Biographie | ||
6.5.1856 | geboren in Freiberg, einem katholischen Städtchen in Mähren, als
erstes von acht Kindern der dritten Frau seines Vaters
|
junge Mutter unaufgeklärter Religionsunterricht Ödipuskomplex katholischer Ritualismus |
---|---|---|
Kindheit | Sigmund lernte das Judentum von seiner Mutter, so daß er später sagte,
er sei bestens vertraut mit jüdischen Gebräuchen; Schwächen dieser
Erziehung: sie war fundamentalistisch-naiv (wollte ihm beweisen, daß der
Mensch aus Erde geschaffen wurde, indem sie von ihren Händen dunkle
Epidermisschuppen abrieb); frühe Vertiefung in die Bibel Liebling der Mutter, Eifersucht auf den Vater (=> Ödipuskomplex) Freud hatte eine katholische Tschechin als Kinderfrau; erzählte ihm von Himmel, Hölle und Strafen und besuchte mit ihm katholische Messen (=> katholischer Ritualismus). Diese Erfahrung schlug sich in seinem ersten Aufsatz über die Religion nieder Zwangshandlungen und Religionsübungen (1907). mit 4 Jahren Umzug nach Wien wegen geschäftlicher Schwierigkeiten (Jude unter Katholiken) | |
Schule | Im Gymnasium war er stets Klassenbester hatte wenig nicht-jüdische Freunde; in Wien waren antisemitische Demütigungen an der Tagesordnung (Diskreditierung des Christentums). Sein Respekt vor dem Vater wurde empfindlich angeknackst, als dieser sich gegen antisemitische Übergriffe nicht zur Wehr setzte angetan von Darwins Lehren, woraus er den Entwicklungsgedanken als das Erklärungsprinzip überhaupt herbezog |
Antisemitismus |
Uni | mit 17 Jahren Schulabschlußging an die Universität und wählt den
Arztberuf mit dem Spezialgebiet Physiologie (chemische
Stoffwechselvorgänge) war sechs Jahre lang bei Ernst Brücke ("disziplinierter, ernster Wissenschaftler"). Dessen These: Im Organismus gibt es keine anderen Vorgänge als chemische oder physikalisch erklärbare Reaktionen -> Freud wandte dies auf alle psychischen Vorgänge an (Psyche = "seelischer Apparat") |
Darwinsche Evolutionstheorie |
1881 | mit 25 Jahren Doktor der Medizin; Thema der Doktorarbeit Über das
Rückenmark niederer Fischarten. konnte keine Praxis eröffnen, noch eine Uni-Laufbahn einschlagen; Labortätigkeit konnte sein Auskommen kaum sichern |
medizinischer Materialismus |
1882 | Auf Brückes Anraten nimmt er die Arbeit in einem Wiener Krankenhaus auf, hauptsächlich in der Neurologie | |
1885 | erhält die Chance, sich zu habilitieren und bekommt eine Privatdozentur (er wird nach der Anzahl seiner Vorlesungen bezahlt und hat keine Altersversorgung); Fachgebiet Neuropathologie (Krankheitserscheinungen des Nervensystems) | |
1886 | eröffnet eigene Facharztpraxis am Ostersonntag; Trotzhandlung
gegenüber seiner katholischen Kinderfrau (machte Kinderfrau für einen
Großteil seiner psychischen Schwierigkeiten verantwortlich) heiratet Martha Bernays, einer wohlhabenden Frau aus jüdischem Hause, die er vier Jahre zuvor kennengelernt hatte und der er fast täglich einen Brief geschrieben hatte (Sammlung von etwa 900 Briefen); stimmte trotz seiner Aversion einem jüdischen Hochzeitsritus (z.B. Erlernen von hebräischen Texten) zu, drang aber darauf, daß die orthodoxen jüdischen Bräuche im weiteren Verlauf nicht praktiziert würden wurde eine glückliche Ehe mit drei Söhnen und drei Töchtern; war ein Gegenpol zu seinen beruflichen Schwierigkeiten, die hauptsächlich auf Antisemitismus beruhten; außerdem hatte er Patienten mit Kokain behandelt, was mißlang (Sucht), und es gab weitverbreitete Vorurteile gegenüber seinen Theorien. All dies versagte ihm einen ordentlichen Lehrstuhl. Lehrer Brücke besorgte ihm ein Stipendium in Paris, wo ein Studium in die psychologische Fachrichtung möglich war. Dort wurde u.a. die Frage behandelt "Ist Hysterie mit Hypnose heilbar?" Rückkehr nach Wien, wo er sich mit hypnotischen Suggestionen beschäftige, um u.a. körperliche Störungen zu behandeln. Seine Thesen fanden nicht viel Gefallen |
