Materialien zum Ethikunterricht
Ernst Haeckel (1834 - 1919)
Ernst Haeckel wurde am 16. Februar 1834 in Potsdam geboren. Er wurde einer der großen deutschen Zoologen hat wie kein anderer im vorigen Jahrhundert der Abstammungslehre von Charles Darwin zum Durchbruch verholfen. Dies geschah besonders durch sein grundlegendes Werk ,,Generelle Morphologie der Organismen", das 1866 erschienen ist. Haeckel formulierte das biogenetische Grundgesetz, das den Zusammenhang zwischen Embryonalentwicklung und Stammesentwicklung aufzeigt. Besondere Verdienste erwarb sich Haeckel, weil er die Abstammung des Menschen in die Entwicklungslehre einbezog und diese stark begründete. Darwin schrieb über ihn: Fast alle Schlüsse, zu denen ich gekommen bin, finde ich durch diesen Naturforscher bestätigt, dessen Kenntnisse in vielen Punkten viel vollkommener sind als die meinen."
Kritisch setzte sich Ernst Haeckel mit den Kirchen
auseinander und trat für eine klare Trennung von Staat und Kirche ein:,, Mit
allen Mitteln ist die Hierarchie zu bekämpfen, welche der weltlichen Macht einen
geistlichen Mantel umhängt und die Leichtgläubigkeit der ungebildeten
Volksmassen zur Förderung ihrer egoistischen Zwecke ausnutzt." Unter seinem
Ehrenvorsitz wurde 1906 der ,,Deutsche Monistenbund" gegründet. Wegen dieses
Engagements wurde der nun über Siebzigjährigen von den Kirchen heftig
angegriffen. Im preußischen Abgeordnetenhaus forderten kirchlich orientierte
Politiker, dass gegen Ernst Haeckel mit allen staatlichen Mitteln vorgegangen wird. So erklärte der Abgeordnete Reinke: ,,Wie
die Sozialdemokratie die Wirtschaft erobern will, so zersetzt der Monistenbund
die Lehren von Kirche und Schule.”
Ernst Haeckel starb am 9. August 1919 in Jena.
Zitat:
”Die Früchte vom Baum der Erkenntnis sind es immer wert, daß man um ihretwillen das Paradies verliert." (Ernst Haeckel)
Literatur:
* ”Generelle Morphologie der Organismen” von Ernst Haeckel,
2 Bde., Sondereinband - de Gruyter, Bln. 1988, ISBN: 3110101858, 256,- DM
* ”Kunstformen in der Natur” von Ernst Haeckel,
Sonderausgabe, Taschenbuch - 139 Seiten - Prestel, Mchn.
1998 ISBN: 3791319787, 39,80 DM
Ernst Haeckel
von Dr. Angelika Weiß-Merklein,
August 1999
Naturwissenschaftler, Philosoph und Künstler (1834-1919)
Der Lebenslauf von Ernst
Haeckel
Entwicklungsjahre und Studentenzeit
Der Weg zur Zoologieprofessur und
Institutsgründung in Jena
Wissenschaft, Darwinismus und Weltanschauung
Der
Naturwissenschaftler Haeckel
Die Selektionstheorie
Die Biogenetische Regel oder
"Durchlaufen wir in unserer Embryonalentwicklung ein Fischstadium?"
Leben aus toter Materie?
Die Herkunft des Menschen
Ernst Haeckels Suche nach dem idealen
Symmetriegesetz
Ästhetische Naturbetrachtung
Naturformen-Kunstformen
Was ist die Ursache für das Schönheitsempfinden?
Haeckel als Wegbereiter der Neuroästhetik
Wirkungen
Der
Lebenslauf von Ernst Haeckel
Entwicklungsjahre und Studentenzeit
Geboren
wurde Ernst Heinrich Philipp August Haeckel am 16. Februar 1834 als zweiter Sohn
des Regierungsrates Carl Gottlob Haeckel und dessen Ehefrau Charlotte, geborene
Sethe, in Potsdam.
Ernst Haeckel mit seinen Eltern (1857 |
Haeckels
Jugendzeit fiel in die Periode der bürgerlich-demokratischen Revolution von
1848. Er erlebte Adelsherrschaft, politische Zersplitterung und die nationale
Ohnmacht. Haeckel hasste von Jugend an Junkertum und feudale Kleinstaaterei. Als
reifer Gelehrter stand er unter dem Einfluss der Bismarck-Ära. Als Greis wurde
er mit dem ersten Weltkrieg und dessen verheerenden Folgen konfrontiert.
Die Erziehung durch den Vater war streng, doch hat er wohl von ihm das lebhafte,
leicht erregbare, leidenschaftliche Temperament geerbt. Er selbst schrieb es dem
Einfluss seines Vaters zu, dass er sich später nicht in der Erforschung des
Einzelnen verlor, sondern sich immer einen allgemeinen Überblick bewahrte. Von
der Mutter, an die er eine außergewöhnlich starke Bindung hatte, erbte er die
große Sensibilität. So schreibt er einmal:
" Gleich meiner Mutter konnte ich oft in lebhaftes Entzücken über den
Anblick einer bunten Blume, eines niedlichen Vogels, eines farbenreichen
Sonnenuntergangs geraten". Beide Eltern waren literarisch (hier waren es
vor allem die Werke Goethes) und philosophisch sehr interessiert und gaben diese
Neigungen an ihren Sohn weiter. Im Jahre 1835 übersiedelte die Familie nach
Merseburg. Dort verbrachte Ernst Haeckel seine Kindheit und Jugend bis zum 18.
Lebensjahr. Den ersten Unterricht erhielt Haeckel von seiner Mutter, unter ihrer
Anleitung sammelte er erste gärtnerische Erfahrungen. Auch eine kleine
Schmetterlingssammlung legte er an. Im sechsten Lebensjahr engagierten die
Eltern den Privatlehrer Karl Gude, der Haeckel sehr früh mit der systematischen
Botanik vertraut machte, etwas , was er im Domgymnasium, das er bis zum Abitur
1852 besuchte, sehr vermisste. Den Lehrplan hat er heftig kritisiert:
" Das Hauptgewicht wurde auf die genaue Kenntnis des griechischen und römischen
Altertums gelegt, auf die völlige Beherrschung der griechischen und
lateinischen Sprache (....) Erst in zweiter Linie kam die deutsche Sprache und
Literatur, sodann Französisch und Mathematik. In dritter Linie, ganz im
Hintergrunde, standen Geographie und Naturkunde".
Aus dieser Erfahrung heraus hat Haeckel sich später
immer
wieder für eine Stärkung des naturkundlichen Unterrichts in den
Schulen eingesetzt.
Doch auch in der Domschule gab es einen Lehrer (Otto Gandtner), der Mathematik
und Naturkunde unterrichtete und der es wagte, in der traditionsreichen 300
Jahre alten Domschule physikalische und chemische Experimente durchzuführen.
Naturwissenschaftliche Kenntnisse erwarb sich Haeckel überwiegend in seiner
Freizeit, in der er botanisierte und ein umfassendes Schülerherbarium anlegte.
Schon damals zeigte sich sein Zeichentalent. Weiter las er viel: Klassiker der
deutschen Literatur, Natur- und Reisebeschreibungen und Darwins
"Naturgeschichtliche Reisen". Durch das Buch "Die Pflanze und ihr
Leben" von Matthias Jacob Schleiden, das er als 14jähriger las, wurde er
so stark beeindruckt, dass er beschloss, Botanik zu studieren. Nach bestandenem
Abitur - am 12. März 1852 - immatrikulierte sich Ernst Haeckel jedoch auf den
dringenden Wunsch des Vaters hin in Berlin als Student der Medizin und der
Naturwissenschaften. Seine hochgespannten Erwartungen wurden im Verlauf des
ersten Semesters nur teilweise erfüllt, denn ein
eigentliches botanisches Institut für mikroskopische Untersuchungen
existierte in Berlin nicht. Auch von Würzburg , wo er sein Studium unter
Virchow fortsetzte, war er sehr enttäuscht, fühlte sich unglücklich und
meinte für das Medizinstudium total ungeeignet zu sein. In den Briefen an seine
Eltern zeigte sich seine Verzweiflung:
"Ja,
armer Dr. med, ärmster stud. med. Wenn Ihr wüsstet , wie es mit diesem
aussieht. Ich will euch gleich ganz offen sagen sagen, dass mir der stud. med.
noch niemals so leid gewesen ist, wie jetzt. Ich habe jetzt die feste Überzeugung,
... dass ich nie praktischer Arzt werden, nicht einmal Medizin studieren
kann."
