Rosa Luxemburg
(1871-1919)
Freidenkerin und
Sozialistin
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Dass sich Rosa Luxemburg in
einer programmatischen Schrift mit dem Thema "Kirche und Sozialismus"
auseinandergesetzt hat, ist bisher weithin unbekannt geblieben. 1905, das
Jahr der Erstveröffentlichung ihrer Schrift "Kirche und Sozialismus" war
eines der bewegendsten in ihrem Leben überhaupt. Am 22. Januar hatte die
russische Revolution in Petersburg begonnen, deren Bedeutung Rosa sehr
bald erkannte: "Die innere Verknüpfung des politischen und sozialen Lebens
zwischen den kapitalistischen Ländern ist heutzutage eine so intensive,
dass die Rückwirkung der russischen Revolution auf die soziale Lage in
Europa, ja in der ganzen so genannten zivilisierten Welt eine enorme sein
wird - eine viel tiefer gehende als die internationale Rückwirkung der
früheren bürgerlichen Revolutionen". Darum wollte sie eine "wahre Flut von
Publikationen loslassen". Dabei waren die Christen im traditionell
katholischen Polen eine nicht unwichtige Zielgruppe, die noch dazu - nach
der Darstellung von Rosa Luxemburg - der stark reaktionären Propaganda des
Klerus ausgesetzt war. Sie konnte in Polen Religion und Kirche nicht so
verächtlich behandeln wie etwa Marx und Engels in Deutschland. Sie
verstand Religions- und Kirchenkritik in erster Linie als eine
Herrschaftskritik.
1871
5. März: Rosalia
Luxemburg wird in Zamost in Russisch-Polen als Tochter des Holzhändlers
Eliasz Luxemburg und dessen Frau Line (geb. Löwenstein) geboren.
1880
Nach dem
Umzug der Familie nach Warschau besucht sie das Zweite Warschauer
Mädchengymnasium. Schon als Schülerin engagiert sie sich in illegalen
politischen Zirkeln.
1889
Vor einer
drohenden Verhaftung flieht sie in die Schweiz.
1890/91
Immatrikulation an der Philosophischen Fakultät der Züricher Universität.
In den
folgenden Semestern besucht sie Seminare zur Staatswissenschaft, zur
mittelalterlichen Geschichte sowie zur Geschichte der Wirtschafts- und
Börsenkrisen.
1893
Unterbrechung des Studiums wegen politischer Aktivitäten wie der Gründung
der polnischen sozialdemokratischen Zeitschrift "Sache der Arbeiter" in
Paris.
1894
Erster
(illegaler) Kongreß der sozialdemokratischen Arbeiterpartei des
Königreichs Polen in Warschau. Luxemburg gehört mit Leo Jogiches zu den
führenden Mitgliedern dieser Partei.
1897
Promotion
in Zürich zum Thema "Die industrielle Entwicklung Polens".
1898 -
1903
Scheinehe
mit dem deutschen Staatsbürger Gustav Lübeck. Durch die Heirat erhält sie
die deutsche Staatsbürgerschaft, die ihr die Mitarbeit in der deutschen
Arbeiterbewegung ermöglicht.
1898
Umzug
nach Berlin.
Luxemburg
schließt sich der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
(SPD) an.
Oktober:
Am SPD-Parteitag in Stuttgart nimmt sie als Expertin für polnische
Angelegenheiten teil.
1900
Durch
ihre Broschüre "Sozialreform oder Revolution?" greift sie in die
"Revisionismusdebatte" ein. Sie verteidigt den revolutionären Standpunkt
gegen den revisionistischen Eduard Bernsteins und fordert den Ausschluß
der "Reformisten" aus der Partei. In Zeitungsartikeln nimmt Luxemburg zu
wirtschaftlichen und sozialpolitischen Problemen in Rußland,
Österreich-Ungarn, Belgien, England, Frankreich und Deutschland Stellung.
Immer
wieder greift sie den deutschen Militarismus und Imperialismus an.
1904
Januar:
Sie wird wegen Majestätsbeleidigung zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.
1905
Erstveröffentlichung ihrer Schrift "Kirche und Sozialismus", in der sie
die gesellschaftliche Rolle des Klerus kritisiert.
1906
12.
Dezember: Sie wird in Weimar zu zwei Monaten Haft wegen "Anreizung zum
Klassenhaß" verurteilt.
1907
Mai:
Teilnahme am V. Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands
(SDAPR) in London zusammen mit Jogiches.
Oktober:
Beginn ihrer Lehrtätigkeit an der SPD-Parteischule in Berlin.
1910
Bruch mit
Karl Kautsky aufgrund politischer Differenzen, u.a. bezüglich der Frage
des Einsatzes des Generalstreiks als Kampfmittel.
1913
Bei einer
Kundgebung in Frankfurt/Main ruft Luxemburg zur Kriegsdienst-Verweigerung
auf.
1914
20.
Februar: Wegen dieses Aufrufs wird gegen sie Anklage wegen "Aufforderung
zum Ungehorsam gegen Gesetze und gegen Anordnungen der Obrigkeit" erhoben.
Sie wird zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.
29. - 30.
Juli: Die Teilnahme an der Sitzung des Internationalen Sozialistischen
Büros bringt für sie die Ernüchterung, daß auch innerhalb der
sozialistischen Parteien der Nationalismus stärker ist als die
internationale Solidarität.
1915
Februar:
Das Gerichtsurteil des vorangegangenen Jahres wird vollstreckt: Luxemburg
wird im Frauengefängnis in Berlin inhaftiert.
Juli:
Hoch- und Landesverratsverfahren in Düsseldorf.
1916
Entlassung aus dem Frauengefängnis.
10. Juli:
Beginn der "Sicherheitsverwahrung", die bis November 1918 dauert.
Luxemburg wird zweimal verlegt, zuerst in die Festung Wronke in der
Provinz Posen, dann nach Breslau.
1918
9.
November: In Breslau aus der Haft entlassen, fährt Luxemburg nach Berlin
und arbeitet als Redakteurin bei der "Roten Fahne", der Zeitung des
Spartakusbunds.
17.
Dezember: In ihrem Artikel "Nationalversammlung oder Räteregierung?" in
der "Roten Fahne" tritt sie für eine Räteregierung ein. Obwohl sie die
Revolution unterstützt, behält sie ihren grundsätzlichen pazifistischen
Standpunkt bei.
1918/19
30.
Dezember - 1. Januar: Beteiligung an der Gründung der Kommunistischen
Partei Deutschlands (KPD). Luxemburg steht auf der Seite derer, die
eine Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung fordern, aber von
der Mehrheit überstimmt werden.
1919
Bei den
Januarunruhen muß sie wegen Verhaftungsgefahr ständig ihre Wohnung
wechseln, weigert sich aber, Berlin zu verlassen.
15.
Januar: Gemeinsam mit Karl Liebknecht wird sie von Soldaten der
Garde-Kavallerie-Schützendivision verschleppt. Sie werden im Eden-Hotel
verhört und mißhandelt. Wahrscheinlich beim Abtransport wird Rosa
Luxemburg ermordet. Ihre Leiche wird in den Landwehrkanal geworfen.
31. Mai:
Im Landwehrkanal wird ihr Leichnam gefunden
Kirche und Sozialismus
Rosa Luxemburg, 1905
-
Seit in unserem
ganzen Land - ebenso wie in Russland - die Arbeiter den unermüdlichen
Kampf mit der zaristischen Regierung und den kapitalistischen Ausbeutem
aufgenommen haben, hören wir immer häufiger, dass Priester in ihren
Predigten gegen die kämpfenden Arbeiter auftreten. Besonders scharf
wendet sich unsere Geistlichkeit gegen die Sozialisten, wobei sie sich
mit allen Kräften bemüht, sie in den Augen der Arbeiter zu
verunglimpfen. Immer häufiger geschieht es jetzt, dass gläubige
Menschen, die an Sonn- und Feiertagen in die Kirche gehen, um Predigten
zu hören und religiösen Trost zu finden, statt dessen eine scharfe,
manchmal heftige Rede über Politik, über Sozialisten anhören müssen.
Statt die durch ihr schweres Leben bekümmerten und verarmten Menschen,
die gläubig zur Kirche kommen, zu stärken, wettern die Priester gegen
die streikenden oder gegen die Regierung kämpfenden Arbeiter, reden
ihnen zu, Not und Unterdrückung demütig und geduldig zu ertragen, und
machen überhaupt aus Kirche und Kanzel einen Ort politischer Agitation.
Jeder Arbeiter muss aus eigener Erfahrung zugeben, dass dieses
kämpferische Auftreten der Geistlichkeit gegen die Sozialdemokraten
ihrerseits durch nichts hervorgerufen wurde. Die Sozialdemokraten haben
niemals den Kampf mit Kirche oder Geistlichkeit gesucht. Die
Sozialdemokraten bemühen sich, die Arbeiter zum Kampf gegen das Kapital
zu mobilisieren und zu organisieren, das heißt zum Kampf gegen die
Ausbeutung der Unternehmer, die ihnen das Blut aussaugen, zum Kampf
gegen die zaristische Regierung, die dem Volk auf Schritt und Tritt die
Kehle zuschnürt, aber niemals ermuntern die Sozialdemokraten die
Arbeiter zum Kampf gegen die Geistlichkeit und niemals versuchen sie,
ihnen den religiösen Glauben zu nehmen. Im Gegenteil. Die
Sozialdemokraten halten sich bei uns wie auf der ganzen Welt an den
Grundsatz, dass Gewissen und Überzeugung des Menschen heilig und
unantastbar sind. Jedem steht es frei, den Glauben und die Überzeugung
zu haben, die ihn glücklich machen. Niemand darf die religiösen
Überzeugungen der Menschen verfolgen oder beleidigen. So sagen die
Sozialdemokraten. Und deshalb rufen sie auch unter anderem das ganze
Volk zum Kampf gegen die zaristische Regierung auf, die das Gewissen der
Menschen vergewaltigt und Katholiken, Uniierte, Juden, Ketzer und
Konfessionslose verfolgt.
So verteidigen gerade die Sozialdemokraten leidenschaftlich die
Gewissensfreiheit und das Bekenntnis eines jeden Menschen. Und deshalb
würde man meinen, die Geistlichkeit müsse die Sozialdemokraten fördern
und begünstigen, da sie dem arbeitenden Volk Bildung bringen.
