Download PDF

Download Word

Baruch Spinozas Ethik

Pantheistische Philosophie von der Natur

 

(Der folgende Vortrag stammt von Dr. Heribert Lumpe und wurde auf dem Seminar „Ethik ohne Kirche“ am 26.1.2007 in der Frankenakademie Schloß Schney gehalten.)

 

 

 

 

 

 

 

Einer der wichtigsten nichtchristlichen Philosophen der letzten vier­hundert Jahre, der ethische Vorstellungen außerhalb des Christentums entwickelte, dürfte wohl Baruch Spinoza sein.

Seine Philosophie, die auf einem konsequent zu Ende gedachten Panthe­ismus beruht, hat nicht zuletzt durch die moderne Physik eine unge­ahnte Aktualität bekommen. In meinem heutigen Vortrag möchte ich kurz auf sein Leben sowie einige seiner philosophischen Gedanken eingehen.

 

Um das Jahr 1600 kam die Familie Spinoza von Portugal nach Holland. Sie war vor der dort inzwischen aufgekommenen Inquisition geflohen. In Amsterdam fand die Familie zusammen mit anderen jüdischen Flüchtlingen eine neue Heimat. Der gemeinsame Haß von Holländern und Juden auf die spanische und portugiesische Inquisition begünstigte das Zusammenleben. Der Vater von Baruch Spinoza war dreimal verheiratet. Aus der ersten Ehe stammen die Kinder Isaac und Rebecca. Mit seiner zweiten Frau Hanna Debora hatte er drei Kinder: Baruch, Mirjam und Gabriel. Aus der dritten Ehe sind keine Kinder mehr hervorgegangen.

Baruch de Spinoza wurde am 24.11.1632 in Amsterdam geboren. Bei der Taufe erhielt er den Namen Bento und als hebräischen Namen Baruch, was soviel wie der "Gesegnete" bedeutet.

Seine Mutter, die ihm Wärme und Geborgenheit gab, starb bereits 1638 als Spinoza erst 6 Jahre alt war. Ihr Tod bedeutete einen tiefen Einschnitt in seinem Leben, wahrscheinlich auch den Beginn seiner Gefühlseinsamkeit. Mit 8 Jahren erlebte er das Drama des jüdischen Zweiflers Urielda Costa. Costa war zweimal mit dem Bann belegt worden und hatte sich beide Male der Autorität der Synagoge wieder unterworfen, bis ihn schließlich eine erneute Glaubenskrise so unglücklich machte, dass er sich mit einem Pistolenschuß das Leben nahm.

Spinozas Vater war ein frommer Jude der in der Amsterdamer jüdischen Gemeinde verschiedene Ämter innehatte. In der Grundschule dieser Gemeinde erlernte Spinoza die hebräische Sprache, die für das Studium der heiligen Schriften unerlässlich war. Mit 13 besuchte er dann die Talmud - Schule, wo er den Talmud und die Kommentare zum Talmud kennen lernte. Wahrscheinlich hat Spinoza auch schon in dieser Zeit kabbalistische Literatur mit ihren Symbolen, ihrer Zahlenmystik und mit ihren Visionen von der Erschaffung der Welt kennen gelernt. Nach dem Tode seines Halbbruders Isaak 1649 musste er im väterlichen Geschäft mitarbeiten. Sein Vater betrieb einen ausgedehnten Handel mit Südfrüchten und Produkten aus der Levante. Die Arbeit in dem väterlichen Unternehmen hat Spinoza aber nicht sehr befriedigt. Er brauchte andere Anreize. Diese fand er schon bald bei dem Arzt und Physiker Joseph Salomo Delmedigo, einem Amsterdamer Freigeist. Delmedigo setzte sich auch für die Kopernikanische Anschauung des Weltalls ein und bekämpfte den Glauben an den Teufel. Er erschloß dem jungen Spinoza neue Perspektiven. Spinoza begann nun, sich auch mit den griechischen Philosophen Aristoteles und Platin und dem arabischen Philosophen Averroes zu beschäftigen. Bei diesem Studium wurde ihm klar, dass weder die jüdische Theologie noch die Lehren der Kabbalisten geeignet waren, wissenschaftliche Einsichten zu fördern.

Nachdem er dann auch noch in den Schriften des alten Testaments eine Reihe von Widersprüchen erkannt hatte, wurde es für ihn immer deutlicher, dass das alte Testament und die übrigen heiligen Schriften keine Schöpfungen göttlicher Eingebung 1 sondern lediglich Menschenwerk waren. Bei ihm begannen nun die Zweifel an dem Glauben der Väter, die Zweifel an der Vorstellung von einem auserkorenen Volk, die Zweifel an der bindenden Kraft des Dogmas, die Zweifel an den Wundem und schließlich auch die Zweifel am Eingreifen eines persönlichen Gottes in irdisches Geschick.

Das Studium des Talmud hatte ihm zwar Werte wie Schlichtheit, Disziplin und Respekt vor manueller Arbeit vermittelt, aber die Macht des Gesetzes und der Gebete waren für ihn gebrochen. Was Spinoza nun mehr und mehr bewegte, war der Geist der Zeit. Von Philosophen und Naturwissenschaftlern wie Kopernikus, Kepler, Galilei, Cardano, Descartes und Delmedigo fühlte er sich angezogen. Durch sie gewann er auch die Einsicht, dass alle bis zu der damaligen Zeit geltenden Vorstellungen über den Kosmos berichtigt werden mussten. ln seiner Vorstellung entstand ein Kosmos mit erforsch- baren natürlichen Gesetzmäßigkeiten. Neben seinem wissenschaftlichen Studium war es für ihn aber auch wichtig, das Ideal der menschlichen Selbstvervollkommnung nicht aufzugeben. Dieses Ideal fand er insbesondere bei den italienischen Philosophen Campanella und Telesio in seiner ursprünglichen Form. Der Prozess der Befreiung von den alten ihn einengenden Vorstellungen verlief natürlich nicht ohne gelegentliche Zweifel.

Auseinandersetzungen mit Mitgliedern seiner Gemeinde und seiner Familie blieben nicht aus. Er wurde nun immer öfters von wohlmeinenden und beunruhigten Gemeindemitgliedern und von seinem Vater wegen seiner immer größer werdenden Skepsis an den Engeln, Wundern und Offenbarungen in den heiligen Schriften gewarnt. Und manche haben in ihm bereits einen zweiten Urielda Costa gesehen. Sein Vater verstarb im März 1654 nach einer schweren Erkrankung.

