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Materialien zum Ethikunterricht
 

Richard Dawkins (*1941)

Wortgewandter und streitbarer Darwinist


Dawkins ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Darwinisten. Seine Spezialität sind Computersimulationen, die modellhaft den Nachweis der Wirkungsweise von Variation und Selektion in der Natur erbringen. Die Relevanz der Evolutionsbiologie sieht Dawkins darin, dass sie dem Atheismus den Mechanismus in die Hand gibt, die Entstehung des Lebens ohne einen Schöpfer zu erklären.

   Dawkins wurde 1941 in Nairobi geboren und verbrachte dort seine Jugendzeit. Sein Vater arbeitete in Kenia während des Zweiten Weltkriegs als Angehöriger der Armee.
1949 ging die Familie nach England zurück, wo Dawkins später an der Universität von Oxford Biologie studierte. Nach Abschluss des Biologiestudiums im Jahre 1962 blieb er in Oxford, um unter Nobelpreisträger Niko Tinbergen zu promovieren. Es folgte von 1967-1969 eine Zeit als Assistenzprofessor der Zoologie an der University of California in Berkeley. Ab 1970 war er Dozent für Zoologie an der Universität von Oxford und Lehrer am dortigen New College. Heute ist Dawkins „Charles Simonyi Professor of the Public Understanding of Science“ an der Universität von Oxford.

 
Sein erstes Buch, Das egoistische Gen, wurde 1976 veröffentlicht (zweite Auflage, 1989) und sofort zu einem Bestseller. Es folgten weitere Werke wie The Extended Phenotype (1982), Der blinde Uhrmacher (1987), Und es entsprang ein Fluß in Eden (1995) und Gipfel des Unwahrscheinlichen (1996). Dawkins erhielt dafür diverse Anerkennungen und Literaturpreisen. 1997 wurde er sogar in die Royal Society of Literature aufgenommen. Sein neuestes Werk ist „The Ancestor's Tale“.

Literatur:

·        Das egoistische Gen (1976 1989)

·        The Extended Phenotype (1982)

·        Der blinde Uhrmacher (1986)

·        Und es entsprang ein Fluß in Eden (1995)

·        Gipfel des Unwahrscheinlichen (1996)

·        Der entzauberte Regenbogen (1998)

·        The Ancestor's Tale (2004)

·          The God Delusion (2006)


Leseprobe
:

 

1. Vorwort aus ”Der blinder Uhrmacher” S. 10:

 

Wir sind ganz und gar an den Gedanken gewöhnt, dass komplexe Eleganz ein Indikator für vorausgegangene geschickte Planung ist. Dies ist wahrscheinlich der überzeugendste Grund dafür, dass die überwältigende Mehrheit aller Menschen an einen übernatürlichen Gott geglaubt hat oder glaubt. Es bedurfte eines gewaltigen Sprungs der Vorstellungskraft, um Darwin und Wallace erkennen zu lassen, dass es – entgegen aller Intuition – eine andere Möglichkeit gibt, eine – ist sie erst einmal verstanden – viel plausiblere Möglichkeit, wie aus ursprünglicher, uranfänglicher Einfachheit ein komplexer ”Plan” entstehen kann. Dieser Sprung der Vorstellungskraft ist so groß, dass bis heute viele anscheinend immer noch nicht bereit sind. Der Hauptzweck dieses Buches ist es, dem Leser ”auf diesen Sprung zu helfen”.

 

2. ”Der blinder Uhrmacher” S. 18 ff:

 

Ich [R.Dawkins selbst] sagte ihm [einem atheistischen Philosophen], ich könne mir nicht vorstellen, wie man zu irgendeiner Zeit vor 1859, dem Datum der Veröffentlichung von Darwins Origin of Species, Atheist gewesen sein konnte. ”Was ist dann mit Hume?” war die Antwort des Philosophen. ”Wie erklärte Hume denn die Komplexität der lebenden Welt?” fragte ich. ”Er erklärte sie nicht”, sagte der Philosoph. ” Warum sollte sie einer besonderen Erklärung bedürfen?” [ ... ] Ein Atheist  vor Darwin hätte in Anlehnung an Hume sagen können: ”Ich kann komplexe biologische Baupläne nicht erklären. Ich weiß nur, dass Gott keine gute Erklärung dafür ist; so müssen wir eben warten und hoffen, dass jemand eine bessere vorbringt.” Wie soll eine solche Meinung, auch wenn sie logisch gesehen vernünftig ist, irgend jemanden sehr zufrieden gestellt haben? Auch wenn der Atheismus vor Darwin logisch haltbar war, so ermöglichte Darwin es dem Atheisten, auch intellektuell zufrieden zu sein.

 

Richard Dawkins – Bericht und Interview von Gordy Slack

(28. April 2005, aus dem Englischen übersetzt von D. Michalke)


Der Evolutions-Biologe Richard Dawkins erklärt, warum Gott ein Wahn und Religion ein Virus ist und dass Amerika zurückgleitet in ein dunkles Zeitalter.


Richard Dawkins ist der berühmteste aus dem Koffer lebende Atheist der Welt. Er ist auch der umstrittenste Evolutions-Biologe der Welt. Die Veröffentlichung seines Buches „Das egoistische Gen“ im Jahre 1976 rückte Dawkins in das Rampenlicht als das gut aussehende, streitbare menschliche Gesicht des wissenschaftlichen Reduktionismus. Das Buch rief alles von Entrüstung bis Schadenfreude dadurch hervor, dass es argumentierte, dass die natürliche Auswahl ihre kreative Kraft nur durch Gene, nicht durch Arten oder Individuen, entfaltet. Menschen sind nur „Gen-Überlebens-Maschinen“, behauptete er in dem Buch.


Dawkins hielt an diesem Thema fest, aber erweiterte sein Gebiet in Folgebüchern wie „Der blinde Uhrmacher“, „Der entzauberte Regenbogen“ und „Gipfel des Unwahrscheinlichen“. Sein neuestes Werk „The Ancestor's Tale“ verfolgt die menschliche Abstammung zeitlich zurück und sinniert an wichtigen Verzweigungen auf der Straße der Evolution.


Bedingt durch seine unverblümte Verteidigung von Darwin und der natürlichen Auswahl als die Kraft des Lebens hat Dawkins eine neue Rolle angenommen: der Staatsfeind Nr. 1 der religiösen Rechten. Doch Dawkins scheut sich weder vor Kontroversen noch ist er tolerant gegenüber Dummköpfen. Kürzlich traf er einen Minister, der auf der Gegenseite in einer britischen politischen Debatte war. Als der Minister seine Hand ausstreckte, behielt Dawkins seine Hände an der Seite und sagte: „Sie, Sir, sind ein unwissender Frömmler.“

 

Zur Zeit ist Dawkins „Charles Simonyi Professor of the Public Understanding of Science“ an der Universität von Oxford, eine Stelle, die 1995 für ihn von Charles Simonyi, einem Microsoft-Millionär, geschaffen wurde. Anfang dieses Jahres unterzeichnete Dawkins ein Abkommen mit dem Britischen Fernsehen, eine Dokumentation über die destruktive Rolle der Religion in der modernen Geschichte zu machen, vorläufig „Die Wurzel allen Übels“ genannt.

Ich traf Dawkins Ende März auf der jährlichen Internationalen Konferenz des Atheisten-Verbandes in Los Angeles, wo er den Illusionskünstlern Penn und Teller die höchste Auszeichnung des Verbandes, den Richard-Dawkins-Preis, verlieh. Während unserer Unterhaltung in meinem Hotelzimmer war Dawkins ebenso liebenswürdig wie er korrekt in weißem Hemd und dezentem Blazer gekleidet war.


S: Wieder wird die Evolution angegriffen. Gibt es überhaupt Zweifel an ihrer Gültigkeit?

D: Es wird oft gesagt, dass es keine direkten Belege dafür gibt, weil die Evolution in der Vergangenheit stattfand und wir nicht sahen, wie sie geschah. Das ist natürlich Unsinn. Es ist vielmehr wie bei einem Detektiv, der an den Schauplatz eines Verbrechens kommt, natürlich nachdem das Verbrechen begangen wurde, und herausarbeitet, was passiert sein musste, indem er die Hinweise betrachtet, die zurückblieben. In der Geschichte der Evolution sind die Hinweise milliardenfach. Es gibt Hinweise von der Verteilung der DNA-Kodes überall im Tier- und Pflanzenreich, von Eiweiß-Sequenzen, von morphologischen Eigenschaften, die in allen Einzelheiten analysiert wurden. Alles fügt sich ein in die Vorstellung, dass wir hier einen einfachen verzweigenden Baum haben.  Die Verteilung der Arten auf  Inseln und Kontinenten überall in der Welt ist genau so, wie man es erwartet, wenn die Evolution eine Tatsache ist. Es gibt Millionen von Fakten, die alle in die gleiche Richtung zeigen und keine Fakten, die in die falsche Richtung zeigen. Der britische Naturwissenschaftler J.B.S. Haldane machte die berühmte Äußerung, als er gefragt wurde, was Belege gegen die Evolution begründen würde:  „Fossile Kaninchen im Präkambrium.“ Sie wurden niemals gefunden. Nie wurde so etwas jemals gefunden. Evolution könnte durch solche Fakten widerlegt werden. Aber alle Fossilien, die gefunden wurden, sind am rechten Platz. Natürlich gibt es eine Menge Lücken in den fossilen Aufzeichnungen. Daran ist nichts Falsches. Warum sollte es sie nicht geben? Wir können froh sein, überhaupt Fossilien zu haben. Aber keine Fossilien wurden am falschen Platz gefunden, sodass die Tatsache der Evolution widerlegt wäre. Evolution ist eine Tatsache.

 
S: So viele Leute sträuben sich noch an die Evolution zu glauben. Woher kommt der Widerstand?

