Voltaire hieß eigentl. François-Marie Arouet; er wurde am 21.11.1694 in
Paris als Sohn eines Notars geboren. Von 1704 bis 1711 erhielt er eine
hervorragende Ausbildung im Jesuitenkolleg Louis-le-Grand. Mit 16 Jahren verließ
er die Schule und schloss Freundschaft mit einigen Aristokraten. Schon damals
übte er sein dichterisches Talent. 1717 wurde er wegen einer Satire auf Ludwig
XIV. in der Bastille inhaftiert. Während der elf Monate Haft schrieb er sein
erstes Stück "Ödipe". Im selben Jahr nahm er den Künstlernamen
Voltaire an. Zunächst, bis 1718, stand er wieder in der Gunst des Hofes, kam
jedoch wegen Verletzung eines Adeligen 1726 erneut in die Bastille,
anschließend weilte er bis 1729 in England im Exil. Wegen seiner "Lettres
philosophiques ou lettres anglaises" aus dem Jahre 1734, die die engl.
Literatur, Philosophie u. Staatsverfassung behandelten, nebenbei aber die
französ. Zustände scharf kritisierten, musste Voltaire in die Champagne
fliehen; er lebte dort in Cirey auf dem Schloss der Marquise du Châtelet (mit
Unterbrechungen) bis 1749. Voltaire hatte Kontakt mit vielen Größen Europas. Am
15.12.1745 machte er Bekanntschaft mit Jean-Jacques Rousseau. Doch diese
Freundschaft hielt nicht an. Später - 1760 - kam es zum Bruch mit Rousseau.
1750-1753 war Voltaire Gast Friedrichs des Großen in Berlin, wurde aber in
Ungnade entlassen. Seit 1754 war er Mitarbeiter an der
"Encyclopédie". Nach Aufenthalten im Elsass und in der Schweiz lebte
er seit 1760 auf seinem Schloss Ferney bei Genf (auf französ. Boden). Ferney
wurde bald die intellektuelle Hauptstadt Europas. Während der Exiljahre
produzierte Voltaire eine Menge Bücher, Schauspiele, Briefe und Pamphlete. Als
Held kehrte Voltaire im Alter von 83 Jahren nach Paris zurück. Doch die
Anstrengungen der Reise überforderten seine Kräfte. Nach Ehrungen durch die
Academie Francaise verstarb Voltaire am 30. Mai 1778 in Paris. Wegen seiner
Kritik an der Kirche wurde dem toten Voltaire die Bestattung in einem Kirchhof
verweigert. Schließlich wurde er in einer Abtei in der Champagne bestattet.
1791 wurde er in den Panthéon in Paris umgebettet. Doch auch jetzt war Voltaire
keine Totenruhe vergönnt. Im Jahre 1814 wurden seine Überreste von einer Gruppe
von Ultraorthodoxen gestohlen und auf den Müll geworfen. Erst 50 Jahre später
wurde die Leichenschändung entdeckt. Sein Herz jedoch war von der Leiche
getrennt aufbewahrt worden und liegt jetzt in der Bibliotheque Nationale in
Paris. Sein Gehirn war vorher bei einer Auktion verloren gegangen.
Voltaire ist der bedeutendste
Vertreter u. der Führer der europ. Aufklärung. Seine Werke umfassen das gesamte
Ideengut der Epoche. Voltaire verteidigte Toleranz, Menschenrechte u. -würde u.
Vernunft. Er wandte sich gegen die Rousseausche Verherrlichung des
Naturzustands. Hinter der Gesetzmäßigkeit der Natur erkannte er Gott als einen
vernünftigen Urheber; Voltaire betonte besonders die praktische Bedeutung des
Gottesglaubens.
Religion:
Voltaire war ein gottgläubiger Mensch,
er nannte sich selbst ‘Theist’. Jedoch führte er in den Jahren 1761-1765 einen
äußerst erbitterten Kampf gegen die
Kirchen aller Konfessionen. ”Ecrasez l’Infâme!” – Zerschlagt die Infamie! Dies
wurde sein Schlachtruf. Das Philosophenlexikon sagt (hingegen): ”Als Freidenker
und Deist kritisierte er jegliche institutionelle Religion.”
Seine philosophischen Hauptwerke
sind
"Traité de métaphysique"
1734;
"Le Mondain" 1736;
"Sur l'homme" 1738;
"Éléments de la philosophie de
Newton" 1738;
"Dieu et les hommes" 1769;
dazu die Artikel aus der "Encyclopédie", zusammengefaßt
im "Dictionnaire philosophique" 1764, bearbeitet in "Questions
sur l'Encyclopédie" 1770-1772.
Als Historiker wirkte Voltaire durch
krit. Quellenstudium bahnbrechend. Er betrachtete die Geschichte
unter dem Aspekt der kulturellen
Entwicklung. Sein histor. Hauptwerk ist der
"Essai sur l'histoire générale et
sur les moeurs et l'esprit des nations" 1756;
daneben:
"Histoire de Charles XII."
1731, dt. 1733; "Le Siècle Louis XIV." 1751, dt. 1887, u. a.
Lettres à M. de Voltaire sur La Nouvelle Héloïse de Jean-Jacques
Rousseau Citoyen de Genève
Voltaire, großer
Literat und Denker, der erklärte Fürst der Aufklärung, ein Mann der
Helligkeit und Klarheit in Form und Inhalt, hat trotz dieser herausragenden
Attribute ein oft verworrenes und auch gespaltenes Leben geführt. Dies begann
bereits mit seiner nicht vollends geklärten Geburt 1694 in Paris und endete
erst 1814, nämlich ganze 36 Jahre nach seinem leiblichen Ende, als
royalistische Gegner der Französischen Revolution seinen und Rousseaus Leichnam
aus dem Pantheon raubten und nahe der Seine verscharrten. Ein Treppenwitz der
Weltgeschichte! Die beiden Antipoden des französischen Geistesleben des 18.
Jahrhunderts wurden im Tode von ihren Gegnern in einem Jutesack zwangsvereint,
obwohl sie sich im Leben so wenig verstanden hatten. Wir werden auf das Verhältnis
zwischen Voltaire und Rousseau an anderer Stelle zurückkommen.
Über Voltaires Geburt sind sich die Gelehrten bis heute nicht recht einig. Er selbst führte die Leute später gerne hinters Licht, indem er frech behauptete, er sei ein unehelicher Sohn eines Liedermachers namens Rochebrune, oder auch der des aristokratischen Abbé Chateauneuf. Es ist anzunehmen, dass diese Behauptungen einerseits auf der Geringschätzung für seinen Vater, einen angesehenen Notar und Steuereintreiber im königlichen Finanzministerium beruhten; anderseits mochte der Gedanke den Satiriker Voltaire aufs Höchste ergötzen, der spätere Kritiker der Kirche könnte der Sohn eines stadtbekannten Abbés sein.
Die Verwirrung bei der Geburt wurde dadurch kompliziert, weil die Amme ihn nicht für lebensfähig hielt und ihn unverzüglich taufte; - im Wochenbett, ganz privat, sozusagen. Später sollte es seinen Vater angeblich einige Mühe gekostet haben, die reguläre Taufe nachzuholen. Doch existiert der Taufschein nur in einer äußerst dubiosen Abschrift, die Voltaire selbst im Alter noch als hinterhältige gedruckte Lüge bezeichnete. Fest steht, dass es einen einwandfreien urkundlichen Nachweis weder seiner Geburt, noch seiner Taufe gibt. Wir sehen also, schon im zarten Säuglingsalter hatte Voltaire erhebliche Schwierigkeiten mit dem Himmel, mit dem er sich dann zeitlebens herumstreiten sollte, und mit der Erde, deren Repräsentanten in der Folge der Kirche allzu gefügig das Terrain des Geistes überließen.