Spinoza und sein Bruder Gabriel übernahmen nun das väterliche Geschäft und führten es mit Hilfe eines Vormundes weiter. Die Spannungen zwischen ihm und der jüdischen Gemeinde nahmen indes immer mehr zu. Verstärkt wurden sie noch durch seinen Kontakt zu den sogenannten Amsterdamer Freigeistern und hier besonders zu Dr. Franciscus van den Enden, einem hochbegabten ehemaligen Jesuiten, der auch in Medizin, Jura und Philosophie sehr bewandert war. Spinoza hatte ihn schon kurz nach dem Tode seines Vaters kennen gelernt. Durch diese Kontakte fühlte sich Spinoza bestärkt, einen kühnen Schritt wagen zu können, als das Verhältnis zu seiner Gemeinde in ein kritisches Stadium geriet. Alle Versuche, ihn zu belehren oder durch Drohungen zu einer Umkehr zu bewegen} waren vergeblich geblieben. So sprach der Gemeindevorstand den kleinen Bann über Spinoza aus. Dieser Bann bedeutete eine Bedenkzeit von 30 Tagen. Wieder begannen Warnungen und Drohungen. Nachdem dann aber auch diese Versuche, ihn umzustimmen, fehlgeschlagen waren, blieb nur noch der Ausschluss aus der Gemeinde übrig, der förmliche Bannspruch. Bei diesem Verfahren wurde Spinoza als größtes Vergehen die Verachtung des Gesetzes vorgeworfen. Der Bannspruch erfolgte am 6.8.1656 in der Synagoge zu Amsterdam. Er lautete:

Nach dem Urteil der Engel und der Aussage der Heiligen verbannen, verfluchen, verwünschen und verdammen wir Baruch de Espinoza. Mit der Zustimmung des gesegneten Gottes und dieser ganzen heiligen Gemeinde, vor den heiligen Büchern der Thora und den 613 Vorschriften, so darin geschrieben sind, sprechen wir den Bannfluch über ihn aus mit dem Josua Jericho verfluchte und mit allen Verfluchungen, die im Gesetz verkündet werden. Er sei verflucht bei Tag und bei Nacht, verflucht sein Hinlegen und verflucht sein Aufstehen, verflucht sein Gehen und sein Kommen; nimmer möge der Herr ihm vergeben und fortan der Zorn des Herrn und der Eifer Gottes über diesen Menschen kommen und ihn mit allen Flüchen beladen und der Herr möge ihn zu seinem Verderb ausstoßen aus allen Stämmen Israels. Hütet euch, dass niemand mündlich noch schriftlich mit ihm verkehre, niemand ihm die geringste Gunst erweise, niemand unter einem Dach mit ihm wohne, niemand sich ihm auf 4 Ellen nähere, niemand eine von ihm gemachte oder geschriebene Schrift lese.

Spinoza war nicht anwesend, als die Synagoge diese Verwünschungen über ihn ergoss. Er empfing das Urteil schriftlich und erwiderte es durch einen Protest in spanischer Sprache. Dieser Protest ist leider verloren gegangen. Im übrigen aber ließ Spinoza die Sache, wie sie war. Er arbeitete lieber an seinen Vorstellungen und kümmerte sich nicht mehr um die Bannflüche eines Glaubens, der ihm inzwischen gänzlich wertlos geworden war. Was galten ihm noch die lehren der Rabbiner gegen die Erkenntnisse eines Descartes, van den Enden, Cardano, Campanella oder Delmedigo. In ihnen hatte er die Lehrer gefunden, die sein Geist und sein Wahrheitssinn brauchten.

Nach den Berichten des frühesten Spinoza - Biographen Maximilian Lucas soll der Philosoph nach der Verkündung des Bannfluches gesagt haben : Nun, man zwingt mich zu nichts, was ich nicht auch von mir aus getan hätte. Aber wenn man es nun einmal so will, schlage ich mit Freuden den Weg ein, der sich mir eröffnet und tröste mich mit dem Gedanken, dass mein Auszug unschuldiger als der der alten Juden aus Ägypten ist, wenn ich auch ebenso wenig weiß, wovon ich werde leben müssen. Ich habe keinem Menschen etwas abgenommen und wie ungerecht man mich auch behandeln mag, ich darf stolz darauf sein, dass man mir nichts vorwerfen kann.

Um die Trennung auch äußerlich zu vollziehen, legte er seinen jüdischen Namen ab und nennt sich ab sofort nur noch Benedictus. Dies ist die lateinische Form von Bento. Mit diesem Namen unterschreibt er nun auch alle weiteren Briefe und Schriften. Durch den Bann war es nicht mehr möglich, die väterliche Firma mit seinem Bruder Gabriel weiter zu führen. Er verkaufte deshalb seinen Anteil an seinen Bruder. Dieser führte das Geschäft noch bis 1664 weiter und wanderte dann nach Barbados aus. Mit seinen Zweifeln an den Wundern und der Offenbarung des alten Testamentes nahm Spinoza aber auch eine kritische Haltung gegenüber dem christlichen Glauben ein. Dessen Vorstellungen von einer Dreieinigkeit, einer Auferstehung des Fleisches und eines jüngsten Gerichtes waren für ihn unannehmbar.

Nach dem Verkauf seiner Geschäftsanteile an seinen Bruder besuchte Spinoza nun regelmäßig die Schule von van den Enden. Er lernte hier auch den damals leidenschaftlich diskutierten Cartesianismus kennen und er beschäftigte sich hier auch mit den Schriften von Descartes, die von Jan Rieuwertsz auch in holländischer Sprache herausgegeben wurden. Obgleich Descartes viele Jahre in Amsterdam gewohnt und hier auch seine wichtigsten Schriften verfasst hatte, gibt es bis heute keinen Hinweis, dass sich Descartes und Spinoza einmal begegnet wären. Descartes hatte nicht nur eine neue Methode zum Erkennen wahrer und unwiderlegbarer Ideen über Gott, den Menschen und die Welt ausgearbeitet, sondern er hat sich auch als genialer Mathematiker und Physiker erwiesen und bahnbrechende Studien über Geometrie, Meteore und Lichtbrechung veröffentlicht. In der Schule von van den Enden lernte Spinoza darüber hinaus auch griechische und römische Stoiker kennen. Dort fand er eine große Verwandtschaft mit seinen Ideen wie der göttlichen Natur, der Entthronung des Aberglaubens, der Erforschung der Natur als Mittel gegen Unwissenheit und die Bewahrung innerer Kraft durch lebensbejahende Vernünftigkeit. Angeregt durch diese Studien begann er zwischen 1657 und 1660 mit der ersten schriftlichen Formulierung seiner Ideen und Vorstellungen. Es entstand die "Kurze Abhandlung über Gott, den Menschen und sein Glück". Dieses Werk kann als Frühform der Ethik, seinem späteren Hauptwerk, angesehen werden. Die drei Themen, die in dem Titel angesprochen sind, sind auch die 3 zentralen Themen der Ethik: Gott, Mensch und menschliches Glück. Im ersten Teil seiner kurzen Abhandlung geht er auf das Wesen Gottes und seiner unendlich vielen Attribute ein.

Im zweiten Teil dieser Schrift beschreibt er den Zustand des Menschen, wie er den Leidenschaften unterworfen ist und wie er sich aber durch seine Vernunft von diesen Leidenschaften befreien und zu seinem Heil und seiner vollkommenen Freiheit gelangen kann.

Neben den bereits genannten Philosophen lernte Spinoza in der Schule von van den Enden auch Schriften von Giordano Bruno und Lucilio Vanini kennen. Beide waren der Inquisition zum Opfer gefallen. Da ihre Werke offiziell verboten waren, konnten sie nur in Handschriften im Verborgenen zirkulieren.

Wenngleich es große Übereinstimmungen zwischen Spinoza und Bruno gab, so in erster Linie in der Auffassung des Universums als schaffender Grundursache, so gab es doch auch Unterschiede, weil Bruno den ihm eigenen Dualismus zwischen Gott und Natur eigentlich niemals ganz überwunden hat und sich wiederholt in irrationale Gottesvorstellungen flüchtete.

Spinoza hingegen fegt mit konsequenter Logik jeden Dualismus und jede irrationale Vorstellung hinweg. Vanini scheint dagegen mit seinem Pantheismus Spinoza sehr viel näher zu stehen. Dass Spinoza aber weder Bruno noch Vanini in seinen Briefen erwähnt, liegt wohl nicht an einer Unkenntnis oder Ablehnung dieser beiden Denker, sondern höchstwahrscheinlich daran, dass nach Spinozas Tod viele seiner Briefe von den Empfängern verborgen gehalten oder aus Sorge vor Verfolgung und möglichen Repressionen vernichtet worden sind.