D: Er kommt, es tut mir leid das sagen zu müssen, von der Religion. Und von schlechter Religion. Man findet keinen Widerstand gegen die Idee der Evolution unter fortschrittlichen, gebildeten Theologen. Er kommt von der übersteigert zurückgebliebenen, primitiven Version der Religion, die unglücklicherweise zur Zeit eine Seuche in den Vereinigten Staaten durchlebt. Nicht in Europa, nicht in Großbritannien, aber in den Vereinigten Staaten. Meine amerikanischen Freunde erzählen mir, man gleite einem theokratischen dunklen Zeitalter entgegen. Das ist sehr verdrießlich für die sehr große Zahl von gebildeten, intelligenten und vernünftig denkenden Leuten in Amerika. Unglücklicherweise sind zur Zeit die unwissenden, ungebildeten Leute, die Bush wählten, in der Überzahl. Aber die grobe Richtung der Geschichte geht zur Aufklärung und daher denke ich, dass sich das, was Amerika zur Zeit durchläuft, als zeitweilige Kehrtwende erweist. Ich denke, es gibt große Hoffnung für die Zukunft. Mein Rat wäre, verzweifelt nicht, diese Dinge gehen vorüber. 

 

S: Sie befassen sich näher mit dem Agnostizismus in „The Ancestor’s Tale.“ Wie unterscheidet sich der vom Atheismus?


D: Es heißt, dass der einzige rationale Standpunkt der Agnostizismus sei, da man die Existenz eines übernatürlichen Schöpfers weder beweisen noch widerlegen könne. Ich halte das für eine schwache Position. Es ist wahr, dass man nichts widerlegen kann. Aber man kann eine Wahrscheinlichkeitsaussage machen. Es gibt eine unendliche Zahl von Dingen, die man nicht widerlegen kann: Einhörner, Werwölfe, Teekannen in der Umlaufbahn des Mars. Aber wir schenken ihnen keinerlei Beachtung, wenn es nicht positive Gründe für die Annahme gibt, dass sie tatsächlich existieren.


S: Ist der Glaube an Gott wie der Glaube an eine Teekanne, die den Mars umrundet?

D: Ja. Für lange Zeit schien es nahezu für jedermann klar zu sein, dass die Schönheit und Eleganz der Welt ein Beweis des ersten Anscheins für einen göttlichen Schöpfer ist. Aber der Philosoph David Hume erkannte bereits vor drei Jahrhunderten, dass es ein schlechtes Argument war. Es führte zu einer unendlichen Regression. Man kann nicht statistisch unwahrscheinliche  Dinge wie lebende Geschöpfe dadurch erklären, dass man sagt, sie seien designt, denn man muss noch den Designer erklären, der sogar ein statistisch unwahrscheinlicheres und eleganteres Ding sein müsse.  Design kann niemals eine endgültige Erklärung für irgend etwas sein. Ein Flugzeug oder ein Auto wird durch einen Designer erklärt, aber das nur, weil der Designer selbst, der Ingenieur, durch natürliche Auswahl erklärt wird.

S: Diejenigen, die dem „Intelligenten Design“ huldigen – der Idee, dass lebende Zellen zu komplex sind um durch die Natur allein geschaffen worden zu sein – sagen, dass Evolution nicht unvereinbar mit der Existenz Gottes sei.


D: Es gibt einfach keinen Beleg für die Existenz Gottes. Evolution durch natürliche Auswahl ist ein Prozess, der aufbaut auf einfachen Anfängen, und einfache Anfänge sind leicht zu erklären. Der Ingenieur oder jedes andere lebende Ding ist schwer zu erklären – aber es ist erklärbar durch die Evolution  durch natürliche Auswahl. Die Relevanz der Evolutionsbiologie für den Atheismus ist also, dass uns die Evolutionsbiologie den einzigen bekannten Mechanismus gibt,  wodurch die Illusion des Designs oder des scheinbaren Designs immer und überall ins Universum kommen konnte.


S: Warum beharren wir dann auf dem Glauben an Gott?


D: Vom biologischen Standpunkt aus gibt es eine Menge Theorien darüber, warum wir diese außergewöhnliche Anfälligkeit haben, an übernatürliche Dinge zu glauben. Ein Vorschlag ist, dass das kindliche Gemüt aus sehr guten darwinistischen Gründen anfällig für Infektionen ist in gleicher Weise, wie Computer es sind. Um nützlich zu sein, muss ein Computer programmierbar sein um zu gehorchen, was immer ihm gesagt wird, was er tun soll. Das macht ihn automatisch angreifbar für Computerviren, die Programme sind, die sagen: „Verbreite mich, kopiere mich, gebe mich weiter.“ Wenn ein Virus-Programm einmal gestartet ist, gibt es nichts, was es stoppen könnte. Ähnlich sind kindliche Gehirne durch natürliche Auswahl darauf vorprogrammiert zu gehorchen und zu glauben, was Eltern und andere Erwachsene ihm sagen. Im Allgemeinen ist es eine gute Sache, dass kindliche Gehirne empfänglich sein sollen dafür, von Erwachsenen gelehrt zu werden, was sie tun und glauben sollen. Aber das trägt notwendigerweise die Kehrseite in sich, dass schlechte Ideen, unnütze Ideen, zeitverschwenderische Ideen wie Regentänze und andere religiöse Bräuche an die Generationen weiter gegeben werden. Das kindliche Gehirn ist sehr empfänglich für diese Art von Infektionen. Und sie breiten sich auch seitwärts aus durch Quer-Infektionen, wenn ein charismatischer Prediger herum läuft und neue Gemüter infiziert, die vorher uninfiziert waren.

 

S: Sie haben gesagt, dass die Erziehung von Kindern in religiöser Tradition sogar eine Form des Missbrauches sein kann.


D: Was ich denke, was Missbrauch ist, ist das Etikettieren von Kindern mit religiösen Etiketten wie katholisches Kind und moslemisches Kind. Ich finde es sehr seltsam, dass wir in unserer Zivilisation ganz gerne von einem katholischen Kind sprechen, das 4 Jahre alt ist oder von einem moslemisches Kind, das 4 ist, wenn diese Kinder viel zu jung sind um zu wissen, was sie über den Kosmos, das Leben oder die Moral denken. Wir würden im Traum nicht von einem keynesianischen Kind oder einem marxistischen Kind sprechen. Und doch machen wir eine privilegierte Ausnahme für die Religion. Und übrigens, ich finde, es wäre ebenso ein Missbrauch, von einem atheistischem Kind zu sprechen.


S: Sie arbeiten gerade an einem neuen Buch, das vorläufig „Der Gotteswahn“ (The God Delusion) genannt wird. Können Sie es erklären?


D: Ein Wahn ist etwas, an das Leute glauben trotz eines totalen Mangels an Belegen. Religion ist kaum unterscheidbar vom Wahn der Kindheit wie dem „eingebildeten Freund“ oder dem Butzemann unter dem Bett. Leider gebietet der Gotteswahn über Erwachsene und nicht nur über eine Minderheit von Unglücklichen in einer Irrenanstalt. Das Wort „Wahn“ trägt negative Assoziationen und Religion hat genug davon.


S: Was sind ihre negativen Assoziationen?


D: Ein Wahn, der zum Glauben ermuntert, wo keine Evidenz ist, führt zu Problemen. Unstimmigkeiten zwischen unvereinbaren Glaubensinhalten können nicht durch begründete Argumente entschieden werden, weil  begründete Argumente aus denjenigen herausgehämmert sind, die von der Wiege an religiös erzogen wurden. Statt dessen werden Unstimmigkeiten mit anderen Mitteln entschieden, die, in extremen Fällen, unvermeidlich gewalttätig werden. Wissenschaftler sind untereinander uneinig, aber sie kämpfen niemals wegen ihrer Unstimmigkeiten. Sie diskutieren über Belege oder gehen hinaus und suchen neue Belege. Ziemlich das gleiche trifft zu für Philosophen, Historiker und Literaturkritiker. Aber du machst das nicht, wenn du nur weißt, dass dein heiliges Buch die von Gott geschriebene Wahrheit ist und der andere Typ weiß, dass seine unvereinbare Schrift es auch ist. Leute, die dazu erzogen wurden, an Religion und persönliche Offenbarung zu glauben, können nicht dazu bewegt werden, ihre Meinung wegen Beweisen zu ändern. Kein Wunder, dass religiöse Zeloten im Laufe der Geschichte zu Folter und Hinrichtung, zu Kreuzzügen und Dschihads, zu heiligen Kriegen und Säuberungsaktionen und Pogromen, zu Inquisition und Hexenverbrennung  griffen.

 

S: Was sind heute die dunklen Seiten der Religion?


D: Der Terrorismus im Mittleren Osten, militanter Zionismus, der 11. September, die Nord-Irland-„Probleme“,  Genozid, der sich in Jugoslawien als „Kredizid“ herausstellt, die Zerstörung der wissenschaftlichen Erziehung Amerikas, die Unterdrückung von Frauen in Saudi Arabien und Afghanistan und die Römisch-Katholische Kirche, die denkt, man kann ohne Hoden kein wahrer Priester sein.

 
S: Vor fünfzig Jahren meinten Philosophen wie Bertrand Russell, dass die religiöse Weltanschauung verblassen würde, da die Wissenschaft und Vernunft sich entwickelten. Warum geschah das nicht?


D: Der Trend in Richtung Aufklärung hat sich in der Tat in Europa und Großbritannien fortgesetzt. Er hat nur nicht angehalten in den USA und nicht in der islamischen Welt. Wir sehen gerade eine ziemlich unheilige Allianz zwischen der aufkeimenden Theokratie in USA und ihren Verbündeten, den Theokraten in der islamischen Welt. Sie schlagen die gleiche Schlacht: Christen auf der einen Seite, Muslime auf der anderen. Die sehr große Zahl von Leuten in den Vereinigten Staaten und in Europa, die diese Weltanschauung nicht unterschreiben, sind in der Mitte gefangen. Tatsächlich wäre heilige Allianz ein besserer Ausdruck. Bush und bin Laden sind wirklich auf der gleichen Seite: die Seite des Glaubens und der Gewalt gegen die Seite der Vernunft und der Diskussion. Beide haben den unerbittlichen Glaube, dass sie Recht haben und der andere das Übel ist. Jeder glaubt, dass, wenn er stirbt, er in den Himmel komme. Jeder glaubt, dass, wenn er den anderen töten könne, sein Weg ins Paradies in der nächsten Welt schneller sein würde. Die wahnwitzige  „nächste Welt“ ist beiden willkommen. Diese Welt wäre eine viel bessere Welt ohne die beiden.