Dabei versicherte Haeckel, dass es nicht der erste Ekel der Sezierübungen sei,
der ihn hinderte, sondern "eine unüberwindliche Abscheu gegen alles
Krankhafte".
Die Eltern, von den Stimmungsschwankungen ihres sensiblen Sohnes nicht überrascht,
aber um seine Zukunft besorgt, ermunterten ihn immer wieder, das Medizinstudium
auf jeden Fall bis zum praktischen Arzt fortzusetzen, ohne ihn jedoch
"unbarmherzig zu zwingen", wie Haeckel später darstellte. Immer
wieder versicherte der Vater ihm, dass er den Arztberuf später nicht ausüben müsse.
Haeckel wusste dabei, dass es nur über das Studium der Medizin möglich war,
sich eingehend mit vergleichender Anatomie und Entwicklungsgeschichte zu beschäftigen
sowie intensive mikroskopische Untersuchungen und Meereszoologie zu betreiben.
Er war fasziniert von der Formenvielfalt und Schönheit der niederen Seetiere
und arbeitete weit über das geforderte Maß hinaus. So schrieb er an seine
Eltern:
"Erst heute komme ich dazu, Euch wieder einmal zu schreiben, da die
wundervollen Polypen, Quallen, Korallen usw. mich die ganze vorige und jetzige
Woche von früh 5 bis abends 10 beschäftigt und mir das größte Vergnügen
gemacht haben."
Aber auch Virchows mikroskopischen Untersuchungen an krankhaft veränderten
Geweben und Zellen konnte er für sein Arbeitsgebiet etwas abgewinnen. Die
Virchowschen Gedanken zur Zellforschung waren neuartig und originell und Haeckel
berichtet begeistert:
"Ja, über die Zellentheorie geht mir nichts! (...) Für mich ist es das
Anziehendste, was es gibt und dem Studium und der Erforschung der Zelle möchte
ich alle meine Kräfte widmen.... Vivant cellulae!"
Entscheidend für seinen wissenschaftlichen Werdegang wurden für Haeckel die
Vorlesungen des damals berühmten Johannes Peter Müller über vergleichende
Anatomie und Physiologie. Einen weiteren Bildungsimpuls gaben seine Reisen: eine
Tropenreise, ein Kindheitstraum, weiterhin Reisen an die französische und
italienische Mittelmeerküste und nach Helgoland, die er mit Müller durchführte.
Auf Helgoland reifte sein Entschluss, seine Lebensarbeit der Meeresbiologie zu
widmen.
Im Dezember 1854 legte Haeckel in Berlin das "Examen physicum" ab,
Ostern 1855 setzte er sein Studium in den klinischen Fächern in Würzburg fort.
Nicht mehr die praktische Medizin brachte ihn jetzt in Konflikte, sondern es
waren weltanschauliche Probleme. Nicht nur Virchow, sondern die Mehrzahl der
Naturforscher und Ärzte vertraten materialistische Anschauungen und erschütterten
das Fundament seines christlichen Weltbildes. Haeckel war es unbegreiflich, dass
man "mit dieser Überzeugung leben konnte und dabei ein edler, guter Mensch
war." Er ahnte nicht, dass er wenige Jahre später selbst sich radikal vom
christlichen Glauben abkehren würde.
In Würzburg wurde er unter Virchow "Königlich bayrischer Assistent an der
pathologisch-anatomischen Anstalt zu Würzburg" mit monatlich 12 1/2 Gulden
und als Virchow bald darauf nach Berlin gerufen wurde, folgte ihm Haeckel nicht,
sondern entschied sich für die wissenschaftliche Zoologie. Wieder reiste er an
das Meer, dieses Mal nach Nizza, um sich den Krebstieren zuzuwenden. Er
promovierte 1857 über den Flusskrebs. Sein Staatsexamen legte er im August des
gleichen Jahres in Berlin ab. Im März 1858 wurde er approbiert und eröffnete
formell eine Praxis im väterlichen Haus. Der Erfolg seiner ärztlichen Tätigkeit
war gering, kein Wunder, hatte er die Praxis doch nur von 5-7 Uhr morgens geöffnet.
In seiner freien Zeit wollte er bei Johannes Müller vergleichend-anatomische
und mikroskopische Studien betreiben, doch starb Müller unerwartet. In dieser
schwierigen Situation bot ihm seine Cousine Anna Sethe Halt. Am 14. September
1858 verlobte er sich in Heringsdorf mit ihr.
Haeckels erste Frau
Anna Sethe
Der Weg zur Zoologieprofessur und Institutsgründung in Jena
An
der kleinen Universität Jena war die Zoologie in den ersten Jahrzehnten des 19.
Jh. keine selbständige akademische Disziplin. Erst langsam entwickelte sich über
das Zoologische Museum unter Gegenbaur ein selbständiger Zweig. Bevor Haeckel
diesen übernehmen konnte, musste er sich habilitieren. Zunächst aber trat er -
wieder mit finanzieller Unterstützung des Vaters - eine Reise nach Messina, Rom
und Neapel an. In Florenz kaufte er sich ein leistungsfähiges kleines
Mikroskop, dessen Anschaffung er dem Vater wegen des hohen Preises zunächst
nicht mitzuteilen wagte, das sich aber später bei seinen Planktonuntersuchungen
als außerordentlich wertvoll erwies. Zwar arbeitete er zunächst angestrengt über
Seesterne und unbekannte Radiolariengruppen, doch wurde er dann so von der
Landschaft Italiens auf der Insel Ischia überwältigt, dass er - unter dem
Einfluss des norddeutschen Dichters Hermann Allmers - ernsthaft überlegte, ob
er Landschaftsmaler werden solle. Doch der Vater zeigte sich dieses Mal
unnachgiebig und wollte keinesfalls für diesen Beruf eine Unterstützung gewähren.
Schließlich gelang es Haeckel bis zu seiner Abreise 120 neue Radiolarienarten
sicher zu unterscheiden. Über dieses Thema habilitierte er sich dann schließlich
am 4. März 1861. Und schon am 24. April begann er im Zoologischen Museum vor
neun eingeschriebenen Hörern seine erste Vorlesung. Noch aber war Haeckel nicht
Professor und benötigte weiterhin die finanzielle Unterstützung des Vaters.
Erst mit der Ernennung zum außerordentlichen Professor im Juni 1862 und dem
damit verbundenen höheren Gehalt war die Voraussetzung für eine Eheschließung
gegeben. Zwei Monate später heiratete Haeckel Anna Sethe in Berlin.
Haeckel war im Sommer 1860 auf Darwins epochemachendes Werk "Entstehung der
Arten" aufmerksam geworden und bekannte sich sofort zu dieser neuen
Theorie. In den folgenden Jahren interpretierte er nicht nur die
Evolutionstheorie, sondern erweiterte sie was den Ursprung des Lebens und die
Herkunft des Menschen anbetrifft. Im Gegensatz zu Darwin wies er auch sofort auf
die weltanschaulichen Konsequenzen hin. Der damals 29-jährige setzte mit dem
offenen Bekenntnis zu Darwin seine eben erst begonnene Laufbahn aufs Spiel. Am
Tage seines 30. Geburtstages wurde er für seine Radiolarienwerke ausgezeichnet
und just am selben Tag starb nach kurzem Krankenlager seine über alles geliebte
Frau Anna. Haeckel war nicht fähig, an der Beisetzung teilzunehmen, der Vater
reiste aus Berlin an, um ihm zur Seite zu stehen. Ausweg und Halt fand Haeckel
nun in der wissenschaftlichen Arbeit. Belohnt wurde er mit einer ordentlichen
Professur in Jena 1865. Der erste Schritt zur Gründung eines Zoologischen
Institutes in Jena war getan, auch wenn die Ausstattung in jeder Hinsicht
primitiv war. In einer Eingabe an das Weimarische Staatsministerium forderte
Haeckel Mittel für die Einrichtung, denn "mit einer Porzellanschüssel,
einem Napf, einer alten Pinzette und einigen alten Scheren" ließe sich
schwerlich arbeiten. Er erhielt 300 Reichstaler zur instrumentalen Ausstattung
und 1869 eine geräumige Dienstwohnung. Parallel zu dieser enormen Verbesserung
entwickelte sich auch die Zahl der Studenten. Schließlich erreichte Haeckel
1882 den Neubau eines modernen und großzügig angelegten Zoologischen Instituts
im Garten des ehemaligen Döbereinerschen Hauses. Am Ende seines Lebens hat
Haeckel immer wieder betont, dass ihm keine andere als die vom Geist der
Goethe-Zeit geprägte Jenaer Universität so günstige Schaffensmöglichkeiten hätte
bieten können. 1883 konnte er auch in sein Wohnhaus, die "Villa Medusa",
einziehen, die er in unmittelbarer Nähe des Instituts im Stile eines
oberitalienischen Landhauses hatte bauen lassen.