So verzankt er sich zunehmend mit der Welt. Die Reaktionen seiner Gegner lassen nicht lange auf sich warten. Seine spitze Feder wird ihm immer und fast überall zum Verhängnis. Paris wird ihm als Aufenthaltsort mehrmals verboten. Man verleumdet und ächtet ihn, man verbannt ihn aus Frankreich, man verbietet und verbrennt seine Schriften. Man nennt seine Werke tollkühn, areligiös und skandalös; man warnt vor ihm öffentlich wie vor einer ansteckenden Seuche und verweigert ihm nach dem Tod eine angemessene Ruhestätte in seiner Heimatstadt. Ein damals berühmter Professor der Theologie hadert öffentlich mit der Vorsehung, dass sie es zugelassen habe, dass ein solcher Unmensch das Licht der Welt erblicken durfte.
Man wirft ihn gelegentlich in die Bastille, das berüchtigte Staatsgefängnis in Paris, in das er sich zwar Bücher kommen lassen durfte, in der aber seinem Wunsch nach Feder, Tinte und Papier nur zögerlich und unter der Hand entsprochen wurde. Die oberste Verwaltung der Bastille hatte offensichtlich Angst davor, dass der schon sehr früh als renitent eingestufte Häftling Pamphlete gegen Regentschaft, Regime und vor allem gegen die Geistlichkeit über illegale Kanäle von der Bastille aus in die Pariser Öffentlichkeit lenkte.
Dafür genoß er freilich das Vorrecht an der Tafel des Gefängnisdirektors im Kreise einiger anderer politisch Inhaftierter zu speisen, um dem Diner die rechte geistige Würze zu geben.
Viele seiner Werke können nur anonym erscheinen. Wenn die Obrigkeit erfuhr, wer sie verfasst hat, sieht sich Voltaire gezwungen, die Autorschaft strikt abzuleugnen. Dies tut er dann auch ganz ohne Gewissensbisse. Zur Tarnung seiner Absichten unternimmt er fintenreich die kühnsten Verwischungen seiner geistigen Spuren, in dem er zum Beispiel seinen katholischen Glauben demonstrierend, öffentlich die heiligen Sakramente empfängt. Ohne Skrupel bekennt er später im Kreise Gleichgesinnter: „Man muß lügen wie der Teufel“.
Oder auch: „Ich will ja gerne Bekenner sein; ein Märtyrer werden will ich unter keinen Umständen“.
An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht, einige Erläuterungen zu der Entstehung des Pseudonyms Voltaire zu geben. Der erste größere Erfolg des 24-jährigen Francois Arouet, so hieß Voltaire nämlich mit bürgerlichem Geburtsnamen, war die Tragödie Ödipus . Das vom Stoff her wenig originelle, rhetorisch jedoch schon wirkungsvolle Schauspiel war eng an das Drama von Sophokles angelehnt. Es fand in Paris viel Beifall und wurde in der Comedie Francaise, dem berühmtesten Staatstheater Frankreichs, fünfundzwanzig Mal aufgeführt. Durch seine Haftzeit in der Bastille war der Autor in Paris außerordentlich bekannt geworden. Seine besondere Aufmerksamkeit zog das Stück noch zusätzlich auf sich, weil dieser Autor oft genug selbst auf der Bühne stand und mit maliziösem Lächeln als Page dem Hohenpriester die Schleppe über die Bühne trug. Das Drama enthielt, in allerdings noch vorsichtigen Versen, Angriffe gegen die Priesterschaft, welche die Orakelgläubigkeit des Volkes ausnutzte, um ihre Herrschaft zu festigen. In der Buchausgabe des Werkes, legte sich der junge Dichter ganz ungeniert einen Decknamen mit dem Adelsprädikat „de“ zu. Später stellte sich heraus, dass der Name Voltaire lediglich ein Anagramm aus Arouet l.j. war. Da u und v , auch j und i sich in französischer Druckschrift kaum von einander unterschieden, erfand er die Buchstabenspielerei Voltaire, oder genauer gesagt: „Monsieur de Voltaire“. Es haftet fast etwas Symbolisches, etwas von einer stillen Tragödie an der Tatsache, dass sich der junge Arouet schon das erste Mal auf der Bastille entschloss, seinen Namen zu ändern. Noch hatte dieser Name seine geistige Bedeutung nicht erlangt, aber hatte er nicht einen Klang wie eine scharfe Degenklinge?: VOLTAIRE!!!
Zu erwähnen wäre wohl noch, dass Voltaire gerade in seinen jungen Jahren, so wie viele andere Angehörige des gehobenen Bürgerstandes, eine snobistische Vorliebe für alles Adlige besaß. Dieser Neigung schien er noch besonders zu huldigen, als er sich eine Geliebte mit dem hoch dekorativen Namen „Suzanne Cathérine Gravet de Corsembleu de Livry“ zulegte. Die aristokratische Pariser Schauspielerin und stadtbekannte Salondame betrog ihn dann auch
recht häufig nach Strich und Faden, was Voltaire ihr allerdings großzügig nachsah. Bei solch einem klingendem Namen und der gemeinsamen Passion für das Theater der Comédie Francaise waren so kleine degoutante Details absolut nebensächlich.
Außerdem begann Voltaires privates Leben schon in jungen Jahren voller Irrungen und Wirrungen; mit erfüllten, aber auch mit unerfüllten Liebesgeschichten. In seiner hedonistischen Lebensweise kreuzen Marquisen, Schauspielerinnen, brave Bürgerstöchter, Damen der Halb- und der Viertelwelt, Gattinnen von Freunden und schließlich sogar die eigene Nichte seinen unersättlichen Gefühlsweg. Da man bekanntlich für solch ständiges Amüsement in erster Linie Geld benötigt, beginnt Voltaires Karriere, trotz eines vermögenden Vaters, mit Schulden. Es dauert aber kaum geraume Zeit, bis er ein solides Vermögen, manchmal sogar auf recht bedenkliche Weise, angehäuft hat. Am Ende seines Lebens ist Voltaire ein sehr reicher Mann. Er besitzt ein Schloß, einige Landhäuser, ein beträchtliches Bankvermögen und eine Garde von über 150 Bediensteten.
Das ist aber nur deshalb erwähnenswert, weil er ein Leben lang für die Freiheit des Denkens, für die Abschaffung von Ungerechtigkeit und Unterdrückung, für die absolute Toleranz und das Glück der Menschen eingetreten ist. Doch gerade diese Zwiespältigkeit seines Wesens war immer ein unverwechselbares Merkmal seines Lebens. Der alte Voltaire schreibt einmal: „Ich habe mich an die Unordnung und Zwiespältigkeit des Geistes und des Leibes gewöhnen müssen“.
Lieblingsgegner Voltaires ist zweifelsohne die Institution der Kirche. Er wird nicht müde, die verschiedenen Auslegungen der christlichen Lehren anzuprangern und sie als Aberglauben entlarven zu wollen. Doch noch verderblicher und gefährlicher scheint ihm der Fanatismus. Er führe unausweichlich zu „blutrünstiger Leidenschaft und fordere zum Verbrechen auf“! Fanatismus sei ein „Höllenwahn“, der die Menschheit viele Millionen von Opfern gekostet hat, hört man ihn immer wieder sagen. Und weil Voltaire in der kirchlichen Macht einen solchen Fanatismus entdeckt, wendet er sich gleichzeitig gegen die Verkünder „monströser, heiliger Lügen im Priestergewand“ und gegen die „ehrgeizigen Führer eines allzu leichtgläubigen Volkes, die ihre Interessen hinter den Interessen der Kirche verbergen.“
Am Ende geht er sogar soweit, dass er – selber nicht ganz ohne Fanatismus - jeden seiner Briefe mit dem Schlachtruf „Ecrasez l’infame“ – Vernichtet die Schändliche – unterschreiben wird. In diesem Sinne nennt er sich, nicht ohne einen gewissen Hauch von ironischer Selbstüberschätzung, den „großen Umstürzler.