Neben seinen Studien erlernte Spinoza bei van den Enden auch das Schleifen optischer Gläser, was später sein Beruf wurde, allerdings auch ein für ihn in hohem Maße gefährlicher Beruf, da durch diese Tätigkeit sein tuberkulöses Lungenleiden erheblich verschlimmert wurde. Diese Gefahr war aber der damaligen Medizin noch nicht bekannt. Van den Enden führte Spinoza aber nicht nur in die Philosophie und Naturwissenschaft ein, sondern auch in die Lehre der Staatskunst und hier besonders in die Schriften von Machiavelli, der eine theologische Fundierung der Staatsrnacht radikal ablehnte. Für Spinoza war die Unterweisung in die Staatskunst neu. Erst in einem späteren Stadium seines Lebens sollte sie für sein Denken Bedeutung gewinnen.

Dr. Franciscus van den Enden hat Spinozas Ausbildung auf brillante Weise abgerundet. Einen nicht unbedeutenden Einfluß auf sein Denken hatten neben van

den Enden aber auch seine Amsterdamer Freunde Pieter Balling, Jan Rieuwertsz, Adrian Koerbagh, Dirck Kerckrinck, Simon Joosten de Vries, Jarig Jelles u:a. Ihr

freies Denken, ihre Hochschätzung des menschlichen Verstandes und ihr Glaube an die menschliche Vervollkommnung haben Spinozas Vorstellungen über eine neue Ethik entscheidend mit geprägt. Aus ihnen war inzwischen ein Spinozakreis geworden, der seine Gedanken mit großem Interesse aufnahm.

1656 gerät Spinoza ein zweites Mal in Konflikt mit seiner ehemaligen jüdischen Gemeinde. Die dem Abtrünnigen geltenden Rachegefühle waren offenbar immer noch nicht verschwunden und so wurde gegen ihn auf dem Amsterdamer Rathaus Klage erhoben. Obgleich die damaligen Amsterdamer Regenten, die überwiegend Spinoza wohlgesonnen waren, versuchten, die Angelegenheit zu vertagen, ließen die Rabbiner nicht locker und erreichten, dass Spinoza zu einem Verhör ins Rathaus zitiert wurde. Da dieses Verhör wiederum ergebnislos verlief, wurde auf Drängen der Rabbiner ein Urteil gegen ihn gefällt, durch das er definitiv aus seiner Vaterstadt

Amsterdam verbannt wurde. Dieses Urteil war praktisch ein zweiter Bann. Spinoza tauchte nun für einige Monate in der Nähe von Amsterdam im Weiler Kostverloren bei einem Freund unter. Hier hatte er vorläufig Ruhe und Sicherheit und konnte seine kurze Abhandlung beenden, um sie seinen Freunden zukommen zu lassen.

Von Kostverloren zog er bereits im Frühjahr 1660 nach Rijnsburg, wo er im Hause des Arztes Hermann Homan wohnte. Spinoza hatte in dem Haus ein Studierzimmer und eine angrenzende Werkstatt, in der er regelmäßig Linsen schliff. Hier in Rijnsburg begann Spinoza dann auch mit seinem Hauptwerk der Ethik. Schon die ersten Kapitel dieses Werkes schickte er nach Amsterdam, wo sich im Hause von Jan Rieuwertsz die Mitglieder des Spinozakreises trafen, um die eingetroffenen Texte zu besprechen.

Für einige Teilnehmer dieses Kreises sollte die Philosophie Spinozas sogar zu einen Wendepunkt in ihrem Leben werden.

Spinoza begann 1660 auch einen regen Schriftwechsel mit dem Sekretär der Londoner Royal Society of Sciences, Heinrich Oldenburg.

Dieser besuchte ihn bereits 1661 an seinem neuen Wohnort. Durch Oldenburg kam Spinoza auch in Kontakt mit dem englischen Gelehrten Robert Boyle. Boyle war in England das, was Huygens in Holland war: ein Vormann der neuen Wissenschaft. Boyle, ein frommer Christ, hatte die klassische Atomistik erneuert und hoffte über Spinoza in Holland Interesse für seine Lehre zu finden. Spinoza reizte diese Lehre und er führte auch einige Experimente in seinem improvisierten Laboratorium durch. Die anfängliche Schätzung durch Boyle wurde jedoch geringer, als Spinoza die Angriffe Boyles auf Bacon und Descartes abwehrte und sie ist 10 Jahre später sogar in eine Ablehnung übergegangen/als Boyle erfuhr, dass Spinoza der Verfasser einer von Christen und Royalisten heftig abgelehnten Schrift war. Man hat die Rijnsburger Jahre von Spinoza als fruchtbarste Periode seines Lebens bezeichnet und obgleich sich schon bald die ersten Anzeichen der Schwindsucht zeigen, ist er noch voller geistiger und körperlicher Energie. Er hatte hier nicht nur mit seinem Hauptwerk der Ethik begonnen, sondern im Winter 1661/62 schrieb er auch noch eine Abhandlung über das reine Denken. Diese Abhandlung ist im Grunde eine Einleitung zu seinem Hauptwerk. Spinoza kam aber mit dieser Abhandlung wegen der Schwierigkeit des Themas nur langsam voran und ließ schließlich das kleine Werk mehr oder weniger unvollendet liegen.

Im Frühjahr 1663 entschließt sich Spinoza zu einem Umzug nach Voorburg bei Den Haag in das Haus des Malers Daniel Tydemann. Die Grunde für diesen Umzug sind


nicht genau bekannt. Vielleicht war es die inzwischen fehlende Ruhe aufgrund zahlreicher Besucher.

Kurz nach dem Umzug nach Voorburg schrieb Spinoza auf Wunsch seiner Amsterdamer Freunde einen Kommentar über die philosophische Lehre des Cartesiani?mus, indem er diese Lehre noch verteidigt. Aber bereits kurze Zeit später schrieb er in der Anmerkung zu diesem Kommentar, dass er nicht mehr alles in diesem Traktat als seine eigene Meinung ansieht, sondern dass er manches darin geschrieben hätte, von dem er inzwischen das Gegenteil behauptet. Diese Anmerkung ist deshalb interessant, weil hier bereits deutlich wird, dass sich Spinoza von der Lehre des Cartesianismus trennte, der Leib und Seele als dualistisch ansieht. Dieser Dualismus erschien ihm, dem Wahrheitssucher, immer mehr nur als ein Kompromiß und eine inadäquate Vorstellung. Er war inzwischen zur Erkenntnis gekommen, dass Gott und Natur nicht zwei verschiedene Dinge sind, sondern eine Einheit bilden und dass ihre Grenzen zusammenfließen zu einer einzigen Substanz. Spinoza hatte ja bereits in seiner kurzen Abhandlung gezeigt, dass diese eine Substanz unendlich ist, dass es deshalb keine zwei Substanzen geben könne und dass zum unabdingbaren. Wesen dieser einen Substanz ihre Existenz gehört. Es ist diese eine Substanz, aus der er alles ableitet, so dass Spinoza schon am Ende seiner kurzen Abhandlung das revolutionäre Wort aussprechen konnte: Die Natur erkennt sich selbst und wird nicht durch irgend ein anderes Wesen erkannt.

1663 schrieb Spinoza ein Buch über Descartes. Es war übrigens das einzige, das zu seinen Lebzeiten unter seinem Namen herauskam. Es erschien 1664 bei Jan Rieuwertsz als Kommentar zu einer Descartes Gesamtausgabe.