Isolierung Freuds |
1889 | Entwicklung der "Verdrängungstheorie": Heilung von unerledigten Komplexen durch Erinnerung in der hypnotischen Suggestion Fall der Anna O. => "Methode der Katharsis" |
Verdrängungstheorie Neurosentheorie |
1890 | weitere Theorie: "Neurosentheorie": Hinter Neurosen stecken aktuelle oder frühere Sexualstörungen, d.h. sexuelle Phantasien gestalten sich zur Neurose leitete eine Phase der Untersuchung des Sexuallebens bei seinen Patienten ein, was ihn in Wien noch unbeliebter machte dies legte die Grundlagen für die Psychoanalyse | |
1891 | Über die Gehirnlähmung der Kinder | |
1895 | Entwurf einer Psychologie. Übergang von der Physiologie zur Psychologie | |
ab 1897 | beginnt eine Selbstanalyse, wo er die Leidenschaft zur Mutter aufdeckt und dies zu einer allgemeinen Theorie ausformuliert; stellt sexuelle Aktivität zur Vermeidung weiterer Kinder ein (Stauung?) |
Selbstanalyse |
1899/1900 | Die Traumdeutung. vernichtende Kritik, anfangs kaum beachtet | |
1901 | Zur Pathologie des Alltagslebens | |
1902 | außerordentliche Professur (-> Pensionsanspruch) | |
ab 1908 | Zusammenarbeit mit C.G. Jung | |
1912 | Totem und Tabu |
Religionskritik |
1920 | Ordinarius Jenseits des Lustprinzips | |
1923 | Das Ich und das Es erkrankte an Gaumenkrebs; bis zu seinem Tod unterzog er sich über dreißig Operationen, die ihn jedoch nicht heilen konnten |
Gaumenkrebs |
1930 | Das Unbehagen in der Kultur | |
1936 | als 67jähriger beschäftigte er sich mit den Fragen: Was ist der Ursprung der Religion? Was ist das Wesen der Religion? "Religion ist ein Produkt des Sinnlich-Triebhaften, das zu seiner Entzifferung der angewandten psychologische Entschlüsselungstechnik bedarf." |
im Alter erneut intensive Beschäftigung mit der Religion |
1939 | bat seinen Hausarzt um eine Überdosis Heroin, nachdem er wegen der offenen Wunden nur noch unter einem Moskitonetz schlafen konnte. |
Freud lebt in einer Zeit der naturwissenschaftlichen Wende, in der sich scheinbar alles mittels physikalisch-mechanistischen Gesetzen erklären läßt. Zusätzlich noch liefert Darwins Evolutionstheorie ein universelles Erklärungsschema für alle Bereiche. Diese Umstände führen zu einer Wissenschaftsgläubigkeit als neuer Religion. Freuds Sexualtheorie muß auch vor dem Hintergrund der damals vorherrschenden sexuellen Prüderie verstanden werden (die auch ihn nicht ausschließt). |
1. Alles Psychische ist zunächst unbewußt.
2. Alles, was bewußt wird, ist sekundär.
3. Der Mensch hat ganz starke und wesentliche Triebe. Er strebt nach einem Maximum an Lustgewinn. Im Normalfall werden die unbewußten anstößigen Triebregungen vom Bewußtsein, dem Ich, in mehr oder weniger intensiver Auseinandersetzung abgewiesen; die Energie wird entzogen oder abgeführt. Doch in bestimmten Fällen werden solche Triebregungen erst gar nicht zur Auseinandersetzung zugelassen: Durch einen primären Abwehrmechanismus von vornherein abgewiesen, werden sie mit ihrer vollen Energiebesetzung ins Unbewußte verlagert, verdrängt.