Aber damit nicht genug. Wenn wir uns überlegen, wonach die
Sozialdemokraten überhaupt streben und welche Lehren sie der
Arbeiterklasse verkünden, so wird der Hass der Geistlichkeit gegen sie
immer weniger verständlich.
Die Sozialdemokraten streben danach, die Herrschaft der reichen Schinder
und Ausbeuter über das arme arbeitende Volk abzuschaffen. Aber dabei, so
sollte man meinen, müssten die Diener der christlichen Kirche als erste
die Sozialdemokraten unterstützen und ihnen die Hand reichen, denn die
Lehre Christi, deren Diener die Priester sind, sagt doch, dass eher ein
Kamel durch ein Nadelöhr geht. als dass ein Reicher in den Himmel kommt!
Die Sozialdemokraten streben danach, in allen Ländern eine
gesellschaftliche Ordnung einzuführen, die sich auf Gleichheit aller
Menschen, auf Freiheit und Brüderlichkeit gründet. Aber auch hierin
müsste die Geistlichkeit mit Freuden die Agitation der Sozialdemokraten
begrüßen, wenn sie aufrichtig dafür wäre, dass der christliche
Grundsatz: ,,Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", im Leben der
Menschheit angewendet würde.
Die Sozialdemokraten bemühen sich in
unermüdlichem Kampf das Arbeitervolk durch Bildung und Organisation aus
Erniedrigung und Not emporzuheben, ihm ein besseres Leben und seinen
Kindern eine bessere Zukunft zu sichern. Auch dafür - das muss jeder
zugeben - müssten die Priester die Sozialdemokraten nur segnen, da doch
Christus, dessen Diener die Priester sind, gesagt hat: ,,Was ihr diesen
Geringsten tut, das tut ihr mir." Statt dessen sehen wir aber, dass die
Geistlichkeit die Sozialdemokraten exkornmuniziert und verfolgt und den
Arbeitern zuredet, ihr Los geduldig zu ertragen, das heißt sich geduldig
von den Reichen - den Kapitalisten - ausbeuten zu lassen. Die
Geistlichkeit wettert gegen die Sozialdemokraten und redet den Arbeitern
zu, sich nicht gegen die Regierungsgewalt ,,zu erheben", das heißt
geduldig die Unterdrückung einer Regierung zu ertragen, die wehrlose
Menschen ermordet, die das Volk zu Hundertausenden in den Krieg, also in
ein entsetzliches Blutbad schickt, die Katholiken, Uniierte und
Altgläubige um ihres Glaubens und Bekenntnisses willen verfolgt.
So steht die
Geistlichkeit, wenn sie die Reichen, wenn sie Ausbeutung und
Unterdrückung verteidigt, im ausdrücklichen Gegensatz zur christlichen
Lehre. Bischöfe und Priester treten nicht als Kaplane der Lehre Christi
auf, sondern als Kaplane des goldenen Kalbes und der Knute, die Arme und
Wehrlose geißelt.
Außerdem
weiß jeder aus Erfahrung, wie oft die Priester selbst das arme
arbeitende Volk quälen, indem sie für Hochzeiten, Taufen und
Beerdigungen dem Arbeiter manchmal den letzten Groschen abnehmen. Und
wie oft ist es vorgekomrnen, dass ein Priester, der zu einer Beerdigung
gerufen wurde, erklärte, er rühre sich nicht aus dem Haus, wenn man
nicht im Voraus soundsoviel Rubel auf den Tisch lege, und der Arbeiter
mit Verzweiflung im Herzen davonging, schnell das letzte Möbel aus der
Stube verkaufen oder verpfänden musste, um religiösen Trost für seine
Liebsten zu erkaufen!
Es gibt
allerdings auch andere Geistliche. Es gibt auch solche, die voll Güte
und Mitleid nicht auf den Verdienst schauen und bereit sind, selbst zu
helfen, wo sie Not sehen. Aber jeder gibt zu, dass das Ausnahmen sind,
weiße Raben. Die Mehrzahl der Priester hat ein lächelndes Gesicht und
untertänige Verbeugungen für die Reichen und Mächtigen, denen sie jedes
Unrecht und jede Ausschweifung schweigend vergibt. Für die Arbeiter
jedoch hat die Geistlichkeit meistens nur unerbittliche Schinderei und
strenge Predigten gegen ihre „Anmaßung". wenn sie sich ein wenig vor der
unverschämten Ausbeutung der Kapitalisten schützen wollen.
Dieser
ausdrückliche Widerspruch zwischen dem Vorgehen der Geistlichkeit und
der christlichen Lehre muss jeden denkenden Arbeiter verwundern, so dass
er unwillkürlich fragt: wie kommt es, dass die Arbeiterklasse bei ihrem
Streben nach Befreiung in den Dienern der Kirche nicht Freunde, sondern
Feinde findet? Wie kommt es, dass die Kirche heute nicht Zuflucht der
Ausgebeuteten und Unterdrückten ist, sondern Festung und Schutz des
Reichtums und der blutigen Ausbeutung?
Um diese
erstaunliche Erscheinung zu begreifen, muss man zumindest kurz die
Geschichte der Kirche kennen lernen und sich ansehen, was sie einmal war
und wozu sie dann im Laufe der Zeiten geworden ist.
-
Einer der schwersten Vorwürfe, den die
Geistlichkeit den Sozialdemokraten macht, ist der, dass sie den
,,Kommunismus" einführen wollen, das heißt gemeinsames Eigentum aller
irdischen Güter. Es wird hier vor allem interessant sein festzustellen,
dass die heutigen Priester, wenn sie gegen den ,,Kommunismus" wettern,
eigentlich gegen die ersten Apostel der Christenheit wettern. Denn
gerade sie waren die leidenschaftlichsten Kommunisten.
Die christliche
Religion entstand bekanntlich im alten Rom zur Zeit des größten Verfalls
dieses einstmals starken und mächtigen Reiches, das damals das ganze
heutige Italien, Spanien, einen Teil Frankreichs, einen Teil der Türkei,
Palästina und verschiedene andere Länder umfasste. Die Verhältnisse, die
in Rom zur Zeit der Geburt Christi herrschten, waren den heutigen
Verhältnissen in Russland sehr ähnlich. Einerseits eine Handvoll
Reicher, die in Müßiggang unermesslichen Luxus und Überfluss genossen,
andererseits eine riesige Volksmasse, die in entsetzlicher Not zugrunde
ging, und über allem eine Regierung von Despoten, die, auf Gewalt und
moralische Verkommenheit gestützt, unsagbaren Druck ausübte und das
Letzte aus der Bevölkerung herauspresste, im ganzen Reich Zerrüttung,
äußere Feinde, die den Staat von verschiedenen Seiten bedrohten, eine
Soldateska, die in wildem Übermut die arme Bevölkerung traktierte, öde
und entvölkerte Dörfer mit immer unfruchtbarer werdenden Äckern, die
Stadt aber, die Hauptstadt Rom nämlich, überfüllt von abgezehrtem Volk,
das voll Hass an den Palästen der Reichen rüttelte, von Volk ohne Brot,
ohne Obdach, ohne Kleidung, ohne Hoffnung und Aussicht auf irgendeinen
Ausweg aus dem Elend.
Nur in einer
Hinsicht besteht zwischen dem verfallenden Rom und dem heutigen Reich
des Zaren ein großer Unterschied. In Rom gab es damals keinen
Kapitalismus, d.h. es gab keine Fabrikindustrie, die durch die Arbeit
von Lohnarbeitern Waren zum Verkauf produzierte. Damals herrschte in Rom
Sklaverei, und die Adelsfamilien befriedigten ebenso wie die Reichen und
die Financiers alle ihre Bedürfnisse durch die Arbeit von Sklaven, die
sie aus dem Krieg mitgebracht hatten. Diese Reichen rafften allmählich
fast den ganzen Grundbesitz in Italien an sich, indem sie den römischen
Bauern das Land raubten, und da das Getreide kostenlos als Tribut aus
den unterworfenen Provinzen herangeschafft wurde, wandelten sie ihren
eigenen Grundbesitz in riesige Plantagen, Gemüsegärten, Weinberge,
Weiden und Lustgärten um, bestellt von einem großen Sklavenheer, das
durch den Stock des Aufsehers zur Arbeit angetrieben wurde. Des Landes
und Brotes beraubt, strömte die Landbevölkerung aus der ganzen Provinz
in die Hauptstadt Rom, fand hier aber keinen Verdienst, weil auch jedes
Handwerk von Sklaven betrieben wurde. So sammelte sich in Rom allmählich
eine riesige Volksmenge ohne jedes Eigentum an - ein Proletariat, das
jedoch nicht einmal seine Arbeitskraft verkaufen konnte, da niemand
seine Arbeit benötigte. Dieses Proletariat also, das vom Lande
hereinströmte, wurde nicht wie heute in den Städten von der
Fabrikindustrie aufgesogen, sondern musste in hoffnungslose Not und an
den Bettelstab geraten. Da eine solche Vorstädte, Straßen und Plätze
Roms füllende Volksmasse, ohne Brot und Dach über dem Kopf, eine
ständige Gefahr für die Regierung und die herrschenden Reichen war,
musste die Regierung irgendwie ihre Not lindern. Von Zeit zu Zeit wurden
also aus den Regierungsspeichern Getreide oder gleich Lebensmittel an
das Proletariat verteilt, um für eine gewisse Zeit sein drohendes Murren
zu besänftigen, auch wurden kostenlose Spiele im Zirkus veranstaltet,
um Gedanken und Gefühle des erregten Volkes zu beschäftigen. So lebte
das ganze riesenhafte Proletariat in Rom eigentlich vom Betteln, nicht
so wie heute, da das Proletariat im Gegenteil durch seine Arbeit die
ganze Gesellschaft erhält. Damals in Rom lag jedoch die ganze Arbeit für
die Gesellschaft auf den Schultern der unglücklichen, wie Arbeitsvieh
traktierten Sklaven. Und in diesem Meer von Not und menschlicher
Erniedrigung feierte eine kleine Anzahl römischer Magnaten wilde Orgien
des Überflusses und der Ausschweifung. Einen Ausweg aus diesen
ungeheuerlichen gesellschaftlichen Verhältnissen gab es nicht. Das
Proletariat murrte zwar und drohte von Zeit zu Zeit mit Aufstand. aber
die Klasse der Bettler, die nicht arbeiteten und nur von den Knochen
lebten, die ihnen vom Tische der Reichen und des Staates zugeworfen
wurden, konnte keine neue gesellschaftliche Ordnung schaffen. Die
Volksklasse aber, die durch ihre Arbeit die ganze Gesellschaft erhielt,
die Sklaven waren zu sehr erniedrigt, zersprengt. ins Joch gespannt,
standen allzu sehr außerhalb der Gesellschaft, von ihr abgesondert wie
heute Arbeitsvieh vom Menschen, als dass sie eine Reform der ganzen
Gesellschaft hätten zuwege bringen können. Die Sklaven erhoben sich zwar
von Zeit zu Zeit gegen ihre Herren, versuchten, sich mit Feuer und
Schwert aus dem Joch zu befreien, aber das römische Heer unterdrückte am
Ende immer ihre Aufstände, und sie wurden dann zu Tausenden ans Kreuz
geschlagen oder völlig niedergemetzelt.
