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Materialien zum Ethikunterricht

Prof. Dr. Vallabhbhai J. Patel

Prof. Dr. Vallabhbhai J. Patel wurde 1934 in Indien geboren, hat Zoologie und Medizin studiert. Neben seiner ärztlichen Tätigkeit in Deutschland operierte er Jahre lang kostenlos mittellose Patienten in Indien. In zahlreichen Vorträgen befasst sich Patel mit philosophischen Themen. Sein Buch Das Glück liegt diesseits des Todes (ein-FACH-Verlag Aachen, 1998, Reihe Lebendige Philosophie, ISBN 3-928089-20-X) widmet sich der Notwendigkeit einer  rational begründeten Ethik.
Um durch Diskussion einen akzeptablen ethischen Standpunkt zu erlangen ist es jedoch notwendig, dass Denkfehler sowie unehrliche  Argumentationstechniken, die nur auf „Gewinnen“ abzielen, vermieden werden. In einer Vorlesungsserie nahm sich Prof. Dr. Patel solcher unredlichen Rhetorik an und zeigte auf, wie man diese erkennen und entschärfen kann. Der folgende Text ist ein Auszug aus dieser Vorlesungsserie.

V.J. Patel, Schloss Grünau, 86633 Neuburg / Donau
Tel.: 08431/49250

Ethisch argumentieren

Über das Erkennen unehrlicher Argumentation bei der Diskussion
von Prof. Dr. Vallabhbhai J. Patel

In diesem Kapitel werde ich versuchen, einige Formen der unehrlichen Argumentationsmethodik zu untersuchen.

Sie haben Glück gehabt. meine verehrten Zuhörer (Leser), wenn Sie niemals der Versuchung unterlagen, sich einer dieser unehrlichen, krummen Methoden bedient zu haben. Oft geschieht dies aber unbewusst. Deswegen muss man vorsichtig sein, bevor man jemanden beschuldigt eine unehrliche Argumentation bewusst eingesetzt zu haben.

In den vorangegangenen Vorträgen (Kapiteln) könnte auch ich sicherlich krummes Denken eingesetzt haben, um meinen Ansichten mehr Gewicht zu verleihen, obwohl ich mir dessen nicht bewusst bin. Es kann natürlich sein, dass ich einer gewissen Selbsttäuschung unterliege. Ich kann kaum hoffen, dass auch ich immer unsaubere Argumentationen vermeide. Nichtsdestoweniger ist es hilfreich, sich mit diesem Thema zu befassen, um bei anderen, aber auch bei sich selbst Denk- und Argumentationsfehler zu entdecken.

Es ist kaum möglich, wenn es darum geht, Denkfehler in der Argumentationsmethodik zu entdecken, systematisch vorzugehen. (Ich habe mich tagelang darum gedrückt. um dieses Kapitel zu schreiben, da es mir schwer fiel, eine gewisse schwerpunktmäßige Ordnung hineinzubringen).

Es gibt so viele Methoden, dass man sie nicht alle ausfindig machen kann. Ich bitte Sie deshalb, der Reihenfolge, in der ich die einzelnen Themen behandle, die Bedeutung nicht auf Grund der Reihenfolge zu geben. Ich gehe also rein subjektiv vor und behandle die Themen, so wie es mir gerade einfällt.

 

Ich fange an mit einem Beispiel:

 

Auf solche Argumente trifft man häufig in einer gesellschaftlichen Diskussion. Dabei handelt es sich wirklich um eine unehrliche Argumentation. Jemand z.B. behauptet, dass alle Neger keine intellektuellen intelligenten Fähigkeiten haben. Sie können dann entgegnen, dies kann nicht stimmen, da es sehr viele große Persönlichkeiten mit schwarzer Hautfarbe gibt: Martin Luther King, Nelson Mandela, Jomo Kenyatta, Paul Robeson, Kofi Anan usw. Nun kommt das dicke Verteidigungsargument: „Ausnahmen bestätigen die Regel". Dies ist ein offensichtlicher Unsinn, aber wird häufig von Leuten, die pauschal extreme Position verteidigen wollen, benutzt. Es ist doch offensichtlich, dass eine oder mehrere Ausnahmen eine Gesetzmäßigkeit nicht bestätigen, sondern widerlegen. Der ursprüngliche Satz war nicht „Die Ausnahmen bestätigen die Regel", sondern „um eine Regel zu' bestätigen, muss man nach Ausnahmen suchen".

Und falls man Ausnahmen gefunden hat. stimmt die Regel natürlich nicht. Also, im oben genannten Beispiel ist es klüger, eine moderate Position einzunehmen. d.h. zu sagen, dass die durchschnittliche intellektuelle Leistung der Neger niedriger ist. als die der Menschen mit blasser Hautfarbe. Dies sagt natürlich nichts darüber, ob diese Minderleistung durch mangelnde Entwicklungsgelegenheit bedingt ist oder genetisch. Diese Diskussion ist auch in unseren Breitengraden nicht ganz so unaktuell. Ich habe einen Kollegen gehabt, der aus einer wohlhabenden Familie stammte, sich eine Chefarztstelle ergattert hatte und der Meinung war, dass ein Arbeiterkind gar nicht fähig sei, ein guter Arzt, ja ein Chefarzt zu werden. Und wenn man ihm dann das Beispiel Gerhard Schröder vorhält, der ja aus ärmlichen Verhältnissen stammt. dann hört man von ihm. das berühmt, berüchtigte Argument: „Ausnahmen bestätigen die Regel“. Bitte achten Sie darauf, wenn Sie in der Gesellschaft dieses Argument hören und versuchen Sie es. immer zu widerlegen.

Ablenkungsmanöver

Ich glaube. die enorme Wichtigkeit dieses Punktes tritt zutage, wenn wir bei verschiedenen Diskussionen, Unwichtiges, aber auch Wichtiges unter die Lupe nehmen.

Dieses Phänomen stellt man bei fast jeder Diskussion während eines gesellschaftlichen Beisammenseins fest. Und jedes Mal steht dahinter unlauteres Denken. Ich habe anfangs das Beispiel der Diskussion bei Meiers vorgestellt. Darin sind jede Menge Ablenkungen eingebaut.

Der erste Redner wollte auf die Wohnungsnot in Dresden aufmerksam machen. in dem er sagte. dass die Familie so eng zusammen lebte, dass sie sich nicht erlauben konnten. eine Katze zu halten.