Villa Medusa, Berggasse 7 in Jena
Wissenschaft, Darwinismus und Weltanschauung
Die
Jahre 1865/66 gehören zu den erfolgreichsten und wissenschaftlich fruchtbarsten
in Haeckels Leben. Im Wintersemester 1865/66 las er erfolgreich über Darwin:
Haeckel musste den größten verfügbaren Hörsaal benutzen. Neben 120
eingeschriebenen Hörern nahmen Laien
aller
Berufsstände teil.
Ausgehend von der Forderung nach einer streng mechanistisch-kausalen
Naturbetrachtung begründete Haeckel in seinem Werk der "Generellen
Morphologie" ein philosophisches System des Monismus. Darin lehnte er jede
dualistische Weltanschauung ab und postulierte die Entstehung der ersten
Organismen aus anorganischer Materie. In die Zeit 1872 fällt die Formulierung
des Biogenetischen Grundgesetzes, wonach die Individualentwicklung eine kurze
Rekapitulation der Stammesentwicklung darstellt. Schon zu Lebzeiten erntete er für
seine Thesen Kritik; besonders polemisch waren die Auseinandersetzungen über
die Entwicklung des Menschen aus affenähnlichen Vorstufen. Haeckel antwortete:
"Interessant und lehrreich ist dabei nur der Umstand, dass besonders
diejenigen Menschen über die Entdeckung der natürlichen Entwicklung des
Menschengeschlechts aus echten Affen am meisten empört sind und in den
heftigsten Zorn geraten, welche offenbar hinsichtlich ihrer intellektuellen
Ausbildung und cerebralen Differenzierung sich bisher noch am wenigsten von den
gemeinsamen tertiären Stammeltern entfernt haben."
1867 ging Haeckel eine zweite Ehe mit Agnes Huschke, der jüngsten Tochter des
Jenaer Anatom Emil Huschke, ein.
In
den ersten Ehejahren folgte ihm Agnes mit Begeisterung in allen Situationen, später
erwies sich die Verbindung als problematisch. Agnes litt unter den oft
monatelangen Trennungen während Haeckels zahlreicher Reisen ebenso wie unter
den zunehmend wissenschaftlichen und weltanschaulichen Kämpfen, in die ihr Mann
verstrickt war. Vor allem die Anwendung der Evolutionstheorie auf die
Stammesgeschichte des Menschen stieß nicht nur in kirchlichen Kreisen auf
erheblichen Widerstand. Im Mittelalter hätte ihn sein Buch "Anthropogenie"
vermutlich vor die Inquisition gebracht. Mit dem hochverehrten Lehrer Rudolf
Virchow entspann sich eine Kontroverse, die in erbitterter Gegnerschaft endete.
Vor allem als Haeckel öffentlich forderte, dass die Evolutionstheorie in den
Schulen gelehrt werden müsse, unterstellte Virchow ihr staatsgefährdende
Tendenzen und boykottierte somit ein neues Unterrichtsgesetz. Überzeugt von der
Wahrheit seiner Ansichten kämpfte Haeckel mit allen Mitteln für die
Anerkennung und Popularisierung der Evolutionstheorie. Sein vielzitierter
Kampfruf war: "Impavidi progrediamur" (Unerschrocken lasst uns vorwärts
schreiten). Vortragsreisen durch 13 Städte bis Triest riefen zwar die
Zustimmung breiter Bevölkerungsschichten hervor, jedoch auch den erbitterten
Widerstand der Kirche. Darwins und Haeckels Schriften wurden in höheren Schulen
verboten, 1882 wurde dann in Preußen der biologische Unterricht in der
Oberstufe der Gymnasien abgeschafft.
Während der aufreibenden Kämpfe um den Entwicklungsgedanken ließ Haeckel aber
seine wissenschaftlichen Arbeiten nicht ruhen. 1872 - 1876 wurde auf der sog.
Challenger-Expedition (von der Royal Society durchgeführt) an 354 verschiedenen
Stellen in den Weltmeeren die Tiefseefauna untersucht. Haeckels Auswertung des
Challenger-Materials dauerte zwölf Jahre und beanspruchte ihn stark. In dieser
Zeit unternahm er noch 16 ausgedehnte Reisen, u.a. in die Tropen und in den
Vorderen Orient. Seine Eindrücke und Erlebnisse gab er in den "Indischen
Reisebriefen" wieder oder stellte sie künstlerisch dar, so etwa in 50
Aquarellen von der Orientreise. Mit dem Abschluss der Challenger-Monographien
widmete sich Haeckel verstärkt der Popularisierung des Evolutionsgedankens und
dem Ausbau des Monismus. 1892 opponierte Haeckel in einer Reihe von Aufsätzen
gegen das reaktionäre Volksschulgesetz. Er forderte einen stärker
naturwissenschaftlich orientierten Unterricht und eine Bevorzugung der neueren
Sprachen gegenüber den klassischen, weiterhin angemessenen Kunstunterricht und
mehr sportliche Betätigung. In seinem berühmten Buch "Die Welträtsel
(1899)" versuchte er seine monistische Philosophie zu veranschaulichen. Das
Buch wurde Haeckels größter Erfolg. Es wurde in über 400000 Exemplaren
aufgelegt und in mehr als 30 Sprachen übersetzt. (1903 erschien noch eine
billige Volksausgabe) Der antiklerikale Charakter des Buches rief einen Sturm
der Entrüstung hervor, zumal Haeckel immer wieder die Trennung von Staat und
Kirche forderte.
Ein
Abgeordneter des preußischen Herrenhauses warnte eindringlich vor dem
"unheilvollen Einfluss, welchen die ‚Welträtsel' besonders auf Primaner,
Volksschullehrer und höhere Töchter ausübe". Als Antwort darauf begann
Haeckel eine Vortragsreihe.
Die
kirchlichen Kreise antworteten mit aller Schärfe und Haeckel bemerkte dazu:
"Die Flut von Beschimpfungen und Verleumdungen aller Art, welche die
'frommen Blätter'- voran der lutherische Reichsbote und die römische Germania-
über mich ergossen, überstieg alles bisher da gewesene."
Um
die gesellschaftliche Reaktion zu begreifen, müssen wir uns näher mit dem
Forschungsgebiet Haeckels befassen. Was können wir nun zunächst über den
Naturwissenschaftler Haeckel sagen?
Der Naturwissenschaftler Haeckel
Im
Sommer 1860, als Haeckel an seiner Radiolarienmonografie arbeitete, wurde er auf
das Werk von Charles Darwin (1809-1882) "Über die Entstehung der Arten
durch natürliche Zuchtwahl" aufmerksam. Sofort bekannte er sich zu dieser
neuen Theorie, die das Weltbild des Menschen völlig umwälzte. Darwins Theorie
entthronte den Menschen als Krone der Schöpfung. Sein fester Glaube an die
Unveränderlichkeit der Arten war nach einer fünfjährigen Weltreise erschüttert
worden und er schrieb 1844:
"Endlich kamen Lichtstrahlen, und ich bin beinahe überzeugt, dass die
Spezies nicht unveränderlich sind. Mir ist, als gestände ich einen Mord ein.
Der Himmel bewahre mich vor Lamarckschem Unsinn einer 'Neigung zum Fortschritt',
der Anpassung in Folge des langsam wirkenden Willens der Tiere.." (Darwin:
Die Entstehung der Arten).
Dabei war es das Verdienst des französischen Biologen Jean Baptiste Lamarck
(1744 -1829), den Entwicklungsgedanken, der seit dem 18. Jahrhundert zunehmend
an Bedeutung gewann, ausformuliert zu haben. Das erste Gesetz Lamarcks lautet:
"Organe ändern sich durch den Gebrauch bzw. Nichtgebrauch". Im
zweiten Gesetz folgerte Lamarck, dass diese Eigenschaften vererbbar seien.
Ferner nahm Lamarck als Ursache der Höherentwicklung einen
Vervollkommnungstrieb an.