Unter diesen
entsetzlichen Bedingungen der verfallenden Gesellschaft, wo es für die
riesige Volksmenge keinen sichtbaren Ausweg gab, keine Hoffnung auf ein
besseres Los auf Erden, begannen die Unglücklichen, diese Hoffnung im
Himmel zu suchen. Die christliche Religion erschien den Verachteten und
Elenden als eine Rettungsplanke, als Trost und Linderung, und wurde vom
ersten Augenblick an die Religion der römischen Proletarier. Und
entsprechend der materiellen Lage dieser Volksklasse begannen die ersten
Christen, die Forderung nach gemeinsamem Eigentum - den Kommunismus -
zu verkünden. Natürlich: das Volk hatte keine Mittel zum Leben, ging aus
Not zugrunde, daher rief die Religion. die dieses Volk verteidigte, dazu
auf, dass die Reichen mit den Armen teilen sollten, dass die Reichtümer
allen gehören sollten und nicht einer Handvoll Privilegierter, dass
unter den Menschen Gleichheit herrschen sollte. Das waren jedoch keine
Forderungen, wie sie heute die Sozialdemokraten stellen, dass die
Werkzeuge und überhaupt die Produktionsmittel allen gemeinsam gehören
sollen, damit alle gemeinsam arbeiten und von ihrer Hände Arbeit leben
können. Die damaligen Proletarier lebten, wie wir sahen, nicht von
ihrer Arbeit, sondern von den Almosen der Regierung. Darum verkündeten
die Christen die Forderung nach gemeinsamem Eigentum nicht hinsichtlich
der Arbeitsmittel, sondern der Lebensmittel, das heißt sie forderten
nicht, dass Ländereien, Werkstätten, überhaupt Arbeitswerkzeuge allen
gemeinsam gehören sollten, sondern dass alle miteinander Wohnung.
Kleidung, Nahrung und ähnliche fertige Gebrauchsgegenstände des Menschen
teilen sollten. Woher diese Reichtümer kommen, darüber machten sich die
christlichen Kommunisten keine Sorgen. Die Arbeit blieb Sache der
Sklaven. Das Volk der Christen forderte nur, dass diejenigen, die
Reichtümer besitzen, diese beim Übertritt zur christlichen Religion dem
Eigentum der Allgemeinheit übergeben und dass alle brüderlich und in
Gleichheit von diesen Reichtümern leben sollten.
So richteten
sich auch die ersten christlichen Gemeinden ein. ,,Für diese Leute" - so
beschreibt es ein Zeitgenosse - ,,bedeutet Reichtum nichts, dafür
preisen sie sehr das gemeinsame Eigentum und es gibt keinen unter ihnen,
der reicher wäre als andere. Sie halten sich an das Gesetz, dass alle,
die in ihren Orden eintreten wollen, ihre Habe zum allgemeinen Eigentum
aller abgeben müssen, darum findet man auch bei ihnen weder Not noch
Überfluss, alle besitzen alles gemeinsam wie Brüder. (...) Sie wohnen
nicht abgesondert in irgendeiner Stadt, sondern haben in jeder Stadt
ihre besonderen Häuser, und wenn Leute, die ihrer Religion angehören,
aus der Fremde zu ihnen kommen, so teilen sie mit ihnen ihre Habe, über
die diese wie über ihre eigene verfügen können. Diese Leute sind
gegenseitig beieinander zu Gast, obwohl sie sich vorher nie gesehen
haben, und verkehren so miteinander, als ob sie ihr ganzes Leben lang
Freunde gewesen wären. Wenn sie über Land reisen, so nehmen sie nichts
mit außer Waffen gegen Räuber. In jeder Stadt haben sie ihren
Hofmeister, der Kleidung und Lebensmittel an die Ankömmlinge verteilt.
(...) Untereinander treiben sie keinen Handel, sondern wenn einer einem
anderen etwas gibt, was dieser braucht, so erhält er dafür wiederum, was
er selbst benötigt. Und sogar wenn einer nichts dafür anbieten kann, so
kann er doch frei heraus von jedem das fordern, was er benötigt."
In der
Apostelgeschichte (IV, 32, 34, 35) lesen wir ebenfalls eine solche
Beschreibung der ersten christlichen Gemeinde in Jerusalem: ,,Keiner
sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles
gemein. Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wie viel
ihrer waren, die da Acker oder Häuser hatten, die verkauften sie und
brachten das Geld des verkauften Guts und legten es zu der Apostel
Füßen; und man gab einem jeglichen, was ihm Not war."
Ebenso schreibt
ein gewisser deutscher Historiker Vogel 1780 über die ersten Christen:
,,Ein jeder Christ hatte nach der brüderlichen Verbindung ein Recht zu
den Gütern aller Mitglieder der ganzen Gemeinde und konnte im Fall der
Not fordern, dass die begüterten Mitglieder ihm so viel von ihrem
Vermögen mitteilten, als zu seiner Notdurft erfordert ward. Ein jeder
Christ konnte sich der Güter seiner Brüder bedienen, und die Christen,
die etwas hatten, konnten ihren dürftigen Brüdern den Nutzen und
Gebrauch derselbigen nicht versagen. Ein Christ, z.B., der kein Haus
hatte, konnte von einem andern Christen, der 2 oder 3 Häuser hatte,
begehren, dass er ihm eine Wohnung gebe, deswegen blieb er doch Herr der
Häuser. Wegen der Gemeinschaft des Gebrauchs aber musste die eine
Wohnung dem andern zum Wohnen überlassen werden." Bewegliche Güter und
Geld wurden in einer gemeinsamen Kasse gesammelt, und ein aus der
christlichen Bruderschaft besonders gewählter Beamter verteilte die
gemeinsame Habe unter alle.
Damit nicht
genug. Die Verbrauchsgemeinschaft wurde so weit getrieben, dass in den
ersten christlichen Gemeinden gewöhnlich die tägliche Nahrung an
gemeinsamen Tischen eingenommen wurde, wie es die Apostelgeschichte
beschreibt. Dadurch wurde das Familienleben der ersten Christen
eigentlich zerstört, und alle einzelnen christlichen Familien einer
Stadt lebten gemeinsam als eine große Familie. Schließlich muss man noch
hinzufügen, dass das, was einige Priester in ihrer Dummheit oder Bosheit
den Sozialdemokraten zuzuschreiben versuchen, nämlich den Wunsch,
Frauengemeinschaft einzuführen, was den Sozialdemokraten aber natürlich
nicht im Traume einfällt, da sie das für eine schändliche und tierische
Entstellung des ehelichen Verhältnisses halten, tatsächlich teilweise
bei den ersten Christen praktiziert wurde. Die Idee des gemeinsamen
Eigentums, des Kommunismus, so anstößig und abscheulich für die heutige
Geistlichkeit, war den ersten Christen so lieb, dass einige Sekten, wie
z.B. die Onosfiker, bekannt unter dem Namen Adamiten, im 2. Jahrhundert
nach Christus verkündeten, dass alle Männer und Frauen miteinander
gemeinsam verkehren sollten, ohne Unterschied, und auch nach dieser
Lehre lebten.
-
So waren die Christen im 1. und 2.
Jahrhundert leidenschaftliche Bekenner des Kommunismus, Aber dieser
Kommunismus des Verbrauches fertiger Produkte, der nicht auf den
Kommunismus der Arbeit gegründet war, konnte keineswegs die Lage der
damaligen Gesellschaft verbessern, konnte nicht die Ungleichheit unter
den Menschen und die Kluft zwischen den Reichen und dem armen Volk
beseitigen. Da die Produktionsmittel, hauptsächlich der Boden,
Privateigentum blieben, da die Arbeit für die Gesellschaft weiterhin auf
Sklaverei beruhte, flossen also die durch die Arbeit erworbenen
Reichtümer weiterhin wenigen Eigentümern zu, das Volk aber blieb der
Mittel zum Leben beraubt, die es als Bettelvolk auch nur aus Gnade der
Reichen erhielt.
Wenn die einen,
und zwar eine verhältnismäßig kleine Handvoll, als ausschließlich privates
Eigentum alles Land, Wälder, Weiden, alle Herden und Wirtschaftsgebäude,
alle Werkstätten, Werkzeuge und Materialien zur Produktion besitzen, die
anderen aber - die riesige Mehrheit des Volkes - überhaupt nichts
besitzen, womit sie für sich arbeiten könnten, so kann bei solchen
Verhältnissen unmöglich Gleichheit unter den Menschen entstehen, dann
muss es Reiche und Arme, Überfluss und Not geben. Nehmen wir zum Beispiel
an, dass heute diese reichen Eigentümer, zerknirscht durch die
christlichen Lehren, all ihr Geld und alle beweglichen Reichtümer, die sie
an Getreide, Obst, Kleidung, Schlachtvieh usw. besitzen, zum gemeinsamen
Verbrauch des Volkes und zur Verteilung unter alle Bedürftigen hingeben.