Danach setzte Spinoza die Arbeit an seinem Hauptwerk intensiv fort. Wie auch schon zuvor schickte er alle fertiggestellten Kapitel durch Boten nach Amsterdam, wo sie im Freundeskreis studiert wurden. Die folgenden Jahre waren dann voller

Unruhen und Unheil. In Amsterdam wütete die Pest. Vermutlich ist auch Pieter Balling,

einer der Freunde aus dem Amsterdamer Spinozakreis dieser Seuche zum Opfer gefallen. Spinoza ist sich inzwischen auch bewusst geworden, dass er die Krankheit seiner Mutter geerbt hat. Durch seine Lungenerkrankung wurde noch einmal die Bindung an seine verlorene Mutter hergestellt, während zu seinem Vater und der übrigen Familie keine Bindungen oder Beziehungen mehr bestanden.

Aus der Voorburger Zeit stammt auch das bekannteste Portrait Spinozas. Auf diesem Portrait sind bereits die Spuren der Schwindsucht erkennbar.

In Voorburg wird Spinoza auch von Christian Huygens besucht.

Huygens hatte schon als junger Mann Archimedes korrigiert, das Fernrohr Galileos verbessert und den Ring des Saturn entdeckt. 1667 stirbt Simon Joosten de Vries, der zweite aus dem Amsterdamer Freundeskreis Spinozas. Er hatte Spinoza zum Universalerben einsetzen oder ihn jedenfalls dazu bewegen wollen, ein größeres Geldgeschenk anzunehmen. Spinoza hat aber beide Angebote abgewiesen , da er nicht daran dachte, Simon Joostens Bruder seiner Erbschaft zu berauben. Er hat sich lediglich bereit erklärt, eine Jahresrente von 300 Gulden anzunehmen, da dies die Bedingung war, unter der der Bruder das Vermögen erbte. Durch den zweiten Seekrieg 1665 zwischen Holland und England konnte Spinoza den Briefwechsel mit Oldenburg leider nicht fortsetzen. Er hat dies sehr bedauert. Aus den letzten Briefen, die Oldenburg aber noch von Spinoza erhalten hatte, geht hervor, dass Spinoza inzwischen mit einer neuen Schrift begonnen hatte, derentwegen er sogar die Arbeit an der Ethik unterbrochen hatte. Es war das Theologisch- Politische- Traktat. Spinoza teilte Oldenburg 3 Gründe für das neue Werk mit:

1.) die Vorurteile der Theologen. Diese hindern die Menschen am meisten, ihren

     Geist der Philosophie zuzuwenden, darum widme er sich der Aufgabe, diese

       Vorurteile aufzudecken.

2.) die Meinung, die das Volk von ihm hat, das ihn des Atheismus beschul9igt.

Er sehe sich gezwungen, sich gegen diese Meinung zu wehren.

3.) Die Freiheit zu philosophieren und zu sagen, was man denkt. Diese Freiheit möchte er auf jede Weise verteidigen, da sie durch das Ansehen und die Frechheit der Prediger auf alle mögliche Weise unterdrückt wird.

Ein weiterer von Spinoza nicht genannter Grund könnte in dem dringenden Bedürfnis des Kreises um den Amsterdamer Regenten Johann de Witt nach apologetischen Schriften gelegen haben. Das Traktat, mitten im Krieg als Verteidigung der bedrohten Gedankenfreiheit geplant, erscheint schließlich 1670 ohne Namen des Verfassers. Der Untertitel des Traktates lautete: Einige Abhandlungen, in denen gezeigt wird, dass die Freiheit zu philosophieren nicht nur ohne Schaden für die Frömmigkeit und den Frieden im Staate zugestanden werden kann, sondern dass sie nur zugleich mit dem Frieden im Staate und mit der Frömmigkeit selbst aufgehoben werden kann. Spinozas Traktat hatte die Bedeutung eines Staatsmanifestes der Handelsaristokratie. Er lehnte darin die Herrschaft des Volkes ab, aufgrund des unvernünftigen und aufrührerischen und zu Ausschreitungen neigenden Charakters der breiten Masse und er lehnte ebenso auch die Monarchie ab, da er in ihr nur das Machtinstrument eines Einzelnen sah, der um des Ruhmes willen nicht vor Gewalt zurückschreckt, sei es in Form militärischer Abenteuer oder sei es in Form von Unterdrückung der Untertanen. Das Traktat wurde deshalb von den Regenten als Bestätigung ihrer Regierungsgewalt angesehen, bei der es sich nach ihrer Meinung um eine Fortsetzung der mittelalterlichen Städtetradition, eben der holländischen Tradition, par excellence, handelte.

Schon bevor Spinoza diese Schrift verfasst hatte, war er jedoch in der Ethik bereits zu dem Schluss gekommen, es könne eine Menschlichkeit geben, die höher organisiert sei als die bisher übliche: ein Leben nach der Vernunft in Übereinstimmung mit der wohlverstandenen Ordnung der Natur, die ja in der Ordnung unseres Geistes ihre Widerspiegelung findet. Dabei hatte der Staat für ihn nicht die Aufgabe der bloßen Aufrechterhaltung des Status quo, sondern er sah es als Zweck des Staates an) zu

bewirken, dass die Menschen ihren Geist und ihre Kräfte in Freiheit entfalten können, dass sie frei ihre Vernunft gebrauchen und dass sie sich nicht mit Hass, Zorn und Hinterlist bekämpfen. Damit hatte Spinoza sein. Ideal der Menschlichkeit und Freiheit formuliert. Die Veröffentlichung seines Traktates rief ein großes Entsetzen hervor. Dieses Entsetzen galt aber nicht in erster Linie Spinozas Toleranzlehre, sondern vielmehr dem theologischen Teil seiner Ausführungen. Diese enthielten ja eine der schärfsten Bibelkritiken der damaligen Zeit. So schreibt er dort u.a., dass wir aus den angeblichen Wundem weder das Wesen noch die Existenz und folglich auch nicht eine Vorsehung Gottes erkennen können, dass vielmehr all das weit besser aus der festen und unwandelbaren Ordnung der Natur begriffen werden kann. Denn, so fügt Spinoza hinzu : Gottes Ratschluss, Geheiß und Wort sind nichts anderes als das Wirken und die Ordnung der Natur selbst. Durch diesen Naturalismus rüttelt Spinoza heftig an der Offenbarung des Pentateuch, nicht ohne sich dabei auch auf den freigeistigen jüdischen Denker Ibn Ezra zu berufen, der schon im 12. Jahrhundert erklärt hatte, die 5 Bücher Mose seien gar nicht von Moses verfasst worden. Und im weiteren schreibt Spinoza: Auch bei Achtung der heiligen Schriften kann man nicht mehr an Wunder und göttliche Inspiration der Propheten glauben. Sie waren lediglich Menschen mit starker Einbildungskraft, dadurch aber um so weniger logischem Denken zugänglich und sie sind deshalb mit ihrer Schriftanbetung als Autorität untauglich. Spinozas Traktat stellte seine letzte kritische Absage an den Glauben der Väter und an den Autoritätsglauben der Rabbiner, die 1656 den Bann über ihn gesprochen hatten, dar.