Der zweite Redner lenkte sofort ab, indem er sagte, dass die Westdeutschen soviel Geld in den Osten gepumpt haben. Das sind aber zwei verschiedene Punkte, auch wenn der Übergang flüssig ist. Offensichtliche Ablenkung war bei dem Redner festzustellen, der die Umweltverschmutzung durch die Hunde dazu benutzte. die Fabrikbesitzer anzugreifen. Noch offensichtlicher ist die Ablenkung durch den Fabrikbesitzer, der die Attacke auf Fabrikschornsteine in Attacke auf die Grünen und die Linken umwandelte. Wahrscheinlich verhalten wir uns alle, meine Wenigkeit mit eingeschlossen, auf diese Art und Weise. Warum tun wir dies? Man möchte über Sachen reden, wo man sich kompetenter fühlt. Oder man möchte die Diskussion auf das Gebiet lenken, das einen mehr interessiert. Ein Philosoph und Denker könnte, wenn über Hunde diskutiert wird, was ihn gar nicht interessiert und langweilt, auf eine Gelegenheit warten, wo er die Diskussion durch eine Bemerkung auf ein ihn interessiertes Gebiet ablenkt.

Solche Gelegenheit würde sich z.B. bieten. wenn einer sagt. Hunde sind intelligent. Er könnte z. B. dann sagen:" Was ist Intelligenz oder sind die Hunde vernünftig?" Was ist dann aber der Unterschied zwischen Intelligenz und Vernunft? So hat er der Diskussion eine Wendung gegeben und sie auf ein für ihn interessantes Gebiet geführt.

Ich persönlich glaube. dies ist legitim und verständlich und man kann dem Betroffenen den Vorwurf von Unehrlichkeit nicht machen. Es gibt aber verschiedene andere Methoden des Ablenkungsmanövers bei der eine Art Unehrlichkeit dahintersteckt. auch wenn es dies dem Betroffenen nicht bewusst sein sollte. Der eine Trick besteht darin. durch eine irrelevante aber humoristische Bemerkung den Redner lächerlich zu machen. Dies können Sie besonders bei parlamentarischen Diskussionen beobachten. Kurz nachdem er sich auf dem Gebiet der Volkswirtschaft promoviert hatte, gab FranzJosef Strauß in einer parlamentarischen Rede sein Bestes. Er baute in seiner Rede die englischen Wörter Input und Output so häufig ein. dass die Rede mit "Putlauten" voll gestopft war. bis ein professioneller Zwischenrufer von der Hinterbank ganz laut schrie: " Put - Put - Put". Es war natürlich beabsichtigt, Herrn Strauß lächerlich zu machen. Man muss zugeben, dass diese Bemerkung völlig irrelevant und unehrlich war, unabhängig davon, wie wir zu Herrn Strauß stehen. unabhängig davon, dass die Bemerkung gewissen Humor beinhaltete. Ich hatte einen Kollegen. der bei jeder Chefarztsitzung. wenn es darum ging ernsthafte Dinge zu diskutieren. mit humoristischen aber völlig irrelevanten Bemerkungen den Gang der Diskussion durcheinander brachte.

Dies kenne ich aus den Stadtratssitzungen. Es gibt da auch ein paar undisziplinierte und routinierte Zwischenrufer. die die Diskussion mindestens für kurze Zeit durcheinanderbringen. Wenn Sie genau beobachten, werden Sie solche Ablenker bei Vereinssitzungen. politischen Veranstaltungen, aber auch bei größerem gesellschaftlichem Beisammensein finden. Ein Redner kann dabei leicht aus der Fassung geraten. Dann ist es aber für den Redner wichtig, seinen Zorn im Zaum zu halten. Denn als Zorniger kann man nicht effektiv argumentieren. Dann ist er gut beraten. wenn er durch eine humoristische Gegenbemerkung den Zwischenrufer selbst lächerlich macht. Wenn er diese Gabe nicht besitzt, dann muss er versuchen. durch schnelles Denken, die Diskussion wieder auf den ursprünglichen Punkt zurückzuführen.

 

Außer humoristischen Zwischenrufen gibt es eine unehrliche Form von Ablenkung durch einen irrelevanten Einwand. Dies geschieht, wenn ein Detail. das für die Gesamtaussage irrelevant ist. beanstandet wird. Jemand könnte z. B. sagen, dass er die biblische Aussage schwer verdaulich findet, dass Jonas durch einen Wal geschluckt wurde und dann wieder. nach längerer Zeit lebendig ausgespuckt wurde. Nun könnte ein Gegenredner den Einwand erheben, dass es in der Bibel geschrieben steht. dass Jonas durch den Fisch geschluckt wurde und ein Wal ist kein Fisch.

Dies stimmt, ist aber im Kontext der Gesamtausgabe völlig irrelevant.

Ich habe einmal einen Vortrag gehalten über mein erstes Buch: " Das Glück liegt diesseits des Todes." Unter anderen sagte ich: "Gott ist weder bewiesen, noch beweisbar. Deswegen können wir erst recht nicht wissen, was er will. Deshalb ist es unvernünftig. unsere Handlung nach angeblich göttlichen Anweisungen zu richten.'" In der Diskussion meldete sich eine militante Feministin und meinte, es war nicht gut. dass ich "Gott" gesagt habe. Ich hätte "Göttin" sagen sollen. Das war ihr einziger Beitrag, an der Kernaussage völlig vorbei.

Familie Meier bekommt Besuch. Im Laufe des Gespräches wollte Herr Meier die Zustände in einem Altersheim vor 20 Jahren beschreiben. Er fängt an:" 1983 besuchten wir meine alte Mutter im Altersheim."

Daraufhin Frau Meier:" Liebling. es war 1982."
Herr Meier: " Na, na, es war schon 1983."
Frau Meier:" Na. ich glaube, es war doch 1982, als der Kleine seine ersten Zähne bekam."

Nun. in diesem Fall war die genaue Jahreszahl weder für Herrn Meier, noch für die Besucher wichtig. Es ging ja um die Zustände im Altersheim vor etwa 20 Jahren. Wie oft geht auf Grund solcher unnützer Diskussionen der Familienfrieden dahin! Von der Zeitverschwendung nicht zu reden!

Frau Meier wollte erzählen. was die Fische vor 10 Jahren kosteten. " Wissen Sie Herr Schmidt, als ich vor 10 Jahren in dem Fischgeschäft in der Schillerstraße.....“ Sie wird jäh unterbrochen von Herrn Meier.

" Das war nicht in der Schillerstraße, sondern in der Goethestraße. In der Schillerstraße gab es doch kein Fischgeschäft! Außerdem ist die Schillerstraße so weit weg vom Fischereihafen, was soll denn da ein Fischgeschäft? "

Frau Meier: " Das hat doch mit der Entfernung vom Hafen nichts zu tun. Ich weiß doch ganz genau, dass es in der Schillerstraße war. Ich gehe doch einkaufen! Warte mal. Ich rufe doch gleich bei Frau Müller an. Sie wird mir bestätigen können. dass das Fischgeschäft in der Schillerstraße war."