Was folgt daraus? Nur, dass für einige Zeit die Not verschwindet und das
Volk sich recht und schlecht ernährt und kleidet. Aber jene Mittel werden
schnell verbraucht. Nach sehr kurzer Zeit wird das besitzlose Volk die
verteilten Reichtümer aufgebraucht haben und wieder mit leeren Händen
dastehen, die Besitzer des Landes und der Arbeitswerkzeuge aber werden mit
Hilfe der Arbeiter - damals der Sklaven - weiter produzieren können so viel
sie wollen; demnach bleibt alles beim alten. Darum eben sehen sich die
Sozialdemokraten heute anders als die christlichen Kommunisten und sagen:
wir wollen keine Gnade und keine Almosen, denn das beseitigt nicht die
Ungleichheit unter den Menschen. Wir wollen nicht, dass die Reichen mit
den Armen teilen, sondern dass es überhaupt keine Reichen und Armen gibt.
Aber das wird erst dann möglich, wenn die Quelle jeglichen Reichtums:
Land und alle anderen Arbeitsmittel dem ganzen arbeitenden Volk gemeinsam
gehören werden, das für sich selbst die notwendigen Güter nach den
Bedürfnissen aller erzeugen wird. Die ersten Christen jedoch wollten den
Mangel des riesenhaften, nicht arbeitenden Proletariats durch ständiges
Teilen der Reichtümer, die von den Reichen gegeben wurden, decken; aber
das bedeutete so viel wie Wasser mit einem Sieb zu schöpfen.
Doch damit
nicht genug. Der christliche Kommunismus konnte nicht nur die
gesellschaftlichen Verhältnisse nicht ändern und verbessern, er konnte
sogar sich selbst nicht lange halten.
Solange es am
Anfang noch wenige Bekenner des neuen Evangeliums gab, solange sie nur
eine kleine Sekte von Begeisterten in der römischen Gesellschaft bildeten,
solange war es möglich, den Besitz zur gemeinsamen Verteilung
zusammenzutragen, die Mahlzeiten gemeinsam einzunehmen und oft auch unter
gemeinsamem Dach zu wohnen.
Aber in dem
Maße, in dem immer mehr Menschen dem Christentum beitraten, in dem die
Gemeinden sich schon über das ganze Reich verbreiteten, wurde das
gemeinsame Zusammenleben der Bekenner immer schwieriger. Die Sitte der
gemeinsamen täglichen Mahlzeiten verschwand bald vollständig, und
gleichzeitig nahm auch die Hingabe des eigenen Besitzes zum gemeinsamen
Verbrauch einen anderen Charakter an. Da die Christen jetzt schon nicht
mehr in einer gemeinsamen Familie lebten, sondern jeder sich um seine
eigene selbst kümmern musste, wurde auch schon nicht mehr die ganze Habe
zum gemeinsamen Verbrauch der christlichen Brüder abgegeben, sondern das
was übrig blieb, nachdem die Bedürfnisse der eigenen Familie gedeckt
waren. Was jetzt die Wohlhabenden dem christlichen Gemeinwesen abgaben,
war schon nicht mehr Anteil am kommunistischen Zusammenleben, sondern
Opfer für andere, nicht wohlhabende Brüder, war schon Wohltätigkeit,
Almosen. Aber als die reichen Christen aufhörten, selbst den gemeinsamen
Besitz in Anspruch zu nehmen, und nur einen Teil für andere abgaben, da
fiel auch dieser Teil, der für die armen Brüder geopfert wurde,
verschieden aus, größer oder kleiner, je nach Willen und Natur der
einzelnen Bekenner. So entstand allmählich im Schoße der chrisflichen
Gemeinde derselbe Unterschied zwischen Arm und Reich wie ringsum in der
römischen Gesellschaft, gegen den die ersten Christen den Kampf
aufgenommen hatten. Nur die armen Christen, die Proletarier, erhielten
noch gemeinsame Mahlzeiten von ihrer Gemeinde, die Reichen hielten sich
jedoch fern von diesen Mahlzeiten und opferten einen Teil ihres
Überflusses dafür. So wiederholten sich also eigentlich bei den Christen
dieselben Verhältnisse, die in der römischen Gesellschaft herrschten: das
Volk lebte von Almosen, und eine Minderheit von Reichen gab Almosen.
Gegen dieses Einreißen sozialer Ungleichheit innerhalb der christlichen
Gemeinde kämpften die Kirchenväter noch lange mit flammenden Worten,
indem sie die Reichen geißelten und ständig zur Rückkehr zum Kommunismus
der ersten Apostel aufriefen.
Der heilige
Basilius drohte den Reichen im 4. Jahrhundert nach Christus zum Beispiel
folgendermaßen: ,,O ihr Elenden, wie wollt ihr euch vor dem himmlischen
Richter rechtfertigen? Ihr antwortet mir: Welche Schuld trifft uns, wenn
wir nur das für uns behalten, was uns gehört? Ich aber frage euch: Was
nennt ihr euer Eigentum? Von wem habt ihr es erhalten? (...) Wodurch
bereichern sich die Reichen, wenn nicht dadurch, dass sie an sich raffen,
was allen gehört? Wenn jeder nicht mehr für sich hätte, als er zum
Unterhalt benötigt, den Rest aber anderen überließe, so gäbe es keine
Armen und keine Reichen."
Am
eindringlichsten bekehrte der heilige Johannes Chrysostomos die Christen
zum ursprünglichen Kommunismus der Apostel, der Patriarch von
Konstantinopel, 347 in Antiochien geboren und 407 in der Verbannung in
Armenien gestorben. In seiner elften Predigt über die Apostelgeschichte
sagte dieser berühmte Prediger:
,,Große Gnade
war bei ihnen allen [den Aposteln], und es gab niemanden unter ihnen, der
Not gelitten hätte. Das aber kam daher, dass niemand von seinem Eigentum
sagte, es gehöre ihm, sondern alles bei ihnen allen gemeinsam gehörte.
Gnade war deshalb hei ihnen, weil niemand Not litt, das heißt deshalb,
weil sie so eifrig gaben, dass niemand arm blieb. Denn sie gaben nicht nur
einen Teil und behielten den anderen für sich, auch betrachteten sie das,
was sie gaben, nicht als ihr Eigentum. Sie hoben die Ungleichheit auf und
lebten in großem Wohlstand und taten das auf die rühmenswerteste Weise.
Sie unterstanden sich nicht, das Opfer in die Hände der Bedürftigen zu
legen, schenkten es auch nicht aus hochmütiger Gefälligkeit, sondern
legten es den Aposteln zu Füßen und machten sie zu Herren und Verteilern
ihrer Gaben. Was man brauchte, das wurde von den Vorräten der Gemeinschaft
und vom privaten Eigentum der einzelnen genommen. Dadurch wurde erreicht,
dass die Spender nicht in Hochmut verfielen."
,,Wenn wir
heute so handeln würden, würden wir weit glücklicher leben, die Reichen
wie die Armen, und die Armen würden dadurch nicht mehr Glück gewinnen als
die Reichen, da die Opfernden nicht nur selbst nicht arm würden, sondern
auch die Armen reich machen würden."
,,Stellen wir
uns Folgendes vor: Alle geben das, was sie besitzen, zum gemeinsamen
Eigentum hin. Mag sich niemand dabei beunruhigen. weder Arm noch Reich.
Was glaubt ihr, wie viel Geld sich auf diese Weise ansammeln würde? Ich
glaube, denn mit Sicherheit kann man das nicht feststellen, dass, wenn
jeder einzelne sein ganzes Geld, alles Land, alles Vieh, seine Häuser
abgäbe (von den Sklaven werde ich nicht reden, denn die ersten Christen
besaßen sicherlich keine, da sie sie wahrscheinlich frei ließen), so
sammelt sich sicher insgesamt eine Million Pfund Gold an, ach, sicherlich
auch zwei oder dreimal so viel. Denn sagt mir, wie viele Menschen leben in
unserer Stadt [Konstantinopel]? Wie viele Christen? Werden es nicht
hunderttausend sein? Und wie viele sind Heiden und Juden! Wie viel tausend
Pfund Gold müssen sich ansammeln! Und wie viele Arme haben wir? Ich glaube
nicht dass es mehr als fünfzigtausend sind. Wie viel würde es erfordern,
sie täglich zu verpflegen? Wenn sie die Speise am gemeinsamen Tisch
einnehmen, so werden die Kosten nicht groß sein. Was fangen wir also mit
unserem riesigen Schatz an? Glaubst du, dass er sich irgendwann einmal
erschöpfen könnte? Und ergießt sich der göttliche Segen nicht tausendmal
reicher über uns? Werden wir nicht aus der Erde ein Paradies machen'? Wenn
sich das so wunderbar bei den drei- oder fünftausend [ersten Christen]
bewahrheitete und keiner von ihnen Not litt, um wie viel mehr muss es bei
einer so großen Zahl von Menschen gelingen? Wird nicht jeder neu
Eintretende etwas dazu geben?"
,,Die
Zerstrenung der Reichtümer bewirkt größere Ausgaben und daher Armut.
Nehmen wir ein Haus mit Mann und Frau und zehn Kindern. Sie beschäftigt
sich mit Weben, er sucht seinen Unterhalt auf dem Markt. Werden sie mehr
brauchen, wenn sie zusamrnen in einem Haus wohnen oder wenn jeder für sich
lebt? Natürlich wenn sie getrennt leben; wenn die zehn Söhne in
verschiedene Richtungen auseinander gehen, brauchen sie zehn Häuser, zehn
Tische, zehn Diener und alles andere im selben Verhältnis vermehrt. Aber
wie verhält es sich mit der Zahl der Sklaven? Speist man sie nicht alle an
einem Tisch, um Kosten zu sparen? Zersplitterung führt gewöhnlich zu
Verschwendung, Gemeinsamkeit zu Ersparnis von Hab und Gut. So lebt man
heute in den Klöstern und so lebten jene Gläubigen. Wer starb damals an
Hunger? Wer wurde nicht reichlich gesättigt? Und doch fürchten die
Menschen diese Ordnung mehr als den Sprung in die offene See. Machen wir
doch einen Versuch und gehen wir kühn ans Werk! Wie groß wäre dann der
Segen! Denn wenn damals, als die Zahl der Gläubigen so klein war, kaum
drei- bis fünftausend, wenn damals, als die ganze Welt uns feindlich war,
als es nirgends Trost gab. unsere Vorfalrren sich so standhaft daran
hielten, wie viel mehr Sicherheit müssten wir jetzt haben, da es durch
Gottes Gnade überall Gläubige gibt. Wer hätte damals noch Heide bleiben
wollen? Niemand, denke ich. Alle hätten wir angezogen und für uns
gewonnen. Das so eindringliche Zureden und die flammenden Predigten des
Johannes Chrysostomos blieben erfolglos. Es wurde kein Versuch
unternommen, den Kommunismus in Konstantinopel oder anderswo einzuführen.