4. Es treten Ersatzbefriedigungen durch Träume oder durch körperlich-neurotische Symptome auf (z.B. Waschzwang; übersteigertes Sicherheitsbedürfnis)
5. Therapie: Aufdecken durch das freie Assoziieren (Nennen von Begriffen zu einem bestimmten Thema), wobei der Therapeut diese analysieren muß und die Neurosen zusammen mit dem Patienten ins Bewußtsein zu holen versucht. (Methode der Katharsis)
6. Therapie durch eine Art Übertragung: Der Arzt spielt das Duplikat der früheren Problemperson, wobei der Arzt nicht nur formal die Person spielt, sondern auch existentiell (therapeutische Allianz).
7. Rückgriff auf Träume; Erzählen von Träumen; Traumdeutung zusammen mit
TageselementenWesentliches Motiv des Traumes ist die Erfüllung verborgener
Wünsche, vorallem sexueller Art. Der Traum befaßt sich mit Gefühlen, Wünschen
und Situationen, die "verdrängt" werden, weil sie dem Bewußtsein nicht annehmbar
erscheinen. Im Traum werden diese in eine weniger gefährlich erscheinende Form
gebracht.
"Der Traum ist ein vollwichtiger psychischer Akt; seine
Triebkraft ist alle Male ein zu erfüllender Wunsch; seine Unkenntlichkeit als
Wunsch und seine vielen Sonderbarkeiten und Absurditäten rühren von dem Einfluß
der psychischen Zensur her, den er bei der Bildung erfahren hat."
Präanimismus | Animismus Seelen- und Geisterglauben Allbeseelung der Natur |
Polytheismus | Monotheismus |
Totemismus Verbindung eines Clans mit einem bestimmten Totem, das ihn beschützt zwei Tabus: Töten des Totemtiers und Inzest einmal pro Jahr rituelle Tötung und Verspeisung des Totemtiers |
Freud greift hier auf Darwins Vermutung zurück, daß die Menschen anfänglich
in Horden lebten. "Der Vater der Urhorde hatte als unumschränkter Despot alle
Frauen für sich in Anspruch genommen, die als Rivalen gefährlichen Söhne getötet
und verjagt. Eines Tages aber taten sich diese Söhne zusammen, überwältigten,
töteten und verzehrten ihn gemeinsam, der ihr Feind, aber auch ihr Ideal gewesen
war. Nach der Tat waren sie außerstande, sein Erbe anzutreten, da einer dem
anderen im Wege stand. Unter dem Einfluß des Mißerfolgs und der Reue lernten
sie, sich miteinander zu vertragen, banden sich zu einem Brüderclan unter den
Satzungen des Totemismus, welche die Wiederholung einer solchen Tat ausschließen
sollten, und verzichteten insgesamt auf den Besitz der Frauen, um welche sie den
Vater getötet hatten. Sie waren nun auf fremde Frauen angewiesen; dies der
Ursprung der mit dem Totemismus eng verknüpften Exogamie. Die Totemmahlzeit war
die Gedächtnismahlzeit der ungeheuerlichen Tat, von der das Schuldbewußtsein des
Menschen (die Erbsünde) herrührte, mit der soziale Organisation, Religion und
sittliche Beschränkung gleichzeitig ihren Anfang nahmen."
Die Religion
gründet somit im Ödipuskomplex der Gesamtmenschheit.
"Nachdem der Vaterersatz durch das Totemtier verlassen war, wurde der gefürchtete und gehaßte, verehrte und beneidete Urvater selbst das Vorbild Gottes. Der Sohnestrotz und seine Vatersehnsucht rangen miteinander in immer neue Kompromißbildungen, durch welche einerseits die Tat des Vatermordes gesühnt, andererseits deren Gewinn behauptet werden sollte. Ein besonders helles Licht wirft diese Auffassung der Religionen auf die psychologische Fundierung des Christentums, in dem ja die Zeremonie der Totemmahlzeit noch wenig entstellt als Kommunion fortlebt."