Das anonym erschienene Theologisch Politisches Traktat hatte vor allem wegen der Verneinung der Wunder Gottes die Orthodoxie in Harnisch gebracht. Das verhinderte aber nicht die Verbreitung des Buches, weder in Holland noch in Deutschland. Und wenngleich auch die Kirchenvorstände vieler Städte und verschiedene Synoden eine Flut von Schmähschriften verfassten und das sofortige Verbot dieses ungeheuerlichen Buches verlangten, so blieb Spinoza doch bei all diesen Angriffen kühl und vertraute auf seine Schirmherren, die die Beschwerdeschriften in ihren Schubläden verschwinden ließen. Dass der Verfasser des Traktates auch niemals gerichtlich verfolgt wurde, verdankte er zweifellos den ihm wohlgesonnenen Regenten. Sie hielten auch in den Tagen der Ungnade ihre schützende Hand über ihn. Trotz dieser Sympathien bat Spinoza dennoch seine Freunde, das Werk nicht in holländischer Übersetzung zu veröffentlichen. Dies war sicher auch eine Reaktion auf die Verfolgung und den Tod seines Freundes Adrian Koerbagh, einer der begeistertsten Schüler Spinozas. Erfüllt von der Ungeduld die neue Lehre zu verbreiten, hatte Koerbagh ein Buch in holländischer Sprache geschrieben, in das er viele spinozistische Begriffe und Vorstellungen einstreute und das in starkem Maße von seinem persönlichen Antiklerikalismus getragen war. Das Buch wurde kurz nach

dem Erscheinen verboten. Als er jedoch dann ein zweites Buch unter einem Pseudonym mit einem ähnlichen Inhalt herausbringen wollte, wurde er durch Verrat seines Druckers gefangen genommen, gefoltert und verhört, bis er auch die Urheberschaft dieses neuen Buches bekannte. Er wurde 1668 zu 10 Jahren Kerker, 10 Jahren Verbannung und einer Geldbuße von 4000 Gulden verurteilt. Bereits während des ersten Jahres seiner Kerkerhaft starb er.

Der Koerbagh - Prozeß war für den Spinozakreis eine deutliche Warnung. Bereits im folgenden Jahr zog dann Spinoza auf Anraten von Freunden von Voorburgnach Den Haag in das Haus des Malers Hendrik van der Spijck.

1672 war es zu einer erneuten Seeschlacht zwischen Holland und England und zum Krieg mit Frankreich gekommen. Ludwig XIV. wollte mit einem Heer von 120000 Mann das reiche protestantische, allzu freiheitsliebende Holland erobern. Er konnte jedoch nur den Osten von Holland besetzen. Der Norden und der Westen blieben frei. Die Schuld für diesen Krieg und die Besetzung wurde den bisherigen Regenten

und hier besonders Johann de Witt zugeschoben. Im August 1672 wurde er zusammen mit seinem Bruder von einer aufgestachelten Menge grausam ermordet.

1673 erhält Spinoza vom Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz einen Ruf auf den Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Heidelberg. Der Kurfürst ließ das Angebot durch den Professor Fabricius überbringen. Fabricius schrieb: "Seine Durchlaucht der Kurfürst von der Pfalz, mein gnädigster Herr, hat mir befohlen an Sie, der Sie mir zwar bisher nicht bekannt, aber bei seiner Durchlaucht vorzüglich empfohlen sind, zu schreiben und anzufragen, ob sie an seiner berühmten Universität eine ordentliche Professur der Philosophie anzunehmen geneigt wären. Sie werden die Jahresbesoldung der ordentlichen Professoren erhalten. Sie werden auch die vollste Freiheit zu philosophieren haben und diese Freiheit nach dem Vertrauen des Fürsten nicht missbrauchen zur Störung der öffentlich geltenden Religion. Ich füge nur noch hinzu: wenn Sie hierher kommen, so werden Sie sich eines echt philosophischen Lebens erfreuen; es müsste denn alles anders ausfallen als wir hoffen und erwarten."

In der Tat kam die Sache anders, denn Spinoza lehnte den Ruf mit höflichen Worten

ab und wies in seiner Antwort darauf hin,.. dass er, wenn er die Jugend unterwiese, keine Zeit mehr zur Weiterentwicklung seiner eigenen Philosophie hätte. Außerdem sah er auch Schwierigkeiten, die sich aus seiner kritischen Stellung zur Religion ergaben. Es war aber, wie sich schon bald zeigte, eine richtige Entscheidung gewesen, den Ruf abzulehnen. Bereits 1676 marschierten die französischen Truppen in der Pfalz ein. Die Heidelberger Universität wurde geschlossen und Fabricius musste flüchten. Im gleichen Jahr, in dem er den Ruf an die Heidelberger Universität erhielt, machte ihm auch der französische König ein Angebot. Wenn er Ludwig XIV. ein Buch widmen würde, erhielte er ein französisches Jahrgeld. Spinoza hat aber auch dieses Angebot abgelehnt.

Seit dem Tode der Brüder de Witt war die Zensur in Holland schärfer geworden. So wird im Juli 1674, nicht zuletzt auf Betreiben des neuen Machthabers dem Oranierprinzen Wilhelm 111., sein Traktat zusammen mit anderen sogenannten gotteslästerlichen und seelenverderbenden Büchern verboten und kurz darauf befahl auch der Haager Kirchenrat allen Gläubigen den unterminierenden Tätigkeiten Spinozas nachzugehen und dem Kirchenrat zu melden, falls sich irgend eine neue Schrift von Spinoza unter der Presse befinde, da seine höchst gottlosen Meinungen inzwischen überall einzudringen beginnen.

Auch sein ehemaliger Lehrer Dr. Franciscus van den Enden hatte seine Lateinschule geschlossen und war nach Paris gezogen. Hier ließ er sich jedoch auf seine alten Tage noch in eine Verschwörung des Ritters de Rohan gegen den französischen König hineinziehen. Er wurde verraten und zusammen mit anderen gehängt. Spinoza führte in seinen letzten Jahren in Den Haag keineswegs, wie manchmal behauptet wurde, ein einsiedlerisches Leben. Er erhielt zahlreiche Besuche von Dichtern, Philosophen, Adeligen und alten Freunden. Wahrscheinlich befand sich unter diesen Besuchern auch der Arzt Maximilian Lucas, der erste Biograph Spinozas. Seine Spinoza - Biographie hat er zwar erst 1719 veröffentlicht, aber wahrscheinlich schon viel früher geschrieben. Die Biographie ist manchmal phantastisch, enthält zahlreiche Lücken und verherrlicht Spinoza so sehr, dass die ersten Auflagen sofort beschlagnahmt wurden. Der Name dieses Biographen taucht in dem erhaltenen Briefwechsel Spinozas nicht weiter auf, dafür aber um so häufiger die Namen zweier deutscher Zeitgenossen, Leipniz und Graf von Tschirnhaus. Tschimhaus war auch Mitherausgeber der Schriften Spinozas. Leibniz hatte Spinoza 1676 ein Jahr vor dessen Tod

noch besucht und dies in einer kurzen Notiz festgehalten. Darin teilt er mit, dass Spinoza am Tage der Ermordung der Brüder de Witt beabsichtigt hatte, nachts aus dem Hause zu gehen, um in der Nähe der MordsteIle ein Papier anzunageln, auf das

er in lateinischer Schrift "Schlimmste der Barbaren" geschrieben hatte. Sein Hausherr hat ihn aber am Ausgehen gehindert, denn Spinoza hätte sich dem Tod ausgesetzt. Leipniz hatte bereits 1670 das anonyme Theologisch - Politische­ Traktat in die Hände bekommen und sah darin ein für den christlichen Menschen (zu denen er sich auch selbst zählte ) entsetzliches Werk voller ungeheuerlicher Meinungen. 1671 erfuhr Leipniz , wer der Autor dieses Traktates sei. Dies hielt ihn aber nicht davon ab, mit Spinoza in einen Briefwechsel zu treten und ihn, wie bereits erwähnt, 1676 auch zu besuchen.

