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab; es ist besser für dich, verstümmelt in das Leben zu gelangen, als mit zwei Händen in die Hölle zu kommen, in das nie erlöschende Feuer. Und wenn dich dein Fuß zum Bösen verführt, dann hau ihn ab; es ist besser für dich, verstümmelt in das Leben zu gelangen, als mit zwei Füßen in die Hölle geworfen zu werden. Und wenn dich dein Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus; es ist besser für dich, einäugig in das Reich Gottes zu kommen, als mit zwei Augen in die Hölle geworfen zu werden, wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt.“ [kursiv im Original] (7) BUGGLE kommentiert sehr richtig: „Man versuche, sich von aller Gewöhnung durch religiöse Erziehung einmal frei und sich hier klar zu machen, was eine Drohung mit ewig dauernden extremen Qualen psychologisch bedeuten muss; dagegen verblassen alle sonst bekannten Folterungen und Strafen, weil diese immerhin zeitlich endlich sind. Bei aller Anerkennung der positiven Züge Jesu (und bei aller Schonung der Gefühle von Gläubigen): Kann ein ethischer und religiöser Lehrer, der solche Strafandrohungen wie selbstverständlich heranzieht und mit ihnen umgeht, der solche Strafphantasien offenbar unproblematisch akzeptiert oder entwickelt, kann ein solcher Mann heute noch als Verkörperung des absolut Guten, der absoluten Liebe, als Gott verkündet werden?“ (8) Diese Frage ist eine rein rhetorische. In Anbetracht der zitierten Belege, die mühelos erweitert werden könnten, ist evident: Der biblische Jesus, der in größenwahnsinniger, narzißtisch-totalitärer Manier seine Lehre gegen jegliche Kritik immunisierte und all jenen, die nicht seiner Meinung waren, ewige Höllenqualen androhte, kann in seiner Ganzheit kein Vorbild für heute sein. Ja, wir müssen feststellen, dass der vielbeschworene „Geist Jesu Christi“ in vielen Punkten keineswegs kompatibel ist mit der Idee des Humanen, womit sich die prinzipielle Frage stellt, was denn im Streitfalle der zentrale Bezugspunkt der Christen ist: die Idee des Humanen oder der Geist Jesu Christi. Vor dieses Grundproblem, das sich in der Frage fassen
lässt: Wie kann ich Humanist sein und gleichzeitig dem Vorbild Jesu
folgen?, sehen sich - auch wenn die meisten es selbstverständlich nicht
wahrhaben wollen - sämtliche human denkende Christen/Christinnen gestellt.
Für sie gibt es - sofern sie Humanisten/Humanistinnen und
Christen/Christinnen bleiben wollen - idealtypisch nur einen einzigen
Ausweg aus dem hier dargestellten Dilemma, nämlich den Weg der
intellektuellen Unredlichkeit. Aus Zeitgründen breche ich an dieser Stelle meine
Auseinandersetzung mit dem christlichen Gottesglauben ab und komme zum 3.
Teil meines Vortrags, zu meinem Resümee. 3. Resümee Für viele konsequente Humanisten und Humanistinnen
steht fest, dass es in Anbetracht des fortschreitenden Fundamentalismus
von absoluter Dringlichkeit ist, auf einen Prozess weltweiter,
religiöser Abrüstung hinzuwirken, ohne die ein friedliches
Zusammenleben der Menschen kaum möglich sein wird. Ein besonders wichtiger, aber auch besonders
schwieriger Bereich ist hierbei der Bereich der Mystik. Erinnern wir uns:
Die agnostische Position, die ich hier darstelle, schließt nicht
prinzipiell die Möglichkeit der Existenz eines Gottes / einer Göttin oder
mehrerer Götter/Göttinnen aus. Sie sagt lediglich, dass wir, wenn wir von
Gott sprechen, nur von unserer Konstruktion eines Gottes sprechen können
(nicht von dem Gott, wie er (oder sie?) möglicherweise „an sich“ - also
losgelöst von unserer Wahrnehmung - existieren mag). Eben darum stellt es
ja einen nicht hinzunehmenden Verstoß gegen die Gleichberechtigung dar,
wenn ein Mensch behauptet, dass seine Argumentation durch eine durch
Offenbarung erfahrene höhere Instanz (Gott) legitimiert ist. Ich komme zum Schluss: Ich glaube dass es unumgänglich
ist, die Religionen heute konsequent auf den Prüfstand zu stellen. Welche
Elemente der Religionen können wir weiter verwerten? Was müssen wir im
Sinne einer humaneren Kultur fallen lassen? Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Anmerkungen: BUGGLE, Franz: Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man
redlicherweise nicht mehr Christ sein kann. Reinbek b. Hamburg 1992, S.
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