Man kann natürlich die Diskussion noch weiter ausbauen. Jedenfalls, was Frau Meier über die Fischpreise sagen wollte, ist auf der Strecke geblieben. Vielleicht war Herr Schmidt sogar aus Australien angereist um alte Freunde zu besuchen. Was interessiert ihn, ob das Fischgeschäft in der Schillerstraße war oder in der Goethestraße. Außerdem, muss man den Partner immer korrigieren, besonders wenn fremde Leute anwesend sind? Wozu soll solche Rechthaberei gut sein?

Oder nehmen wir ein Beispiel: Eine Familie ohne fremde Anwesenheit; im vertrauten Kreis. Frau Meier: "Vorgestern habe ich bei ALDI eine Kiste Apfelsinen gekauft. Es waren 18 Apfelsinen drin und......

Daraufhin Meier jun: "Mutti, es waren bloß 17 drin, musst du denn immer übertreiben?"

Frau Meier: " Halt den Mund. musst du denn immer unterbrechen? Du weißt ja gar nicht. was ich erzählen wollte"

So war es auch. Frau Meier ist ja gar nicht zu ihrer Kernaussage gekommen. Vielleicht wollte sie über den Preis was erzählen, vielleicht über die Qualität der Apfelsinen. Aber durch einen nebensächlichen Einwand geriet die Diskussion in völlig andere Bahnen.

Dies sind banale Beispiele gewesen, aber sie kommen im täglichen Leben vor und sind deswegen wichtig. Aber bei ernsthaften Angelegenheiten können sie eine ernsthafte Diskussion über ein wichtiges Thema torpedieren.

Wenn ein politischer Redner über die Grausamkeiten während des Hitler-Regimes berichtet, könnte man z.B. sagen:

"Während der 5 Jahre dieses Regimes sind 6 Mill. Juden in den Gaskammern umgekommen." Daraufhin eine Unterbrechung durch einen Zwischenruf." Es stimmt nicht. Erstens waren es 4 ½ Jahre, zweitens waren es nur 5.98 Mill. Juden und drittens, es sind nicht alle in Gaskammern umgekommen, sondern einige sind erschossen worden. Also erzählen sie uns keine Märchen. sondern bleiben sie bei der Wahrheit. Das sollten sie tun, falls sie ein ehrlicher Mensch sind."

Da darf der Redner nicht die Nerven verlieren und die Diskussionsebene nicht auf den Zwischenrufer verlagern. Er muss die Diskussion auf den Hauptpunkt zurückführen. Dabei könnte er auch den zweifelhaften Trick der Berufung auf Autorität benutzen und sagen: " Kein vernünftiger Mensch kann heute Abend von mir erwarten, dass ich detaillierte Zahlen vorlege.

Ich habe meine Zahlen aus dem statistischen Jahrbuch vom Verlag X sowie des Untersuchungsausschusses vom Jahre Y entnommen und erwarte von Ihnen nicht, dass Sie diese kennen. Aber kehren wir lieber zu dem Hauptthema zurück anstatt sich mit unwichtigen Nebensächlichkeiten abzugeben. Dies bin ich meinen überwiegend vernünftigen Zuhörern schuldig.

Natürlich wäre es besser gewesen. wenn sich der Redner vorher besser informiert hätte, um solche Zwischenfälle zu vermeiden. Er hätte sich diesem irrelevanten Einwand erst gar nicht aussetzen müssen. Aber wir alle machen manchmal Fehler. Aber es ist ein unehrliches Argumentieren. wenn man versucht, diese Fehler auszuschlachten um den Redner lächerlich zu machen.

 

Es gibt einen weiteren Trick der Ablenkung. Dies ist z.B., dem Redner etwas in die Schuhe zu schieben, das er gar nicht behauptet hat. So könnte ein Befürworter der Hartz-Reformpläne einschließlich der Vermögenssteuer von einem Gegner attackiert werden mit dem Satz: "Glauben Sie etwa, dass diese Reform das Paradies schaffen wird?" Dann muss der so attackierte einen kühlen Kopf bewahren und antworten: "Ich habe gar nicht gesagt, dass diese Reform paradiesische Zustände schaffen wird. Ich habe nur gemeint, dass diese soziale Reform nur die allgemeine Verarmung durch gerechte Verteilung der materiellen Güter verhindern kann“. Die Konzentration nur auf diesen Punkt wird ihm behilflich sein, seine Zuhörer davon zu überzeugen. dass eine Sozialreform wünschenswert ist.

Er darf auf die Aussage durch den Gegner nicht hereinfallen und behaupten, die Reform wird alles besser machen. Das ist eine extreme Position und schwer zu verteidigen.

Ein Beispiel von krummem Denken ist, wenn man versucht eine Behauptung zu verteidigen, in dem man eine andere Behauptung aufstellt, die mit der ersten keinen Zusammenhang aufweist. Konstruieren wir ein Gespräch:

Herr X: "Es ist unglaublich, dass unser Pfarrer gesagt hat, dass der Arbeiter in der Sowjetunion höheres Ansehen hatte als in vergleichbaren Ländern“.

Herr Y., der auch nicht viel mehr Informationen über die Sowjetunion hat, als die Restlichen:

"Das könnte doch durchaus sein. oder?"

Herr X: "Was, das ist doch eine Lüge!" Oder wussten Sie nicht, dass in den letzten Jahren in der Sowjetunion einige tausend Menschen umgebracht wurden, nur weil sie Christen waren?"

Dies ist eindeutig eine Ablenkung, weil man nicht ernsthaft behaupten kann, dass in einem Land in dem Christen verfolgt werden, der Arbeiter nicht hohes Ansehen genießen kann. Dass die Christen verfolgt werden und die Arbeiter hohes Ansehen genießen, sind zwei unterschiedliche Behauptungen. Die beiden könnten wahr oder falsch sein, aber die 2. Behauptung ist kein Gegenbeweis für die 1. Behauptung.

Oder folgendes Beispiel:

Herr X: " Indien ist das größte demokratische Land der Erde."

Herr Y: " Demokratisches Land? Dass ich nicht lache! Da werden Menschenrechte mit Füßen getreten. Haben Sie denn nicht gelesen, dass vor 2 Jahren ein christlicher Missionar mit seiner Familie grausam umgebracht wurde?"

Auch hier kann das Argument, weil in einem Land 3 Christen umgebracht worden sind, nicht als Gegenargument zu der Behauptung." Indien ist das größte demokratische Land" logisch eingesetzt werden.

Ein Verteidiger der jetzigen Regierung könnte sagen:" Die jetzige Regierung ist die sozialste Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Rechte der Benachteiligten werden eher wahrgenommen als unter der konservativen Regierung, wo die Reichen bevorzugt werden. Sie ist also menschenfreundlich."