Nun wäre es aber falsch, Voltaires Kampf gegen die heuchlerische Institution des Christentum als eine prinzipiell irreligiöse Gesinnung oder gar als bloßen Atheismus abzutun. Einmal schreibt er: „Der Philosoph, der einen Gott anerkennt, hat eine Fülle von Wahrscheinlichkeiten für sich...., denn die Philosophie lehrt uns, dass die Welt von einem ewigen, durch sich selbst bestehenden Wesen eingerichtet sein muß“. Er betont ausdrücklich die Notwendigkeit an etwas Höheres zu glauben und argumentiert leidenschaftlich: „Was die Menschheit angeht, muß uns interessieren, weil wir doch Menschen sind. Die Probleme der Gottheit, der Vorsehung, sie gehen uns auch persönlich an.“
Was aber soll das für ein Gott sein, dem Voltaire seine Aufmerksamkeit zollt? Nun, sicher nicht der Gott des Alten oder des Neuen Testaments. Es scheint vielmehr ein Gott zu sein, der aus einer natürlichen Logik hervor geht, weil der Mensch von seiner Natur aus zu einer Erkenntnis des Höheren befähigt sei. Und so behauptet er sinnreich folgernd: „Es gibt etwas, also gibt es auch etwas Ewiges, denn von nichts kommt nichts.“ Mhm!
Und so sind nach Voltaires Gedanken noch weitere Einsichten in das Dasein einer höheren Macht möglich, die zwar keine absolute, aber für ihn doch fast ausreichende Gewissheit besitzen. „Jedes Werk, das Mittel und Zweck erkennen lässt, kündet von einem Schöpfer; also deutet das Weltall, zusammengesetzt aus Kräften und Mitteln, die alle ihren Zweck haben, auf einen allmächtigen, allwissenden Urheber. Das ist zwar eine Wahrscheinlichkeit, der ich aber doch einige Gewissheit zurechnen möchte“, lässt er sich vernehmen. Voltaire sieht sich in dieser einer Apotheose nicht unähnlichen Haltung durch die Entdeckungen Isaac Newtons bestätigt, denn „die vielen immer gleichbleibenden Gesetze lassen auf einen Gesetzgeber schließen“, betont er ausdrücklich. So ermöglicht es ihm die Vernunft, zu einem bestimmten Begriff von einem Gott zu gelangen, und meint: „Gott ist wohl ein notwendiges Wesen, die in der Natur verbreitete Intelligenz, der große Geist im großen All!“
Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage nach den Eigenschaften seines Gottes im einzelnen. „Wir besitzen also keine angemessene Vorstellung von einer Gottheit, wir bewegen uns nur mühsam von einer Vermutung zur anderen, von einer Wahrscheinlichkeit zur anderen, und gelangen nur zu sehr wenigen Gewissheiten.“ Doch immerhin kann er folgern: „Der Philosoph, wenn er einen Gott anerkennt, hat eine Fülle von Wahrscheinlichkeiten für sich, die einer Gewissheit gleichkommen kann; denn die Philosophie lehrt uns, dass die Welt von einem unbegreiflichen, ewigen und durch sich selbst bestehenden Wesen eingerichtet sein muß.“
Hier bleibt offen, ob Voltaire sich seiner Skepsis oder seiner Überzeugung wegen eine Möglichkeit zur Erkenntnis eines höheren Wesens schafft, besonders wenn er dessen Verhältnis zu unserer Welt betrachtet.
In diesem Zusammenhang erfindet er einen nahezu sarkastischen Gottesbeweis, wie ihn vordem wohl selten jemand erdacht hat. „Ich wundere mich, dass man unter so vielen überstiegenen Beweisen für das Dasein eines Gottes noch nicht darauf verfallen ist, das Vergnügen als Beweis anzuführen; das Vergnügen ist doch etwas Göttliches, und ich bin der Meinung, dass jedermann, der guten Tokaier trinkt, der eine schöne Frau küsst, mit einem Wort, der angenehme Empfindungen besitzt, ein wohltätiges höchstes Wesen anerkennen müsste.“
Vor solchen Argumentationen eines gesunden Menschenverstandes verblassen für Voltaire alle metaphysischen Spitzfindigkeiten, wie sie aus der Geschichte überliefert wurden.
Auch ist diese, ein wenig
laszive Erkenntnis leicht zu erklären, wenn man weiß, dass Voltaire sich als
erfolgreicher junger Autor recht ausgiebig in jener Welt tummelte, die für
gewisse „Ausschweifungen und Divertissements“, wie es damals hieß, mehr
Interesse hatte, als für eine ewige Glückseligkeit. Die Abende und meist auch die Nächte von Paris genoß er in
vollen Zügen in Cafés, Theatern uns Salons; zuweilen fuhr er auch mit einer
Kutsche über Land von Schloß zu Schloß. Sowohl in den Zentren adliger
Geselligkeit, wie im Theater-und Kulturmilieu schätzte man den geistreichen
Konversationspartner, der bei den stundenlangen Unterhaltungen nur zu gern die
Hauptrolle spielte und beim endlosen Schwadronieren auf Bescheidenheit und Zurückhaltung
kein gesteigerten Wert zu legen schien. Ein Wunder, dass er bei dieser
turbulenten Lebensweise überhaupt zum Schreiben kam. Denn zwischen
Kaffeebesuchen und ausgiebigen Soupers gelang es ihm immerhin, das Epos um
Heinrich IV. abzuschließen. Auch ein neues Schauspiel nach antikem Muster, Artemir,
ging in der Comedie Francaise über die Bretter. Der Erfolg des Ödipus
wiederholte sich allerdings nicht. Typisch für seine Art des Widerstandes,
rannte der Autor eines Abends selbst auf die Bühne, um dem unzufriedenen
Publikum die Qualitäten seines Schauspiels eindringlich auseinander zu setzen.
Als das Stück dann trotzdem kaum Applaus bekam, sprach er dem Publikum ganz
einfach die nötige Reife für sein Werk ab und zog das Stück vom Spielplan der
Comedie Francaise zurück. Dort atmete man auf. Soviel bekannt ist, wurde das Stück
bis heute niemals mehr aufgeführt.
In dieser Zeit starb Voltaires Vater und sein Bruder Armand übernahm
das lukrative Amt des Verwalters der Gerichtsgebühren und der Strafgelder.
Armand erbte auch den bei weitem größere Teil des Vermögens. Jahrelang zogen
sich die Erbstreitigkeiten der Brüder in die Länge, wobei die Verschiedenheit
der Charaktere in den Prozessen von beiden sehr deutlich ausgespielt wurde.
Aus den Geldnöten seiner frühen Jugendjahre war Voltaire damals allerdings schon heraus. Zu den 1200 Livres, die er vom regierenden Herzog bekam, bezog er noch eine Jahresrente von 2000 Livres aus der Kasse des jugendlichen Königs. Diese hatten seine adligen Freunde aus der Schulzeit als sogenannten Poetentaler bei Hofe durchgesetzt. Ferner nutzte er seine Beziehungen zum Hofadel ergiebig aus, in dem er als Vermittler bei Pacht- und Lieferungsverträgen auftrat. Voltaire galt damals schon als bestbezahltester Literat von Paris. Allerdings verdiente er sein Geld kaum mit Literatur, auch nicht durch Tantiemen, die er großzügig den Schauspielern überließ. Aber er nahm jede geschäftliche Transaktion wahr, die es gab; hauptsächlich im Immobilienbereich. Da konnte man schon zu Voltaires Zeiten ordentlich Reibach machen.
Als nun Voltaire im Alter von 28 Jahren beschlossen hatte, sein neues Werk, Die Liga oder Heinrich der Große, dem Regenten Herzog Philippe von Orleans zu widmen, um sich somit ein erhebliches Honorar zu sichern, starb dieser an einem Schlaganfall. Künstlerpech, im wahrsten Sinne des Wortes, würde man in diesem Falle normalerweise sagen. Doch Voltaire machte sozusagen aus der Not eine Tugend. Er ließ sein Opus heimlich in Rouen drucken, weil die Zensurbehörden in Paris zögerten, das Werk freizugeben. In einem Möbelwagen wurden die ersten 2000 Exemplare nach Paris geschmuggelt und die Buchhändler verkauften sie unter der Hand zu erhöhten Preisen. Einen besonderen Reiz des Verbotenen bekam das Poem zusätzlich, weil ein Protest des päpstlichen Nunzius bekannt wurde, der das Werk in Frankreich nicht erscheinen lassen wollte. Nun – wie schon so oft in solchen Fällen wurde das Poem der Renner der Saison.
