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Leserbrief zu
„Britisches Ja zum Klonen löst Protest aus“ und
„Klonen als Chefsache...“,
Frankfurter Rundschau vom 21.12.2000

Irene Nickel
 

Therapeutisches Klonen muss zugelassen werden

Wenn ich all die Empörung sehe, auf die das britische Ja zum therapeutischen Klonen hierzulande stößt, dann muss ich fragen: Was ist bloß in Deutschland mit der Ethik los? Viele Stimmen der öffentlich geäußerten Meinung, von den Kirchen über CDU-Rüttgers und SPD-Bulmahn bis hin zur Grünen Andrea Fischer, halten es im Ernst für „ethisch“, bewusstlos dahinvegetierende Embryonen für unantastbar zu erklären und lebendige, bewusst erlebende und fühlende geborene Menschen dem Siechtum und dem Tod zu überlassen.

In den ersten 14 Tagen hat der Embryo kein funktionierendes Hirn. Er hat noch kein Bewusstsein und noch kein Gefühl. Warum meint man eigentlich, so ein Embryo brauche Schutz? Wovor will man ihn schützen? Vor Schmerzen? Schmerzen kann er noch nicht haben. Davor, dass ihm gegen seinen Willen irgend etwas geschieht? Er hat noch keinen Willen.

Ein geborener Mensch hingegen hat Gefühle, Bewusstsein und Willen. Er kann Schmerzen empfinden, also braucht er Schutz vor Schmerzen. Er will sein Leben aktiv gestalten, also braucht er Schutz vor Siechtum. Er will am Leben bleiben, also braucht er Schutz vor einem vorzeitigen Tod. Diese Schutzbedürftigkeit unter­scheidet geborene Menschen wesentlich von jungen Embryonen.

Ein solcher Mensch ist der junge Embryo noch nicht - außer in der Antizipation anderer Menschen. Den künftigen Menschen in den Embryo hineinzusehen und mit ihm gleichzusetzen, das mag sehr romantisch sein für werdende Eltern, die sich auf ihr Kind freuen. Aber solche Romantik ist fehl am Platze, wenn schwerkranke Menschen Hilfe gegen Siechtum und Tod brauchen, die sie nur unter Verwendung von künstlich erzeugten Embryonen bekommen können. Ebenso verfehlt wäre es, nur deshalb an der Gleichsetzung von Embryo und künftigem Menschen fest­zuhalten, weil dies nach einer in Deutschland verbreiteten Auffassung zur „political Correctness“ gehört.

Wir sind es den schwerkranken Menschen schuldig, dass wir uns mit großem Ernst die Frage stellen: Ist die Gleichsetzung von Embryo und künftigem Menschen wirklich sachgerecht? Wir können erhebliche Unterschiede in der Schutz­bedürftigkeit feststellen. Folgt daraus nicht, dass das ethische Gebot, geborenen Menschen Hilfe gegen Siechtum und Tod zu leisten, weit mehr Gewicht hat als alle ethischen Argumente für den Embryonenschutz?

Entspricht es wirklich den Geboten der Ethik, wie Bundeskanzler Gerhard Schröder meint, dem Vorschlag des Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft Ernst-Ludwig Winnacker zu folgen, der vom „therapeuti­schen Klonen“ abrät und „erst einmal die ethisch unbedenklichen Alternativen ausgelotet wissen“ will, also „in erster Linie die ‚erwachsenen Stammzellen’“? Ist es nicht ethisch viel bedenklicher, schwerkranke Menschen vergebens auf eine wirksame Therapie warten zu lassen?

Das Problem wird gern geleugnet. So sagt Herr Winnacker über die „erwachsenen Stammzellen“: „Auch sie haben vermutlich das Potenzial, um aus ihnen die benötig­ten Gewebe zu züchten.“ Der Haken versteckt sich in dem Wörtlein „vermutlich“. Niemand weiß, welche Heilerfolge sich tatsächlich mit den „erwachsenen Stammzellen“ erreichen lassen. Und niemand weiß, wie viel Zeit die Forschungen in Anspruch nehmen. Zeit, die einige der Patienten, die jetzt krank sind, nicht mehr haben. Für sie kann es zu spät sein, wenn die Forschungen unnötig viel Zeit kosten, weil sie auf „erwachsene Zellen“ beschränkt bleiben. Oder wenn man gar am Ende feststellen muss, dass bestimmte Therapien sich doch nur mit embryonalen Stammzellen realisieren lassen, vielleicht sogar nur mit Stamm­zellen von Klonen des Patienten. Dann ist wertvolle Zeit vertan worden, und schwerkranke Menschen haben gelitten und sind gestorben, weil ihnen eine wirksame Therapie vorenthalten wurde. Das ist alles andere als „ethisch unbedenklich.“

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