Daraufhin der Gegenspieler: "Sozial! Menschenfreundlich! Das ist ja wohl der größte Witz des Tages! Haben Sie denn wirklich nicht gewusst, dass Schröder bei seiner Vereidigung die Formel " So wahr mir Gott helfe" nicht ausgesprochen hat? Trauen Sie so einem Nicht-Christ eine humane, soziale Politik zu?“

Nun unabhängig davon, ob diese Regierung sozial ist oder nicht, ob einer der auf die Formel" So wahr mir Gott helfe" verzichtet, gleich ein Atheist ist und Atheist gleich unsozial zu sehen ist: taugt die zweite Aussage nicht um die erst zu widerlegen. Einer. der die Formel "So wahr mir Gott helfe" nicht in Anspruch nimmt, kann durchaus eine humane und soziale Politik betreiben.

Wir haben bereits erwähnt, dass man vom Hauptpunkt abzulenken versucht, in dem man etwas Nebensächliches erwähnt. Eine Abwandlung davon ist, wenn man den Redner eine triviale Nebensache widerlegt, um damit den Eindruck zu erwecken, dass er in seinem Hauptanliegen ebenso falsch liegt.

Da ist jemand, der als Unterstützung seiner Darstellung sehr viele Fakten auf den Tisch legt. Da ist es durchaus möglich, dass er vielleicht einen Punkt vorträgt, bei dem er sich irrt.

Nun kann es sein, meistens ist es auch so, dass dieser Irrtum in einem Punkt nicht ausreicht um seine Schlussfolgerungen zu unterminieren. Aber der Gegner, der sich auf diesen Punkt festbeißt und ihn als unrichtigen Punkt nachweisen kann, kann den Eindruck erwecken, dass die gesamte Darstellung des Redners in Frage zu stellen ist. Der Redner muss dann in der Lage sein, den Irrtum als möglich zuzugeben, aber gleichzeitig betonen, dass dieser eine Punkt die Gegendarstellung nicht wesentlich beeinflusst.

Ich glaube, die gängigsten Methoden bei den Ablenkungstaktiken erfasst zu haben. Sicherlich haben sich einige weitere meiner Aufmerksamkeit entzogen.

Das wichtigste ist, wenn so ein Ablenkungsmanöver stattgefunden hat. die Diskussion schnellstmöglich auf den ursprünglichen Punkt zurückzubringen. In der Praxis ist dies nicht ganz einfach. Ein gewissenloser Gegner könnte dann einem vorwerfen. dass der Redner auf seine Argumente überhaupt nicht eingeht.

Aber, ,ich glaube, dass in den meisten Fällen mit Geduld und ohne die Fassung zu verlieren und mit ein bisschen gedanklicher Anstrengung, dies gelingen kann.

Es gibt einen Trick, der mit Ablenkungstaktik verwandt ist. Da könnte der Gegner in einer öffentlichen Diskussion eine Aussage machen und dann als Unterstützung seiner Aussage irgendeine Autorität zitieren, die dem Redner wahrscheinlich unbekannt ist, z.B. ein politischer Redner tut seine Meinung über Rezession und Depression kund.

Nun könnte der Gegner den unehrlichen Trick anwenden und z.B. sagen: " Nach der Theorie von Kondratier findet die zyklische Rezession in den kapitalistischen Ländern alle 7 Jahre statt. Seit der letzten Rezession sind 7 Jahre noch nicht vergangen, also kann man jetzt von der Rezession nicht reden."

Nun steckt der Redner in der Klemme. Er möchte natürlich in der Öffentlichkeit nicht zugeben, dass er die Theorie von Kondratier nicht kennt, weil er sich nicht blamieren will. Ich weiß es nicht, wie er aus dieser Klemme herauskommen will, aber jedenfalls bleibt die Argumentationsmethodik des Gegners unehrlich. Ich habe auf Urologenkongressen oft gleiches beobachten können. Da möchte sich ein jüngerer Kollege habilitieren und muss deswegen viel veröffentlichen und auch viele Vorträge halten. Dabei ist es schier unmöglich, dass er sich über jedes Thema ausführlich, bis ins kleinste Detail, informieren kann, da er ja als angestellter Assistent auch noch tägliche Arbeit erledigen muss.

Da musste ich mit ansehen, wie manche ältere Kollegen, vornehmlich Ordinarien, den jungen Kollegen, womöglich aus einer Fakultät. deren Chef ihnen unsympathisch ist, fertig zu machen versuchen. Ihr Diskussionsbeitrag verläuft etwa so. "Über dieses Thema hat bereits 1958 Johnson in der Zeitschrift Journal of Urology etwas anderes veröffentlicht. Seine Ergebnisse unterscheiden sich wesentlich von Ihren. Wie erklären Sie das?" Nun, das ist wirklich ein unfaires Argument. Ich könnte dem Kollegen den Hals umdrehen.

Der arme junge Kollege muss nun zusehen, wie er aus dieser Situation heil herauskommen kann. Während er sich windet und versucht irgendwie seine Aussage zu untermauern, lacht sich der ach so renommierte Fragesteller ins Fäustchen.

 

Rechtfertigung eines Übels mit Hinweis auf ein andere Übel

Ich als Nichtraucher diskutiere oft mit Leuten, die an dem Glimmstängel hängen. Natürlich mache ich sie darauf aufmerksam, wie gesundheitsschädlich die Wirkung des Rauchens ist. Dann treffe ich häufig auf ein Gegenargument, das man als krummes Argument bezeichnen kann. Häufig wird gesagt, Alkohol ist schädlicher. Es verursacht Leberschäden, Vernebelung des Denkens, Ausfall an Arbeitskraft, Vernachlässigung der Familie usw." Das mag nun richtig sein.

Aber der Hinweis auf ein stärkeres Übel heißt nicht, dass das Rauchen kein Übel ist. Das Argument, man sollte doch lieber Alkoholkonsum bekämpfen, als das Rauchen zu verteufeln, ist auch ein krummes Argument. Richtige Schlussfolgerung wäre:

Beide sind Übel. Und beide müssten bekämpft werden. Und wenn er der Meinung ist, dass der Alkoholkonsum schädlicher ist. dann wäre seine Schlussfolgerung " Alkoholismus muss stärker bekämpft werden" akzeptabel. Andererseits war der Hinweis auf ein stärkeres Übel als Rauchen überhaupt für die Verteidigung der Rauchgewohnheit nicht angebracht.

Wenn man den Raucher auf die Todesfälle. die durch das Rauchen verursacht werden anspricht. hört man häufig als Gegenargument: Aber durch Verkehrsunfälle sterben mehr Leute., Da, ist wieder ein ,krummes Argument. Dann kann man schlussfolgern, dass auch dieses energisch bekämpft werden muss. Als Entlastungsargument taugt es jedenfalls nicht.