Die Henriade , unter diesem Namen ging das Werk später in die Literaturgeschichte ein, ist das erste markante Bekenntnis zum Geist des Friedens und der Toleranz, mit dem Voltaire seinen stetigen Kampf einleitete. Er schildert in den zehn Gesängen des Poems wie König Heinrich IV. den Religionskriegen und der Bartholomäusnacht ein Ende bereitete und den Hugenotten mit dem Edikt von Nantes die absolute Freiheit gewährte.
Übrigens, kein geringerer als Heinrich Mann, der ein ausgemachter Voltairianer war, hat später die Henriade für seinen großen Roman Heinrich IV. als Vorbild verstanden.
In dieser Zeit begann auch Voltaires unermüdlicher Kampf mit der französischen Zensur. Ebenso, wie die in Rouen hergestellte Henriade, die als Erscheinungsort Genf angab, kamen später auch noch andere Werke mit fingierten Angaben über Verlagsorte und Verleger, unter einem Pseudonym oder gar anonym heraus. Man muß in diesem Zusammenhang unbedingt einmal darauf hinweisen, dass durch die Vermittlung von Druckern, Händlern oder Agenten, die zuweilen eine enorme Zivilcourage aufbrachten, die illegalen Erzeugnisse Voltaires und seiner Mitstreiter den Weg zu den Lesern fanden.
Es war sowieso eine paradoxe Situation eingetreten. Durch Voltaires Vorträge und witzigen Komplimente bei Hofe, verlängerte ihm der neue junge König seine Pension von 2000 Livres und die junge Königin ließ ihm zusätzlich ein Jahresgeld von 1500 Livres zukommen. Also, der Verfasser eines kritischen Werkes, welches heimlich, an der königlichen Zensur vorbei, in Paris illegal vertrieben wurde, führte zur gleichen Zeit ein recht auskömmliches Dasein als poeta laureatus des Königs in Versaille.
Da traten plötzlich Ereignisse ein, die diese „doppelte Karriere“ jäh beendeten. Ein als dünkelhaft und leicht beschränkt geltender Sproß des adligen Hauses Rohan beleidigte Voltaire öffentlich und ließ ihn durch seine Dienerschaft auf der Straße schwer verprügeln. In den nächsten Tagen sollte Voltaire die Erfahrung machen, dass keiner seiner adligen Freunde bereit war, ihn in seinen Bemühungen um Genugtuung zu unterstützen. Der Chevalier de Rohan war zwar ein unbeliebter, ekelhafter Bursche, mit dem eigentlich keiner etwas zu tun haben wollte, aber er war Standesgenosse, und die Aristokraten verbündeten sich kritiklos gegen den einfachen Bourgeois, der lediglich unter dem selbstgewählten Namen Monsieur de Voltaire auftrat. Zu allem Unglück schaltete sich auf Ersuchen des Premierministers, das war damals der Herzog v. Bourbon, die Polizei in die Affaire ein und schwups saß der Hofdichter der königlichen Familie von einer Stunde auf die andere wieder in der Bastille.
Hier reifte Voltaires Entschluß, aus Frankreich auszureisen; möglichst in ein Land, das seiner Ansicht nach weniger von Standesdünkel beherrscht war als die Monarchie Frankreichs. England hieß dieses Wunschland. Die Behörden behandelten sein Gesuch vorrangig. Anscheinend war man froh, den Störer des öffentlichen Friedens auf so schnelle und reibungslose Art loszuwerden. Allerdings musste der Kommandeur der Bastille Voltaire bis nach Calais aufs Schiff begleiten, damit er nicht illegal und auf Umwegen wieder nach Paris zurückkehrte.
Als Voltaire 1726 seinen Fuß auf englischen Boden setzte, begann für ihn ganz eindeutig eine neue Aera. Nebst Frankreich war England eines der Ursprungsländer jener Bewegung, die unter dem auch von anderen Völkern übernommenen deutschen Begriff Aufklärung in die Geschichte einging und bis heute bekanntermaßen fortwirkt. England war zu dieser Zeit allen europäischen Staaten, inclusive Frankreich, auf dem Gebiet der Aufklärung ein gutes Stück voraus. Besonders Sir Isaac Newton, der zusammen mit Francis Bacon und vor allem John Locke die Säkularisierung, also die Befreiung des abendländischen Denkens von der Vormundschaft der Kirche, eingeleitet hatte, war nach Darlegung der mathematischen und mechanischen Gesetze des Weltalls zu dem Schluß gelangt, dass der Kosmos sehr wohl ohne unmittelbares Eingreifen des lieben Gottes funktioniert. Locke wandte Newtons Theorien der exakten und empirischen Erforschung der Natur auf die Geisteswissenschaften an. Er vertrat die für seine Zeit revolutionäre, nach Ansicht der kirchlichen Kreise verwerfliche Auffassung, dass nicht Dogmen und die Offenbarung, sondern Vernunft und insbesondere die durch die Sinne gewonnene Erfahrung letzte Instanz für den kritischen Denker seien.
Nun hatte sich schon der junge Voltaire in den Pariser Cafés und Salons die Gruppe der englischen freethinkers zum Vorbild genommen und fühlte sich den esprits forts zugehörig. Wer sich im damaligen Paris esprit fort oder auch Philosoph nannte, gab zu erkennen, dass er den herrschenden Auffassungen in der Religion, in der Philosophie und teilweise auch in der Politik zumindest kritisch, oft sogar ablehnend gegenüberstand. Und Voltaire, der französische Bürgerssohn, erlebte zum erstenmal ein Land, in dem nicht nur die Adligen, Geistlichen und reichen Bürger, sondern auch die Kleinbürger, Bauern und Arbeiter gesetzlich festgelegte Rechte und Freiheiten hatte.
Im wichtigsten Werk seines Londoner Aufenthaltes, den Philosophischen Briefen, stellt er begeistert fest, „dass jedermann seine Steuern zahlen kann, den Bauern nicht der Holzschuh drückt, sondern er isst Weißbrot, trägt angemessene Kleidung und kann die Zahl seiner Tiere vergrößern, ohne Angst, dass man ihn vielleicht im nächsten Jahr mit höheren Steuern belastet, wie es in Frankreich üblich ist“.
Am meisten bedauerte es Voltaire, dass er sich nicht mehr mit Newton, der inzwischen verstorben war, austauschen konnte. Doch ließ er es sich nicht nehmen, an dessen Beerdigung teilzunehmen. Er sah zu seinem größten Erstaunen, wie Newtons Sarg von sechs Herzögen und sechs Grafen, unter ihnen der Lordkanzler, zur Westminster Abbey getragen wurde. Daß einem Menschen wegen seiner geistigen Leistung eine solch große Ehrung zuteil wurde, war für den im einem Milieu voller Standesvorurteile und adligen Gesellschaftsgehabe aufgewachsenen Voltaire die Ankündigung eines neuen Zeitalters.
Mit Unterstützung des englischen Königs Georg II. und seiner literaturbegeisterten Gattin Caroline gelang Voltaire eine Neuauflage der Henriade in England, mit der er schnell 150 000 Livres verdiente. Dieser schnelle Erwerb bildete den Grundstein seines späteren Reichtums. Voltaire hat sich in England also nicht nur finanziell saniert, sondern er erwarb sich auch das geistige Rüstzeug des Gedankens der europäischen Aufklärung. In seinem in englischer Sprache erschienenden Essay über epische Poesie legte er das Bekenntnis ab: „Freiheit des Gedankens macht das Leben der Seele aus“. Dabei bemängelte er lautstark, dass die Franzosen es nicht verstünden, den Aufbruch in eine neue Zeit mitzugehen.
Doch so sehr Voltaire das politische System in England schätzte, so wenig verstand er sich mit den kühlen, reservierten Repräsentanten dieses bürgerlichen Systems. Und den Engländern ging sowohl die ungebremste Redseligkeit, als auch die typische französische Empfindlichkeit des Gastes auf die Nerven.