S: Trägt die Religion zur Gewalttätigkeit islamischer Extremisten bei? Christlicher Extremisten?

D: Natürlich tut sie das. Von der Wiege an werden sie dazu erzogen Märtyrer zu verehren und zu glauben, dass sie einen schnellen Weg in den Himmel haben. Mit der Muttermilch saugen sie den Hass gegen Ketzer, Abtrünnige und Anhänger rivalisierender Glaubensrichtungen ein.

Ich will nicht behaupten, dass es Glaubensstreitigkeiten sind, die die einzelnen Soldaten zum Töten motivieren. Was ich tatsächlich behaupte ist, dass an Orten wie Nord-Irland die Religion das einzige verfügbare Etikett war, mit dem sich die Leute in der menschlichen Schwäche eines Wir-oder-sie-Krieges ergehen konnten. Wenn ein Protestant einen Katholiken ermordet oder ein Katholik einen Protestanten, dann fechten sie keine Glaubensstreitigkeiten über die Transsubstantiation (=die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi) aus. Was da vor sich geht ist eher eine Blutrache. Es war einer ihrer vielen Großväter, der einen unserer vielen Großväter tötete und so bekommen wir unsere Rache. Das „ihre vielen“ und „unsere vielen“ ist nur definiert durch die Religion. In anderen Teilen der Welt mag es definiert werden durch die Hautfarbe oder durch die Sprache, aber in so vielen Teilen der Welt ist es nicht so, sondern wird definiert über die Religion. Das trifft zu auf die Konflikte zwischen Kroaten und Serben und Bosniern – es geht immer um die Religion als Etikett. Die großen Massaker in Indien zur Zeit der Teilung waren zwischen Hindus und Moslems. Es gab nichts anderes um sie zu unterscheiden, sie waren von der Rasse her gleich. Sie identifizierten sich nur als „wir“ und die anderen als „sie“ durch die Tatsache, dass einige von ihnen Hindus und einige von ihnen Moslems waren. Das ist alles, worum es im Kaschmir-Konflikt geht. Darum, ja, ich würde die Ansicht verteidigen, dass Religion ein extrem wirksames Etikett für Feindseligkeit ist.

 

S: Wie hätten wir es besser ohne Religion?


D: Wir wären alle frei, uns auf das einzige Leben zu konzentrieren, das wir jemals haben werden. Wir wären frei, uns in dem Privileg zu sonnen – dem bemerkenswerten Glück – das jeder von uns genießen kann geboren zu sein. Eine astronomisch überwältigende Mehrheit der Leute, die geboren werden könnten, wird es niemals werden. Du bist einer aus der winzigen Minderheit, dessen Zahl gezogen wurde. Sei dankbar, dass du ein Leben hast und gib deinen vergeblichen und anmaßenden Wunsch nach einem zweiten auf. Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn wir alle eine positive Haltung zum Leben hätten. Sie wäre auch ein besserer Ort, wenn Sittlichkeit ausschließlich darum ginge, anderen gutes zu tun und Verletzungen von ihnen fern zu halten, als um die krankhafte Besessenheit der Religion von persönlicher Sünde und den Übeln sexueller Freuden.


S: Gibt es Umweltkosten einer religiösen Weltanschauung?


D: Es gibt viele religiöse Gesichtspunkte, nach denen die Bewahrung der Welt ebenso wichtig wie für Wissenschaftler ist. Aber es gibt gewisse religiöse Gesichtspunkte, nach denen sie es nicht ist. In den apokalyptischen Religionen glauben die Leute tatsächlich, weil sie irgendwelche dämlichen Prophezeiungen im Buch der Offenbarung lasen, die Welt werde bald zu Ende gehen. Leute, die das glauben, sagen: „Wir müssen uns nicht über die Erhaltung der Wälder oder irgend etwas anderem sorgen, das das Ende der Welt ohnehin kommt.“  Vor ein paar Jahrzehnten hätte man einfach darüber gelacht. Heutzutage kann man nicht lachen. Diese Leute sind an der Macht.

 
S: Anders als andere Beschreibungen der Evolution des Lebens beginnt „The Ancestor’s Tale“ in der Gegenwart und arbeitet sich zurück. Warum entschlossen Sie sich die Geschichte rückwärts zu erzählen?


D: Der wichtigste Grund ist, dass wenn man die Evolutions-Geschichte vorwärts erzählt und mit den Menschen endet, wie es menschlich normal ist, weil die Menschen an sich selbst interessiert sind, es aussieht als ob die ganze Evolution irgendwie auf die Menschheit abziele, was natürlich nicht war. Man kann überall hinzielen wie auf Kängurus, Schmetterlinge oder Frösche. Wir sind alle heutige Kulminationspunkte, für den Augenblick, in der Evolution. Wenn man jedoch rückwärts geht egal wo man startet in diesem riesigen Lebensbaum, dann konvergiert man immer am selben Punkt, welcher der Ursprung des Lebens ist. Das war der Hauptgrund, das Buch so zu strukturieren wie ich es tat. Es gab mir ein natürliches Ziel, auf das ich zuging – der Ursprung des Lebens – egal von wo ich startete. Dann konnte ich berechtigterweise mit den Menschen anfangen, an denen die Leute interessiert sind. Die Leute mögen es, ihre Abstammung zu verfolgen. Eine der verbreitetsten Arten von Website, nach denen über Sex, ist die über Familiengeschichte. Wenn die Leute die Abstammung des Namens zurückverfolgen, dann enden sie normalerweise nach einigen Hundert Jahren. Ich wollte 4000 Millionen Jahre zurückgehen. Die Idee zu einem besonderen Ziel zurückzugehen rief die Vorstellung einer Pilgerfahrt als eine Art literarisches Mittel in Erinnerung. So lehnte ich mich sehr vage an Chaucers „Canterbury Tales“ an, wo die Pilger als eine Schar menschlicher Pilger losgehen und zurückgehen um unsere Vorfahren zu entdecken. Uns schließen sich nacheinander andere Pilger an – Schimpansen-Pilger um vor 5 Millionen Jahren, dann Gorilla-Schimpansen, dann Urang-Utan-Pilger. Mit den Menschen beginnend gibt es nur 39 Zusammenführungs-Punkte, wenn man in der Zeit zurückgeht. Das ist eine überraschende Tatsache. Am Treffpunkt 39 treffen wir  die Bakterien-Pilger.

 
S: Die Vorstellung, dass die Evolution „zufällig“ sein könnte, scheint den Leuten Angst zu machen.  Ist sie zufällig?


D: Das ist ein spektakuläres Missverständnis. Wenn sie zufällig wäre, dann könnte sie womöglich nicht Anlass gegeben haben zu diesen fantastisch komplizierten und eleganten Formen, die wir sehen. Die natürliche Auswahl ist die wichtige Kraft, die die Evolution antreibt. Die natürliche Auswahl ist als nicht-zufällige Kraft dabei, wie Sie sich vielleicht vorstellen können. Es kann nicht funktionieren, wenn es nicht eine Art von Variation, wie es funktioniert, gibt. Und die Quelle von Variation ist Mutation. Mutation ist nur in dem Sinne zufällig, als dass sie nicht speziell auf Verbesserung gerichtet ist. Es ist die natürliche Auswahl, die auf Verbesserung gerichtet ist. Mutation ist in sofern zufällig, als dass sie nicht speziell auf Verbesserung gerichtet ist. Die Vorstellung, dass die Evolution selbst ein zufälliger Prozess ist, ist ein ganz besonders befremdliches Zerrbild. Ich möchte wissen, ob es absichtlich bösartig in die Welt gesetzt wurde oder ob diese Leute ehrlich diese groteske Absurdität glauben. Natürlich ist die Evolution nicht zufällig. Sie wird durch natürliche Auswahl getrieben, die eine hochgradig gerichtete Kraft ist.

 
S: Gibt es eine emotionale Seite des intellektuellen Vorhabens, die Lebensgeschichte auf der Erde zu erforschen?


D: Ja, ich fühle das deutlich. Wenn man einen Wissenschaftler trifft, der oder die sich selbst als religiös bezeichnet, dann stellt man oft fest, dass es das ist was er meint. Man stellt oft fest, dass sie mit „religiös“ nichts Übernatürliches meinen. Sie meinen genau die Art emotionaler Reaktion auf die natürliche Welt, die Sie beschrieben. Einstein hatte sie sehr stark. Unglücklicherweise benutzte er das Wort „Gott“, um sie zu beschreiben, was zu einer Reihe von Missverständnissen führte. Aber Einstein hatte dieses Gefühl, ich habe dieses Gefühl, und Sie finden es in den Schriften vieler Wissenschaftler. Es ist eine Art quasi-religiöses Gefühl. Und es gibt solche, die es religiös nennen wollen und die deshalb verärgert sind, wenn sich ein Wissenschaftler Atheist nennt. Sie denken „Nein, Sie glauben an dieses transzendente Gefühl, Sie können kein Atheist sein.“ Das ist eine Sprachverwirrung.


S: Manche Wissenschaftler sagen, dass die Entfernung Gottes aus ihrem Leben es sinnlos werden ließe, dass es Gott ist, der dem Leben Sinn gibt.


D: „Der entzauberte Regenbogen“ greift speziell die Vorstellung an, eine materialistische, mechanistische, naturalistische Weltanschauung ließe das Leben sinnlos erscheinen. Ganz im Gegenteil, die wissenschaftliche Weltanschauung ist eine poetische Weltanschauung, sie ist fast eine transzendente Weltanschauung. Wir sind unglaublich privilegiert überhaupt geboren zu sein und ein paar Jahrzehnte gewährt bekommen zu haben – bevor wir für immer sterben – in denen wir das Universum verstehen, wertschätzen und genießen können. Und diejenigen, die so glücklich sind heute zu leben, sind sogar privilegierter als die in früherer Zeit. Wir haben den Nutzen dieser früheren Jahrhunderte wissenschaftlicher Forschung. Nicht durch unser eigenes Talent haben wir das Privileg weit mehr zu wissen als vergangene Jahrhunderte. Aristoteles wäre baff erstaunt über das, was jedes Schulkind ihm heute erzählen könnte. Das ist die Art des privilegierten Jahrhunderts, in dem wir leben. Das ist es, was meinem Leben Sinn gibt. Und die Tatsache, dass mein Leben endlich ist und dass es das einzige Leben ist, das ich bekommen habe, lässt mich umso eifriger jeden Morgen aufstehen um mich an die Aufgabe zu machen, mehr von der Welt zu verstehen, in die ich so privilegiert hineingeboren wurde.

