Nicht nur innerhalb der abendländischen Kultur gab es frühzeitig im Altertum rationalistische, nichtreligiöse ja atheistische Welterklärungsversuche. Nach dem legendären Begründer Câravâc nennt sich eine alte indische philosophische Schule Câravâcas. Die Câravâcas vertraten seit altersher eine materialistische Haltung. So gehen die Câravâcas von vier stofflichen Elementen aus: Erde, Feuer, Wasser, Luft. Für sie waren es das einzige Reale in der Welt. Die Câravâcas negieren alles, was über diese Welt hinausgeht, Bräuche, Religion aber auch davon abgeleitete Sittlichkeit. Neben dieser Haltung haben sich aber im Laufe der Jahrtausende bis in die Gegenwart weitere rationalistische Welterklärungsversuche herausgebildet. Diese alten nichtreligiösen Einstellungen verloren jedoch an Einfluss, und so kam es erst wieder seit dem 19. Jahrhundert zu bedeutenden neueren rationalistischen naturalistisch-materialistischen Welterklärungsversuchen. Man verband die antiken Haltungen mit den bedeutenden Vorstellungen der europäischen Aufklärung. In der Gegenwart gibt es die verschiedensten philosophischen Richtungen des Rationalismus und Materialismus in Indien. Im 20. Jahrhundert hat Indien wichtige atheistische Philosophen hervorgebracht. Man schuf auf dieser Grundlage bedeutende Zentren welche neben der Vermittlung von Bildung und Lehre auch sozial-politische Zentren schufen. Beispielgebend hierfür ist das von Gora u.a. gegründete atheistische Zentrum in Vijaayawada. Man wendet sich entschieden gegen das immer noch stark vorhandenen Kastenwesen und die Entrechtung der Frauen und vertritt auch sonst moderne humanistische Grundsätze.
Ausschnitt aus einem Gedicht der Anhänger Cârvâcas
(aus “Sarva-siddhânta-sangraha”).
1. Aus Erde, Wasser, Feuer, Luft
Besteht
hier alles in der Welt.
Die
vier der wahre Philosoph
Für
letzte Wirklichkeiten hält.
2. Nur was man wahrnimmt, existiert,
Durch
Unsichtbares nichts geschieht,
Selbst
der, der an das Karma glaubt,
Behauptet
nicht, dass er es sieht.
...
4. Verdienst und Schuld bestimmen
nicht
des
Lebensschicksals
Lust und Leid:
Nur
die Natur uns beides gibt,
Nicht sittliche Gerechtigkeit.
...
8. Das
Diesseits
nur, nichts and‘res ist,
Nicht Himmels-
und nicht Höllenwelt;
Es glaubt an
Shivas Paradies
Nur, wen ein
Schalk zum bersten hält.
Literatur:
Helmuth von Glasenapp: Indische Geisteswelt. Band 1 Glaube und Weisheit der Hindus”, Verlag Werner Dausien.
Helmut Steuerwald: “Kritische Geschichte der Religionen und freien Weltanschauungen. Eine Einführung”, Angelika Lenz Verlag
Martin Pfeiffer: “Atheismus in Indien”, MIZ 4/80