Da Voltaire wohl auch gelegentlich politischen Ergeiz entwickelte und er nach zwei Jahren Exil gerne in sein Heimatland zurückkehren wollte, ist es nicht ausgeschlossen, dass er versuchte, seine in der Politik aktiven Londoner Freunde im Auftrage des Pariser Kabinetts Fleury ein wenig auszuhorchen. Angeblich scheiterte dieser Versuch. Jedenfalls verließ er England, zerstritten mit seinen Londoner Freunden, und ließ sich erneut die Erlaubnis zur Niederlassung in Paris erteilen. Doch weder aus seiner riesigen Korrespondenz noch aus irgendwelchen Urkunden lässt sich der genaue Zeitpunkt von Voltaires Rückkehr feststellen.
Zudem war ihm in dieser Zeit nach jahrelangem Prozessieren mit seinem Bruder endlich ein ansehnliches Erbteil seines Vaters zugefallen. Dieses Vermögen jedoch noch ansehnlicher zu gestalten verlangte von ihm immer neue geschäftliche Ideen und vor allem spekulative Aktivitäten.
Seine besondere Schlitzohrigkeit auf finanziellem Gebiet bewies Voltaire, als es ihm gelang die staatlich konzessionierte Lotteriegesellschaft vollkommen legal zu übertölpeln. Bei einem Diner erklärte der Mathematiker Charles de la Condamine die neuen Maßnahmen des Generalkontrolleurs der Staatslotterie zur Reform dieser Institution. Voltaire hörte sehr genau zu und errechnete die Chance auf einen Gewinn von einer Million Livres, wenn es ihm nur gelang, sämtliche Lose allein aufzukaufen. Da er selbst aber nicht soviel Bargeld besaß, überredete er einige gute Bekannte, sich an dem Coup zu beteiligen. Nach der Ausschüttung hatte Voltaire für sich selbst den Löwenanteil von einer halben Million gewonnen und tout Paris amüsierte sich köstlich über den gelungenen Streich.
An dieser Stelle sollte man vielleicht betonen, dass Voltaire trotz seines Faibles für Manipulationen und Geldgeschäfte nie ein ausgesprochener Raffer oder Geizhals gewesen ist. Bis in sein hohes
Alter hat er Bedürftige bedingungslos unterstützt, notleidende Kollegen und Freunde reichlich mit Geldgeschenken versorgt und die Einnahmen aus seinen vielen Theaterstücken immer den Schauspielern überlassen.
Materielle Güter waren für Voltaire nur deshalb wichtig, weil er sich dadurch in der Lage sah, möglichst unabhängig Bücher zu schreiben, die ihm persönlich am Herzen lagen. Einmal resümierte er: „Um mich für die üblen Begleiterscheinungen der Schriftstellerei schadlos zu halten, habe ich mir vorgenommen, ein großes Vermögen zu machen, wie das Pack hier sich ausdrückt“.
Die Jahre nach England wurden für
Voltaire eine fruchtbare Schaffensperiode. Neben der großen Biographie Karls
XII. entstanden die Philosophischen
Briefe auf französisch, etliche
Kapitel des Jahrhunderts Ludwig XIV., Der Tempel des Geschmacks,
eine Satire über heute längst vergessene Literaturkollegen, mehrere kleine
Dramen, Operntexte, Gedichte, Aufsätze und die Tragödie Zaire, für die er nur
knapp einen Monat brauchte. In dem blutrünstigen Trauerspiel, das im Jerusalem
der Kreuzfahrer spielt, tötet der Sultan, ein Mann wie ein orientalischer
Othello, die geliebte Christensklavin und folgt ihr dann, oh wie traurig,
in den Tod. Dieses in pathetischer, gestelzter Hochsprache abgefasste Drama war
damals lange Zeit eines der meistgespielteste Stücke auf französischen Bühnen.
Es war also kein Zufall, dass Voltaire von nun an mit den nationalen Heiligtümern
der Dichtkunst Corneille und Racine gleichgestellt wird. Heutzutage würde Ihnen
kein Mensch mehr empfehlen, dass Sie sich der Tortur aussetzten, solche Dramen
anzuschauen, geschweige denn zu lesen. Außerdem werden sie weder gedruckt, noch
gespielt, wie ich ohne großes Bedauern feststellen konnte.
Nach dem Erscheinen der französischen Ausgabe der Philosophischen
Briefe, die als fingierten Druckort
Amsterdam nannte, erging ein sogenannter „Lettre de cachet“, ein Haftbefehl
gegen Voltaire, und ohne die Vorwarnung seiner Freunde wäre er unweigerlich
wieder in der Bastille gelandet. Wenn es um die Publikation seiner Schriften
ging, zeigte der immer etwas kränkliche Voltaire einen nur schwer begreiflichen
Mut. Doch ohne Opferbereitschaft und Zivilcourage, insbesondere auch die der
Drucker und Verleger seiner Bücher, der Buchhändler und Agenten, welche in den
Cafés und Salons die literarische Konterbande vertrieben, hätte seine
Popularität einen anderen, beschwerlicheren Lauf genommen.
Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass die
Erfahrungen, die Schriftsteller, Künstler, Verleger oder auch Hochschullehrer
in den Diktaturen und totalitären Systemen unseres letzten Jahrhunderts gemacht
haben, eindeutig zeigen, wie gefährlich geistiges Gut in den Augen der
Machthaber sein kann. Natürlich war es damals bei Voltaire keinen Deut anders.
Er lebte immerhin in einem Land, in dem es noch die Folter und verschiedene
Arten der Todesstrafe gab; das Verbrennen auf dem Scheiterhaufen, die
Vierteilung, das Rädern, Henken und Köpfen. Da ist es nur verständlich, dass
dem „staatsgefährlichem“ Autor nach Erscheinen seiner Philosophischen
Briefe das Pflaster in Paris zu heiß
geworden war.
Außerdem traf es sich gerade gut, die Hauptstadt zu verlassen, um
endlich auch einmal seiner neuen Geliebten, der Marquise du Chatelet, nahe zu
sein, die in Cirey in Lothringen auf ihrem Landgut lebte. Sechzehn Jahre, bis
zum frühen Tode der Marquise, dauerte das innige Verhältnis, das in der französischen
Literatur einen ähnlichen Ruf besitzt wie bei uns die anspruchsvolle Liebe
zwischen Goethe und der Frau von Stein in Weimar.
Er schrieb nun hier in Cirey seine Tragödie Alzire zu Ende, die in Südamerika spielt und die Rolle der christlichen Herrschaft über die Indianer thematisiert. Das Stück ging häufig über die Bühnen des Landes und brachte Voltaire in kurzer Zeit 55 000 Livres ein, die er ausnahmslos den Darstellern schenkte. Voltaire wollte damit in aller Öffentlichkeit demonstrieren, dass er ein Verehrer und Mäzen der vom Hochadel und dem Klerus damals nicht besonders geschätzten Berufsgattung der Theaterleute und insbesondere der Komödianten war. Daraus erklärt sich auch ein wenig mein persönliches Engagement für diesen außergewöhnlichen Mann in der europäischen Geistesgeschichte. Für Voltaire wurde die Situation plötzlich wieder bedenklich. Schuld daran war eigentlich nur ein kurzes Poem namens Le mondain (Der Weltmann), welches als illegale Abschrift im Nachlaß des Bischofs de Bussy entdeckt wurde, als dieser unverhofft starb. Die wenigen Seiten standen im Ruch der Gottlosigkeit und lösten erneut Warnbriefe seiner Pariser Freunde aus. Daraufhin floh Voltaire wieder einmal aus Frankreich und reiste in Begleitung seiner Marquise du Chatelet nach Amsterdam. Dort widmete er sich sogleich, ohne großes Wehklagen über die Flucht, der Drucklegung seiner Schrift Die Elemente der Philosophie Newtons, einem kleinen Werk, das man heutzutage als Sachbuch bezeichnen würde.