1) Freud erkennt die Stärke des religiösen Vorstellungen, die in der Vergangenheit die Weltgeschichte beeinflußt haben. Gleichzeitig erkennt er aber auch, daß sich kein Beweis für sie finden läßt, der ihren Anspruch gerechtfertigt.
2) "Religiöse Vorstellungen sind nicht Niederschläge der Erfahrung oder Endresultate des Denkens, sondern Illusionen, Erfüllungen der ältesten, dringendsten Wünsche der Menschheit; der Geheimnis ihrer Stärke ist die Stärke dieser Wünsche."
3) Sie entspringen der kindlichen Vatersehnsucht, den Wünschen nach Schutz vor den Gefahren des Lebens, Erfüllung der Gerechtigkeit in dieser ungerechten Gesellschaft, Verlängerung der Existenz durch ein irdisches Leben, Wissen um die Entstehung der Welt und die Beziehung zwischen Körper und Seele.
4) Durch die unklare Wahrnehmung des psychischen Apparats werden sie nach außen projiziert.
5) Es handelt sich dabei um infantile Wünsche, die sowohl der Kindheitsphase des Individuums als auch der menschlichen Gattung entspringen; denn die Ontogenese (Entwicklung der Persönlichkeit des Individuums) ist die Kurzform der Phylogenese (Entwicklung der Gattung).
6) Individualpsychologisch ist die religiöse Vatergestalt (Gott) eine Verlängerung der Vatergestalt der Kindheit. Sie ist bedingt durch einen nicht-überwundenen Konflikt, den man ins Erwachsenenalter hinüberträgt. Mit dem Vater-Gott geht eine Entlastung der Psyche einher, indem auf ihn die Probleme der Menschheitserfahrung projiziert werden.
7) Sozialpsychologisch erfüllen die Götter eine dreifache Aufgabe: Bann des Schreckens der Natur Versöhnung mit Schicksal und Tod Entschädigung von Leiden und Entbehrungen im kulturellen Zusammenleben (jede Kultur gründet auf Arbeitszwang und Triebverzicht). Das bedeutet auch Sanktionierung von Moralgesetzen und das Liefern eines höheren Lebenszwecks.
8) Religiöse Praktiken gleichen neurotischen Zwangshandlungen. Die Religion trägt neurotische Züge, weil der Mensch in ihr vor der Wirklichkeit flieht und nicht erwachsen werden will.
9) Die aufgeklärte Wissenschaft wird unaufhaltsam die Religion als Weltanschauung verdrängen, sie auflösen und an ihre Stelle treten.
10) Der Mensch muß erwachsen werden und sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Erziehung zur Realität.
11) Die freiwerdende Energie, die bisher vom Jenseits vereinnahmt wurde, braucht der Mensch dringend für die Weltgestaltung.
12) Der Glaube an die Wissenschaft, die den Wahrheitsbeweis mannigfaltig erbracht hat, gibt mehr Halt als die Religion.
Freud untersucht nur die Natur religiöser Vorstellungen, nicht mit deren Wahrheitsgehalt als Wirklichkeit. Er kommt zu dem Ergebnis: Religiöse Lehren sind Illusionen, vergleichbar Wahnideen, jedoch unbeweisbar und unwiderlegbar, d.h. nach ihrem Realitätswert nicht beurteilbar. Er deutet jedoch an, daß die psychologischen Erkenntnis die Wahrhaftigkeit der Religion sehr in Frage stellen. Er selbst geht in seinen Gedanken von Feuerbachs Projektionstheorie als wissenschaftliche Wahrheit aus und stellt sie überhaupt nicht in Frage. An die Stelle der Religion soll der Glaube an die Wissenschaft treten |
Gebrauch und Vervielfältigung (auszugsweise oder ganz) zu
nichtkommerziellen Zwecken erlaubt,
solange die Quellnotiz nicht entfernt
wird.
© Andreas Schmidt 1997
eMail: uneu@rz.uni-karlsruhe.de