Vermutlich hat Leipniz nach dem Tode Spinozas seine an ihn geschriebenen Briefe zurückerhalten und wahrscheinlich vernichtet.

Von dem Besuch von Leipniz bei Spinoza ist bekannt, dass dabei hauptsächlich über

Gottes-begriffe und Gottesbeweise diskutiert wurde. Spinoza legte ihm dar, dass Gott

und die Natur, Materie und Geist, Denken und Sein wenn schon nicht zusammenfallen, so doch 2 Seiten der einen unteilbaren, unendlichen Substanz sind und auch alle sterblichen Kreaturen nur Spielarten dieser einen Substanz darstellen. Spinoza hatte offenbar mit seiner Philosophie den Glauben von Leipniz doch so sehr erschüttert, dass dieser lange Zeit, wie Tschimhaus bestätigt, von den gebräuchlichen Vorurteilen der Theologie frei war.

Leipniz und Tschimhaus haben jedoch später ihren Kontakt mit Spinoza verleugnet. Leipniz behauptete nach dem Tode Spinozas, ihn nur einmal am Tisch eines Regenten gesehen zu haben und auch in Briefen an Freunde hat er Spinoza später regelmäßig verleugnet.

Im Frühjahr 1675 hat Spinoza sein Hauptwerk die "Ethik" vollendet und das fertige Manuskript nach Amsterdam gebracht.

Als jedoch kurz darauf bekannt wurde, dass er ein Buch herausbringen wolle)n dem er nachweist, dass es einen Gott, wie ihn sich Christen oder Juden vorstellten, nicht gäbe, versuchten Theologen ihn zu verklagen. Spinoza entschloss sich daraufhin, die Veröffentlichung der vorbereiteten Ausgabe einstweilen zu verschieben, bis er sehen würde, wie die Sache ausginge.

1676 beschäftigte sich Spinoza nach Gesprächen mit seinen Freunden noch einmal mit der Philosophie der Staatskunst. Er begann mit dem Politischen Traktat. Der Titel weist bereits darauf hin, dass Spinoza hier von theologischen Betrachtungen Abstand nahm, offensichtlich, um sich nicht selbst weiter den Geiern zum Fraß vorzuwerfen. Das Traktat blieb jedoch unvollendet.

Der Winter 1676 I 77 war streng und Spinozas Krankheit verschlimmerte sich zusehends. Besucher kamen nur noch selten. Jarig Jelles und Hermann Schuller, vielleicht auch der Arzt

Lodewiik Meyer scheinen die letzten gewesen zu sein, die ihn aus Amsterdam aufsuchten. Spinoza wußte genauso wie seine Umgebung, dass seine Krankheit das letzte Stadium erreicht hatte. Mit Schuller ordnete er noch seine Manuskripte und Briefe, die er in sein Schreibpult einschloss.

Spinoza erlag schließlich seinem Leiden am 21.2.1677 an einem Sonntagnachmittag, als die Familie van der Spijck gerade in der Kirche war. So gab es vermutlich nur einen Zeugen, wahrscheinlich Lodewijk Meyer, um dessen ärztlichen Beistand Spinoza gebeten hatte und der ihm auch die Augen schloss.

Jan Rieuwertsz hatte sich bei der Nachricht von Spinozas Tod verpflichtet, alle Unkosten der Inventarisierung und des Begräbnisses zu übemehmen. Das Pult mit den wertvollen Dokumenten wurde von van der Spijck sofort zu Jan Rieuwertsz nach Amsterdam versandt, bevor die jüdischen Blutsverwandten sie in die Hände bekommen konnten, denn das war das letzte, was die Männer des Spinozakreises wünschten. Spinoza wurde am 25.2.1677 in der gerade neu erbauten Kirche am Spui in Den Haag begraben. Dies war wahrscheinlich eine Gunst einer Gruppe ehemaliger de Witt - Anhänger, die zu dieser Zeit einen Sitz in der Kirchenverwaltung hatten. Männer aus dieser Gruppe und zahlreiche Freunde folgten dem Sarg in 6 Karossen. Eine respektable letzte Ehrenbezeugung, die hier

Spinoza erwiesen wurde. Die Amsterdamer Freunde fassten schnell den Entschluss, seine Briefe und Manuskripte zu veröffentlichen. Sie arbeiteten sehr zügig. Noch im

Jahre 1677 erschienen seine Werke als Opera Posthuma und Anfang 1678 erschien eine holländische Ausgabe. Auf bei den Titelblättern standen die Initialen B.D.S. eine

halb verschleierte Andeutung desjenigen, der schon zu Lebzeiten gelernt hatte, sich selbst und seine Ideen in Schweigen zu hüllen. Der Mann, der die Autorität der Bibel niedergerissen und heidnische Vorstellungen von der Natur verbreitet hatte, erhielt indes auch nach seinem Tode keinen freien Zugang in die Öffentlichkeit. Theologen und Obrigkeiten reagierten schnell. Bereits am 25.06.1678 erfolgte das offizielle Staatsverbot dieses Werkes, das als atheistisch und gotteslästerlich abgeurteilt wurde. Damit war der Spinozismus bereits bei der ersten Erhebung seiner Stimme mundtot gemacht.

Das Hauptwerk Spinozas ist die Ethik. Er beschäftigt sich in diesen Werk mit Fragen nach der Natur Gottes, der Welt und des Menschen. Die Ethik fängt an mit dem Beweis der Existenz Gottes als einzige, ewige, unbegrenzte und notwendige Substanz, deren Existieren auch nicht weggedacht werden kann, da dies sonst den Denker und den Gedanken selbst zu einer Unmöglichkeit machen würde. Spinozas Substanz ist unendlich und deshalb alles. Sie ist einzig und damit ist eine zweite von ihr verschiedene Substanz unmöglich. Diese Überlegungen entziehen jeder Gottesvorstellung, die auf der Vision eines höheren Wesens mit idealisierten

menschlichen Eigenschaften beruht, den Boden. Wenn ein Dreieck reden könnte, schreibt Spinoza, dann würde es sagen: Gott sei dreieckig und wenn ein Kreis reden könnte, würde er sagen: die göttliche Natur sei kreisförmig und auf diese Weise würde jeder Gott seine Attribute zuschreiben und ihn sich ähnlich machen. Wenn es aber nun diesen Gott nicht mehr gibt, dann können auch unerklärliche Vorgänge nicht mehr wie bisher mit dem unergründlichen Willen Gottes erklärt werden. Der Gedanke , dass ein Gott sich bemüht, alle Dinge und Erscheinungen zu unserem Nutzen einzurichten, ist für Spinoza abwegig. Die ganze Natur, der ganze Kosmos ist für ihn ein Individuum, dessen Teile sich zwar unablässig ändern, ohne dass sich jedoch das Ganze selbst ändert. Unendlich ist die Ver­schiedenheit der Formen und Wirkungen der Körper und Individuen, un­endlich sind nach Spinoza auch die Attribute Gottes. Wir als endli­che Wesen können aber nur zwei dieser Attribute erfassen, das Denken oder den Intellekt und die Ausdehnung oder Stofflichkeit alles des­sen, was ist. Spinoza hat dies so formuliert: Das Denken ist ein Attribut Gottes oder Gott ist ein denkendes Ding. Die Ausdehnung ist ein Attribut Gottes oder Gott ist ein ausgedehntes Ding. Wir kennen nur diese zwei Attribute der einen Substanz, weil es die einzigen sind, die unsere eigene Existenz als Körper und Seele bestimmen.