Wie steht nun Haeckel zu Lamarck? Haeckel hob immer wieder neben Lorenz Oken und
Wolfgang Goethe Lamarck als Vorläufer Darwins hervor. Er hielt auch die
Vererbung erworbener Eigenschaften für weitaus bedeutungsvoller als Darwin und
entwickelte dazu eine eigene fragwürdige Theorie. Sein ultimatives Vorgehen,
sein Desinteresse an den Veröffentlichungen Gregors Mendels, haben nicht dazu
beigetragen, die wichtige Grundfrage der Entwicklung und Vererbung sachlich zu
klären. Eigene Vererbungsexperimente, wie sie z.B. Darwin an Tauben und Mendel
an Erbsen durchgeführt haben, unternahm Haeckel nicht.
Wie lautet nun die Darwinsche Selektionstheorie?
Darwin ging von folgenden Tatsachen aus:
1. Alle Arten sind veränderlich. Es spielen jedoch nur die vererbbaren
Variationen eine Rolle.
2. Alle Arten erzeugen weitaus mehr Nachkommen als schließlich überleben oder
sich fortpflanzen.
Darwin folgert daraus:
Es findet eine natürliche Auslese, die Selektion, statt. Dieser "Kampf ums
Dasein" äußert sich so, dass diejenigen Nachkommen, die etwas besser
angepasst sind als ihre Artgenossen, nicht nur die größten Überlebenschancen,
sondern auch die größten Fortpflanzungschancen haben. Dadurch werden die günstigeren
Merkmale- sofern sie eine erbliche Basis haben- über ihre Träger bevorzugt an
die nächste Generation weitergegeben. So findet eine schrittweise Änderung in
jeder Generation statt.
Jede der aufeinander folgenden Veränderungen ist gegenüber ihrem Vorgänger
einfach. Betrachtet man aber das komplexe Endprodukt und vergleicht es mit dem
ursprünglichen Produkt, so wird die schöpferische Seite der Selektion
deutlich. Sie ist nämlich keine rein negative Kraft, die nur Schwächliche
ausrottet, sondern wirkt dynamisch in dem Sinne, dass immer besser angepasste
Individuen, schließlich neue Arten entstehen. Und dies war das Revolutionäre,
denn dass neue Rassen innerhalb einer Art entstehen können, war aus der Züchtung
hinlänglich bekannt.
War Haeckel nun lediglich ein deutscher Darwin?
Er war Darwin freundschaftlich verbunden, wechselte Briefe mit ihm und besuchte
ihn mehrmals in England. Darwin, Zeit seines Lebens mit äußerster Disziplin
gegen Krankheiten ankämpfend, äußerte sich einmal bewundernd gegenüber
Haeckel:
"Ich glaube, dass Sie an einem Tag so viel arbeiten wie ich in einer
Woche." Des Öfteren ermahnte er ihn aber auch zu mehr öffentlicher Zurückhaltung.
Haeckel hat Darwins Theorie nicht nur entschieden verteidigt, sondern auch
weiterentwickelt.
Abstammungs- und Verwandtschaftsverhältnisse wurden lange Zeit ausschließlich
aufgrund fossiler Funde rekonstruiert. Haeckel befasste sich nun intensiv mit
einer Methode, mit der er meinte, nicht mehr vollständig auf das lückenhafte
paläontologische Material angewiesen zu sein. Er wandte die von ihm
aufgestellte Biogenetische Regel an.
Die Biogenetische Regel oder "Durchlaufen wir in unserer Embryonalentwicklung ein Fischstadium?"
Bereits
1842 hatte Darwin in einem Entwurf und in seinem Werk "Entstehung der
Arten" den Zusammenhang zwischen Individualentwicklung und
Stammesentwicklung dargestellt. Er hat die Bedeutung der embryologischen
Forschungen für die Erkenntnis der Evolution der ausgestorbenen Vorfahren
rezenter Tiere hoch eingeschätzt, betonte aber auch, dass
Unähnlichkeit
in der Embryonalentwicklung noch keinen Beweis für eine verschiedene Abstammung
liefert. Ausführliche vergleichende Untersuchungen der Embryonalstadien
verschiedener Wirbeltiere (einschließlich des Menschen) sind aber das Verdienst
Haeckels und führten zur Formulierung der Haeckelschen oder 'Biogenetischen
Grundregel': "Die Ontogenese (=Entwicklung des Einzelwesens) ist die kurze
und schnelle Wiederholung der Phylogenese (=Stammesentwicklung)".
Es
werden also während der kurzen und schnellen Keimesentwicklung wichtige Stadien
wiederholt, die die Ahnenformen im Laufe der lang andauernden Stammesentwicklung
durchlaufen haben. Wie schon Darwin wies Haeckel auf mögliche Störungen in der
Ontogenese und auf Neuentwicklungen hin. Auch die Embryonalstadien unterliegen
der Evolution, doch ist diese Veränderung weitaus weniger spektakulär. Man
muss zur Kenntnis nehmen, dass während der Ontogenese nicht Ahnenformen,
sondern ursprüngliche Organisationsformen, nicht fertige Organe, sondern deren
Anlagen wiederholt werden. So konnte die moderne Genetik zeigen, dass die
Steuerung der Embryonalentwicklung durch die in der befruchteten Eizelle vollständig
enthaltenen Informationen erfolgt. Auch haben Forscher des Instituts für
Genetik in Köln vor wenigen Jahren die aufregende Tatsache vorgestellt, dass so
höchst unterschiedliche Lebewesen wie eine Fliege, ein Frosch, eine Maus und
ein Mensch bei ihrer Embryonalentwicklung verblüffend ähnliche
Steuerungsmechanismen aufweisen. So hat Haeckels Rekapitulationsthese, obwohl
mit Beobachtungsdaten unbeweisbar, zahlreiche Entdeckungen und Erkenntnisse in
der Embryonalentwicklung provoziert und nimmt nicht nur wissenschaftshistorisch
einen wichtigen Stellenwert in der Evolutionsforschung ein.
Leben aus toter Materie?
Haeckel
hat es gewagt, auch das Problem vom Ursprung des Lebens anzugehen. In gewisser
Weise hat er heutige Erkenntnisse vorweggenommen und Darwins Theorie in
entscheidender Weise erweitert. Haeckel bezeichnete als den größten Mangel an
Darwins Theorie, dass jener für die Entstehung des ersten Organismus einen Schöpfungsakt
annimmt. Er schreibt dazu: "Die moderne Entwicklungslehre hat uns aber überzeugt,
dass eine solche 'Schöpfung' niemals stattgefunden hat, dass das Universum seit
Ewigkeit besteht und dass das Substanzgesetz alles beherrscht.... Die
Vorstellung, dass der 'persönliche Gott' als denkendes immaterielles Wesen die
Welt auf einmal aus nichts erschaffen hat, ist durchaus unvernünftig und im
Grunde nichtssagend." (Aus: Haeckel: Die Lebenswunder, Nachdruck Jena 1904,
S. 47).
Haeckel erklärt, dass das Leben von selbst aus anorganischer Substanz, aus
toter Materie entstanden sei. So wie anorganische Kristalle sich in der Salzlösung
bilden und wachsen, sollen in einem Prozess der sogenannten 'Selbstzeugung'
(Autogenie) einfache Eiweißklümpchen entstanden sein, denen er Lebensqualitäten
zuschrieb, wenn sie sich ernähren, also Stoffwechsel betreiben, wachsen und
dann schließlich in Teilstücke zerfallen (=Fortpflanzung). Aus solchen
Urgebilden, die er 'Moneren' (monos, griech.=einzeln) nannte, sollten sich dann
im Laufe von Jahrtausenden mehrzellige Organismen und schließlich das gesamte
Organismenreich entwickelt haben. Die Hypothese Haeckels der Autogenie konnte
bis heute experimentell nicht bewiesen werden, die Entstehung eines 'Protobionten'
aus anorganischer Materie ist noch nicht gelungen. Dennoch konnte Haeckel in
einigen wesentlichen Punkten bestätigt werden. 1932 hat MILLER in seinem berühmten
Versuch in einem Glaskolben die Bedingungen der Atmosphäre auf der Früherde
nachvollzogen, indem er Gasmischungen aus Methan, Ammoniak, Wasserdampf und
Wasserstoff elektrischen Entladungen aussetzte. Die Ergebnisse dieser
Experimente waren aufregend. Organische Moleküle, wie man sie nur in lebenden
Systemen findet, setzten sich in diesem Kolben spontan zusammen. So konnte man
organische Säuren und Harnstoff, aber auch mehrere 'biotische' Aminosäuren
(Bausteine der Eiweißstoffe) nachweisen. Die bei diesen Reaktionen wirksamen
chemischen Kräfte ergeben nicht etwa ein "Chaos" aller möglichen
Verbindungen, sondern es entstehen bevorzugt ganz bestimmte Stoffe, die nur in
lebenden Systemen vorkommen. Bereits vor 20 Jahren sind Experimente gelungen,
bei denen Bakteriengeißeln, hochorganisierte Strukturen, ja sogar Viren, sich
aus ihren "Teilmolekülen" selbst zusammenbauen. "Selfassembly"
erster lebender Urzellen erscheint zunehmend als Möglichkeit. Sind aber erst
einmal Informationsträger (Erbsubstanz) und Funktionsträger (Eiweiße, die als
Biokatalysatoren wirken) zusammengetreten, ist nach EIGEN ein so genannter 'Hypercyclus'
entstanden, der ungeheuer lebendig ist und sich in einem
'Selbstbeschleunigungsprozess' schnell vermehrt.