Im Spiegel war einmal ein Interview mit einem Diebes-Trio abgedruckt. Sie wurden gefragt, ob sie nicht ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie den Durchschnittsbürger sein teuer erarbeitetes Gut stehlen. Was war die Antwort? " Schließlich muss man ja von irgendwas leben. Außerdem gehen wir das Risiko ein, gefasst zu werden." Das nenne ich sekundäre Rationalisierung und werde dies später eruieren. Aber dann kommt ein krummes Entlastungsargument. nämlich: " Wir sind aber keine Mörder." Der Charakter eines unehrlichen Argumentes ist offensichtlich. Weil ein anderer ein Mörder ist. rechtfertigt nicht. dass man selbst ein Dieb sein darf.

Diese Art von Argumentation hat natürlich größere Implikationen, wenn es um die sozialpolitischen Themen geht.

Wenn das Gespräch über Konzentrationslager geht, wo Millionen Juden und politische Gegner umgekommen sind, wird von einigen geantwortet: "Konzentrationslager sind keine deutsche Erfindung. Die Engländer hätten sie auch gehabt. Und unter Stalin sind auch viele Menschen in Sibirien umgekommen."

Oder auf die Judenverfolgung angesprochen wird argumentiert, dass dies auch in Italien und England geschah. Auch hier aber gilt der Grundsatz: Falsch bleibt falsch. Ein Negativum kann man nicht damit rechtfertigen in dem man mit dem Finger auf das größere Übel zeigt.

Wenn man das Verhalten der Deutschen in ihren Kolonien kritisiert, in dem man ihnen die Bilder zeigt,. wo die Neger in angekettetem Zustand zur Arbeit geführt wurden, neigen manche zu antworten: Die Engländer. Franzosen, Spanier, Belgier und Portugiesen haben in ihren Kolonien noch schlimmer gehaust.

Der Vorteil von der krummen Argumentation ist deren extreme Flexibilität. Und sie kann man missbrauchen, um eine Maßnahme gegen ein Übel zu verhindern. Es gibt selten ein Übel, das so groß ist. dass man größeres nicht ausfindig machen kann, um damit gegen argumentieren zu können.

Ich weiß zwar nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass ein Kommunalbeamter, der kleine Bestechungsgelder angenommen hat, dies damit rechtfertigt, dass die hohen Politiker vielfach Höheres angenommen haben. Womöglich bedauert er im Geiste sogar, dass er nicht die Position eines Möllemanns, Strauß oder Kohl bekleidet.

Eigene Meinung als goldener Mittelweg

Das ist ein häufig angewandter Trick, der normalerweise als Trick nicht erkannt wird. Selbst demjenigen, der dies anwendet, ist es als Trick nicht bewusst, da er von der eigenen Meinung stark überzeugt ist. Dies ist der Kunstgriff, die eigene Meinung als eine moderate - also als Mitte zwischen zwei extremen Meinungen - vorzustellen. Wir alle finden einen Kompromiss als vernünftig. Deswegen, wenn eine Meinung als Mitte zwischen zwei Extremen präsentiert wird, neigen wir dazu. ihr zuzustimmen. Dies wohl wissend präsentieren Leute mit unterschiedlichen Meinungen die eigene als den goldenen Mittelweg.

Ein liberaler Politiker kann z.B. seine Politik als Mitte zwischen zwei Extremen, die Konservativen. auf der einen Seite und die Sozialdemokraten auf der anderen präsentieren. Wir haben das Gefühl als moderate Menschen die liberale Politik. zu akzeptieren. Dieser Glaube wird erschüttert, wenn ein konservativer Politiker auftaucht und meint, dass seine Politik ein Mittelweg ist zwischen Republikaner auf der einen Seite und den Liberalen und den Sozis auf der anderen.

Ein Republikaner wiederum kann sich als Mitte zwischen NPD und Sozialdemokraten sehen. Dann kommt ein SPD-Mann, stellt sich als Mittelding zwischen kapitalistischen und kommunistischen Parteien vor. Die Kommunisten haben ihre Stellung als Mittelsmann zwischen Sozialisten und Anarchisten. die ja überhaupt keine Regierung wollen.

Wenn es soweit ist, könnte unser Glaube an den golden Mittelweg stark erschüttert sein und unsere Meinung, die Wahrheit liegt in der Mitte, für praktische Zwecke untauglich erscheinen. Einen anderen Grund, dass die Meinung" die Wahrheit liegt in der Mitte" nicht stimmen muss, gibt es auch. Es kann nämlich sein, dass eine Meinung, die als Extreme dargestellt ist, durchaus wahr sein kann. Nehmen wir uns ein emotionsfreies Beispiel aus der Mathematik vor: 2+2 = 5, das ist Mittelding zwischen 2+2 = 6 und 2+2=4. Hier wird 2+2=4 als eine Extreme dargestellt, ist aber trotzdem wahr.

Dass dies auch im täglichen leben wahr sein kann, ist durchaus vorstellbar. Ein jüngerer Sprössling kommt im feuchten November nach Hause und macht die Teppiche mit seinen schmutzigen Schuhen dreckig. Die Mutter sagt: " Kannst du denn die Schuhe nicht im Eingang ausziehen? Ist ja unmöglich!"

Der Junge: " Aber ich lasse meine dreckige Kleidung nicht überall herumliegen. wie der Papa. dies wäre noch schlechter für die Wohnung." Nun hier wird das Verhalten nur mit dreckigen Schuhen auf die Teppiche zu gehen. als Mittelding dargestellt, zwischen zwei Extremen. nämlich die Wohnung mit Schuhen und Kleider zu verdrecken und überhaupt nicht zu verdrecken.

Jeder vernünftige Mensch wird hier dem als Mittelweg aufgezeichnetem Verhalten wohl nicht zustimmen. Ähnliche Situation ist. wenn der Ehemann seine benutzte Wäsche überall herumliegen lässt. anstatt in den Wäschekorb zu legen. Von der Ehefrau daraufhin angesprochen. könnte er antworten: "Aber ich tue doch meine Schuhe ordentlich in den Schuhschrank."

Solche Bobachtungen gibt es im täglichen Leben in Hülle und Fülle. Halten Sie die Augen und Ohren offen und sie werden sie finden.

Natürlich kann auch die als Mittelweg vertretene Meinung richtig sein, aber nicht weil es als goldener Mittelweg präsentiert ist. Wenn z.B. gesagt wird - zuviel Essen ist nicht gut. und zuwenig auch nicht, sondern maßvoll. Die meisten werden wohl dieser Meinung zustimmen. aber dies sollte nicht geschehen. weil diese als Mitte zwischen zwei extremen Positionen dargestellt wird. sondern weil dies uns als vernünftig erscheint.