Spinoza geht in der Ethik nach einer streng mathematischen Weise vor. So wie man bei einem Dreieck seine Natur und seine Eigenschaften un­tersucht und die Eigenschaften notwendig aus seiner Natur ableitet,

so untersucht Spinoza auch die Natur und die Eigenschaften Gottes und leitet seine Eigenschaften ebenso notwendig aus seiner Natur ab, z.B. dass er das unbedingt unendliche Wesen ist, dass er notwendig ist, dass er ewig ist, dass ohne ihn nichts begriffen werden kann. Seine Haupt­eigenschaft sieht Spinoza darin, produktiv zu sein: Dinge zu produ­zieren, die selbst wieder einem ständigen Wandel unterliegen. Er be­schreibt damit ein Universum, in dem alles was ist, sich ständig wan­delt. Gott ist für ihn das in allem präsente Prinzip des Wandels, die Kraft die alles bewegt und verändert lind damit nichts anderes als die wahrgenommene Natur. Gott und Natur sind für ihn eins.

Mit dieser Vorstellung hat Spinoza die traditionelle Konzeption von Gott abgeschafft. Eine Konzeption, die für ihn lediglich auf einem Vorur­teil beruht, einem Vorurteil, das in dem Glauben besteht, dass Gott dem Menschen ähnlich sei. Man stellt sich Gott als ein Wesen mit mensch­lichen Eigenschaften vor bzw mit Eigenschaften, von denen man glaubt, dass sie in der menschlichen Natur liegen. Er ist zwar weitaus größer und mächtiger aber grundsätzlich gleicht er dem Menschen. Gott werden dabei nicht nur menschliche Eigenschaften, Stimmungen, Wünsche und Rachegefühle beigelegt, sondern der Gläubige erhofft sich auch, dass

Gott durch seine persönliche Hinwendung an ihn die Dinge auch zu seinem Nutzen und Vorteil lenkt. Dieses Vorurteil hat in den Seelen der Gläu­bigen tiefe Wurzeln geschlagen. Die Religionskritik Spinoza's wird später von Ludwig Feuerbach wieder aufgegriffen und weitergeführt.

Auch für Feuerbach ist der Glaube an Gott eine Wunschvorstellung des Menschen, der seine Eigenschaften und Hoffnungen auf ein höheres Wesen projiziert. Der Unterschied zwischen Spinoza und Feuerbach liegt lediglich darin, dass für Feuerbach dieses auf das höhere Wesen übertragene Bild des Menschen sein wahres Wesen widerspiegelt, während für Spinoza dieses übertragene Bild nur das ist, was der Mensch von sich selbst glaubt und das ist etwas anderes.

Es ist verständlich, wenn Priester und Theologen damals wie heute aus persönlichen oder gesellschaftlichen Gründen ein Interesse an der Erhaltung dieses Vorurteils haben, denn sie wissen, dass mit dem Aufhören der Unwissenheit auch der Glaube an Wunder aufhört und das heißt, der Glaube an das einzige Mittel das sie haben, um ihre Scheinbeweise zu führen und ihr Ansehen zu erhalten.

Im zweiten Teil der Ethik wendet sich Spinoza dann dem Menschenbild zu mit seinen bekannten 3 Arten der Erkenntnis: Der erste Eindruck von einer Sache verschafft dem Menschen nur eine oberflächliche Vorstellung aber keine tiefere Erkenntnis.

Dieses oberflächliche Erfassen stellt die erste Art der Erkenntnis dar. Die zweite Art der Erkenntnis} bei der der Mensch ein tieferes Verständnis erhält, erfolgt dann durch seinen Verstand. Diese zweite Art der Erkenntnis ist die Voraussetzung für die dritte und höchste Erkenntnisstufe , das anschauende" Wissen. Diese dritte Art, die wir auch Intuition nennen können, erhebt sich über das Erkenntnisvermögen der zwei vorhergehenden Stufen. Diese Intuition dringt in das Wesen der Dinge ein. In diesem Erkennen und Erfassen liegt des Menschen höchste verstandesmäßige Fähigkeit.

Der dritte Teil der Ethik widmet sich der Herkunft und Art der Leidenschaften und Empfindungen des Menschen. Es ist ein glänzendes Gegenstück zu Descartes Traktat über die menschlichen Leidenschaften. Im Gegensatz zu Descartes, der die Überwindung der Leidenschaften und Affekte in der Willensfreiheit des Individuums sah, ist bei Spinoza dieEinsichtin den natürlichen und notwendigen Zusammenhang der Dinge die Triebkraft, durch die man sich vom Joch der Leidenschaften befreien kann. Ich betrachte, sagt Spinoza, die menschlichen Handlungen und Triebe

genauso, als wenn es sich um eine Untersuchung von Linien, Flächen und Körpern handeln würde. Jede Leidenschaft ist für ihn nur die Folge einer unvollständigen Erkenntnis. Jede neue Erkenntnis bedeutet ein tieferes Erfassen der Wirklichkeit und stellt zugleich ein Wachsen der Vollkommenheit dar.

Der vierte Teil der Ethik handelt von der menschlichen Knechtschaft und wie man sich davon befreien kann. Wenn wir die destruktive Wirkung der negativen Eigenschaften wie Haß, Mißgunst, Habgier, Hohn u.a. durchschauen und abschütteln, nimmt unsere physische und psychische Gesundheit zu. Zorn und Angst, auch die Angst vor dem Tode, spielen dann keine wirklich wichtige Rolle mehr. Der freie Mensch denkt an nichts weniger als an den Tod. Seine Weisheit ist vielmehr ein Nachsinnen über das Leben.

Im letzten Teil der Ethik beschäftigt sich Spinoza noch mit der Frage, wie der Mensch ein lebendiges Band zwischen seiner Endlichkeit und der Unendlichkeit oder anders ausgedrückt, zwischen sich und Gott knüpfen kann. Die Möglichkeit dazu liegt für Spinoza in der Kraft seines Verstandes, mit dem allein der Mensch die wahren Zusammenhänge erforschen und verstehen und so zu wahrer Glückseligkeit kommen kann.

Die Ethik begann mit dem Gottesbeweis und endet mit Spinozas Gottesverherrlichung. Zweifellos haben dabei in der Terminologie der Ethik allerlei jüdische und neuapostolische Reminiszenzen mitgewirkt, so z.B. aus den Dialogen der Liebe von Leone Ebreo. Der Gott Spinozas aus dem fünften Teil der Ethik ist jedoch kein anderer als der aus dem ersten Teil - die eine unendliche Substanz, in der Wesen, Intellekt und Notwendigkeit zusammenfallen und die auch über alle menschlichen Eigenschaften erhaben ist. Die Grundstimmung der Lehre Spinozas kann durchaus als religiös bezeichnet werden. Denn wie die klassischen Religionen, so sucht auch er die Hingebung an das Ewige. Das Unendliche war sein Anfang und sein Ende, das Universum seine einzige und ewige Liebe.

Die Welt der Ethik unterscheidet sich nicht nur von der Welt der christlich - jüdischen Schöpfungslehre sondern auch von den Vorstellungen des Neuplatonismus. Ein wesentliche.. Gegensatz zu der biblischen Schöpfungslehre besteht darin, dass alles, was bisher geschah oder noch geschehen wird, nicht aufgrund eines freien göttlichen Entschlusses, sondern nach dem Gesetz der Notwendigkeit geschieht. Dieses Gesetz stellte für ihn das oberste Gesetz dar. Damit konnte' aber auch die Entstehung des Universums nicht mehr länger als eine freie Willensentscheidung Gottes angesehen werden, sondern der Kosmos entwickelte sich so wie er ist, weil es nach dem Gesetz der Notwendigkeit so sein musste.