 
S: Menschen mögen nicht das Produkt eines intelligenten Designers sein, aber angesichts der Gentechnologie werden es unsere Nachfahren sein. Was bedeutet das für die Zukunft der Evolution?

D: Es ist ein interessanter Gedanke, dass in einer fernen Zeit in der Zukunft die Leute auf das 20. und 21. Jahrhundert als eine Wasserscheide der Evolution zurückblicken könnten – die Zeit, als die Evolution aufhörte, eine unidirektionale Kraft zu sein und eine gestaltende Kraft wurde. Bereits in den letzten paar Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden haben Landwirtschaftsexperten im gewissen Sinne die Evolution der Haustiere wie Schweine und Kühe und Hühner gestaltet. Das nimmt zu und wir werden technologisch klüger darin, nicht nur den Selektionsteil der Evolution, sondern auch den Mutationsteil zu manipulieren. Das wird sehr viel anders sein; eine der großen Eigenschaften der Evolution ist bis jetzt, dass es keine Vorausschau gibt. Allgemein ist die Evolution ein blinder Prozess. Deshalb nannte ich mein Buch „Der blinde Uhrmacher“. Die Evolution sieht niemals in die Zukunft. Es lenkt niemals das, was passiert auf der Basis dessen, was in der Zukunft passiert  in der Weise, wie es menschliches Gestalten zweifellos täte. Aber nun ist es möglich neue Arten von Schweinen und Hühnern zu züchten, die die und die Qualitäten haben. Wir können dieses Schwein sogar ein Stadium durchlaufen lassen, in dem es tatsächlich weniger gut in dem ist, was immer wir produzieren wollen – lange Schinkengestelle zu machen oder so etwas – aber wir können daran festhalten, weil wir wissen, dass es sich langfristig lohnt. Das passiert niemals in der natürlichen Evolution; es gab niemals „lasst uns zeitweise schlechter werden um besser zu werden, lasst uns ins Tal hinunter gehen um hinüber zur anderen Seite und auf den gegenüberliegenden Berg zu kommen.“ Ja, ich denke es mag sehr wohl sein, dass wir in einer Zeit leben, in der die Evolution plötzlich beginnt intelligent gestaltet zu werden.

 

Quelle: Salon Media Group, Inc., 101 Spear Street, Suite 203, San Francisco, CA 94105,  28. April 2005   

 

Besprechung des Buches "The God Delusion"

Die Wahnvorstellung Gott“ - Richard Dawkins Meisterwerk zum Thema Religion. Sie möchten wissen, warum Gott nicht existiert?

The God Delusion ist ein großes Buch. In der gebundenen Ausgabe vom britischen Verlag Bentam Press ist es deutlich größer als so manche Bibel. Eine Taschenbuchausgabe gibt es nicht. Der Einband zeigt in riesigen Buchstaben den Namen des Verfassers, darunter ruht Gott inmitten einer Detonationswelle aus roten Strahlen. Der Zoologe und Wissenschaftspuplizist Richard Dawkins meint es wirklich ernst.

Hintergrund

Der gesellschaftliche Hintergrund dieses Buches ist die Zunahme des religiösen Fundamentalismus im mittleren Osten und in den USA, der zunehmend gefährlich wird für das verhältnismäßig aufgeklärte Europa und für die betroffenen Länder selbst. Religiöse Dogmen diskriminieren Frauen und Homosexuelle, Atheisten und Andersgläubige müssen für ihre Überzeugungen in vielen Ländern mit ihrem Leben bezahlen. Vergewaltigten Frauen wird eine Abtreibung untersagt, Todkranke müssen bis zum bitteren Ende leiden, weil keine Sterbehilfe geleistet werden darf. Einflussreiche Anhänger der kruden Pseudowissenschaft Intelligent Design bringen den Schöpfungsmythos in die Lehrpläne. All dies seien nur die übelsten Auswüchse einer Weltanschauung, welche das eigentliche Problem darstelle: Religion.

So zumindest die Meinung von Richard Dawkins, ein Atheist, der den Unglauben aktiv verbreiten möchte. Bereits in der BBC-Dokumentation Der blinde Uhrmacher von 1987 legt sich der Evolutionsbiologe mit amerikanischen Kreationisten an, die glauben, dass Dinosaurier und Menschen zur gleichen Zeit gelebt haben und die Erde nicht mehr als 10 000 Jahre alt ist. Es folgten Aufsätze wie „Time to stand up“, Dawkins wütender Kommentar zu den Anschlägen vom 11.9., nachzulesen in The Devil‘s Chaplain, und zuletzt seine Channel-4-Doku The Root of all Evil?, die bereits einige Argumente von The God Delusion vorweg nimmt.

Inhalt und Kritik

Die folgenden Kapitelüberschriften und Zitate werden jeweils vom Rezensenten ins Deutsche übersetzt. Das Buch selbst ist bislang nicht in Deutschland erschienen und man kann nur spekulieren, ob dies geschehen wird. Dabei sollte man nicht allzu optimistisch sein, denn bereits Versuche, The Root of all Evil? hier senden zu lassen, sind fehlgeschlagen, auch The Devil‘s Chaplain hat es noch immer nicht in deutsche Buchhandlungen geschafft. Deutschland hat ein großes Problem mit dem Thema Religionskritik, doch der massive Einfluss, den The God Delusion im Ausland auf die Debatte um die Religion hatte, wird auch Deutschland auf kurz oder lang beeinflussen.

 

Kapitel 1: Ein tief religiöser Ungläubiger

In diesem Kapitel kritisiert Dawkins Wissenschaftler, die sich einer religiösen Sprache bedienen, obwohl sie nicht an Gott glauben. Damit verwischen sie die Grenzen der unvereinbaren Gegenpole Wissenschaft und Religion. Es wird auch mit dem Mythos aufgeräumt, Albert Einstein sei religiös gewesen, tatsächlich hat er nicht an Gott geglaubt und musste sich dafür herbe Kritik gefallen lassen. Wie viele Philosophen und Wissenschaftler beschrieb er mit "Gott" die Summe der Naturgesetze- und phänomene.

Im Folgenden setzt sich Dawkins mit dem unverhältnismäßigen Respekt auseinander, der Religionen in unserer Gesellschaft entgegen gebracht wird. Es sieht so aus, als dürfte man sich viel mehr erlauben, wenn man es nur religiös begründet. In England gibt es eine staatlich geförderte Welle von „faith schools“, fundamental-religiöse Schulen, die zahlreiche Kinder sehr einseitig und auf zweifelhafter Basis erziehen. Dort lernen sie, ihr "heiliges" Buch beim Wort zu nehmen. Der große Aufschrei bleibt aus, schließlich geht es um Religion. Man denke auch an den Karikaturenstreit und wie viele westliche Medien sich so verständnisvoll gaben für die verletzten religiösen Gefühle der Muslime, die in keinem Verhältnis standen zur Provokation der rechten Zeitung Jyllands-Posten. Jeder Politiker, jeder Prominente, jede öffentliche Person muss sich Karikaturen gefallen lassen. Warum sollte das mit religiösen Figuren nicht möglich sein, spätestens seit der Aufklärung ist die Parodie der Religion in Europa schließlich Tradition und fester Bestandteil der demokratischen Kultur. Warum nimmt man zum Beispiel die Behauptung, Gott habe etwas gegen Homosexuelle, überhaupt ernst? Was macht Grausamkeiten unbedenklich, wenn sie mit dem Stempel „Religion“ versehen werden? Dawkins jedenfalls nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er diese Dinge kritisiert.

Kapitel 2: Die Gottes-Hypothese

Im Unterkapitel Polytheismus geht es nur am Rande um polytheistische Religionen, die von der monotheistischen Konkurrenz ähnlich geringschätzig behandelt werden wie der Atheismus. Stattdessen nimmt sich Dawkins die Dreifaltigkeit und die Heiligenverehrung des Christentums vor. Er zeigt auf, dass es nicht einmal so klar ist, ob das Christentum eine Ein-Gott-Religion ist oder nicht. Schließlich werden sowohl dem Heiligen Geist, Jesus, Gott-Vater und heilig gesprochenen Menschen göttliche Fähigkeiten nachgesagt. Dawkins lehnt eine allzu genaue Differenzierung des Gottes-Begriffes ab, was er in einer programmatischen Passage erläutert:

„Ich greife keine spezielle Version von Gott oder Göttern an. Ich greife Gott an, alle Götter, alles und jedes Übernatürliche, gleich wo oder wann sie erfunden worden oder erfunden werden.“

Im Folgenden weist Dawkins nach, dass die Vereinigten Staaten von Amerika nicht auf der christlichen Religion basieren. Hierzu zitiert er Dokumente und Politiker aus der Entstehungszeit der USA. Ein Zitat aus dem Tripolis-Vertrag, den George Washington anfertigte und John Adams 1797 unterzeichnete, belegt diese Behauptung bereits eindrucksvoll:

„(...) Regierung und Staatswesen der Vereinigten Staaten von Amerika basieren in keiner Weise auf der christlichen Religion (...)“

Trotz dieses Umstandes werden Atheisten in Amerika wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Dawkins erwähnt einen Fall, in dem ein Atheist einfach nur deshalb ermordet wurde, weil er nicht an Gott glaubte. So etwas kommt dann allerdings eher selten vor.