Als sich die Wogen in Paris etwas geglättet hatten, kehrte er unbehelligt nach Cirey zurück und begann seine Aufzeichnungen und gesammelten Chroniken über die Zeit Ludwig XIV. zu ordnen und aufzuarbeiten. Das mehrbändige Werk über die Epoche des Sonnen-königs sollte aber erst fünfzehn Jahre später erscheinen; da hielt sich Voltaire aber bereits am Hofe des Preußenkönigs Friedrich II. auf. Gleichzeitig schrieb er an dem monumentalen Buch Essai sur les moeurs et l’ésprit des nations (Essay über die Sitten und Geist der Nationen), in dem er die Weltgeschichte bis zum 18. Jahrhundert auf-gliedert. Darin beschreibt er auch die Ursachen für alle Religionskriege, die Europa mit Blut durchtränkt haben und kommt zu dem Schluß, dass man allzu lang um der Glaubenskontroverse willen die Sittlichkeit der Menschen vernachlässigt habe. Die Obrigkeit, sagt er, will den Menschen befehlen zu glauben, anstatt gerecht zu sein. Für meine Begriffe, eine immer noch gültige These.
Beide Werke wurden in neuerer Übersetzung nicht mehr aufgelegt. Man findet sie aber gelegentlich in Bibliotheken mit alten Beständen aus dem 18. Jahrhundert.
Als nächste schriftstellerische Arbeit Voltaires entstand die Tragödie
Mahomet, die in Lille uraufgeführt wurde. Nach einigen Schwierigkeiten kam das
Stück endlich auch nach Paris an die Comedie Francaise und wurde ein
triumphaler Erfolg. Nach drei Vorstellungen wurde es jedoch von der Zensur
abgesetzt, weil man glaubte, Voltaire greife in der Person des Mahomet (der
damalige Name für Mohamed) in Wirklichkeit Jesus Christus an. Voltaire ließ
sich aber nicht entmutigen und widmete das Werk dem amtierenden Papst Benedikt
XIV. Der war für damalige „päpstliche“ Verhältnisse überaus gescheit und
belesen und von guter humanistischer Bildung; er fand das Stück hervorragend
und zeigte sich sehr erfreut über die Widmung. Uns bleibt es daraufhin überlassen
darüber zu streiten, wer von beiden der größere Diplomat war; der höflichste
aller Päpste oder der weiseste aller Philosophen.
Als der Kronprinz von Preußen 1740 König Friedrich II. wurde, lud er
Voltaire nach Berlin ein, nachdem beide schon längere Zeit korrespondierten.
Doch der erste kurze Besuch endete für die zwei Männer ungut, da sie beide
versuchten einander zu überlisten, wobei der Preußenkönig jeweils als Sieger
hervorging, in dem er seine politische Macht und seine durchtriebene Raffinesse
ausspielte.
Nach dem Streit mit Friedrich II. und seiner Rückkehr nach Paris bemühte
sich Voltaire erneut um die Gunst
des französischen Hofes. Er schrieb die Komödie La Princesse de
Navarre, zu der Rameau die Musik
komponierte und widmete sie dem Dauphin. Dafür erhielt er wiederum den Posten
des königlichen Historiographen und eine Pension. Nachdem Voltaire noch ein
Heldengedicht auf die Schlacht von Fontenoy verfasste, in dem der sonst allem
kriegerischem Gehabe abholde Poet in martialischer Pose ein attraktives Bild des
Schlachtgetümmels zeichnete, erhielt Voltaire endlich den ersehnten Sitz in der
Académie Francaise. Und -
fast zu viel des Guten; es wurde ihm noch eine weitere begehrenswerte Ehrung
zuteil. Er erhielt das Patent eines „Gentillhomme de la chambre du roi“, der
dem Rang eines Kammerherrn entsprach.
Doch drängte Friedrich nach einer gewissen Zeit wiederum, Voltaire
solle doch trotz der Meinungsverschiedenheiten an seinen Hof zurückkommen. Der
Preußenkönig wollte seinem Regierungssitz nicht nur internationalen Glanz
verleihen, sondern auch den Genuß der geistreichen Unterhaltung an seiner fast täglichen Tafelrunde mit dem
prominenten Gast in Sanssouci fortsetzen. Nach seiner Ankunft in Berlin wurde
Voltaire sofort zum Kammerherrn ernannt, mit dem großen Verdienstorden
ausgezeichnet, außerdem wurde ihm eine ordentliche Pension gewährt. Er bezog
eigene Räume im Stadtschloß und in Sanssouci in Potsdam. Es dauerte aber nicht
sehr lange und es kam wieder einmal zu einer verwickelten Affaire. Der Präsident
der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, ein früheres Mitglied
der Academie Francaise in Paris, Louis Moreau de Maupertuis, fürchtete
um seine Vormachtstellung unter den Intellektuellen am Hofe des Preußenkönigs.
Es kam unweigerlich zu einem recht handfesten Streit, bei dem sich Friedrich II.
sogar mit einem Pamphlet beteiligte und die Satire Akakia
von Voltaire öffentlich verbrennen ließ. Voltaire verzichtete daraufhin auf
seine Pension, gab den Kammerherrenschlüssel sowie den Orden zurück. Er hatte
endgültig die Schnauze voll von diesem Preußenkönig und der Akademie, dessen
Präsident er Friedrich selbst einmal empfohlen hatte und verließ Berlin 1753,
nicht ohne ein Privatdruck von Gedichten des Königs heimlich mitgehen zu
lassen.
Als Voltaire kurze Zeit später in Frankfurt eintraf, um seine Nichte,
Madame Denis, zu treffen, die ihm auf seiner Reise entgegen kam, ließ Friedrich
Voltaire arretieren und unter Hausarrest stellen. Die Gedichte wurden
beschlagnahmt und Friedrich II. und Voltaire haben sich nie wieder gesehen.
Einige Jahre später schickte Friedrich allerdings seine französischen Gedichte
wieder zur Korrektur an Voltaire, als sei nie etwas geschehen, und Voltaire
machte dem Preußenkönig die selben Komplimente wie früher. Dies nur zum
Thema: Rigorose Konsequenz unter königlichen wie philosophischen Geistesgrößen.
Obwohl Voltaire in Preußen nur gut zweieinhalb Jahre seines langen
Lebens zubrachte, ist dieser Aufenthalt besonders in Deutschland auf spezielles Interesse gestoßen. Die Möglichkeit,
ohne Scheu vor Verfolgung in einem Kreis Gleichgesinnter, wie es der Preußenkönig
und seine Runde offenbar vorgab, seine
Gedanken auszudiskutieren, wurde von Voltaire in besonderem Maße goutiert und
somit auch in der deutschen Geschichte mit gebührender Aufmerksamkeit
betrachtet. Trotzdem konnte Voltaire eine gewisse
Skepsis gegenüber dem Preußentum zeitlebens nicht mehr verbergen und in
seinen Memoiren schreibt er über den König der Preußen in einer bitteren
Stimmung von Zynismus und Ernüchterung.
Aber Voltaire suchte nun ein neues Domizil. Nach Paris zurückzukehren
wurde ihm nicht erlaubt. Frankreichs berühmtester Dichter und Philosoph war
heimatlos, wurde drangsaliert und erneut an der Herausgabe seiner Schriften
gehindert. So beschloß er, sich in der Schweiz niederzulassen. Ein befreundeter
Genfer Arzt, den der immer wieder kränkelnde Voltaire von Paris her kannte,
half ihm, in Genf und Umgebung Eigentum zu erwerben. Dies war damals nämlich
nur Calvinisten erlaubt. Doch beim Erwerb von Land und Gut unterstützten auch
die Ratsherren gern den Grandseigneur der französischen Literatur und
Philosophie, der doch soviel Ruhm...... und vor allem soviel Geld mitbrachte.
Voltaire enttäuschte die Erwartungen der Genfer Bourgeoisie nicht. Er
kaufte ein größeres Anwesen, welches er „Les Delices (Die Wonnen)“ nannte
und in dem er ein richtiges großes Theater einrichten ließ. Aber damit lange
nicht genug; in Lausanne erstand er nochmals zwei Villen. Weiterhin mussten noch
unbedingt zwei Landgüter her, allerdings auf der französischen Seite des
Grenzgebietes, gerade so, als wolle er Ludwig XV. beweisen, dass er trotz
Schweizer Domizil ein loyaler Franzose bleiben wolle.