Die Herkunft des Menschen
DARWIN
hat in seinem Werk "Über die Entstehung der Arten" zur Evolution des
Menschen sehr vorsichtig bemerkt: "Licht wird auf den Ursprung des Menschen
und seine Geschichte fallen" . Haeckel ging hier weiter. Mutig behandelte
er in seinen Vorlesungen die Abstammung des Menschen von affenähnlichen Ahnen.
So schreibt er: "Unsere monistische Anthropologie ist zu der klaren
Erkenntnis gelangt, dass der Mensch nur ein winziges Teilchen dieses universalen
Ganzen ist, ein placentales Säugetier, das erst in späterer Tertiärzeit sich
aus einem Zweige der Primatenordnung entwickelt hat" (Aus: Haeckel: Die
Lebenswunder, Nachdruck Jena 1904, S. 291).
Nun gab auch Darwin seine anfängliche Zurückhaltung auf und veröffentlichte
1871 seine Schrift "Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche
Zuchtwahl". 1874 folgte Haeckels umfassende Ergänzung zu diesem Problem:
"Die Anthropogenie oder Entwicklungsgeschichte des Menschen." Der
"Systematische Stammbaum des Menschen" demonstriert deutlich Haeckels
Auffassungen über die Ahnenstufen des Menschen.
An der Wurzel einer alten knorrigen Eiche vermitteln die strukturlosen Moneren
den Übergang zwischen anorganischen und organischen Naturkörpern. Die weiteren
Übergangsformen der menschlichen Entwicklung erschloss Haeckel nach dem
"Biogenetischen Grundgesetz". Dabei hob Haeckel immer wieder hervor,
dass der Mensch nicht von heute noch lebenden Menschenaffen, sondern von längst
ausgestorbenen Formen, wie Dryopithecus fontani oder Pliopithecus abzuleiten
sei. Als
hypothetisches Zwischenglied hatte er die Gattung Pithecanthropus angenommen.
Entwicklung
des Gesichts und Pithecanthrophus alatus (Ölgemälde von Prof. Max, Geschenk an
Haeckel zum 60. Geburtstag)
Der holländische Arzt Eugen Dubois fand 1891 in Mitteljava ein Schädeldach und einen Oberschenkel einer menschenähnlichen Übergangsform, die er als das von Haeckel postulierte Zwischenglied ansah. Wie wir heute wissen, gehören die Pithecanthropinen der Homo erectus Gruppe an. Auch Haeckels Vorstellung von Asien als Wiege der Menschheit wurde schon sehr früh falsifiziert. Nichtsdestotrotz hat Haeckel die Darwinsche Evolutionstheorie folgerichtig auf die Abstammungsgeschichte des Menschen übertragen. Und die Entschlüsselung des genetischen Code hat gezeigt, dass alle Lebewesen, so verschieden sie auch zu sein scheinen, auf ihrer molekularen Grundlage erstaunlich einheitlich sind.
Bereits
in der Generellen Morphologie der Organismen formulierte Haeckel als
philosophische Grundlage seiner Auffassungen im Anschluss an August Schleicher
und unter Berufung auf Goethe seinen schon erwähnten MONISMUS, eine
naturwissenschaftlich- materialistische Philosophie, wonach keine Materie ohne
Geist und kein Geist ohne Materie existiere, sondern "EINS BEIDES zugleich
sei" und Gott identisch mit dem allgemeinen Kausalgesetz der Natur selbst
sei. Die traditionelle Schulphilosophie dieser Zeit entwickelte ihre Theorien
zum Teil bewusst in Antithese zur Wissenschaft, wodurch Haeckel und andere an
einer naturwissenschaftlichen Begründung der Philosophie interessiert waren.
Haeckel sah als oberstes allumfassendes Naturgesetz das Substanzgesetz als
untrennbare Einheit des Gesetzes von der Erhaltung des Stoffes (Lavoisier 1789)
und des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft (Robert Meyer 1842) an. Unter Rückgriff
auf den Substanzbegriff Spinozas ordnete er dieser Universalsubstanz zwei
Attribute zu: Materie als raumerfüllenden Stoff und Energie als bewegende
Kraft, später als dritte Eigenschaft noch das Psychom (Empfindung). Diese
Universalsubstanz verkörpert seiner Auffassung nach gleichzeitig die
Vereinigung der "GOTT-NATUR".
Titelblatt
1892 und Ernst Haeckel als Aufklärer (Lustige Blätter 1900)
Was
unterscheidet aber nun den HAECKELSCHEN MONISMUS und einen MATERIALISMUS?
Haeckel differenziert nicht zwischen belebter und unbelebter Sphäre der Natur,
sondern nach Haeckel ist alles Materielle belebt. Das Materielle hat selbst eine
geistig psychische Dimension. Seele ist dabei eine Eigenheit des Materiellen,
eine zusätzlich im eigentlichen Materialismus nicht beachtete Dimension der
Materie. Insofern formiert sich in seinem Bild der Welt dann auch faktisch ein
Dualismus, in dem den Substanzen immer noch zu ihrer Materialität eine
Beseeltheit zukommt. Da diese aber notwendige Eigenheit der Materie sei, sei die
Konsequenz eben kein Dualismus, sondern Monismus. Dass all dies auf
Einzellerbasis möglich sei, führt zu Begriffen wie "Zellgedächtnis"
(Mneme), zu "Kristallseelen". Sein Materialismus ist einer der
durchgeistigten Materie und eines Geistes, den es nur auf materieller Grundlage
geben kann, seine Philosophie entzaubert nicht die Welt des Wunderbaren, GOTT
ist identisch mit dem allgemeinen Naturgesetz und der Natur selbst. Haeckel ist
auch in seinen philosophischen Anschauungen ein Kind seiner Zeit, denn die
grundlegenden Entdeckungen und gewaltigen Fortschritte der Naturwissenschaften
im 19. Jahrhundert führten zu einer weitgehend natürlichen und kausalen Erklärung
der Lebensprozesse. Erwähnt seien hier die Entdeckung der elektro-magnetischen
Induktion durch Faraday 1831, der Energieerhaltungssatz von Joule und Helmholtz,
das Periodensystem der Elemente, die Ionenlehre von Svante Arrhenius (1886), die
Entdeckung der Röntgenstrahlen (1895) und der Radioaktivität, schließlich die
Quantentheorie von Max Planck (1900) bis hin zur Relativitätstheorie. Zusammen
mit den schon dargelegten Umwälzungen im Bereich der Biologie ergab sich auch
in weltanschaulicher Hinsicht eine Revolution, eine Kampfansage an idealistische
und insbesondere religiöse Auffassungen. So wurde 1881 der "Deutsche
Freidenkerbund" gegründet, 1892 als Reaktion auf den Schulgesetzentwurf
von Zedlitz-Trütschler, der die gesamte Volksbildung unter kirchlichen Einfluss
stellen sollte, die "Deutsche Gesellschaft für ethische Kultur". Großen
Aufschwung nahmen auch die Freireligiösen Gemeinden. In diesem Spannungsfeld
freigeistiger Reformbestrebungen ist auch die Gründung des "Deutschen
Monistenbundes" (1906) zu sehen. Haeckel hatte bereits 1904 auf dem
Internationalen Freidenker-Kongress in Rom versucht, eine internationale
Institutionalisierung seiner monistischen Weltanschauung zu erreichen. Er hatte
30 Thesen zur Organisation des Monismus formuliert, wobei 20 sich auf den
theoretischen und 10 auf den praktischen Monismus beziehen. Unter theoretischem
Monismus verstand er eine "reine Weltanschauung auf Grund der Erfahrung,
der reinen Vernunft und der Wissenschaft". Diese basiert auf der
Evolutionstheorie und geht von der Einheit der Natur und des Kosmos aus und
lehnt jede göttliche Offenbarung ab. Er postuliert die Entstehung des Lebens
aus anorganischem Material und bezieht den Menschen als Nachfahren affenähnlicher
Vorfahren in die Evolution ein. Als praktischen Monismus betrachtete er eine
vernünftige Lebensführung auf der Basis des theoretischen Monismus. Wahrheit,
Tugend und Schönheit, eine aus den sozialen Instinkten der höheren Tiere
abgeleitet Ethik, Trennung von Staat und Kirche, Trennung von Schule und Kirche,
Ersetzen des Religionsunterrichts durch vergleichende Religionsgeschichte,
monistische Erziehung durch Training von Körper und Geist. Nach jahrelangen Bemühungen,
eine zentrale Organisation zu gründen, fand endlich am 11. Januar 1906 in Jena
die Gründungsversammlung statt. Ein Jahr später hatte der Monistenbund ca.