Nun geht es um den Agnostizismus und warum in der Gottesfrage nichts davon zu halten ist. Zwar kann man nicht beweisen, dass Gott nicht existiert, dies liegt aber nur daran, dass man Nicht-Existenz prinzipiell nicht wissenschaftlich beweisen kann. Es gibt jedoch keinen besseren Grund, von Gottes Existenz auszugehen, wie von der Existenz von Elfen oder Trollen. Dawkins unterscheidet sieben Kategorien vom starken Theisten bis zum starken Atheisten. Er selbst ordnet sich bei Kategorie sechs ein, tendiert allerdings zu sieben. Dies bedeutet, dass er so lebt, als gäbe es keinen Gott, obwohl er es nicht mit absoluter Sicherheit bestimmen kann, er jedoch aufgrund der geringen Wahrscheinlichkeit von Gottes Existenz dazu neigt, zu sagen, dass er weiß, dass Gott nicht existiert.

Der Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould brachte eine weit verbreitete Vorstellung auf den Punkt, laut der Wissenschaft und Theologie unterschiedliche Fragen behandeln. Die Wissenschaft behandelt die Fragen, woraus das Universum besteht (Fakten) und wie es funktioniert (Theorien). Die Theologie geht seiner Ansicht nach darüber hinaus und kümmert sich um die so genannten „letzten Fragen“, die von höherer Bedeutung sein sollen. Dawkins legt dar, warum diese Unterscheidung keinen Sinn ergibt und warum etwa die Fragen nach dem Ursprung des Lebens oder nach der Existenz eines Gottes sehr wohl wissenschaftliche Fragen sind.

Dawkins zeigt auf, wie haarsträubend das „Große Gebets-Experiment“ des Arztes Russel Stannard war, laut dem Gebete einen heilenden Effekt auf Kranke hätten haben sollen. Das Ergebnis des Experiments lautete, dass die Kontrollgruppe, für die gebetet wurde, mehr Komplikationen erleiden musste, als die andere. Dies kann man mit dem Vorführungseffekt begründen, also mit der Nervosität und dem Stress der Patienten, die glaubten, jetzt erst recht gesunden zu müssen.

Im nächsten Teilkapitel reagiert Dawkins auf Anschuldigungen von anderen Atheisten, die ihn dafür kritisieren, moderate Gläubige anzugreifen. Er hätte sich mit ihnen verbünden können, um gegen Kreationisten vorzugehen. Dawkins Ansicht zufolge besteht die große Auseinandersetzung jedoch nicht zwischen Evolution und Kreationismus, sondern zwischen Rationalismus und Aberglauben.

Im letzten Teil des Kapitels geht Dawkins auf die Existenz oder Nicht-Existenz von Außerirdischen ein. Er meint, dass dieses Thema der optimale Fall für Agnostizismus sei. Es gibt gute Argumente für und gegen die Existenz von Außerirdischen. Er selbst vermutet, dass sie existieren. Wenn die Wahrscheinlichkeit für intelligentes Leben außerhalb unserer Welt eine Billion zu eins wäre, dann gäbe es immer noch eine Billion Planeten mit intelligentem Leben darauf. Dawkins schätzt, dass es Planeten mit Außerirdischen gibt, die uns so weit überlegen sind, dass wir sie für Götter halten könnten. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass sie das Ergebnis einer langen Evolution wären. Solche gottähnlichen Wesen könnten also nicht am Anfang des Universums gelebt und es erschaffen haben, weil dem Zeitpunkt der Schöpfung logischerweise kein Evolutionszeitraum voraus ginge.

Kapitel 3: Argumente für Gottes Existenz

In diesem Kapitel nimmt sich der Wissenschaftsautor die angeblichen Gottesbeweise und andere Argumente für Gottes Existenz vor. Dieses Kapitel ist recht amüsant, denn Dawkins kann sich nicht zurück halten, besonders abstruse Argumente zu parodieren. So verlegt er die Diskussion um das ontologische Gottesargument auf einen Kinderspielplatz, wo es aufgrund seiner Infantilität hingehöre. Er begnügt sich jedoch nicht mit Parodien, sondern widerlegt die vergleichsweise besten Argumente für Gott mal wissenschaftlich, mal philosophisch, je nachdem, was gerade angemessen erscheint.

Kapitel 4: Warum es beinahe mit Sicherheit keinen Gott gibt

Dawkins beginnt dieses Kapitel mit einer Erklärung, warum die Evolutionstheorie eben nicht behauptet, das Leben sei durch Zufall entstanden. An sich ist es nichts Neues, dass natürliche Selektion nicht mit Zufall gleich zu setzen ist, sondern einen evolutionären Mechanismus bezeichnet, der die Lebewesen bevorzugt, welche am besten an ihre Umwelt angepasst sind. Trotzdem wird diese Behauptung von ID-Anhängern immer wieder aufgeworfen.

Hierauf interpretiert Dawkins natürliche Selektion als Bewusstseins-Erzeuger (“Consciousness-Raiser“). Dies bedeutet, dass die Evolution sehr viel besser die Entstehung des Lebens erklären kann als jedes andere Modell und uns einige wichtige Dinge über die Welt erstmals bewusst macht, die vorher im Dunkeln lagen. Es verwundert ihn, dass immer wieder Theologen die Evolution als die Art und Weise verstehen, wie Gott die Welt erschuf, obwohl diese Theorie ohne Gott auskommt.

„Irreduzible Komplexität“ ist eines der wissenschaftlich klingenden Modebegriffe des Intelligent Design. Er bedeutet, dass bestimmte Lebewesen sich nicht allmählich entwickelt haben können, sondern auf einmal erschaffen worden sein müssen, weil etwa ein halbes Auge keinen Sinn ergeben würde. Es gab noch niemals ein Lebewesen mit einem halben Auge, jedoch gab und gibt es Tiere, deren Sehvermögen im Vergleich zu unserem eingeschränkt ist und deren Augen nicht so weit entwickelt sind wie unsere. Bisher wurde noch kein Fall von irreduzibler Komplexität nachgewiesen, wobei Dawkins einräumt, dass ein solcher Fall die gesamte Evolutionstheorie zum Einsturz bringen würde.

Lücken in der Evolutionstheorie sind das nächste Thema, da sie von Kreationisten besonders betont werden. Tatsächlich ist es kein Wunder, dass es Lücken in der Evolutionstheorie gibt. Andernfalls müssten wir zum Beispiel sämtliche Fossilien aller Lebewesen schon entdeckt haben. Kreationisten weisen auch darauf hin, dass laut Evolution alle Lebewesen perfekt sein müssten, etwa immun gegen Gifte. Dawkins argumentiert, dass dies vielmehr für Design gelte, denn warum sollte Gott unvollkommene Geschöpfe entwerfen?

Hierauf nimmt sich Dawkins die planetare und kosmologische Version des anthropischen Prinzips vor. Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, dass auf einem Planeten Leben entsteht, es gibt jedoch so viele Planeten, dass es durchaus vorkommen kann. Das selbe gilt für die Existenz eines Universums, das Leben ermöglicht. Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, noch viel unwahrscheinlicher ist jedoch die Existenz eines Gottes, der alle Variablen so einstellt und berechnet, dass am Ende unser Universum dabei heraus kommt.

Zuletzt geht Dawkins auf weitere Argumente ein, die ihm gegenüber geäußert wurden. Die Templeton Foundation bezahlt Wissenschaftler dafür, dass sie auf ihren Konferenzen erscheinen, außerdem vergibt sie hoch dotierte Preise für jeden von ihnen, der Christentum und Wissenschaft für kompatibel hält. Laut Dawkins ist dies für viele seiner Kollegen der einzige Grund, sich auf eine solche Weise zu äußern. Er zitiert als Beleg einige gekünstelte Argumente von Wissenschaftlern, die in Verbindung mit der Templeton Foundation stehen. Einer der Vorwürfe, die Dawkins oft entgegen gebracht werden, lautet, seine Religionskritik sei „19. Jahrhundert“. Das bedeutet, er soll keine direkten Fragen stellen wie „Glauben Sie an Wunder?“ oder „Glauben sie an die Jungfrauengeburt?“, weil das die Aufklärer im 19. Jahrhundert getan haben. Heute wird dies als unhöflich angesehen, unhöflich deshalb, weil, wenn die Antwort „Ja“ lautet, sich die Gläubigen damit selbst lächerlich machen könnten. Eine Gefahr, denen sie Dawkins unhöflicherweise aussetzt.

Kapitel 5: Die Ursprünge der Religion

Aus Sicht der Evolution ist Religion eine gewaltige Zeit- und Energieverschwendung. Warum existiert sie trotzdem?

Zunächst einmal stellt Dawkins einige Theorien vor, welche die Religion erklären sollen und argumentiert, warum sie meist nicht funktionieren. Eine dieser Theorien ist die Gruppen-Selektion. Sie besagt, dass Gruppen von Menschen aufgrund ihrer Religion zum Überleben und Fortpflanzen selektiert werden, da sich hierdurch der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe erhöhe. Dawkins hält nichts von Gruppen-Selektion. Sie kann zwar vorkommen, stellt jedoch keinen eigenen evolutionären Mechanismus dar, was er überzeugend erläutert. Religion, so seine eigene Theorie, ist vielleicht ein Nebenprodukt anderer Mechanismen. Das könnte so funktionieren:

Die Psyche von Kindern ist darauf eingestellt, ihren Eltern zu glauben. Dabei handelt es sich um einen Überlebensmechanismus. Sie müssen ihren Eltern zum Beispiel glauben, dass sie bestimmte Dinge essen dürfen und andere nicht, damit sie sich nicht vergiften. Es handelt sich um einen Mechanismus, der zur vagen Orientierung dienen soll. Als solcher ist er leicht anfällig für eine Infektionen durch Viren, zum Beispiel Religionen. Die Kinder glauben die Inhalte der Religion ihrer Eltern, auch wenn diese aus evolutionärer Sicht keinen Sinn ergeben. Dawkins weist darauf hin, dass es sich nur um eine von vielen Theorien handelt, und dass sie noch nicht konkret ausgearbeitet wurde.