Nun sollte man eigentlich annehmen, dass Voltaire sich jetzt ein wenig
zur Ruhe setzen wollte. Weit gefehlt! Seine Altersproduktivität verblüffte
Zeitgenossen und Nachwelt gleichermaßen. Neben Hunderten von Schriften,
Polemiken und Artikeln entstanden nach seiner Ankunft in der Schweiz das mehrbändige
Werk Versuch über die Sitten,
das Buch über den Zar Peter den
Großen, Romane und Erzählungen, eingeschlossen sein in aller Welt berühmtes Candide; weiterhin der Traktat über die Toleranz, das Philosophische Wörterbuch
und neun Bände der großen Enzyklopädie. Ich möchte
nun an dieser Stelle auf das Verhältnis, bzw. auf das Nicht-Verhältnis
Voltaires zu Jean-Jaques Rousseau zu sprechen kommen. Beide gelten auch heute
noch als Antipoden des französischen Geistesleben im 18. Jahrhundert. Sie waren
als Menschen und besonders auch als Denker so gegensätzlich, dass es zwischen
ihnen nie zu einem Gedankenaustausch kommen konnte wie zum Beispiel zwischen
Goethe und Schiller. Die These: „Zurück zur Natur“, in der Rousseau der
gesellschaftlichen Entwicklung und vor allem den Segnungen der Kultur die Schuld
am sozialen Elend der Menschen gab, war für Voltaire ein Rückfall in den
barbarischen Urzustand, in die Primitivität und die Unbildung. Der Rationalist
und der Irrationalist, der Freund und Kenner der Jahrtausende alten Kultur der
Menschheit und der Verächter der Traditionen und Errungenschaften eben dieser
Kultur standen sich immer unversöhnlich gegenüber.
Als Voltaire in Genf sein Theater eröffnete, wohlgemerkt auf seinem
eigenen Terrain, gebärdete sich Rousseau, der ja Genfer von Geburt war, als
sittenstrenger Calvinist und wetterte gegen den Besuch solch einer dekadenten
Kulturstätte. Worauf Voltaire in einem Brief an Rousseau konterte: „Noch nie
hat jemand soviel Geist verschwendet wie Sie, in dem Bestreben, uns alle wieder
zu primitiven Bestien zu machen. Man bekommt ja richtig Lust wieder auf allen
vieren zu kriechen, wenn man Ihre Schriften liest“.
Rousseau wiederum bezeichnete Voltaire als Verderber seiner Heimatstadt
und machte ihn dafür verantwortlich, dass er – Rousseau – auf fremder Erde
sterben müsse und danach in einen Schindanger geworfen würde, weil Voltaires
Asyl ihm den Aufenthalt in seinem geliebten Genf unerträglich mache.
Als Voltaire dann auch noch als Verfasser der Predigt
der Fünfzig,
einer kirchenfeindlichen Schrift, von Rousseau denunziert und durch diese
Ungeheuerlichkeit in Gefahr gebracht wurde, schien Voltaire sein Urteil über
den Antipoden gefällt zu haben. Er beschrieb Rousseau als einen streunenden
Vagabunden, als erfolglosen kleinen Schreiberling und zügellosen Wollüstling.
Alles Vorwürfe, die wohl, auf Distanz gesehen, mehr aus der Luft gegriffen
waren, als dass sie fundierten Recherchen entstammten.
Seinen letzten großen Angriff auf Rousseau und die Stadt Genf mit ihrem
calvinistischen Großbürgertum
startete Voltaire mit der Satire La
guerre civile de Genève . Diese
wurde angeblich ohne seinen Wissen und besonderen Auftrag illegal gedruckt und
anschließend in Genf und Paris in Umlauf gebracht. Doch verfehlte dieses Werk
seine Wirkung, da Voltaire darin weder mit dem Herzen, noch mit scharfem Geist
agierte und es nur geeignet war, dem Widersacher Rousseau mit seinen angeblich
pathologischen Neigungen entgegenzutreten.
Nun – sowohl die gefährliche Indiskretion Rousseaus als auch einige
alarmierende Nachrichten aus Paris begannen Voltaire zu beunruhigen.
Aus welchen Gründen dann allerdings die Pariser und Genfer Behörden
wirklich nichts Ernsthaftes gegen Voltaire unternahmen, darüber kann man
eigentlich nur spekulieren. Vermutlich dachten die damaligen
Staatssicherheitsbeamten (die es damals bereits reichlich gab), der Alte von
Ferney würde sowieso bald seinen Krankheiten erliegen. Vielleicht fürchtete
man auch ein Gerichtsverfahren oder eine Verhaftung könnten im Ausland ein
peinliches Aufsehen erregen und damit die Regierung in Verruf bringen. Denn
immerhin stand Voltaire in diesen Jahren im regen Briefwechsel mit seinem alten
und neuen Freund, dem König von
Preußen, mit der russischen Zarin Katharina der Großen, mit der
einflussreichen Madame Pompadour in Versaille und anderen berühmten Fürstlichkeiten.
Außerdem verkehrten fast täglich bei ihm in Schloß Ferney die Spitzen der
Aristokratie, wie z.B. die Herzöge von Villars und La Rochefoucauld oder auch
sein alter Jugendfreund, der Herzog von Richelieu. Selbst ein Mann wie der etwas
undurchsichtige, aber ehrenwerte Venezianer Giaccomo Casanova machte Voltaire in
Schloß Ferney über eine längere Zeit seine Aufwartung.
Ein Autor, welcher in seinem Hause so hochgeborene Persönlichkeiten
empfing und mit den einflussreichsten politischen Größen Europas
korrespondierte, durfte es anscheinend auch wagen, Schriften zu veröffentlichen,
für die jeder andere ins Gefängnis gewandert wäre.
Doch weder die Anzahl seiner Besucher, noch der Streit mit der Kirche,
noch alle geschäftlichen Transaktionen, noch die tägliche Korrespondenz
konnten Voltaire davon abhalten, seine literarische Produktion einzuschränken.
Auch zahlreiche Denkschriften, vor allem die für die Milderung der harten
Lebensbedingungen der leibeigenen Bauern im französischen Jura wurden in Ferney
verfasst.
Jedoch sein reges Engagement in sozialen Fragen, seine mehr als ausgefüllten
Tage, sein unermüdlicher Beitrag zur ökonomischen Entwicklung und Urbarmachung
seines kleinen Königreiches,
wie er das Gut und Umgebung in Ferney nannte, konnten Voltaires Ärger nicht
lindern, fern von seinem geliebten Paris noch immer in der Verbannung leben zu müssen.
So streckte er seine Fühler über Freunde in der Hauptstadt in Erwägung eines
Besuches aus und kam nach
reiflicher Überlegung und Abwägung aller Risiken zu der Erkenntnis, man würde
seitens der Behörden nichts Ernsthaftes unternehmen, wenn er ohne Erlaubnis
nach Paris käme. Der neue König, der geistig etwas träge Ludwig XVI., hatte
zwar den Bann gegen Voltaire nicht aufgehoben, verhielt sich aber im Übrigen
durchaus neutral und uninteressiert.
Der Anlaß, den er dann für seine Rückkehr nach Paris wählte, sollte
die Uraufführung seiner letzten Tragödie Irène
in der Comédie Francaise sein.
So erreichte denn Voltaire im Februar 1778 Paris nach fast dreißigjähriger
Abwesenheit und quartierte sich beim Marquis de Villette ein, an der Ecke des
Quai des Théatins, der heute Quai Voltaire heißt. Der Marquis war ein
stadtbekannter Parvenu; ein sogenannter Selfmademan, der seinen einflussreichen
Titel gekauft hatte und der sich glücklich schätzte mit Voltaire befreundet
gewesen zu sein. Dies beruhte übrigens auf Gegenseitigkeit, wie aus der
umfangreichen Korrespondenz der beiden ersichtlich ist. Voltaire imponierte die
ungezwungene freche Art des Marquis. Er verkuppelte
eine seiner Schutzbefohlenen mit ihm anlässlich eines Besuches in Ferney.