Jetzt möchte ich einen Punkt behandeln. den ich als inkonsequentes Argumentieren nenne. Hierbei werden oft Zusammenfall und Zusammenhang bewusst ignoriert. Bei zwei Fakten die zusammenfallen wird ein Zusammenhang hergestellt. Zur Veranschaulichung gebe ich zunächst ein absurdes Beispiel. um später die Anwendung dieser Denkmethode bei ernsteren Themen zu erläutern.

Prämisse 1: In der Kalahari-Wüste leben die Pygmäen.
Prämisse 2: In der Kalahari-Wüste regnet es kaum.

Schlussfolgerung: Da wo die Pygmäen wohnen, regnet es wenig - oder noch absurder: Da wo es wenig regnet. wohnen die Pygmäen. Nun ich glaube nicht. dass ich diesen Fall ausführlich analysieren muss. Die Absurdität ist offensichtlich.

Wenden wir diese Denkmethode in der Praxis an.

Ein konservativer Stammtisch bzw. Bierbankpolitiker könnte folgendes Argument hervorbringen: Seit 1998 regiert die rot/grüne Koalition. Seit 1998 ist alles schlechter geworden.

Z. B. die Zahl der Umweltkatastrophen hat zugenommen! Schauen Sie sich doch die Hochwasser-Katastrophen an!

Also ist die Koalition schuld am Hochwasser. Eigentlich dürfte sich die Logik durch diesen Missbrauch beleidigt zurückziehen.

Aber in der Regel pflegen bei einem Stammtisch die Leute dementsprechende Äußerungen ohne weitere Nachprüfung zu akzeptieren, da diese ihren eigenen Denkgewohnheiten entsprechen. Es gibt aber subtilere Formen dieser Argumentationsmethodik, wo Fakten und Fiktion unüberschaubar und damit schwer verifizierbar sind. Die Benzinpreise sind seit 1998 gestiegen. Seit 1998 regiert die rot/grüne Koalition. Also - an der Preissteigerung ist die Koalition schuld. Solche Argumente sind sehr populär und jeder Autofahrer neigt dazu, ohne weitere Gedankenarbeit es zu akzeptieren. Sicherlich hat die Ökosteuer dazu beigetragen. Kaum einer stellt die Frage, ob Ökosteuer alleine daran schuld ist. Wenn man ein richtiges Urteil bilden will. entstehen eine Menge Fragen. die analysiert und beantwortet werden müssen, bevor man sich ein Urteil erlauben darf.

Das ist natürlich unbequem und es wird deshalb darauf verzichtet. Ich erwähne nur ein paar Punkte. die in Frage kommen:

1. Trägt die Ökosteuer alleine die Schuld an der Preiserhöhung? Ist Ökosteuer eine Erfindung der Koalition? Hat Frau Merkel dies nicht gefordert als sie Umweltministerin war? Wäre dann die Einführung der Ökosteuer auch während einer Unionsregierung beschlossen worden?

2. Spielen drohender Irak-Krieg, Streik der Ölarbeiter in Venezuela, Politik der Ölkonzerne sowie des Ölkartells auch eine wesentliche Rolle?

3. Ist die Zahl der Autofahrer in Deutschland und damit die Benzinnachfrage gestiegen?

4. Ist unter der konservativen Regierung der Benzinpreis nicht auch stetig gestiegen?

5. Wo soll das Geld herkommen, wenn der Schuldenberg hoch und die Staatskassen leer sind?

Natürlich hat die Erhöhung der Ökosteuer einen Einfluss auf die Benzinpreiserhöhung. Aber ist sie alleine schuld daran und damit allein die rot/grüne Koalition?

Oder sind andere Faktoren maßgebend? Wohlgemerkt. mir geht es hier nicht darum die Ökosteuer zu verteidigen oder zu verdammen, sondern nur um die subtile Form der unehrlichen, inkonsequenten Argumentationsmethodik aufzuzeigen, die dazu dient den politischen Gegner als Alleinschuldigen für irgendeine Misere darzustellen und zu diffamieren. Hier muss man zugeben, dass die befragten Personen nicht immer absichtlich diese Argumentationsform benutzen. Aber wenn jemand vom eigenen Urteil überzeugt ist. dann sind sie sorglos in der Auswahl der Argumente, die für ihren Standpunkt sprechen.

Ich habe einen Kollegen gehabt. der in seinem politischen Denken. milde ausgedrückt. ziemlich rechts zu platzieren war. Spiegel und Stern waren in seinem Weltbild. um es wieder milde auszudrücken, weit links zu platzieren. Er erzählte mir, dass es sehr schädlich ist sie zu lesen, da es im Donaukurier nachzulesen war, dass man vom Lesen des "Spiegels" so und soviel Becquerel Strahlung abbekommt, da für die Farben, die bei dem Farbdruck benutzt werden entsprechende strahlungsaktive Stoffe verwendet werden. Nun, sein Pech, dass ich diesen Artikel auch gelesen hatte. Es war ein allgemeiner Artikel über strahlungsaktive Elemente in modernen Farbabbildungen. Er hatte nur "Spiegel" als Beispiel erwähnt aus welchen Gründen auch immer, denn es gibt so viele Illustrierte, die viel mehr Farbabbildungen haben als der "Spiegel". Nun hat mein Kollege bereits eine vorgebildete negative Meinung über den Spiegel gehabt und war bereit. jedes Argument. dass diese Meinung bestätigt. zu akzeptieren.

 

Wie ging er also vor? Farbabbildungen enthalten Stoffe. die eine schädliche Strahlung abgeben. " Spiegel" enthält Farbabbildungen. also Spiegel lesen ist schädlich.

Wie wäre eine ehrliche Argumentationsmethodik gewesen? Farbige Abbildungen enthalten Stoffe, die eine schädliche Strahlung abgeben, also alles was farbig gedruckt ist, kann Schaden verursachen. Deswegen sollte man alle Zeitschriften, die farbig gedruckt sind, nicht lesen.

Mir geht es an dieser Stelle nicht darum, zu prüfen ob die Farbdrucke wirklich so schädlich sind, dass man die Zeitschriften lt. Donaukurier deswegen nicht lesen sollte. (Vielleicht wollte der Journalist sich nur profilieren). Es ging nur darum, den unehrlichen Charakter der inkonsequenten Argumentation aufzuzeigen.

 

Reden wir jetzt über einen völlig anders gearteten Punkt.