Mit der Ausbreitung des Christentums, das schon seit Anfang des 4.
Jahrhunderts in Rom die herrschende Religion war, kehrten die Gläubigen
nicht zum Beispiel der ersten Apostel, zum gemeinsamen Eigentum zurück,
sondern entfernten sich immer weiter von ihm. Die Ungleichheit zwischen
Reichen und Armen innerhalb der Gemeinde der Gläubigen vergrößerte sich
immer mehr.
Noch im 6.
Jahrhundert, d.h. es vergingen 500 Jahre nach Christi Geburt, hören wir
den Aufruf Gregors des Großen: "Es genügt nicht, anderen ihr Eigentum
nicht wegzunehmen, ihr seid nicht ohne Schuld, wenn ihr Güter für euch
behaltet, die Gott für alle geschaffen hat. Wer anderen nicht das gibt,
was er selbst besitzt, ist ein Räuber und Mörder, denn wenn er für sich
behält, was zum Unterhalt der Armen dienen würde, kann man sagen, dass er
Tag für Tag so viele ermordet, wie von seinem Überfluss leben könnten.
Wenn wir mit denen teilen, die in Not sind, so geben wir ihnen nicht, was
uns gehört, sondern was ihnen gehört. Das ist keine Tat des Mitleids,
sondern das Bezahlen einer Schuld."
Aber diese
Aufrufe waren vergeblich. Infolge der Hartherzigkeit der damaligen
Christen, die sicher noch empfänglicher waren für die Predigten der
Kirchenväter als die heutigen. Aber nicht zum erstenmal in der Geschichte
der Menschen zeigte sich, dass die wirtschaftlichen Bedingungen stärker
sind als die schönsten Predigten. Dieser Kommunismus, diese
Verbrauchsgemeinschaft, die die ersten Christen verkündet hatten, konnte
sich unmöglich ohne gemeinsame Arbeit der ganzen Bevölkerung auf
gemeinsamem Land und in gemeinsamen Werkstätten halten, aber solch
gemeinsame Arheit mit gemeinsamen Produktionsmitteln einzuführen, war
damals nicht möglich, da die Arbeit, wie gesagt, Sache der Sklaven war,
die außerhalb der Gesellschaft standen, nicht aber Sache der freien
Menschen. Das Christentum unternahm von Anfang an nichts und konnte es
auch nicht, die Ungleichheit in der Arbeit und im Besitz der Arbeitsmittel
aufzuheben; dadurch waren seine Bemühungen hoffnungslos, die ungleiche
Verteilung der Reichtümer zu beseitigen. Deshalb mussten die Stimmen der
Kirchenväter, die zum Kommunismus bekehrten, die eines Rufers in der
Wüste bleiben. Aber nicht lange, und auch diese Stimmen wunden immer
seltener, bis sie völlig verstummten. Schon die Kirchenväter selbst hörten
auf, zur Gemeinschaft und zur Verteilung der Reichtümer aufzurufen, denn
mit dem Anwachsen der Gemeinde der Gläubigen änderte sich auch die Kirche
selbst von Grund auf.
-
Zu Anfang, als die Zahl der Gläubigen noch klein war, war eine
eigentliche Geistlichkeit gar nicht vorhanden. In jeder Stadt sammelten
sich die Gläubigen, bildeten eine selbständige religiöse Gemeinde und
wählten jedes Mal einen der Brüder aus ihrer Mitte, der den Gottesdienst
leitete und die religiösen Handlungen ausführte. Jeder Gläubige konnte
damals Bischof oder Presbyter werden, es waren dies zeitlich begrenzte
Ämter, die keine Macht vergaben außer der, mit der die Gemeinde sie
freiwillig ausstattete, und sie waren völlig unbezahlt. In dem Maße
jedoch, wie die Zahl der Bekenner wuchs und die Gemeinden immer größer und
reicher wurden, wurden die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten und das
Abhalten der Gottesdienste zu einer Beschäftigung, die viel Zeit und
völlige Hingabe erforderte. Da einzelne christliche Brüder mit diesen
Aufgaben neben ihrem privaten Beruf nicht mehr fertig werden konnten,
begann man also, Gemeindemitglieder für geistliche Ämter als
ausschließliche Tätigkeit zu wählen. So kommt es, dass solche Beamte
schon dafür, dass sie sich den Angelegenheiten der Kirche und der Gemeinde
widmeten, irgendeinen Lohn erhalten mussten, der einem zum Leben genügte.
So entstand innerhalb der christlichen Gemeinde eine neue Schicht: aus der
Menge der Gläubigen sonderte sich der besondere Stand der kirchlichen
Beamten ab - die Geistlichkeit. Neben der Ungleichheit zwischen Reichen
und Armen entstand eine neue Ungleichheit zwischen Geistlichkeit und Volk.
Obwohl sie anfangs aus ihnen gleichberechtigten Bekennern zur zeitweiligen
Vertretung der Gemeinde im kirchlichen Dienst gewählt waren, erhoben sich
die Geistlichen bald zu einer Kaste, die über dem Volk stand. Je mehr
christliche Gemeinden in allen Städten des großen römischen Reiches
entstanden, desto stärker fühlten die von Regierung und Andersgläubigen
verfolgten Christen das Bedürfnis, sich untereinander zusammenzuschließen,
um ihre Kräfte zu vergrößern. Die verstreuten Gemeinden beginnen, sich zu
einer Kirche auf dem ganzen Reichsgebiet zu vereinigen. aber das ist schon
jetzt hauptsächlich ein Zusammenschluss nicht des Volkes, sondern der
Geistlichkeit. Im 4. Jahrhundert nach Christus beginnen die Geistlichen
der einzelnen Gemeinden, regelmäßig auf Konzilen zusammenzukommen; das
erste derartige Konzil fand 325 in Nicäa statt. Dadurch wunde der enge
Zusammenschluss der Geistlichen zu einem vom Volk abgesonderten Stand
vollendet. Gleichzeitig waren auf den Konzilen natürlich die Bischöfe der
mächtigsten und reichsten Gemeinden führend unter den Geistlichen, und
deshalb stand der Bischof der christlichen Gemeinde der Stadt Rom bald an
der Spitze der ganzen Christenheit, als Haupt der Kirche, als Papst. So
entstand die ganze Hierarchie der Geistlichkeit, die sich immer mehr vom
Volk absonderte und sich immer höher über es erhob.
Gleichzeitig änderte sich auch das ökonomische Verhältnis zwischen
Volk und Geistlichkeit. Früher war alles, was reiche Kirchenmitglieder der
Gemeinschaft opferten, als Fonds für das arme Volk betrachtet worden.
Dann begann man, aus eben diesem Fonds einen immer größeren Teil dafür
abzuzweigen, die Geistlichkeit zu bezahlen und die Bedürfnisse der Kirche
zu bestreiten. Als Anfang des 4. Jahrhunderts das Christentum in Rom zur
herrschenden, d.h. zur einzigen vom Staat anerkannten und unterstützten
Religion ausgerufen wurde und die Christenverfolgungen aufhörten, fanden
die Gottesdienste nicht mehr in unterirdischen Höhlen oder bescheidenen
Kammern statt, sondern man begann, immer prächtigere Kirchen zu bauen. Die
Ausgaben dafür verminderten den Fonds für die Armen immer mehr. Schon im
5. Jahrhundert nach Christus wurden die Einkünfte der Kirche in vier
gleiche Teile aufgeteilt, von denen einen der Bischof erhielt, einen die
übrige niedere Geistlichkeit, einer für Bau und Erhaltung der Kirchen
abging und nur ein vierter für die Unterstützung des armen Volkes
verwendet wurde. Das ganze christliche Armenvolk erhielt zusammen jetzt
nur noch so viel wie der Bischof allein. Und mit der Zeit hörte man
überhaupt auf, einen bestimmten Teil für die Armen bereitzustellen. Je
reicher und mächtiger die Geistlichkeit wurde, desto mehr verlor das Volk der
Gläubigen jede Kontrolle über Besitz und Einkünfte der Kirche. Die
Bischöfe verteilten so viel an die Armen, wie es ihnen gefiel. Das Volk
erhielt schon damals Almosen von seiner Geistlichkeit.
Aber das ist noch nicht das Ende.
Waren anfangs alle Gaben der Gläubigen für die christliche Allgemeinheit
freiwillig, so begann die Geistlichkeit mit der Zeit, besonders, seit die
Religion Staatsreligion geworden war, zwangsweise Gaben zu fordern, und
das von allen Gläubigen, begüterten und unbegütenten. Im 6. Jahrhundert
wurde von der Geistlichkeit eine besondere Kirchenabgabe eingeführt: der
Zehnte (d.h. die zehnte Kornähre, das zehnte Stück Vieh usw.). Diese
Abgabe fiel als neue Last auf die Schultern des Volkes und wurde später im
Mittelalter eine Gottesgeißel für die armen, durch Fronarbeit
ausgepressten Bauern. Mit dem Zehnten wurde jeder Zollbreit Land, jedes
Gut belegt, und der Fronbauer musste ihn im blutigen Schweiße seines
Angesichts für die Herren abarbeiten. Jetzt erhielt das arme Volk nicht
nur keine Hilfe und Unterstützung von der Kirche, sondern im Gegenteil,
die Kirche verband sich mit den anderen Ausbeutern und Schindern des
Volkes: mit Fürsten, Landadel und Wucherern.