2500 Mitglieder. Als Gegenorganisation wurde der evangelische Keplerbund gegründet.
Der Erzbischof von München-Freising brandmarkte die Philosophie des Monismus in
einem Hirtenbrief. Dennoch hatte der Monistenbund weiter regen Zulauf: 1912
waren bereits 7000 Mitglieder beigetreten.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam die Arbeit im Monistenbund immer mehr
zum Erliegen. Ab 1933 war der Monistenbund verboten. 1945 wurde er wieder begründet
und unter dem Namen "Freigeistige Aktion- Deutscher Monistenbund" bis
heute mit dem Sitz in Hannover weitergeführt. Er hat aber lange nicht mehr die
Bedeutung wie zu Haeckels Zeiten.
Die Persönlichkeit Ernst Haeckels ist dadurch gekennzeichnet, dass er eigentlich nie den Künstler vom Gelehrten zu trennen vermochte.
Ernst Haeckels Suche nach dem idealen Symmetriegesetz
Kieselskelette
Fische
Es
ist daher kein Zufall, dass Haeckel seine wissenschaftliche Laufbahn als Zoologe
mit dem Studium der einzelligen Radiolarien begann, deren unerschöpfliche
Formenvielfalt und deren außergewöhnliche Schönheit und fast perfekte
Symmetrie der Kieselskelette ihn faszinierten. Jede neu entdeckte Art war für
ihn ein Glücksfang, der ihn "halb unsinnig vor Freude machte". Durch
die intensive Beschäftigung mit den Skelettformen der Radiolarien versuchte er
Gesetzmäßigkeiten für die Gestaltbildung der anorganischen Materie und der
Individuen zu finden. Dabei versuchte er eine organische Grundformenlehre zu gründen,
deren Aufgabe es ist, "die Bestimmung der idealen Grundform durch
Abstraktion aus der realen organischen Form, und die Erkenntnis der bestimmten
Naturgesetze, nach denen die organische Materie die äußere Gesamtform der
organischen Individuen bildet."
Haeckel reduzierte die von ihm betrachteten Organismen auf die ihn
interessierenden Symmetriegrundmuster, und nicht nur bei den Radiolarien. Bei
der Tafel, die Fische zeigen, wird dies besonders deutlich:
Die Nachricht ist eindeutig: Die Lebensform Fisch wird reduziert auf die in
dieser Tafel einsichtigen Symmetriebezüge. Bei der Suche nach dem idealen
Symmetriegesetz, das durch mathematische Formeln zu beschreiben ist, das Zurückführen
auf Grundformen, zeigt sich die Nähe zu Goethe: "Nach ewigen, ehernen, großen
Gesetzen müssen wir alle unseres Daseins Kreise vollenden." Haeckel
unterschied in seinem System zwei große Hauptgruppen: Axenlose (unregelmäßig
gebaute) und Axenfeste (symmetrisch gebaute Formen). Als Ursache für die
Formgestaltung sah er zwei formbildende Kräfte an: einen inneren Bildungstrieb
(vis plastica interna), gleichbedeutend mit Erblichkeit und einen äußeren
Bildungstrieb (vis plastica externa), gleichbedeutend mit Variabilität. Die
Wechselwirkung dieser beiden formbildenden Kräfte leitete er offenbar aus der
Goetheschen Metamorphosenlehre ab und setzte den inneren Bildungstrieb mit dem
Urbild, dem Typus, gleich. Prinzipiell vertrat Haeckel die Ansicht, dass die
Ursachen der Formbildung für die anorganische und organische Form die gleichen
seien, die Annahme bewusst wirkender Zweckursachen somit unnötig sei.
In der Kunst spielt die Symmetrie als ästhetisches Gestaltungsprinzip eine große
Rolle, in der Natur hat die Entstehung von Symmetrien eine tiefe,
evolutionsbiologische Wurzel. So steht z.B.
der
bilateral-symmetrische, aber auch der radiär-symmetrische Bau von Organismen in
Zusammenhang mit der Fortbewegung. Aber auch die sexuelle Selektion begünstigt
Symmetrien, man denke nur an die Schönheit von Gesichtern. Asymmetrien weisen
auf Störungen der homöostatischen Entwicklung hin, symmetrische Individuen
besitzen eine höhere reproduktive Fitness. Doch nicht nur das symmetrische
Bauprinzip in der Natur, sondern auch in der Technik, steht in engem
Zusammenhang mit dem Funktionieren. Wir sprechen von Schönheit der Funktion,
nicht von Schönheit als Funktion.
Der Künstler Haeckel zeigt sich auch in der ästhetischen Betrachtung der
Natur.
Capri
Ästhetische Naturbetrachtung
Eine
ästhetische Naturbetrachtung strebte bereits Alexander von Humboldt (1769-1859)
mit seinen "Ansichten der Natur" an. Die Anregungen Humboldts und des
Botanikers Schleiden, nicht die Einzelformen, sondern das Ganze eines Naturgemäldes
zu erfassen, nahm Haeckel schon als Gymnasiast auf und diskutierte
beispielsweise in einem Schulaufsatz den "Charakter der norddeutschen
Landschaft". In seinen späteren Skizzen und Aquarellen versuchte er stets
die Physiognomik der Landschaften zu erfassen. Er habe "in jedem
Landschaftsbilde einen Charakter - Ausdruck unseres Planeten - erblickt und
seine wesentlichen Züge in seinen Skizzen wiederzugeben versucht". Haeckel
schuf während seiner über 90 großen Reisen an die 1200 Landschaftsaquarelle,
zahlreiche Skizzen und einige Ölbilder, in denen er stets die Natur in ihrer
Gesamtheit, als ökologische Einheit festzuhalten versuchte. Dabei betrachtete
er sich nicht als vollendeten Künstler: "Ich bin kein vollendeter Künstler,
sondern nur ein enthusiastischer Dilettant.".
Er wollte lediglich mit seinen Bildern die sinnlichen Eindrücke der Natur
einfangen. Naturbetrachtung und Landschaftsmalerei vermitteln seiner Meinung
nach nicht nur Naturgenuss, sondern veredeln und vervollkommnen auch den
Menschen. Entsprechend seiner Vorstellung von einer Allbeseeltheit der Natur
spricht Haeckel von einer Plasmaseele und er postuliert einen dem Plasma
innewohnenden, unbewusst wirkenden Kunsttrieb.
Naturformen-Kunstformen
Das
eindrucksvollste Dokument seiner ästhetischen Naturbetrachtung bildet der 100
Tafeln umfassende Bildband "Kunstformen der Natur" (1899-1904) mit
naturgetreuen Abbildungen überwiegend wirbelloser mariner Organismen, aber auch
mit einigen Darstellungen höherer Tiere und Pflanzen. Das Buch war das
Schmuckstück eines jeden bürgerlichen Haushaltes. Trotz des populärwissenschaftlichen
Charakters enthält es eine Fülle von Erstbeschreibungen. Eine der schönsten,
immer wieder reproduzierten Formen ist die Meduse Annasethe, eine südamerikanische
Form.