Um diesen Gedankengang weiter zu verfolgen: Kinder emanzipieren sich in der Pubertät von ihren Eltern bis zu einem gewissen Grad und entwickeln eigene Gedanken. Bei Religionen scheint das nur selten zu funktionieren, schließlich handelt es sich um komplette Weltanschauungen, noch dazu mit dogmatisch vertretenen Inhalten, die aufrecht erhalten werden von der näheren Umgebung der indoktrinierten Kinder. Wenn alle oder fast alle Freunde und Verwandten des Kindes an dieser Religion festhalten, wird das Kind eine minder große Neigung dazu haben, den Glauben in Frage zu stellen. Leider verkennt Dawkins die Bedeutung von sozialen Netzwerken. Auf der Atheistenkonferenz Beyond Belief 2006 wurde er darauf hingewiesen, dass die meisten Menschen lieber ihren Glauben entgegen aller Vernunft erhalten werden, als ihre Familie aufzugeben, falls nötig. In den Vereinigten Staaten offenbar ein großes Problem. An seiner Theorie ändert das jedoch nichts.

Im Folgenden geht Dawkins auf weitere Nebenprodukt-Theorien ein, diesmal seitens der Evolutionspsychologie. Laut dem Psychologen Paul Bloom sind Menschen geborene Dualisten. Das heißt, dass sie Körper und Geist voneinander getrennt betrachten, was Religionen mit ihrer Kreation Seele ausnutzen. Monisten – die meisten Naturwissenschaftler sind Monisten – betrachten Körper und Geist als untrennbare Einheit. Neben vielen weiteren Vorschlägen erwähnt Dawkins die Nebenprodukt-Theorie der romantischen Liebe. Die „besessene“ Form von Liebe, laut der man auf Wunsch des Partners sogar töten würde, sei „verrückt“. Laut dieser Theorie lieben Gläubige Gott, also eine fiktive Person, anstelle einer echten. Zweifellos haben es viele Gläubige schon oft bekundet und bewiesen, dass sie Gott lieben.

Dies erklärt jedoch noch nicht, wie sich Religion verbreitet und wie die Details zustande kommen. Dawkins Memetik zufolge verbreiten sich kulturelle Informationen so ähnlich wie Viren, weshalb er auch des öfteren Religionen als Viren bezeichnet. Die einzelnen Glaubensinhalte wie „Du wirst deinen eigenen Tod überleben“ sind Meme, die sich innerhalb eines Memplexes, wie etwa dem katholischen Glauben, befinden, zu dem mehrere solcher Meme gehören. Ein Mem verbreitet sich desto schneller, je besser es mit der menschlichen Psyche kompatibel ist.

Eine der witzigsten und enthüllendsten Passagen in Dawkins Buch beschäftigst sich mit den Cargo-Kulten von Neuguinea, die unabhängig von der Ursprungsregion auch in Neu-Kaledonien, auf Fiji und in anderen Gebieten entstanden sind. Verschiedene Ureinwohner-Stämme haben festgestellt, dass die weißen Missionare, Soldaten, Verwalter etc. niemals Dinge herstellen oder reparieren. Wenn sie etwas brauchen, wird es auf Frachtschiffen ("cargo-ships") geliefert. Stattdessen tun die weißen Männer viele seltsame Dinge. Sie hören kleinen Kästen zu, die verzerrte Töne von sich geben, sie bauen Mäste mit Kabeln daran und einige von ihnen tragen identische Kleider und laufen immer auf und ab. Keine Frage: Das mussten rituelle Handlungen sein, um die Götter davon zu überzeugen, noch mehr Frachtschiffe zu schicken. Die meisten Cargo-Kulte sind davon überzeugt, dass am Tag der Apokalypse ein bestimmter Messias kommen wird. Bei einem der Kulte trägt dieser Messias den Namen John Frum. Er wird in offiziellen Aufzeichnungen der Regierung vereinzelt erwähnt, aber es ist nicht sicher, ob es ihn wirklich jemals gab. Auf jeden Fall soll er wiederkehren, die weißen Menschen vertreiben, die Kranken heilen und natürlich für reichlich Fracht für die Eingeborenen sorgen. Darauf angesprochen, dass John Frum nun schon seit 90 Jahren nicht mehr aufgetaucht ist, antwortete Hohepriester Nambas: „Wenn ihr 2000 Jahre auf Jesus Christus warten könnt, und er kommt einfach nicht, dann kann ich gewiss länger als 90 Jahre auf John warten.“ Dieses Teilkapitel ist so umwerfend komisch und bezeichnend, dass sich allein dafür schon die Anschaffung des Buches lohnt. Der Dank gebührt allerdings David Attenborough, der diese Kulte erforscht hat.

Kapitel 6: Die Ursprünge der Moral: Warum sind wir gut?

„Warum sind wir gut?“ Dieser Frage voraus gehen müsste eine andere: „Sind wir gut?“ Dawkins jedoch ist ein sehr positiv denkender Mensch, teilweise sogar naiv, wenn es um das Gute im Menschen geht. An sich macht ihn das sehr sympathisch, ganz im Gegensatz zu den Anschuldigungen, die er sich anhören muss. Dazu später.

Dieses Kapitel beginnt mit einigen Briefen und E-Mails, die Richard Dawkins und Brian Flemming, Urheber der Doku The god who wasn‘t there, erhalten haben. Die negativsten Briefe stammen von religiösen Menschen, die meinen, ihre Gewaltfantasien loswerden zu müssen. Einer schreibt, er würde Flemming gerne erstechen und ausweiden, jemand anderes fantasiert einen Krieg gegen Atheisten herbei und weist auf sein geladenes Gewehr hin. Negative Kommentare gab es auch von anderen Menschen, jedoch waren Gewaltdrohungen ausnahmslos religiös motiviert. So viel zu der Behauptung, Moral erfordere Gott.

Nun versucht sich Dawkins an einer evolutionären Begründung von Moral. Er erklärt unter anderem, warum die Theorie des egoistischen Gens mit dem Altruismus vereinbar ist: Wir verhalten uns manchmal selbstlos, um unsere nächsten Verwandten, Träger derselben Gene, zu schützen. Zweitens gilt das Prinzip „Geben und Nehmen“, welches auch zum Tausch von Früchten oder, heutzutage, Gütern geführt hat. Des Weiteren gewinnt man durch altruistisches Verhalten Ansehen und steigt in der sozialen Hierarchie auf. Viertens bewerben wir durch Selbstlosigkeit unsere eigene Person, es handelt sich um eine Art authentisches Marketing. Bei der „extremen“ Version des selbstlosen Verhaltens könnte es sich um ein Nebenprodukt anderer Mechanismen handeln. Hier ist etwa die Aufopferung für einen völlig Fremden gemeint. Die meiste Zeit über hat der Mensch in kleinen Gruppen gelebt, in denen alle miteinander verwandt waren, deshalb konnte er sich nicht für Fremde aufopfern. Heute bemerkt unsere Biologie so zu sagen den Unterschied nicht und glaubt, sie rette einem genetischen Verwandten das Leben. Dawkins merkt selbst an, dass diese Theorie noch nicht völlig überzeugend klingt.

Daraufhin widmet sich Dawkins der Moralphilosophie. Er zitiert eine Studie, laut der religiöse und nicht-religiöse Menschen moralische Dilemmata – spezielle Aufgaben, in denen moralische Entscheidungen gefragt sind – genau gleich beantworten. Gott und Vaterland seien ferner ein unschlagbares Team, was Unterdrückung und Blutvergießen angeht, wobei absolutistische Werte schwer auf anderer Basis als Religion zu verteidigen seien. Tatsächlich haben Diktaturen jeder Art gerne bei ihrer Selbstlegitimation auf Gott verwiesen, oder, wie Mao Zetung, sich selbst zu einer Art Gott erklärt.

Kapitel 7: Das „gute“ Buch und der sich verändernde moralische Zeitgeist

Hier geht es um die Bibel und warum sie kein so gutes Buch ist, wie Christen glauben. Die Hauptaussage des Kapitels ist, dass niemand von uns seine Werte aus der Bibel ableitet. Täten wir das, müssten wir zum Beispiel Frauen unterdrücken, Homosexuelle umbringen und ganze Völker auslöschen. Die wohl unmenschlichste und absurdeste Geschichte, die Dawkins gefunden hat, steht in Richter Kapitel 19: Ein levitischer Priester ist mit seiner Konkubine zu Gast bei einem alten Mann. Die Männer der Stadt klopfen an die Tür und verlangen die Herausgabe des Gastes, um ihn zu vergewaltigen. Stattdessen bietet der alte Mann seine Tochter an und der Priester schickt seine Konkubine nach draußen. Die Männer vergewaltigen sie die ganze Nacht lang. Am Morgen findet der Levite seine Konkubine tot vor der Türe liegen. Er nimmt ein Messer und zerstückelt sie in zwölf Teile, die er an alle Küsten Israels schickt.

Das Neue Testament ist zwar moralisch zahmer, aber keineswegs sinnvoller: Gott schickt seine Inkarnation als Jesus zur Erde und lässt sie foltern und töten, um sie für die Ursünde büßen zu lassen. Es ist klar, dass die Geschichte um Adam und Eva nicht symbolisch gemeint sein kann, da ohne die Ursünde Jesus grundlos gestorben wäre. Man fragt sich außerdem, warum sich Gott für seine Schöpfung selbst umbringt, um dann wieder geboren zu werden und in den Himmel aufzufahren. Er hätte seiner Schöpfung auch so die Sünden vergeben können, ohne großes Theater. Man kann Dawkins Bewertung, dies sei rasender Irrsinn (“barking mad“) kaum abstreiten und denkt man über das Ausmaß nach, den dieser Irrsinn im Laufe der Geschichte mit sich gebracht hat, wird auch sein gelegentlicher Zynismus verständlich. Was die Moral im Neuen Testament angeht, sollte man bedenken, dass Vergebung und Nächstenliebe etc., die Jesus gepredigt hat, nur für Juden gelten sollten, es handelt sich um eine interne Gruppen-Moral. Für Un- und Andersgläubige sieht die Lage anders aus: Sie sollen von den Gläubigen versklavt oder getötet werden, wie es in zahlreichen Stellen der Bibel nachzulesen ist.

Diese interne Gruppen-Moral mit Feindschaft nach Außen gäbe es auch ohne Religion, wie Dawkins anmerkt. Man denke nur an Fußball-Mannschaften und ihre Anhänger, an Sprachen, Rassen und Stämme, welche die Menschen ebenfalls einteilen und oft Verachtung anderer Gruppen mit sich bringen. Religion erweitert die Liste jedoch wie folgt:

• Sie drückt Kindern den Stempel der Religion ihrer Eltern auf die Stirn. Man spricht von einem „muslimischen Kind“, oder einem „katholischen Kind“, obwohl die Kinder selbst noch nicht wissen, was das alles bedeutet.