Als im Mittelalter das arbeitende
Volk durch die Fron in immer größere Not fiel, bereicherte sich die
Geistlichkeit immer mehr. Außer den Einkünften aus dem Zehnten und anderen
Abgaben und Zahlungen erhielt die Kirche zu jener Zeit riesige Schenkungen
und Vermächtnisse von frommen Reichen oder reichen Wüstlingen beiderlei
Geschlechts, die sich durch reichliches Vermächtnis an die Kirche in ihrer
letzten Stunde von ihrem sündigen Leben loskaufen wollten. Geld, Häuser,
ganze Dörfer samt Fronbauern, einzelne Renten und Arbeitsleistungen, die
zum Land gehörten, wurden der Kirche geschenkt und vermacht. So sammelten
sich in den Händen der Geistlichkeit riesige Reichtümer an. Und jetzt
hörte der Klerus schon auf, Verwalter des ihm anvertrauten Besitzes der
Kirche, d.h. der Gemeinde der Gläubigen und zumindest der armen Brüder zu
sein. Im 12. Jahrhundert verkündete die Geistlichkeit schon offen und
stellte es als scheinbar aus den Worten der heiligen Schrift herleitbares
Recht dar, dass aller Reichtum der Kirche nicht Eigentum der Gemeinschaft
der Gläubigen sei, sondern privates Eigentum der Geistlichkeit und vor
allem ihres Oberhauptes, des Papstes. Geistliche Ämter waren somit der
beste Weg, große Einkünfte und Reichtümer zu erwerben, und jeder
Geistliche, der über den Besitz der Kirche wie über sein Eigentum
verfügte, stattete seine Verwandten, Kinder und Enkel mit vollen Händen
aus. Da die Kirchengüter sich dadurch beträchtlich verminderten und in den
Händen der Familien der Geistlichen zusammenschmolzen, befahlen die Päpste
also in ihrer Sorge, den Reichtum im Ganzen zu erhalten, und indem sie
sich zu obersten Eigentümern des ganzen Kirchenbesitzes erklärten, der
Geistlichkeit den Zölibat, d.h. die Frauenlosigkeit, um zu verhindern,
dass der Besitz durch Vererben gemindert wurde. Der Zölibat wurde
ursprünglich schon im 11. Jahrhundert eingeführt, aber wegen des großen
Starrsinns der Priester allgemein erst Ende des 13. Jahrhunderts
angenommen. Damit die Kirche auch nicht den geringsten Teil des Reichtums
aus den Händen ließe, gab Papst Bonifatius VIlI. 1227 einen Erlass heraus,
der jeglichem Geistlichen untersagte, ohne Erlaubnis des Papstes
weltlichen Menschen Schenkungen aus seinen Einkünften zu machen.
So häufte die Kirche in ihren
Händen unermessliche Reichtümer an, besonders Grundbesitz. In allen
christlichen Ländern wurde die Geistlichkeit zum größten Grundbesitzer.
Gewöhnlich besaß sie den dritten Teil der ganzen Ländereien im Staate,
manchmal noch mehr. Nicht nur auf allen Königs-, Fürsten- und Adelsgütern
musste also das Landvolk außer seiner Fronarbeit den Zehnten für die
Geistlichkeit abarbeiten, auch auf den ganzen riesigen Flächen der
Kirchengüter arbeiteten Millionen von Bauern und Hunderttausende von
Handwerkern unmittelbar für die Bischöfe, Erzbischöfe, Domherren, Pröpste
und Klöster. Unter den Fronausbeutern des Volkes war im Mittelalter, zur
Zeit des Feudalismus, die Kirche der mächtigste Herr und Ausbeuter. Zum
Beispiel besaß die Geistlichkeit in Frankreich vor der Großen Revolution,
also gegen Ende des 18. Jahrhunderts, ein Fünftel des ganzen Bodens in
Frankreich, aus dem sie ein jährliches Einkommen von ungefähr 100
Millionen Franken einstrich.
Die aus den Privatgütern
eingenommenen Zehnten betrugen 23 Millionen. Davon wurden 2.800 Prälaten
und Obervikare, 5.600 Äbte und Priore, 60.000 Pröpste und Vikare und in
Klöstern 24.000 Mönche und 36.000 Nonnen ernährt und unterhalten. Dieses
ganze Heer des Klerus war völlig frei von Abgaben und vom Kriegsdienst und
gab nur in Jahren allgemeinen Unglücks wie Krieg, Missernten, Seuchen,
eine ,,freiwillige Abgabe" an die Staatskasse, die jedoch niemals 16
Millionen Franken überstieg.
Die so begüterte Geistlichkeit bildete mit
dem Fronadel zusammen einen Stand, der über das arme Volk herrschte und
von seinem Blut und Schweiß lebte. Höhere Kirchenämter wurden als die
einträglichsten immer dem Adel gegeben und in adeligen Familien gehalten.
Auch deshalb hielt die Geistlichkeit zur Zeit der Fronarbeit überall mit
dem Adel zusammen, unterstützte seine Herrschaft, zog zusammen mit dem
Adel dem Volk das Fell über die Ohren und brachte es dazu, Not und
Erniedrigung in Demut, ohne Murren und Widerspenstigkeit zu ertragen. Die
Geistlichkeit war auch der erklärte Feind des Stadt- und Landvolkes, als
dieses sich schließlich erhob, um in der Revolution die Fronausbeutung
abzuschaffen und die Menschenrechte zu erringen. Allerdings gab es auch
innerhalb der Kirchenhierarchie zwei Klassen: die höhere Geistlichkeit
raffte den ganzen Reichtum an sich, der Masse der Landpfarrer aber gab man
arme Pfarreien, die zum Beispiel in Frankreich jährliche Einkünfte von 500
bis 2000 Franken einbrachten. Diese benachteiligte niedere Klasse des
Klerus erhob sich auch gegen den höheren Klerus, und in der Großen
Revolution, die im Jahre 1789 ausbrach, verbündete sie sich mit dem
kämpfenden Volk gegen die Herrschaft des weltlichen und geistlichen
Adels.
-
So wurde im Laufe der Zeit das Verhältnis
der Kirche zum Volk völlig auf den Kopf gestellt. Das Christentum entstand
als Evangelium des Trostes für die armen und enterbten Klassen.
Ursprünglich war es eine Lehre gegen gesellschaftliche Ungleichheit und
verkündete die Vermögensgemeinschaft zur Beseitigung der Ungleichheit
zwischen Reichen und Armen. Aber allmählich wurde die Kirche aus einem
Hort der Gleichheit und Brüderlichkeit zum neuen Verbreiter von
Ungleichheit und Unrecht. Nachdem sie den Kampf der ersten Apostel des
Christentums gegen das Privateigentum aufgegeben hatte, begann die
Geistlichkeit, selbst Reichtümer zu sammeln und an sich zu raffen, und
verbündete sich mit den besitzenden Klassen, die von der Ausbeutung der
Arbeit, des Volkes und von der Herrschaft über das Volk lebten. Im
Mittelalter, als der Feudaladel über die Fronbauern herrschte, gehörte die
Kirche zum herrschenden Adelsstand und verteidigte ihre Herrschaft mit
allen Kräften gegen die Revolution. Als dann Ende des 18. Jahrhunderts in
Frankreich und Mitte des 19. in ganz Mitteleuropa das Volk Fron und
Adelsprivilegien in der Revolution hinwegfegte und die Herrschaft des
modernen Kapitalismus begann, da verband sich die Kirche wieder mit den
herrschenden Klassen, mit dem Handels- und Industriebürgertum. Mit dem
Wandel der Zeiten besitzt die Geistlichkeit jetzt nicht mehr so viel Land
wie früher, aber dafür besitzt sie Kapital und bemüht sich, damit so zu
spekulieren, dass sie von der Ausbeutung der Arbeit des Volkes in
Industrie und Handel, die die Kapitalisten betreiben, einen möglichst
großen Teil an sich rafft. So besaß die katholische Kirche in Österreich
zum Beispiel nach eigenen kirchlichen Angaben (vor fünf Jahren) ein
Vermögen von über 813 Millionen Kronen, davon ungefähr 300 Millionen an
Grund und Boden, 387 Millionen an Obligationen, das heißt an
verschiedenen Börsenpapieren, die Prozente bringen, und rund 70 Millionen
verleiht die Kirche zu gutem Zins an private ausbeuterische Fabrikanten,
Börsenleute usw. So wurde die Kirche aus dem Fronherrn des Mittelalters
zum modernen Industrie- und Finanzkapitalisten, und wie sie früher zu der
Klasse gehörte, die Blut und Schweiß aus dem Bauern presste, so gehört sie
jetzt zu der Klasse, die sich durch Ausbeutung des Fabrik- und
Landarbeiters, durch Ausbeutung des Proletariats bereichert.
Dieser Wandel ist am deutlichsten in den
Klöstern sichtbar. In einigen Ländern, wie in Deutschland und Russland,
wurden die katholischen Klöster schon vor längerer Zeit verboten und
aufgehoben. Aber dort, wo sie sich bis heute noch fest erhalten haben, wie
in Frankreich, Italien, Spanien, dort zeigt sich auch, wie weitgehend die
Kirche Teilhaber des heute über das Volk herrschenden Kapitalismus ist.
Im Mittelalter waren die Klöster noch die
letzte Zuflucht des armen Volkes. Dort verbarg sich das unterdrückte Volk
vor der Grausamkeit der weltlichen Fürsten und Herren, vor den Schrecken
des Krieges, dort suchte es Brot und Obdach in letzter Not. Und damals
versagten die Klöster dem Bedürftigen kein Krümchen Brot und keinen Löffel
Suppe. Man braucht wohl auch nicht daran zu erinnern, dass es im
Mittelalter, als es noch nicht diesen allgemeinen Warenhandel gab wie
heute, sondern jeder Hof, jedes Kloster fast alles für den eigenen Bedarf
mit Hilfe der Fronbauern und Handwerker selbst produzierte, dass es damals
für überflüssige Vorräte keinen Absatz gab. Wenn sich mehr Getreide,
Gemüse, Holz oder Milchprodukte ansammelten, als die Klosterbrüder selbst
verbrauchen konnten, so hatte der Rest fast keinen Wert. Es gab
niemanden, dem man es hätte verkaufen können, und Vorräte aufzubewahren,
war nicht immer und nicht bei allem möglich. Also ernährten und schätzten
die Klöster gerne das arme Volk, indem sie ihm einen geringen Teil von dem
abgaben, was sie selbst aus dem ihnen untertänigen Fronbauern
herausgepresst hatten, um so mehr, als das zu jener Zeit auch jeder
bedeutendere Adelshof tat. Aber besonders für die Klöster war das eine
nützliche Wohltätigkeit, da sie gerade als Zuflucht der Armen berühmt
waren und dafür große Geschenke und Vorräte von den Reichen und Mächtigen
erhielten.