Die Meduse Annasethe
Jede
Tafel hat zudem eine exemplarische Funktion. Zunächst erscheinen die bunten
Tafeln dem Laien fremdartig. Die netzartigen Gefüge der Radiolarien wirken
vertraut, doch es überrascht, sie in der Natur zu finden. Haeckel interessieren
nicht die existierenden Lebewesen, sondern die Formeigenschaften, die aber nur
dann sichtbar werden, wenn man die gallertigen, schleimartigen Zellkörper, die
ohnehin bei der Präparation zerstört werden, weglässt und nur die Skelette
der Tiere zeichnet, die die organische Stereometrie (eine Botschaft) deutlich
machen. In dem Werk werden die Naturformen ganz unvermittelt zu Kunstformen
transformiert, wobei Haeckel ausdrücklich darauf hinweist, dass hier alle
dargestellten Kunstformen in Wahrheit reale Naturformen seien und von jeder
Idealisierung und Stilisierung abgesehen wurde.
Was ist die Ursache für das Schönheitsempfinden? Haeckel als Wegbereiter der Neuroästhetik
Schon
Haeckel suchte nach einer neurobiologischen Erklärung für das Schönheitsempfinden.
So gehört die Wahrnehmung der Schönheit der Landschaft für ihn " ...
durch die physiologischen Funktionen der Nervenzellen unserer Großhirnrinde,
die diese ästhetischen Genüsse bewirken ... zu den vollkommensten Leistungen
des organischen Lebens". Das Schönheitsempfinden ist also in "ästhetischen
Neuronen" oder "sinnlichen Gehirnzellen" verankert. Aber er
wundert sich auch : "Sehr merkwürdig ist, dass für die Schönheit der
Landschaft die absolute Unregelmäßigkeit , der Mangel von Symmetrie... die
erste Voraussetzung ist." Darauf wusste Haeckel keine Antwort. Schließlich
deklariert er eine aufsteigende Entwicklungsreihe der Schönheit der Naturformen
"vom Einfachen zum Zusammengesetzten", vom Niederen zum Höheren,
wobei die organische Differenziertheit ausschlaggebend ist. Eine Seegurke, ein
unansehnliches Gebilde, erscheint uns primitiver und lange nicht so schön wie
die evolutionär niedriger stehende Staatsqualle (Abb. 22), die hoch
differenziert ist. Das entspricht nach Haeckels Ansicht der Entwicklung des Schönheitsgefühls
des Menschen sowohl ontogenetisch vom Kind zum Erwachsenen als auch
phylogentisch vom "Wilden und Barbaren zum Kulturkritiker".
Haeckel ist mit seinen Überlegungen zur physiologischen Entstehung von ästhetischen
Empfindungen gewissermaßen ein Wegbereiter der Neuroästhetik (sie erklärt die
ästhetischen Empfindungen auf neuronaler Basis). Wenn wir als Betrachter die
Radiolarien schön finden, hat das etwas mit der Funktionsweise unseres
Wahrnehmungsapparates zu tun. Unsere Sinnesorgane und unser Zentralnervensystem
sind als Ergebnis einer stammesgeschichtlichen Entwicklung genetisch so
programmiert, dass sie in der Lage sind, Regelmäßigkeiten und damit Ordnung zu
erkennen. Für einen Organismus muss die Welt voraussagbar sein, sonst kann er
nicht in ihr leben. Der Gestaltpsychologe Wolfgang Metzger (1936) sprach in
diesem Zusammenhang von einer "Ordnungsliebe der Sinne". Das ist der
Grund, weshalb wir Kristalle schön finden oder Organismen, seien sie nun
bilateral oder radiärsymmetrisch gebaut.
Ob wir etwas als schön oder hässlich empfinden, beruht unter Anderem auch auf
angeborenen Schemata. Weitere Schemata bilden sich neu über Lernprozesse
individueller und kultureller Erfahrung. Man denke nur an das von Konrad Lorenz
beschriebene Kindchenschema. Da das Gesicht eine große Bedeutung für die
zwischenmenschliche Kommunikation hat, erstaunt es nicht, dass es bei Affen und
Menschen eine eigene Hirnregion gibt, die dem Gesichtererkennen dient. Ein ästhetisches
Vorurteil besonderer Art stellt die Positivbewertung von Pflanzen dar.
Vermutlich spiegelt sich in ihr eine archaische, ästhetische Prägung wieder.
Wo Pflanzen gedeihen, fanden unsere Vorfahren auch alles, was sie zum Leben
brauchten. In ähnlicher Weise ist uns auch eine archaische ästhetische Präferenz
für einen Landschaftstyp vorgegeben, in dem sich die Menschwerdung vollzog, nämlich
den der Savanne. Die Savannenpräferenz zeigt sich nach Untersuchungen von E.
Synek (1998) hauptsächlich im vorpubertären Alter. Danach überlagert sich
dieser sekundär eine Vorliebe für den Landschaftstyp, in dem man aufwächst,
was man mit Heimat charakterisiert. Hier handelt es sich um eine prägungsähnliche
Festlegung, deren neuronale Grundlagen mittlerweile bekannt sind.
Wirkungen
Die
von Haeckel gezeichneten Radiolarien, Polypen, Quallen, Korallen und Algen
wurden durch den Jenaer Lithographen Adolf Giltsch meisterhaft umgesetzt und
dienten Kunsthandwerkern, Bildhauern, Zeichnern und Architekten als Vorlage zu
ornamentaler Gestaltung. Bedeutende Künstler des Jugendstils, der zu dieser
Zeit bereits nicht mehr vom floralen, sondern vom abstrakten Stil Henry van de
Veldes (1863-1957) geprägt war, bedienten sich dieser neuen Formenwelt, um der
Kunst neue Impulse zu verleihen. Die industrielle Revolution brachte es mit
sich, dass die maschinelle Herstellung von Möbeln, Teppichen, Tapeten und
Stoffen zu einer tausendfachen Vervielfältigung der Muster führte, so dass die
herkömmlichen Motive bald erschöpft waren. So eröffnete auch hier die
Haeckelschen Zeichnungen der marinen Organismen eine völlig neue Perspektive.
Welchen Einfluss hatte Haeckel nun auf den deutschen Jugendstil? Der
Kunsthandwerker, Bildhauer und Architekt Hermann Obrist (1863-1927) hatte
naturwissenschaftliche und medizinische Studien absolviert und betätigte sich
später als Künstler, der die Haeckelschen Formen für Skizzen, Zeichnungen,
Vasen und Brunnenmodelle benutzte. Der Pariser Architekt René Binet (1806-
1911) nahm eine Radiolarie als Vorbild für das Monumentaltor zur Pariser
Weltausstellung 1900:
Ernst
Haeckel selbst ließ sein im italienischen Landhausstil erbautes Wohnhaus mit
Medusenornamenten als Deckengemälde schmücken, von denen drei noch erhalten
geblieben sind.
Auch
die Fassade des von ihm 1907 in Jena begründeten Phyletischen Museums wurde auf
seinen Wunsch hin mit Stuckornamenten stilisierter mariner Tierformen verziert.
Große Freude machte es ihm, als er zur Eröffnung des Oceanographischen Museums
in Monaco 1910 im Vestibül einen Kronleuchter bewundern konnte, der einer von
ihm dargestellten Meduse nachgestaltet wurde.
Auch wenn Haeckels ästhetische Theorie heute längst Geschichte ist, sind seine
Darstellungen der Radiolarien noch immer Gegenstand der Diskussion. So nimmt die
moderne Architektur darauf Bezug, weil gerade in der Skelettform der Radiolarien
größte Stabilität mit geringsten Mitteln erreicht wird und die Natur hier
effiziente Vorbilder für architektonische Gestaltung liefert.
Einige kritische Anmerkungen möchte ich zu Haeckel als Naturwissenschaftler anfügen.
Dabei
möchte ich drei Punkte näher betrachten.
1. Bei der Anwendung des Auslesegedankens führte Haeckels Unvorsichtigkeit zu
bedenklichen Reaktionen. Im Gegensatz zu Darwin, der einmal in Bezug auf die
Entwicklungsstufen schrieb: "Sage nie höher oder niedriger", glaubte
Haeckel die Selektionstheorie auf die menschliche Gesellschaft übertragen zu können.
In diesem Punkt kann er als Wegbereiter der späteren Sozialdarwinisten
angesehen werden, die erfolgreiche und skrupellose Menschen als angepasst
bezeichneten und die die partielle Abschwächung des Daseinskampfes durch
Sozialpolitik, Bevölkerungskontrolle oder medizinische Versorgung als Verhängnis
ansahen. Dies war sicher jedoch nicht im Sinne Haeckels. Stets wandte er sich
gegen einen "sittlichen Materialismus", im Sinne von Gier nach
materiellen Gütern.