Der angebliche freie Wille Gottes sowie auch andere ihm beigelegte Merkmale stellen für Spinoza lediglich menschliche Eigenschaften dar, die auf Gott übertragen wurden. In dieser Sichtweise unterscheidet sich Spinoza in der Tat von allen entscheidenden Denkern sowohl der früheren als auch der späteren Zeit.

 

Eine weitere Unterscheidung zu der darin, dass das, was Gott notwendig mit ihm identisch ist.

Vom Neuplatonismus unterscheidet sich seine Lehre dadurch, dass es in der Emanationslehre von Platin eine Entwicklung gibt, bei der letztendlich alles zum Ursprung zurückkehrt, um dann wieder mit einem neu­en Emanationszyklus zu beginnen, während bei Spinoza die endlichen Dinge nicht irgendwann in der göttlichen Unendlichkeit aufgehen, son­dern nur einem unendlichen Wandlungsprozess unterliegen. Die Metaphy­sik Spinozas ist deshalb keine Vision vom Untergang der Dinge in Gott, sondern vielmehr eine Vision von der Präsenz Gottes in den Dingen, was jedoch etwas anderes ist.

christlichen Schöpfungslehre liegt produziert, in gewisser Hinsicht

Für die Beschreibung des Universums benutzte Spinoza Begriffe, die von Descartes stammen, wie z.B. Substanz, Modus, Attribut. Diese Begriffe erhalten aber bei ihm eine andere Bedeutung. Für Spinoza steckt in allen endlichen Dingen eine Kraft und diese Kraft ist Gott. In der Ethik heißt es dazu: "Deshalb verstehen wir unter Leben die Kraft, wo­durch die Dinge in ihrem Sein verharren und weil diese Kraft von den Dingen selber verschieden ist, so sagen wir, dass die Dinge selber Le­ben haben. Die Kraft aber, wodurch Gott in seinem Sein verharrt, ist nicht außer seiner Wesenheit, weshalb man sich ganz richtig ausdrückt, wenn man Gott das Leben nennt".

Die Ethik blieb bis zum Tode Spinozas hinter Schloss und Riegel und sollte für viele auch noch Jahre danach ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Dieses Werk hat aber nicht nur d9n theologischen Dogmatismus weit hinter sich gelassen, sondern es stellt auch einen radi­kalen Neubeginn dar. Die Ethik schließt mit dem festen Glauben an die Vernunft als letzte und höchste Kraft, dem Glauben, dass sich der Mensch aus eigener Kraft erlösen kann.

In seinem Theologisch - Politischen - Traktat analysiert er kritisch die Bibel und beschäftigt sich dann mit grundsätzlichen Überlegungen zur Religion.

Religion ist für ihn die Umsetzung der Gottesidee in Handlungen auf der Basis von Gerechtigkeit und Nächstenliebe. Die Gerechtigkeit und die Nächstenliebe sind zugleich für ihn auch die Voraussetzung um zu größerer innerer Vollkommenheit zu gelangen.


Im Aberglauben sieht Spinoza die Verabsolutierung des Geltungsanspru­ches religiöser Aussagen. Der Aberglaube lässt die Gerechtigkeit und Nächstenliebe nicht in ihrer zentralen Position, sondern verdrängt sie daraus wegen der angeblichen Wichtigkeit von spekulativen Positi­onen. Aberglaube ist immer mit Vorurteilen verbunden. Diese kann er gegenüber anderen vorgefassten Meinungen nur mit irrationalen Mitteln oder Gewalt durchsetzen.

Die Praxis des Aberglaubens ist der Hass gegenüber allen anderen religiösen Ansichten. Weil der Aberglaube auf äußere Machtmittel an­gewiesen ist, um sich Geltung zu verschaffen, ist er ein im Raum des Politischen instrumentalisierbares Phänomen, während Religion ohne Aberglaube ein zur Harmonie in der staatlichen Ordnung beitragender Faktor ist.

Für Spinoza ist der abergläubige Mensch unfähig, Liebe zu Gott oder den Menschen zu empfinden oder an einen Gott der Liebe zu glauben.

  In dem Theologisch - Politischen - Traktat äußert er sich auch zu den sogenannten Wundern. Sie sind für ihn widersprüchlich, da sie Naturgesetze verletzen. Dennoch will er sie aber nicht generell aus dem emotionalen Fundus der Religionen ausschließen. Trotz seines ra­dikalen Denkens bleibt Spinoza auf der Basis seiner spinozanischen Interpretation der Bibel ein Gläubiger unter Gläubigen. Als solcher macht er anderen Gläubigen ihre privaten Ansichten nicht streitig,

weder ihren Glauben an fromme Erzählungen noch den an Wunder. Wenn jedoch jemand mit dem Anspruch auftritt, die Wahrheit aus der Schrift zu kennen, bekämpft ihn Spinoza mit allen Mitteln der ratio, wobei er aber in der gegnerischen Position nicht das religiöse Phänomen selbst sondern Profanansichten bekämpft, die sich lediglich der Bibel be­dienen, um ein besonderes Gewicht zu erhalten.

Für Spinoza gehört es zur Tugend eines Philosophen, und als solcher sah er auch sich selbst, die Erkenntnis über die ewige Naturordnung und damit über Gottes Dasein und Wesen zu verbreiten und zugleich die Mitmenschen dahin zu führen, aus der Vernunft heraus zu leben.

Welche Bedeutung haben nun Spinozas Vorstellungen für uns heute?

Die gesamte Materie im Kosmos besteht aus Molekülen und Atomen. Die Atome wiederum bestehen aus einem Atomkern mit Protonen, Neutronen und einer Elektronenschale. Wie wir jedoch heute wissen, stellen die­se Protonen und Neutronen nicht etwa die kleinsten unteilbaren festen Teilchen dar, sondern sie sind wiederum aus noch viel kleineren Teil­chen, den sogenannten Quarks zusammengesetzt. Diese kleinsten Teil­chen sehen heute manche Physiker nur noch als punktuell komprimierte, um sich selbst kreisende Energieladung an. Wenn diese Annahme richtig sein sollte, dann besteht tatsächlich die gesamte Materie des Univer­sums nur aus Energie.

Die Materie wäre in dieser Sichtweise dann nur noch eine besondere Modifikation der Energie, neben der es auch noch die anderen unbe­kannten Erscheinungsformen der Energie wie z.B. elektromagnetische Strahlung, die starken und schwachen Kernkräfte, die Gravitations­energie und die Neutrinostrahlung gibt. Und natürlich ist auch unser Denken, Sehen und Fühlen nichts anderes, als ein energetischer Pro­zess. Diese Auffassung, dass alles nur verschiedene Erscheinungsformen der Energie darstellt, (sie wurde übrigens auch schon von Einstein vertreten) wird nicht nur durch die Umwandlung von Materie in Energie, die man z.B. beim Aufeinanderprallen und Zerstrahlen von sehr hoch­energetischen Teilchen beobachten kann, sondern auch durch die erst 1~97 gelungene Überführung von Energie in Materie bestätigt.

Bei dieser Umwandlung entstanden aus Lichtenergie Elektronen und Positronen.

Wenn nun aber Materie vollständig in Energie umgewandelt und anderer­seits auch aus Energie Materie gewonnen werden Kann, dann kann in der Tat Materie nicht etwas grundsätzlich anderes sein als Energie.

Damit hätte Spinoza mit seiner Vorstellung von der einzigen unend­lichen Substanz nicht nur Recht, sondern auch eine ungeahnte aktuelle Bedeutung gewonnen.


Download PDF

Download Word