• Getrennte Schulen. Viele Kinder besuchen religiöse Schulen und werden dort sehr einseitig beeinflusst und teils sogar gegen Mitglieder anderer oder keiner Religionen aufgehetzt.

• Das Tabu des „Aus-Heiratens“. Viele Religionsgemeinschaften untersagen noch immer die Heirat ihrer Mitglieder mit Anhängern anderer oder keiner Religionen.

Nun geht Dawkins auf den „Zeitgeist“ ein. Es handelt sich um eine Art gesellschaftlichen Konsens, was die Werte betrifft. Vor 100 Jahren war es ganz normal, selbst in gebildeten Schichten, Schwarze für minderwertig zu halten und Homosexuelle für krank. Heute hat sich dies zum Glück geändert. Die Ethik unterliegt also einem Wandlungsprozess, Dawkins Ansicht nach wandeln sich die Werte zum Besseren. Manchmal kommt es zu zeitweiligen Rückgriffen auf an sich überwundene Ansichten, wie heute in den tief religiösen USA. Insgesamt beobachtet Dawkins einen Aufwärts-Trend, eine Art kulturelle Evolution. Diese Sichtweise ist typisch für den britischen Oxford-Professor: Trotz seines Skeptizismus blickt er optimistisch in die Zukunft und glaubt, dass am Ende alles gut wird – man könnte das als humanistische Romantik bezeichnen. Auf der Atheistenkonferenz Beyond Belief 2006 wurde er für dieses „hegelianische“ Bild gesellschaftlichen Wandels kritisiert, weil die Nazi-Diktatur dem widerspreche. Dieses Argument ist nicht völlig überzeugend, da es sich bei Hitlers Diktatur um einen kurzzeitigen Rückgriff auf überkommene Vorstellungen gehandelt haben könnte. Schließlich war es gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Westen ganz normal, Rassist zu sein und Hitler hat nicht viel später gelebt. Ein anderes Argument, auf das seltsamerweise noch niemand gekommen ist, widerspricht der Zeitgeist-Theorie aber doch: Die Blüte und der Untergang von Hochkulturen. Hätten sich die ägyptischen, griechischen, römischen oder sonstigen Hochkulturen weiter entwickelt, hätten sie gewiss einen ähnlichen Entwicklungsstand wie die heutige Zivilisation erreicht. Auch in diesen Hochkulturen fand schließlich eine moralische Evolution statt, bis sie untergegangen sind. Man könnte wiederum dagegen argumentieren, dass der Humanismus an die griechische Philosophie anschließt und dass sich die heutige Zivilisation insofern bei den Erkenntnissen früherer Hochkulturen bedient. Trotz allem scheint Dawkins Zeitgeist-Theorie zu kurz zu greifen und es ist bedauerlich, dass seine Bildungswut vor Geisteswissenschaften halt macht, trotz seiner vollauf berechtigten Kritik der dort grassierenden postmodernen Philosophie. Eine andere Interpretation der Geschichte legt der sozialistische Literaturwissenschaftler Terry Eagleton vor, der eine Konstanz von Unterdrückung und Armut der Massen betont. Vielleicht ist es auch richtig, was Ian Stewart, Jack Cohen und Terry Pratchett in ihrer Sachbuchreihe behaupten: Die Geschichte ergibt gar keinen Sinn.

Hierauf geht es um die Frage, ob Stalin und Hitler Atheisten waren und was dies aussagen würde. Dawkins belegt überzeugend, dass es nicht klar ist, ob Hitler ein Christ war oder nicht. Mal sieht er sich als Auserwählter Gottes, mal verflucht er das Christentum. Es ist anzunehmen, dass er zumindest einen großen Teil seines Lebens den christlichen Glauben teilte. Was Stalin betrifft: Er war Atheist. Zwar wurde er, wie gerne von ungläubiger Seite festgestellt, streng religiös erzogen, jedoch hat er sich von diesem Glauben gelöst. Was bedeutet dies nun? Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen religiösen Herrschern wie Papst Urban II., der zum Kreuzzug gegen die Muslime aufrief, und atheistischen Diktatoren wie Stalin: Urban II. handelte aufgrund seiner Religion, argumentierte zumindest anhand der Bibel, Stalin dagegen ließ niemanden deshalb ermorden, weil er an Gott glaubte. Er war vielmehr Anhänger einer dogmatischen politischen Ideologie.

Kapitel 8: Was ist so falsch an der Religion? Warum so feindlich sein?

Dawkins erklärt, warum er keineswegs an Konfrontation interessiert ist: Streitgespräche sind selten konstruktiv. Er möchte vielmehr die Religion allgemein kritisieren, weniger bestimmte Gruppen oder Individuen. Bomben werfen, seine Gegner verbrennen oder ihre Wolkenkratzer zerstören möchte er nicht. Trotzdem wird er häufig als „atheistischer Fundamentalist“ bezeichnet. Grund genug, den Unterschied zwischen Wissenschaft und Religion darzulegen:

Zunächst einmal stellt er fest, dass die Behauptung, der Glaube an Beweise sei ebenso fundamentalistisch wie der Glaube an die Wahrheit der Bibel, von Philosophen geäußert wird, die mit dem Kulturrelativismus infiziert seien. Deren Argumente werden gerne von religiösen Menschen übernommen. Genauer geht er in The Devil‘s Chaplain auf diese Denkweise ein, die mit postmoderner Philosophie und dem Studienfach cultural studies zusammen hängt, welches inzwischen auch in Deutschland Verbreitung findet. Demnach versteht jede Kultur etwas anderes unter „Wahrheit“ und „Realität“, weshalb man sie auch nicht objektiv feststellen kann. Dawkins weist darauf hin, dass die Wissenschaft diese Begriffe definiert und auf dieser Basis mit ihnen arbeitet. Die Evolution ist demnach genauso wahr, wie dass sich Australien in der südlichen Hemisphäre befindet. Die Wissenschaft ist stets offen für neue Belege, die Religion meint dagegen, sie kenne die Wahrheit bereits von Anfang an, weil sie in einem heiligen Buch stünde, das sich nicht irren könne.

Hierauf erklärt Dawkins, warum sich religiöse Fanatiker einen absolutistischen Staat wünschen. Damit hat er unrecht, denn der Begriff Absolutismus ist enger definiert. Dies ist jedoch nur ein kleiner Fehler, denn es wird klar, dass von einem totalitären Staat die Rede ist, von einer Theokratie. Im Folgenden geht es um Glauben und Homosexualität, sowie um Glauben und Abtreibung, respektive Sterbehilfe, wobei Dawkins die beiden letztgenannten befürwortet und dies überzeugend begründet. Gegen Homosexualität gibt es aus ethischer Sicht ebenfalls nichts zu sagen.

Nun geht es um die Gefahren eines moderaten Glaubens, also der Religiosität, wie sie momentan die meisten Leute, zumindest im Westen, teilen, die sich selbst als religiös bezeichnen. Auch diese Form von Religiosität meint, der Glaube an Irrationales sei positiv und öffne laut Dawkins dem Fundamentalismus damit Tür und Tor. Tatsächlich nimmt die Zahl von moderaten Gläubigen ab und die Zahl von Fanatikern nimmt zu. So einfach ist es jedoch nicht. Es gibt durchaus viele moderate Gläubige, bei denen keinerlei Gefahr besteht, dass sie auch nur annähernd Fundamentalisten werden könnten. Einer davon ist mit Sicherheit Terry Eagleton, der Dawkins Buch sehr negativ beurteilt. Seiner Ansicht nach war Jesus ein Klassenkämpfer, der sich gegen die römische Besatzungsmacht aufgelehnt hat, eine in Variationen weit verbreitete Interpretation. Eagleton ist ebenfalls ein Vertreter von Humanismus und Aufklärung, wie zum Beispiel seine empfehlenswerte Abrechnung mit der postmodernen Philosophie beweist und seine Kritik am Fundamentalismus ist in keiner Weise weniger deutlich als die von Dawkins (“... eine Art von Wahnsinn“). Aber: Seine Kritik an Dawkins überzeugt nicht. Seine Rezension enthält viele Widersprüche und Eagletons Definition von Gott ist so unverständlich, dass er sie wahrscheinlich nicht einmal selbst glaubt. Eagleton ist das Vorzeige-Beispiel eines an sich sehr intelligenten und humorvollen Menschen, der sich einfach nicht von seinem irrationalen Glauben lösen kann, oder zumindest nicht von der Vorstellung, ein solcher Glaube sei irgendwie positiv.

Kapitel 9: Kindheit, Missbrauch und die Flucht vor der Religion

Hier geht Dawkins näher darauf ein, warum er nicht mit der religiösen Erziehung von Kindern einverstanden ist. Zunächst einmal sollte man ein Missverständnis ausräumen, das leicht auftreten kann, wenn man The God Delusion liest: Dawkins ist gegen ein Verbot religiöser Erziehung. Seine Kritik bewegt sich nicht auf legislativer Ebene, sondern auf intellektueller. Er möchte überzeugen.

Was religiöser Kindesmissbrauch ist, argumentiert er anhand des Katholizismus. Er zitiert historische Fälle, in denen Kinder ihren Eltern genommen wurden, weil jemand die Kinder taufte und sie somit einem anderen Glauben angehörten als ihre Eltern – obskurer Weise darf jeder Katholik jeden Menschen taufen, was diese Menschen für immer zu Katholiken macht, denn offiziell kann niemand aus der katholischen Kirche, sondern nur aus der Steuergemeinschaft, austreten. Insofern könnte auch der Rezensent – ein katholischer Atheist – seine Kollegen beim Humanistischen Pressedienst taufen, was er höflicherweise unterlassen wird.