2. Das Biogenetische Grundgesetz, genial und vereinfachend formuliert, hatte
scharfe Reaktionen zur Folge, vor allem, weil sein Umgang mit Druckstöcken, die
die frühesten Embryonalstadien zeigten, etwas zu großzügig war. So hatte er für
drei von ihnen - Hund, Huhn und Schildkröte- einfach dasselbe Klischee
verwendet, da sie in dieser Phase ohnehin nicht unterscheidbar wären.
3. Weder Darwin noch Haeckel sahen in der natürlichen Zuchtwahl einen Gegensatz
zu Lamarcks "Vererbung erworbener Eigenschaften" beim Zustandekommen
von Anpassungen in der Evolution. Darwin spekulierte später über Mechanismen
eines Informationsrückflusses von den Körperzellen auf die Keimbahn in seiner
"Pangenesis-Theorie", die aber unbeachtet blieb. Haeckel erklärte Phänomene
wie die dunkle Haut der Schwarzafrikaner mit der ökologischen Gewohnheit, die -
sofern lang genug wirkend- zum erblichen Merkmal einer Art geworden sei. Auch
die Asymmetrien, z.B. der Gehäuseschnecken oder der adulten Schollen, Ausnahmen
im Formenkanon des Lebens, sind für Haeckel die schönsten Beispiele für die
Vererbung erworbener Eigenschaften.
Beruhen also manche von Haeckels Hypothesen und Theorien teilweise auf falschen
Grundannahmen, hatten sie jedoch einen großen heuristischen Wert und gaben der
weiterführenden Forschung wertvolle Impulse.
So
schreibt Ernst Mayr, einer der bedeutendsten Evolutionsbiologen der Gegenwart:
"Die Evolution ist keine Theorie, sondern eine tausendfach belegte
Tatsache". Über die Ursachen des Ablaufs kam es in den vierziger Jahren
dieses Jahrhunderts zu einem Zusammenschluss der wichtigsten biologischen
Disziplinen und Positionen, die zur so genannten "Synthetischen
Theorie" der Evolution führten. Sie basiert auf den Überlegungen Darwins
und kann durch das Zusammenwirken von "Genetischer Variabilität" und
"Selektion" beschrieben werden. Die genetische Variabilität einer
Population wird nicht nur von der Rekombination der elterlichen Erbanlagen und
'zufälligen' Mutationen bestimmt. Es konnte gezeigt werden (EIGEN 1988), dass
Mutanten keineswegs völlig regellos entstehen, sondern vor allem aus recht häufig
erscheinenden Vorläufern. Es scheint, als ob bereits der gesamte Mutantenclan
von der Selektion bewertet würde. Zudem lieferten uns erst kürzlich
Molekulargenetiker den Beleg von sogenannten 'springenden Genen', die die
genetische Variabilität weiter steigern. Die natürliche Auslese, die Darwin
und Haeckel beschrieben, ist das Ergebnis, nicht der Vorgang. Heute kann
Evolution künstlich im Reagenzglas nachvollzogen werden! Es lassen sich
beispielsweise verschiedene mutierte Formen von Nucleinsäuren ('Erbmoleküle')
erzeugen, auf die man dann einen Selektionsdruck ausübt. Es reichern sich dann
solche Moleküle an, die dem Milieu besser angepasst sind. Auf diese Weise kann
man innerhalb weniger Tage Nucleinsäuren "züchten, die von einem
Verdauungsenzym nicht angegriffen werden. Die Selektion ist also nicht nur
"stabilisierend" tätig, indem sie Negatives "ausmerzt",
sondern sie kann auch konstruktiv wirksam sein. Komplexität, Schönheit und
Leistungsfähigkeit eines Bauplans sind ebenfalls ihr Ergebnis. Es ist vor allem
das Versagen aller 'Gegentheorien', was die universelle Annahme der
synthetischen Evolutionstheorie gefördert hat.
Auch die moderne Soziobiologie überträgt die Evolutionstheorie auf das menschliche Sozialverhalten.
Der
englische Biologe DAWKINS (1978) bezeichnet in seinem Buch 'Das egoistische Gen'
das Individuum als "eine eigennützige Maschine, die so programmiert ist,
dass sie das tut, was immer für ihre Gene als Gesamtheit am besten ist".
Dawkins zeigt, dass in unserem Verhalten Antriebe fortwirken, die die Freiheit
des menschlichen Verhaltens erheblich einschränken. Die Fortschritte in der
Molekularbiologie, die zunehmenden Erkenntnisse in den Naturwissenschaften
schaffen Ernüchterung, viele Menschen geraten in einem Glaubenskonflikt oder fühlen
sich zumindest gedemütigt. Der Mensch ist Teil der Natur, die Naturgesetze sind
Teil der Schöpfung. Es gilt, diese Gesetze zu erforschen, nur so sind wir aktiv
am Vollzug der Schöpfung beteiligt, einer Schöpfung, die noch im Entstehen
ist, die noch nicht abgeschlossen wurde. Die von uns erlebte Wirklichkeit ist
nur Teil einer viel größeren Wirklichkeit, die schrittweise aus ihrer
Verborgenheit hervorkommt. Auch wenn wir Menschen den Naturgesetzen unterliegen,
so sind wir doch als einzige in der Lage, sie zu ergründen und Verantwortung für
den Ablauf der Dinge zu übernehmen. Die biologische Erkenntnistheorie ist nicht
dahingehend zu interpretieren, als ob die Biologie den gesamten
"Erkenntnis-Apparat" bestimmt, der Mensch also unfrei sein müsste.
Und auch DAWKINS schließt sein Buch versöhnend: " Wir sind als
Genmaschinen gebaut und werden als Memmaschinen (analog zum Gen die Einheit der
kulturellen Vererbung) erzogen, aber wir haben die Macht, uns unseren Schöpfern
entgegenzustellen. Wir allein, einzig und allein wir auf der Erde, können uns
gegen die Tyrannei der egoistischen Replikatoren auflehnen" (DAWKINS 1978,
S. 237).
Ernst Haeckel vor
seiner Villa Medusa
Wie
sieht nun die Bilanz von Haeckels Lebens aus?
1907 erfolgte die offizielle Gründung des Phyletischen Museums, das Haeckel
schon 1879 geplant hatte. Im selben Jahr schied er 75-jährig offiziell aus dem
Lehramt aus.
1915 starb seine Frau Agnes, die in den letzten Lebensjahren wieder größere
Bedeutung für Haeckel gewonnen hatte, so dass er nach ihrem Tod sehr
vereinsamte, zumal seine Kinder nicht in der Nähe wohnten.
1918 erklärte sein Sohn Walter, Kunstmaler in Sonthofen, den Verzicht auf das
elterliche Wohnhaus, die Villa Medusa, die Haeckels Wunsch gemäß nach seinem
Tod als Museum eingerichtet werden sollte.
In den letzten Lebensjahren nahmen seine Körperkräfte immer mehr ab; er lebte
zurückgezogen in seiner Villa, war unablässig mit dem Ordnen seiner
umfangreichen wissenschaftlichen und künstlerischen Sammlung beschäftigt. Bis
zuletzt malte er vom Balkon seines Hauses aus. Am 9. August 1919 starb Haeckel.
In der Rückschau müssen wir Ernst Haeckel als einen der bekanntesten und
beeindruckendsten, zugleich aber auch umstrittensten Naturwissenschaftler des
19. Jahrhunderts betrachten, der wie kein anderer Biologe seiner Zeit über sein
Fachgebiet hinaus das Geistesleben seiner Zeit mitbestimmt hat.
Literatur:
Krauße,
Erika "Ernst Haeckel", Leipzig 1984
Museum Ernst-Haeckel-Haus der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Dawkins, Richard "Das egoistische Gen", Berlin, Heidelberg, New York
1978
Haeckel, Ernst "Kunstformen der Natur", New York 1998
Ausstellungskatalog "Hackel e l'Italia - La vita come scienza e come storia",
Padova und Jena 1993
Ausstellungskatalog "Welträtsel und Lebenswunder - Ernst Haeckel - Werk,
Wirkung und Folgen", Oberöstereichisches Landesmuseum 1998
Die Abbildungen im Text können mit freundlicher Genehmigung des Haeckel-Hauses
in Jena hier veröffentlicht werden.