Als jedoch mit dem Entstehen der Warenproduktion und der kapitalistischen
Industrie alles in der Wirtschaft einen Preis bekam und Handelsobjekt
wurde, gaben die Klöster und die Höfe der geistlichen Herren ihre ganze
Wohltätigkeit auf und schlossen vor den Armen ihre Pforten. Nun fand das
arme Volk nirgends mehr Zuflucht und Hilfe, und unter anderem auch deshalb
entstand zu Beginn der Herrschaft des Kapitalismus im 18. Jahrhundert,
als die Arbeiter sich noch überhaupt nicht zum Schutz gegen die Ausbeutung
organisiert hatten, in den Hauptindustrieländern, in England und
Frankreich, eine so entsetzliche Not unter dem Volk, wie sie die
Bevölkerung lediglich vor 18 Jahrhunderten, beim Niedergang des römischen
Reiches schon einmal durchlebt hatte.
Aber wenn damals die katholische Kirche gerade zur Rettung des
römischen Proletariats, das im Elend zugrunde ging, mit dem Evangelium
vom Kommunismus, von gemeinsamem Eigentum, Gleichheit und Brüderlichkeit
aufgetreten war, ging die Kirche jetzt, bei der Herrschaft des Kapitals,
völlig anders vor. Sie zögerte nicht, selbst die Not auszunutzen. in die
das einfache Volk geraten war, um diese billige Arbeitskraft für sich und
für die eigene Bereicherung einzuspannen. Die Klöster wurden zu Höhlen
kapitalistischer Ausbeutung und das in der entsetzlichsten Form, nämlich
der Ausbeutung von Frauen- und Kinderarbeit. Ein bekanntes Beispiel
dieser erbarmungslosen Ausbeutung von Kindern bis auf den heutigen Tag
wurde der Welt im Prozess gegen das Kloster ,,zum Guten Hirten" im Jahre
1903 in Frankreich gegeben, wo Mädchen von 12, 10 und 9 Jahren den ganzen
Tag ohne Unterbrechung zu schwerster Arbeit gezwungen wurden, bei der sie
Augenlicht und Gesundheit verloren, dabei notdürftigst ernährt und wie im
strengsten Gefängnis gehalten wurden.
Heute sind die Klöster auch in Frankreich schon fast abgeschafft. und
damit verschwindet für die Kirche die Gelegenheit zur unmittelbaren
kapitalistischen Ausbeutung. Ebenso abgeschafft ist schon seit langem der
Zehnte, diese Plage des Fronbauern. Aber die Geistlichkeit hat auch heute
noch vielerlei Methoden, das arbeitende Volk durch Bezahlung von Messen,
Heiraten, Beerdigungen, Taufen und verschiedenartigem Dispens zu schinden.
Die Regierungen, die es mit dem Klerus hatten, zwingen die Bevölkerung,
sich auf Schritt und Tritt von ihm loszukaufen, und außerdem bekommt die
Kirche überall, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten von Nordamerika und
der Schweiz, wo die Religion eine Privatangelegenheit ist, dicke Gehälter
vom Staat, für die natürlich das Volk im Schweiße seines Angesichts
arbeitet. In Frankreich zum Beispiel bezieht der katholische Klerus bis
auf den heutigen Tag 40 Millionen Franken Regierungsgehalt. Alles in
allem, die Kirche lebt heute zusammen mit der Regierung und der Klasse der
Kapitalisten von der schweren Arbeit des ausgebeuteten Volkes. Welche
Einkünfte die Kirche gegenwärtig hat, diese ehemalige Zuflucht der
Geringsten und Enterbten, das zeigen z.B. die Zahlen über die Einkünfte
des katholischen Klerus in Österreich. Vor fünf Jahren betrugen die
Kircheneinnahmen in ganz Österreich jährlich 60 Millionen Kronen. Die
Ausgaben betrugen nur 35 Millionen, also "sparte" die Kirche in einem
Jahr aus dem Blut und Schweiß des arbeitenden Volkes 25 Millionen.
Im Einzelnen hat:
-
das Erzbistum Wien jährliche Einkünfte
von 300.000 Kronen, Ausgaben weniger als die Hälfte davon, reine
"Ersparnisse" demnach jährlich 150.000; das Vermögen dieses Erzbistums
beträgt dagegen etwa 7 Millionen;
-
das Erzbistum Prag jährliche Einkünfte
von über einer halben Million, Ausgaben von etwa 300.000; sein Vermögen
beträgt fast 11 Millionen;
-
das Erzbistum Olmütz Einkünfte von
über einer halben Million, Ausgaben von etwa 400.000; sein Vermögen
beträgt mehr als 14 Millionen.
|
Nicht schlechter schindet auch der niedere Klerus die
Bevölkerung, der sich gewöhnlich über seine Armut und die Hartherzigkeit
des Volkes beklagt. Die jährlichen Einkünfte der Pfarreien betragen in
Österreich über 35 Millionen Kronen, die Ausgaben dagegen nur 21 Millionen
Kronen, so dass die jährlichen ,,Ersparnisse" der Pfarrer zusammen 14
Millionen ausmachen. Das Vermögen der Pfarreien beträgt dagegen in
Österreich zusammen über 450 Millionen. Schließlich hatten auch die
Klöster in Österreich schon vor fünf Jahren ein ,,Reineinkommen", d.h.
nach Abzug der Ausgaben, von über 5 Millionen jährlich, und diese
Reichtümer wachsen mit jedem Jahr, während bei dem von Kapitalismus und
Staat ausgebeuteten Volk die Not immer mehr wächst. Und ebenso wie in
Österreich geht es auch bei uns zulande und überall.
Nachdem wir jetzt die Geschichte der Kirche und des Klerus kurz kennen
gelernt haben, sollten wir uns nicht mehr darüber wundem, dass sich die
Geistlichkeit bei uns heute auf die Seite der zaristischen Regierung und
der Kapitalisten gestellt hat und die um besseres Leben kämpfenden
revolutionären Arbeiter heftig beschimpft.
Die bewussten sozialdemokratischen Arbeiter streben danach, gerade die
Idee von sozialer Gleichheit und Brüderlichkeit unter den Menschen in der
Gesellschaft zu verwirklichen, die die Grundlage der christlichen Kirche
in ihren ersten Anfängen war. Diese Gleichheit, die damals in der auf
Sklaverei gegründeten Gesellschaft und später bei der Herrschaft der
Fronarbeit unmöglich war, wird jetzt möglich, da auf der ganzen Welt der
Industriekapitalismus herrscht. Was die Apostel des Christentums durch
flammendste Predigten gegen die selbstsüchtigen Reichen nicht durchsetzen
konnten, das können in naher Zukunft die modernen Proletarier, die Klasse
der bewussten Arbeiter, erreichen, wenn sie in allen Ländern die
politische Macht an sich gebracht haben und den ausbeuterischen
Kapitalisten Fabriken, Land und alle Arbeitsmittel wegnehmen, zum
gemeinsamen Eigentum aller Arbeitenden. Der Kommunismus, nach dem die
Sozialdemokratie strebt, ist nicht mehr jene Verbrauchsgemeinschaft
nichtstuender Bettler, mit denen die Reichen teilen, sondern Gemeinschaft
ehrlicher Arbeit und gerechter Genuss der gemeinsamen Früchte dieser
Arbeit. Sozialismus heißt nicht mehr, dass Reiche mit Armen teilen,
sondern dass eben dieser Unterschied zwischen Reichen und Armen dadurch
beseitigt wird, dass man gleiche Arbeitspflicht für alle Arbeitsfähigen
einführt und die Ausbeutung der einen durch die anderen völlig abschafft.
Um diese sozialistische
Ordnung einzuführen, müssen sich die Arbeiter in allen Ländern in der
sozialdemokratischen Arbeiterpartei organisieren, die dieses Ziel
anstrebt. Gerade deshalb sind Sozialdemokratie, Aufklärung der Arbeiter
und Arbeiterbewegung den besitzenden Klassen, die heute von der Ausbeutung
der Arbeiter leben, so verhasst. Der Klerus aber, ja die ganze Kirche
gehört ebenfalls zu diesen herrschenden Klassen. All diese riesigen
Reichtümer, die die Kirche angesammelt hat, wurden ohne eigene Arbeit
durch Ausbeutung und Benachteiligung des arbeitenden Volkes erworben. Das
Vermögen der Erzbischöfe und Bischöfe, der Klöster und Pfarreien, ist
ebenso mit dem blutigen Schweiß des städtischen und ländlichen
Arbeitervolkes erkauft worden wie das Vermögen der Fabrikanten, Kaufleute
und Landmagnaten. Denn woher stammen jene Schenkungen und Vermächtnisse
der reichen Leute an die Kirche? Offensichtlich nicht aus eigener Arbeit
dieser reichen Frömmler, sondern aus der Ausbeutung der Arbeiter, die für
sie schufteten: früher entstanden diese dem Klerus geopferten Reichtümer
durch die Ausbeutung des Fronbauern, heute durch die Ausbeutung des
Lohnarbeiters. Was aber die Gehälter betrifft, die heute der Geistlichkeit
von der Regierung gezahlt werden, so ist klar, dass sie aus der
allgemeinen Staatskasse stammen, die hauptsächlich mit Steuern gefüllt
ist, die der Masse des einfachen Volkes abgepresst wurden. Der Klerus
sitzt dem Volk also ebenso im Nacken und lebt von seiner Erniedrigung,
Unterdrückung und Dumpfheit wie die ganze Kapitalistenklasse. Das
aufgeklärte Volk, das um seine Rechte und um Gleichheit unter den Menschen
kämpft, ist den Priestern heute ebenso verhasst wie allen schmarotzenden
Kapitalisten, da heute Einführung der Gleichheit und Abschaffung der
Ausbeutung schon der Todesstoß für eben diese Geistlichkeit wären, die von
Ausbeutung und Ungleichheit lebt.