Sehr weit geht Dawkins, wenn er sagt, dass religiöse Indoktrination von Kindern schlimmer ist als sexueller Missbrauch von Kindern. Er führt als Beispiel einen Brief an, den er von einer Frau erhielt, die katholisch erzogen und in ihrer Kindheit von einem Priester sexuell missbraucht wurde. Sie fand das als Kind zwar „eklig“, hatte aber keine lebenslangen Alpträume davon. Als jedoch ein Schulfreund von ihr starb, glaubte sie, er würde als Protestant zur Hölle fahren und dort ewig leiden müssen. Dies fand sie weitaus schrecklicher als den sexuellen Missbrauch. Offenbar kann so etwas also vorkommen, trotzdem muss man sagen, dass sich Dawkins weit aus dem Fenster lehnt, wenn er das verallgemeinert. Er zitiert weitere Briefe mit dramatischen Geschichten, wie religiös erzogene Kinder sich später von ihrem Glauben befreien konnten. So rührend und glaubwürdig diese Geschichten auch sein mögen, ein wenig einseitig sind sie doch. Man kann nicht davon ausgehen, dass alle religiösen Eltern so fanatisch sind wie die von Dawkins genannten und ihren Nachwuchs auf die Straße setzen, wenn er sich von Gott abwendet. Hier hätte ein wenig Differenzierung gut getan. Recht hat er allerdings, wenn er sagt, dass Toleranz und Pluralität Grenzen haben müssen und dass religiöse Fanatiker diese Grenzen überschreiten.

Im Folgenden kritisiert Dawkins einmal mehr die Blair-Regierung für ihre Unterstützung religiöser Schulen. Er nennt auch das Beispiel Nordirland, wo erwachsene Protestanten katholische Schulmädchen mit Flaschen und Steinen bewarfen, um sie am Betreten ihrer Schule zu hindern. In diesem Fall mag „Loyalisten“ ein Euphemismus für "Protestanten" und „Nationalisten“ ein Euphemismus für "Katholiken" gewesen sein, wie Dawkins feststellt. Entgegen seiner eigenen Aussagen reduziert er jedoch an einigen Stellen den gesamten Konflikt auf Religion. Wenn man sich die Geschichte Nordirlands ansieht, kann davon keine Rede sein. Der nordirische Konflikt entstand vielmehr aus der Auseinandersetzung um den Anschluss an das britische Empire. Gewiss ist es für Scharfmacher äußerst praktisch, dass eine Seite katholisch und die andere Seite evangelisch ist, weil so Unterschiede betont werden können. Der Grund für den Konflikt ist jedoch politischer Natur.

Zuletzt betont Dawkins die Bedeutung der Religion aus wissenschaftlicher Sicht. Zum Beispiel wäre westliche Literaturwissenschaft ohne die Bibel und mittel-östliche ohne den Koran nur sehr reduziert möglich, da es in der Literatur sehr oft Anspielungen auf die Bibel gibt. Shakespeare etwa ist ohne Kenntnis der Bibel kaum zu verstehen. Um an dieser Stelle mit einem seltsamen Vorurteil aufzuräumen: In hoher Literatur wird Religion so gut wie immer kritisch betrachtet. Anspielung ist ungleich Zustimmung.

Kapitel 10: Eine notwendige Lücke?

Hier geht es um die Frage, ob jemand Gott brauchen könnte. Dawkins geht auf das Imaginäre-Freund-Phänomen ein, also, dass Kinder ihre Spielzeuge personifizieren oder Erwachsene ihren Gott, der zu ihnen spricht als eine halluzinierte Stimme. Nun wird die Frage beantwortet, ob der Glaube eine beruhigende und behütende Funktion haben kann. Diese Funktion würde ihn nicht wahr machen, außerdem hält Dawkins eine atheistische Position dagegen: Unser Leben ist so bedeutungsvoll, erfüllt und wunderbar wie wir möchten. Das Leben hat den Sinn, den wir ihm geben. Die Inspiration, die Religion manchen Menschen gibt, kann ebenfalls ersetzt werden. Man denke nur an die vielen ungläubigen Künstler, von Goethe über Mozart bis Heinrich Heine.

Dawkins beendet sein Buch mit einem leider minder gelungenen Gedankenspiel: Der Mutter aller Burkas. Es geht im Prinzip darum, dass wir die Welt ohne die Wissenschaft nur durch einen kleinen Seeschlitz wahrnehmen können, während uns die Wissenschaft einen erheblich größeren Blick auf die Welt gewährt. Zuletzt wirft Dawkins die Frage auf, ob wir irgendwann in der Lage sein werden, auch die letzten Rätsel des Universums zu beantworten.

Fazit

The God Delusion ist das mitunter beste religionskritische Buch, das es gibt. Es ist weder militant noch eindimensional. Vielmehr werden hier die besten Argumente gegen Religion und gegen Gott in jeder seiner Formen erläutert. Sprachlich auf feinstem Oxford-Englisch-Niveau verfasst, ist das Buch humorvoll, intelligent und leicht zu verstehen. Auszusetzen gibt es nur ein paar Kleinigkeiten: Die Zeitgeist-Theorie greift zu kurz, außerdem wird die Bedeutung des Zusammenhangs von Religion und sozialen Netzwerken zu gering eingeschätzt. Vielleicht hätte sich Dawkins sogar mit der Theologie befassen sollen, wie Terry Eagleton es fordert. Deren verworrene Thesen sind nämlich leicht zu widerlegen, was andere Aufklärer gezeigt haben. Auch fällt es negativ auf, dass Dawkins die Debatte so sehr personalisiert. Eagleton hat nicht ganz unrecht damit, dass er öfter von sich selbst redet, als von Gott, was an der Sachbuch-untypischen Ich-Perspektive liegt. Trotz allem darf man hoffen, dass die Gottes-Wahnvorstellung auch in Deutschland erscheinen wird. An die Adresse ungläubiger Wissenschaftler sei diese Bitte von Richard Dawkins weiter gegeben:

„Ich mache mir Sorgen, als einsame Stimme verkannt zu werden – nach dem Motto: ‚Oh, das ist typisch Dawkins, er meckert immer herum.‘ Ich wünschte, mehr meiner Kollegen würden aufstehen und sich mir anschließen, weil sie nämlich überwiegend mit mir einer Meinung sind.“

Andreas Müller

Richard Dawkins: Die Leere der Theologie

 

Ein kläglich bemühter Leitartikel in der britischen Zeitung The Independent bat kürzlich um eine Versöhnung zwischen Wissenschaft und "Theologie".

Er bemerkte, dass "die Leute so viel wie möglich über ihre Ursprünge erfahren möchten". Ich hoffe gewiss, dass sie das tun, aber wie um alles in der Welt kommt man auf die Idee, dass die Theologie etwas Brauchbares zu dem Thema beitragen könnte?

Die Wissenschaft ist verantwortlich für das folgende Wissen über unsere Ursprünge. Wir wissen annähernd, wann das Universum begann und warum es überwiegend aus Wasserstoff besteht. Wir wissen, warum sich Sterne bilden und was in ihrem Inneren geschieht, um Wasserstoff in die anderen Elemente umzuwandeln, wodurch die Chemie in eine Welt der Physik geboren wird. Wir kennen die grundlegenden Prinzipien, wie eine Welt der Chemie durch das Hervorbringen selbst-reproduzierender Moleküle zur Biologie werden kann. Wir wissen, wie das Prinzip der Selbst-Replikation durch die darwinistische Selektion alles Leben ermöglicht, auch das menschliche.

Es ist die Wissenschaft und nur die Wissenschaft, welche uns dieses Wissen gab und sie gab es uns außerdem in faszinierendem, überwältigendem, sich gegenseitig bestätigendem Detail. Zu jeder dieser Fragen hat die Theologie eine Position vertreten, die nach und nach widerlegt wurde. Die Wissenschaft hat die Pocken ausgerottet, kann gegen vormals tödliche Viren immunisieren, kann vormals tödliche Bakterien unschädlich machen.

Die Theologie hat nichts getan, außer von Pestilenz als die Strafe für Sünden zu sprechen. Die Wissenschaft kann vorhersagen, wann ein bestimmter Komet wieder erscheinen wird und, zweitens, wann die nächste Sonnenfinsternis zu erwarten ist. Die Wissenschaft hat Menschen auf den Mond gebracht und hat Aufklärungsraketen um Saturn und Jupiter gejagt. Die Wissenschaft kann Ihnen das Alter eines bestimmten Fossils nennen und dass das Grabtuch von Turin eine mittelalterliche Fälschung ist. Die Wissenschaft kennt die genauen DNA-Baupläne von mehreren Viren und wird, noch in der Lebenszeit der meisten Leser, auch die vom menschlichen Genom kennen.

Was hat die Theologie jemals von sich gegeben, das für irgend jemanden auch nur von allerkleinstem Nutzen wäre? Wann hat die Theologie jemals etwas festgestellt, das nachweisbar korrekt und nicht offensichtlich ist? Ich habe Theologen zugehört, ihre Bücher gelesen und mit ihnen debattiert. Ich habe noch niemals von keinem von ihnen auch nur irgend etwas von allerkleinstem Nutzen gehört, nichts, das nicht entweder schon längst völlig offensichtlich ist oder von vorne bis hinten falsch. Wenn all die Errungenschaften der Wissenschaft morgen ausgelöscht wären, dann gäbe es keine Mediziner, sondern Medizinmänner, kein schnelleres Transportmittel als Pferde, keine Computer, keine gedruckten Bücher, keine Landwirtschaft, die für mehr als zum purem Überleben reicht. Wenn all die Errungenschaften von Theologen morgen ausgelöscht wären, könnte irgendjemand auch nur den allerkleinsten Unterschied feststellen? Sogar die schlechten Errungenschaften der Wissenschaft, wie Bomben oder sonar-gelenkte Wahlfängerschiffe, funktionieren! Die Errungenschaften von Theologen tun nichts, verändern nichts, bedeuten nichts. Wie kommt überhaupt jemand auf die Idee, dass "Theologie" ein Fachgebiet ist?


Anm. des Übersetzers: Das "Human Genome Project" hat dieses Kunstwerk inzwischen vollbracht.

 


Übersetzer: Andreas Müller
Original: "The Emptiness of Theology" im
Free Inquiry magazine  Band 18, Nummer 2

 

 

 

 

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