Beweisführung durch selektive Bestandsaufnahme

Diese Art von Argumentation ist im täglichen Leben gang und gäbe. Und man kann sie mit Recht nicht als ehrlich bezeichnen. auch wenn es dem Betreffenden nicht bewusst sein sollte. Richtig unehrlich ist es dann. wenn der Betreffende. nachdem man ihn auf die Unzulänglichkeit dieser Methode aufmerksam gemacht hat. weiterhin genauso argumentiert. Der Erfolg dieser Art der Argumentation hängt davon ab. ob wir als Zuhörer sie als selektive Beweisführung entlarven können oder nicht. Wir können uns aber angewöhnen. den Redner darauf zu drängen darzulegen, ob es um repräsentative Beispiele bzw. berechtigte Beispiele handelt.

Der Diskutant. der sich diese Methode der selektiven Beweisführung bedient. läuft Gefahr konfrontiert zu werden mit selektiven Beispielen die einem genau den gegenteiligen Beweis liefern.

Ich möchte wieder ein Beispiel vom Raucher vornehmen. Wenn man erzählt, dass das Rauchen das Leben verkürzt, hört man häufig von dem Raucher, dass sein Opa geraucht hat und Neunzig geworden ist.

Dann könnte ich entgegnen, mein Onkel hat geraucht und ist mit 40 Jahren an Lungenkrebs gestorben. Damit ist ein Unentschieden erreicht. Natürlich ist das zweite Argument auch eine Methode der selektiven Beweisführung, ,eignet sich aber ausgezeichnet, um den Raucher die Insuffizienz seines Argumentes vor Augen zu führen. Um zu einem richtigen Urteil zu kommen. muss man eine große Zahl von Fällen untersuchen. Um sicher zu gehen, sollte so eine Untersuchung nicht von einer Zigarettenfirma finanziert werden. Je größer die Fallzahl desto sicherer ist die Analyse. So müsste man z.B. 10.000 Fälle von Rauchern mit 10.000 Fällen von Nichtrauchern. die alle unter vergleichbaren Bedingungen leben. z.B. Ernährungsgewohnheiten. Lebensumstände, genetische Zusammensetzung, Nebenkrankheiten usw. in Betracht ziehen. Nur dann kann man eine statistisch signifikante Aussage erhalten. Etwas leichter ist ein Umweg. Man könnte eine multizentrische Studie in Lungenkrebskliniken durchführen um herauszufinden, wie viel von ihnen schwere Raucher waren. Das erfolgt in zwei Stufen. Erstens muss man die Daten über die Lungenkrebskranken erheben und es muss eine genaue statistische Analyse über die Umstände der Entstehung des Lungenkrebses erfolgen.

Wenn aber herauskommt, dass 90 % der Lungenkrebskranken Kettenraucher waren, was tatsächlich der Fall ist, dann ist die Annahme gerechtfertigt, dass zwischen Rauchen und Lungenkrebsentstehung ein statistisch signifikanter Zusammenhang besteht. Auf Grund dieser Erkenntnisse haben in den USA die Zigaretten-Produzenten horrenden Summen an durch das Rauchen erkrankte Patienten, bezahlen müssen.

Was würde der Richter sagen, wenn bei einer Gerichtsverhandlung ein Manager einer Zigarettenfabrik sagen würde: "Mein Opa hat auch geraucht und ist 90 geworden!"

Es ist ja auch anzunehmen, dass die Zigarettenfirmen nicht freiwillig auf die Verpackung drucken: «Rauchen ist schädlich für Ihre Gesundheit.». Sie können davon ausgehen. ohne statistisch signifikante Untersuchungsergebnisse wäre eine ähnliche Gesetzgebung auf Grund einer selektiven Beweisführung gar nicht zustande gekommen.

Ähnliches gilt für Blasenkrebserkrankung. Man hat festgestellt, dass die Arbeiter die in Fabriken arbeiten, die Anilin-Farbstoff verarbeiten, statistisch signifikant häufiger an Blasenkrebs erkranken, als eine vergleichbare Gruppe, die nicht in Anilinfabriken arbeiten. Deswegen ist diese Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt.

Eines der sehr häufig diskutierten Themen unter den Autofahrern, bei einem kleinen gesellschaftlichen Beisammenseins, ist die Geschwindigkeitsbegrenzung. sei es Tempo 30 in den verkehrsberuhigten Zonen oder Tempo 120 auf Autobahnen in manchen Ländern.

Es bilden sich dann zwei Gruppen. Einige sind Befürworter, einige Gegner. Der Gegner könnte sagen, er fährt seit Jahrzehnten in der verkehrsberuhigten Zone mit 50 oder mehr km pro Stunde. Es ist aber nie etwas passiert. Der Gegner könnte ein Beispiel zitieren, dass er selbst gesehen hat, dass ein zu schnell fahrender sein Auto nicht rechtzeitig bremsen konnte und deswegen eine alte Frau, die er nicht rechtzeitig wahrgenommen hat, überfuhr.

Durch solche ausgesuchten Fälle kann der Diskutant seinen Standpunkt etablieren. Hier muss wiederum eine ausgiebige statistische Erhebung vorliegen.

In Deutschland wird zunehmend Kreisverkehr eingeführt. Auch hier gibt es Befürworter und Gegner. Der Befürworter könnte sagen. er musste früher ewig lange an der Ampel anhalten. Jetzt kann er schneller nach Hause kommen. Der Gegner könnte sagen, neulich sei ein Lastwagen auf der B 16 in so einer Kreisverkehrsinsel umgekippt. Also sei der Kreisverkehr abzulehnen. Dabei bleiben die Varianten wie

- fuhr er zu schnell

- war der Lastwagen einseitig beladen

          - sind die Abmessungen des Kreises zu klein usw.

unberücksichtigt.

Auch da müssten detaillierte statistische Erhebungen und Analysen vorliegen, welche auch alle möglichen Varianten mit einbezieht. Jedenfalls kann auf Grund einer selektiven Beweisaufnahme kein Urteil gefällt werden.

Jetzt möchte ich ein Beispiel erwähnen, das der Gefahr unterliegt, nicht mit kühlem Verstand, sondern mit Emotionen diskutiert zu werden, nämlich: Ist EURO ein TEURO? Wenn ja. wie ist man zu diesem Urteil gekommen. Um klarzustellen, mir geht es an dieser Stelle gar nicht darum, ob EURO ein TEURO ist, sondern wir man zu diesem Urteil gekommen ist und ob die Methode so zuverlässig ist, dass man seine Handlung darauf basiert. nämlich die Kaufzurückhaltung. Diese hat natürlich enorme wirtschaftliche Konsequenzen.