Der Marquis heiratete die Mademoiselle de Varicourt aus der Nähe Genfs von der
Stelle weg. Die neue Marquise führte ab sofort ein hochherrschaftliches Haus in
Paris, war bei alt und jung beliebt und Voltaire empfing nach seiner Ankunft in
Paris in ihrem Salon die Abordnungen der Akademie, der Comedie Francaise und
alle anderen illustren Gäste der Gesellschaft.
Die Anstrengungen und Aufregungen der letzten Wochen in der alten Heimat
schwächten Voltaire aber dermaßen, dass er nach einem Bluthusten glaubte,
nicht mehr aufstehen zu können. Nachdem es Voltaire dann doch wieder etwas
besser ging, wollte er es selbstverständlich nicht versäumen an der Uraufführung
seines letzten Stückes Irène in
der Comédie Francaise teilzunehmen.
Der Abend wurde für Voltaire ein einziger persönlicher Triumph. Auf
dem Wege zum Theater machte er beim Louvre halt, wo die Akademie ihren Hauptsitz
hatte. Die Mitglieder
der Academie Francaise stellten sich in Reih und Glied auf, sein alter Freund
d’Alambert hielt eine überschwängliche Rede und eine riesengroße
Menschenmenge von Pariser Bürgern versammelten sich im Hof des Louvre und
geleitete ihn wie bei einer Demo zum Theater. Dort, kaum dass Voltaire in seiner
Loge Platz genommen hatte, standen die Zuschauer gemeinsam auf, um ihren
Volkshelden, auf den sie lange in Paris verzichten mussten, zu begrüßen. Am
Ende des Stückes wurde eine Büste Voltaires auf die Bühne getragen und mit
Blumen umkränzt. Er selbst wurde mit einem Lorbeerkranz geschmückt, obwohl
sein ausgemergelter Körper den Ovationen kaum standhalten konnte.
Nachdem er gerade noch die Kraft hatte, sich in den nächsten Tagen
in eine Freimaurerloge aufnehmen zu lassen und ein letztes Mal an einer
Sitzung der Akademie teilzunehmen, setzte schnell sein körperlicher Verfall
ein. In dieser Sitzung der Académie Francaise leitete Voltaire noch ein über
Jahre von ihm selbst entwickeltes Projekt in die Wege. Er gründete eine
Kommission zur Ausarbeitung eines
verbindlichen französischen Wörterbuches, an dem die berühmte Institution
noch heute arbeitet und welches laufend erneuert wird. Voltaire starb am 30. Mai
1778. Seine letzten Worte waren: „Laissez-moi la paix“!(„Laßt mir meinen
Frieden.“)
Eine normale und ehrliche Beerdigung war in Paris, wo der Klerus noch
seine mittelalterlichen Gesetze vollzog, absolut unmöglich. Aber ein Neffe
Voltaires, der Abbé Mignot, war eine Autorität im Benediktinerkloster von
Scellières in der Nähe von Troyes. Also wurde heimlich ein Apotheker und
Chirurg herbeigerufen, der das Herz und das Hirn entfernte und Voltaires
Leichnam einbalsamierte. Diesen setzte man kurzerhand in eine Kutsche und fuhr
den „schlafenden alten Herrn“ noch in der Nacht in die Champagne, wo er von
den Benediktinern in einem schnell zusammengeschusterten Sarg beigesetzt wurde.
Das Gehirn des großen Denkers wurde später von einem Angestellten des
Apothekers, der es sezierte und in Gewahrsam nahm, an einen Unbekannten
versteigert. Das Herz vermachte ein Nachkomme des Marquis de Villette, der es in
der Todesnacht Voltaires in Sicherheit bringen konnte, dem Bischof von Orleans.
Der aber hatte nichts Eiligeres zu tun, als es Napoleon III. für eine
ordentliche Börse zu verkaufen. Wenigstens schenkte der Franzosenkaiser das
Herz des großen Philosophen der Bibliothèque National de Paris, wo es bis zum
heutigen Tage aufbewahrt wird zusammen mit den Früchten seines Geistes.
Nach der Abschaffung der Monarchie durch die Französische Revolution
wurde der Sarg Voltaires 1791 in einem feierlichen Zug nach Paris überführt.
Die Nationalversammlung hatte beschlossen, einen Sarkophag mit Voltaires
sterblichen Überresten im Panthéon,
der Gedenkstätte der großen Franzosen, aufzubahren, und den Quai des Théatins
in Quai de Voltaire umzubennen. Die Inschrift hieß unter anderem: „Er hat uns
vorbereitet, frei zu werden“.
Jean-Jaques Rousseau wurde gleichsam drei Jahre später neben Voltaire
im Panthéon beigesetzt. Die Tatsache, dass die beiden Antipoden sich im Leben
so konträr verhalten hatten, spielte für die Revolutionäre keine besondere
Rolle. Genau so wenig, wie für die ultrakonservativen Monarchisten, also deren
Gegner, die 23 Jahre danach die Sarkophage von Voltaire und Rousseau nachts
aufbrachen und ihre Gebeine zusammengewürfelt irgendwo an der Seine
verscharrten.
Voltaire hat sich selbst zuweilen gefragt, was wohl die Nachwelt, die
von ihm oft erwähnte postérité, von
seinem umfangreichen Oeuvre, also seinen Hunderten von Bänden Zeitbedingtes,
seinen längst vergessenen Epigrammen, Poemen oder Streitschriften halten wird.
Nun, man kann in diesem Zusammenhang nur immer wieder darauf aufmerksam machen,
dass der Alte von Ferney die Fähigkeit besaß, seine literarischen Erzeugnisse
mit größter Distanz und voller Ironie zu betrachten. Einmal empfahl er seinem
immer noch eifrigsten Leser, dem Preußenkönig Friedrich, seine
schriftstellerische Produktion als fatras,
ein vieldeutiges Wort für Wortschwall oder Plunder, zu betrachten, und
damit so zu verfahren, wie es der Literat auf Preußens Thron gelegentlich mit
anderen Büchern zu tun pflegte. „Eure Majestät“, so schrieb Voltaire,
„nahmen dann die Schere, schnitten all die Seiten heraus, die Ihnen langweilig
erschienen, und ließen nur jene übrig, die Ihnen Vergnügen bereiteten; auf
diese Weise reduzierten Eure Majestät dreißig Bände auf einen, oder im günstigsten
Falle vielleicht auf zwei: eine vortreffliche Methode, um uns von der Sucht der
Vielschreiberei zu heilen“.
Voltaire wurde immer wieder nach seinen derberen und oberflächlicheren
Bonmots beurteilt, die für sich selbst genommen aber wenig zählen, zudem sie
meistens auch aus dem Kontext herausgebrochen wurden. Aber wenn er schon nach
einem einzelnen Ausspruch beurteilt werden soll, möchte ich zum Schluß einen wählen,
der seine List und Tücke gleichsam charakterisiert.
Einem Philosophen seiner Zeit, der eine neue Religion gründen wollte
und ihn um Rat fragte, wie dies denn am besten zu machen sei, und man dabei ein
möglichst großes Aufsehen erreichen könne, gab Voltaire die vernichtende
Antwort: „Es wäre wohl am besten, wenn Sie sich kreuzigen ließen und danach
dann von den Toten wieder auferstünden.“
Ich nenne meinen Vortrag „Ein Leben und Wirken für die Freiheit des
Geistes“ !
Geschichte als Geschichte des Geistes, als Kulturgeschichte, nicht nur
als eine Anhäufung von Tatsachen und Jahreszahlen, von denen jede die andere
auslöscht; - Geschichte nicht nur
als Heroen- und Herrscherkult, sondern auch als ein Prozeß subjektiver Einschätzung,
aus emotionaler Sicht, aus
Parteinahme für den Schwächeren, das war Anliegen und Ziel Voltaires. Und so
soll uns dieser Name heute begleiten zu einer allumfassenden Betrachtung eines
ausgefüllten, in Kunst und Methode gleichsam wirkenden Lebens, welches den
gesellschaftlichen Horizont im 18. Jahrhundert wiederspiegelt und den
geschichtlichen Gesamtzusammenhang mit künstlerischen Elementen verknüpft hat.