Wenn ein durchschnittlicher Bundesbürger der Meinung ist, dass durch die Einführung des EURO alles teurer geworden ist, dann ist die Frage berechtigt. Hat er diese Meinung auf Grund der ausführlichen Datenerhebung und deren ausgiebigen Analyse gebildet oder hat er es auf Grund der begrenzten Evidenz, die er aus seiner unmittelbaren Umgebung hat und das auch nur auf einigen Gebieten gebildet? Es gibt keinen Zweifel darüber, dass in einigen Staaten die entsprechenden Betreiber die Euroumstellung zu Preiserhöhung genutzt haben, z.B. in der Gastronomie. Dies habe ich aus Zeitungsberichten entnommen, da wir selbst nicht mehrere Gastwirtschaften aufgesucht haben, um es nachzuprüfen. Auch wenn wir dies getan hätten, wäre die Analyse nicht flächendeckend und repräsentativ gewesen. Derjenige. der auf Grund seiner begrenzten Bestandsaufnahmen sein Urteil gebildet hat, muss sich einige Fragen gefallen lassen. Wenn z. B. Benzinpreise erhöht sind, ist es nur auf Grund der Euroumstellung geschehen oder spielen darin andere Faktoren. wie drohender Krieg im Irak. Streik in Venezuela, Politik der Ölkonzerne usw. eine Rolle? Haben die Tankstellen vor der Euroumstellung nicht die Preise laufend erhöht? Wenn die Gemüsepreise erhöht sind, sind diese nur auf Euro-Umstellung zurückzuführen oder da sie aus anderen Ländern importiert werden durch strengen Frost wie im letzten Jahr. sogar vor der Euroumstellung verursacht wurden?

Wenn Heringe teurer geworden sind, kann es sein. dass die Fangquote begrenzt worden ist? Wieso sind einige Fischarten sogar preiswerter geworden, besonders wenn es sich um Tiefkühlkost handelt? Wenn tiefgefrorener Rotbarsch spürbar teuerer geworden wäre, wäre es doch aufgefallen!

 

1. Sind alle Waren nach der Umstellung teuerer geworden? Wie ist es mit Kaffee. Tomaten. Toilettenpapier, Computer, Handys usw.?

2. Sind Autos genauso übermäßig teuerer geworden. wie eine Rougeschachtel in einem Kosmetikgeschäft. Sind die Rouge Schachteln in allen Kosmetik Läden übermäßig teuerer geworden?

3. Haben wir früher nicht auch über gestiegene Preise in Einzelbereichen geklagt? Haben wir früher nach dem Einkauf nicht nochmals in die Geldtasche geschaut und uns gewundert.

wo das Geld geblieben ist? Ist es möglich, dass die Waren, bei denen keine wesentlichen Preissteigerungen stattgefunden haben bei uns weniger Eindruck hinterlassen, als die Waren. bei denen die Preissteigerung ins Auge springt?

5. Hinzu kommt. dass man sich gerne über alles mögliche empört und aufregt um in das relativ eintönige Leben Farbe zu bringen?

6. Was sagen die unabhängigen Verbraucherinstitute und Zeitschriften wie z.B. Test. die über repräsentative Daten verfügen als wir Normalbürger mit unseren begrenzten Möglichkeiten?

7. Wie ist die Gesamtpreissteigerungsrate im Vergleich zu der Zeit vor der Euroumstellung? Wie ist sie in Einzelbereichen wie z.B. Lebensmittel. Kosmetik, elektronische Waren, importierte Waren usw.?

Na ja, es gibt eine Fülle von Fragen. mit der man sich beschäftigen muss, wenn man zu einem fundierten Urteil kommen will. Wir haben im Allgemeinen weder die Möglichkeit, Lust, Zeit oder Fähigkeit sich mit allen diesen und vielen weiteren Fragen über dieses eine Thema ausführlich zu befassen. Der Sinn dieser Ausführungen ist, wiederum die Unzuverlässigkeit einer Urteilsbildung auf Grund der begrenzten Erfahrungssammlung aufzuzeigen. Wenn in einigen Bereichen eine Preiserhöhung nach der Euroumstellung festzustellen ist, ist damit kein Grund eine Preiserhöhung in allen Bereichen anzunehmen, um den EURO in TEURO umzutaufen.

Natürlich soll es uns nicht hindern, da einzukaufen, wo dieselbe oder ähnliche Ware in einem anderen Geschäft preiswerter ist. Wir haben festgestellt, dass Rouge in einem Geschäft 25.90 EUR kostete, in einem anderen Geschäft für 7.50 EUR zu kaufen war. Aber darum geht es hier nicht in erster Linie.

Mir ging es nur darum, anhand einiger Beispiele aufzuzeigen, wenn wir auf eine Meinung treffen, die auf Grund einer begrenzten Evidenz getroffen wurde, diese mit Vorsicht bewerten sollten. Und zweitens sollte jeder gewissenhaft prüfen, ob nicht auch er demselben Denkfehler unterliegt.

Nach diesen detaillierten Ausführungen über EURO-TEURO-Diskussion möchte ich einige andere Punkte behandeln, die mir als wichtig erscheinen.

Argumente im Kreis

Es gibt einen indischen Witz, der dies sehr schön illustriert:

„Der Gott redet mit Rabbi Benjamin, weil er ein ehrlicher Mann ist."
„Woher weißt du das?"
„Meinst du, dass Gott mit jemanden redet, der nicht ehrlich ist?“

Oder nehmen wir noch ein ähnliches Beispiel:

Die Leute, die freien Willen ablehnen, verwenden manchmal zur Veranschaulichung folgendes einfaches Beispiel, das aber nichts anderes ist, als Argument im Kreis:

„Menschlicher Wille ist nicht frei, denn wenn zwischen zwei Handlungsmöglichkeiten gewählt werden muss, dann gewinnt der stärkere Impuls über den schwächeren. Sagen wir mal:

Wenn Gefahr naht, gewinnt der stärkere Impuls weg zu rennen über den schwächeren stehen zu bleiben. Wenn wir dann fragen, wieso der Impuls weg zu rennen stärker war als der stehen zu bleiben, wird geantwortet: Ist doch klar!

Die Handlung des Mannes zeigt, dass der Impuls weg zu rennen stärker war. Wir können dieses Argument vereinfacht so ausdrücken: Der Impuls zum Wegrennen überwältigt den Impuls stehen zu bleiben, weil er der stärkere Impuls war. Er war stärker, weil er den anderen Impuls überwältigte. Das ist doch ein klarer Fall von einem Argument im Kreis. Im praktischen Leben ist es oft schwierig, diesen Charakter von Zirkel-Argument zu entdecken. Oft entdecke ich diesen Charakter, wenn ich nach einer Diskussion nach Hause kam und darüber nachdachte, warum die Diskussion in einer Sackgasse endete.

Dies ist oft der Fall, wenn die Diskussion um die Religion geht. Ich will nur ein Beispiel erwähnen. Kurzgefasst heißt es dann:

Gott hat die Bibel diktiert."
Warum glauben Sie dies?"
„Weil es in der Bibel so steht, dass Gott sie diktiert hat."

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