Aber was das wichtigste
ist: der Sozialismus strebt danach, der ganzen Menschheit ehrliches und
redliches Glück auf der Erde, dem ganzen Volk größtmögliche Bildung,
Wissen und Herrschaft in der Gesellschaft zu geben, und gerade dieses
irdische Glück aller Menschen und diese Klarheit in den Köpfen fürchten
die heutigen Diener der Kirche wie ein Gespenst. Wie die Kapitalisten den
Körper des Volkes in das Gefängnis der Not und Unfreiheit sperrten, so
sperrte der Klerus den Kapitalisten zu Hilfe und um der eigenen Herrschaft
willen den Geist des Volkes ein, weil er fürchtete, ein aufgeklärtes,
vernünftiges Volk, das Welt und Natur mit durch die Wissenschaft
geöffneten Augen betrachtet, würde die Herrschaft der Priester abwerfen
und sie nicht mehr als höchste Macht und Quelle aller Gnade auf Erden
ansehen. Indem er also die ursprünglichen Lehren des Christentums, die
gerade das irdische Glück der Geringsten erstrebten, abändert und
verfälscht, redet der heutige Klerus dem Volk ein, es leide Not und
Erniedrigung nicht auf Grund der schändlichen gesellschaftlichen
Verhältnisse, sondern auf Befehl des Himmels, durch Fügung der Vorsehung.
Und dadurch eben tötet die Kirche im arbeitenden Menschen den Geist, tötet
in ihm die Hoffnung und den Willen nach besserer Zukunft, tötet in ihm den
Glauben an sich selbst und seine Kraft, die Achtung vor der eigenen
menschlichen Würde. Die heutigen Priester halten sich mit ihren falschen
und den Geist vergiftenden Lehren dank der Dumpfheit und Erniedrigung des
Volkes und wollen diese Dumpfheit und Erniedrigung für ewige Zeiten
bewahren. Es gibt dafür unschlagbare Beweise. In den Ländern, wo der
katholische Klerus allmächtig über das Denken des Volkes herrscht wie in
Spanien und Italien, dort herrschen auch größte Dumpfheit und - größtes
Verbrechen. Nehmen wir beispielsweise zwei Länder in Deutschland zum
Vergleich: Bayern und Sachsen. Bayern ist hauptsächlich ein Bauernland, wo
der katholische Klerus noch großen Einfluss auf das Volk hat. Sachsen ist
dagegen ein hochindustrialisiertes Land, wo die Sozialdemokratie schon
seit langen Jahren Einfluss auf die arbeitende Bevölkerung hat. In Sachsen
sind zum Beispiel in fast allen Wahlkreisen Sozialdemokraten in den
Reichstag gewählt worden, wodurch dieses Land bei der Bourgeoisie verhasst
und als ,,rot", sozialdemokratisch, verschrien ist. Und was ergibt sich?
Amtliche Berechnungen zeigen, dass, wenn man die Zahl der im Laufe eines
Jahres im klerikalen Bayern und im "roten" Sachsen begangenen Verbrechen
vergleicht (im Jahre 1898), auf 100.000 Personen bei schwerem Diebstahl in
Bayern 204, in Sachsen 185 Fälle kommen, bei Körperverletzungen in Bayern
296, in Sachsen 72, bei Meineid in Bayern 4, in Sachsen 1. Ebenso, wenn
man die Zahl der Verbrechen im Posenschen betrachtet, so gab es im selben
Jahr auf 100.000 Menschen 232 Körperverletzungen, in Berlin 172. Und in
Rom, dem Sitz des Papstes, wurden im vorletzten Jahr des Bestehens des
Kirchenstaates, d.h. der weltlichen Macht des Papstes im Jahre 1869, in
einem Monat 279 Menschen wegen Mordes, 728 wegen Körperverletzung, 297
wegen Raubes und 21 wegen Brandstiftung verurteilt! Das waren die Früchte
einer ausschließlichen Herrschaft der Geistlichkeit über das Denken der
armen Bevölkerung.
Das heißt natürlich nicht, dass
die Geistlichkeit zum Verbrechen ermuntert, im Gegenteil, mit den Lippen
reden die Priester viel gegen Diebstahl. Raub und Trunksucht. Aber
bekanntlich stehlen, schlagen und trinken die Menschen nicht aus Eigensinn
oder Neigung, sondern aus zwei Gründen: aus Not und Dumpfheit. Wer also
das Volk in Not und Dumpfheit hält, wie es die Geistlichkeit tut, wer im
Volk den Willen und die Energie zu einem Ausweg aus Not und Dumpfheit
tötet, wer auf jede Weise diejenigen behindert, die das Volk bilden und
aus der Not emporheben wollen, der ist ebenso verantwortlich für die
Verbreitung von Verbrechen und Trunksucht, als ob er dazu ermuntern würde.
Und ebenso ging es bis
vor kurzem in den Bergbaugebieten des klerikalen Belgien zu, bis die
Sozialdemokraten kamen und dem unglückseligen, erniedrigten belgischen
Arbeiter laut zuriefen: steh auf, Arbeiter, erhebe dich aus deiner
Erniedrigung, schlage nicht, trinke keinen Alkohol, lass nicht vor
Verzweiflung den Kopf hängen, sondern lies, bilde dich, schließe dich mit
deinen Brüdern in einer Organisation zusammen, kämpfe gegen die Ausbeuter,
die dich aussaugen, und du wirst dich aus der Not erheben, du wirst ein
Mensch sein!
So bringen die Sozialdemokraten überall
dem Volk die Auferstehung, stärken die Verzweifelten, verbinden die
Schwachen zu einer Macht, öffnen den Dumpfen die Augen, zeigen den Weg der
Befreiung und rufen das Volk auf, das Königreich der Gleichheit, Freiheit
und Nächstenliebe auf der Ende zu errichten. Die Diener der Kirche rufen
das Volk dagegen überall nur zu Demut, Verzweiflung und geistigem Tod auf.
Wenn Christus heute auf der Erde erschiene, so würde er sicher mit diesen
Priestern, Bischöfen und Erzbischöfen, die die Reichen schätzen und vom
blutigen Schweiß von Millionen leben, dasselbe tun wie damals mit jenen
Händlern, die er mit dem Stock aus der Vorhalle des Tempels vertrieb,
damit sie das Haus Gottes nicht durch ihre Schandtaten befleckten.
Deshalb musste zwischen
dem Klerus, der Not und Unfreiheit des Volkes verewigen will, und den
Sozialdemokraten, die dem Volk das Evangelium der Befreiung bringen, ein
Kampf auf Leben und Tod entstehen wie zwischen der schwarzen Nacht und
der aufgehenden Sonne. Wie die nächtlichen Schatten ungern und widerwillig
vor der sonnigen Morgenröte weichen, so möchten die Kirchenfledermäuse
jetzt mit ihren schwarzen Soutanen dem Volk den Kopf verhüllen, damit
seine Augen nicht das aufgehende Licht der sozialistischen Befreiung
erblicken. Da sie aber den Sozialismus nicht mit Geist und Wahrheit
bekämpfen können, flüchten sie sich zu Gewalt und Unrecht. In der Sprache
des Judas verbreiten sie schändliche Verleumdungen derjenigen, die dem
Volk die Augen öffnen, durch Lüge und Verleumdung versuchen sie diejenigen
zu verunglimpfen, die ihr Blut und Leben dem Volk zum Opfer bringen. Und
schließlich heiligen und unterstützen diese Priester, diese Diener des
goldenen Kalbes, die Verbrechen der zaristischen Regierung, segnen die
Mörder des Volkes, stehen zum Schutz um den Thron des Letzten der
Zarendespoten, der das Volk mit Feuer und Schwert unterdrückt, wie jener
Nero in Rom die ersten Christen verfolgte!
Aber vergeblich diese
Anstrengungen! Vergebens wütet ihr, entartete Diener der Christenheit, die
ihr jetzt Diener Neros seid! Vergebens helft ihr unseren Mördern und
Häschern, vergebens schützt ihr mit dem Zeichen des Kreuzes die Reichen
und die Ausbeuter des Volkes! Wie damals keine Grausamkeiten und
Verleumdungen den Sieg der christlichen Idee aufhalten konnten, dieser
Idee, die ihr durch euren Dienst am goldenen Kalb befleckt habt, so halten
alle eure Versuche heute nicht den Sieg des Sozialismus auf. Heute seid
ihr euren Lehren, eurem ganzen Lebenswandel nach Heiden, wir aber, die
wir den Armen, den Ausgebeuteten und Unterdrückten das Evangelium der
Brüderlichkeit und Gleichheit bringen, wir erobern heute die Weit wie
jener, der gesagt hat: ,,Wahrlich, wahrlich ich sage euch, es ist
leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn dass ein Reicher
ins Reich Gottes komme."
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Zum Schluss noch einige Worte.
Die Geistlichkeit hat zwei Methoden, die Sozialdemokratie zu bekämpfen.
Dort, wo die Arbeiterbewegung erst beginnt, sich Bürgerrecht zu erwerben,
wie gerade bei uns, und wo die herrschenden Klassen noch der Täuschung
erliegen, sie mit Gewalt ersticken zu können, dort tritt der Klerus auch
nur mit strengen Predigten auf, schwärzt die Sozialisten an und droht den
"anmaßenden" Arbeitern. Dort aber, wo schon politische Freiheit herrscht,
und die Arbeiterpartei zu einer Macht wird wie z.B. in Deutschland,
Frankreich und Holland, dort greift die Geistlichkeit auf andere Methoden
zurück. Listig verbirgt sie ihre Wolfszähne und Krallen unter dem
Schafspelz, und aus dem ehrlichen Feind der Arbeiter wird ihr falscher
Freund. Die Priester gehen dann selbst daran, die Arbeiter zu organisieren
und ,,christliche" Gewerkschaften zu gründen. Sie versuchen so, die
Fische vor dem Netz, d.h. die Arbeiter im Netz ihrer falschen
Gewerkschaften zu fangen, wo sie sie Demut lehren, bevor sie zu den
Gewerkschaften der Sozialdemokratie stoßen, die sie Kampf und Schutz vor
der Ausbeutung lehrt.
Wenn die
zaristische Regierung schließlich unter den Schlägen des polnischen und
russischen Proletariats gefallen ist und auch bei uns die politische
Freiheit aufgeht, werden wir sicher erleben, dass derselbe Erzbischof
Popiel und dieselben Priester, die jetzt in den Kirchen die kämpfenden
Arbeiter heftig beschimpfen, damit beginnen, sie gewaltsam in
"christlichen" und "nationalen" Verbänden zu organisieren, um sie auf
neue Art zu verdummen. Schon jetzt haben wir einen kleinen Anfang dieser
Maulwurfsarbeit in den Verbänden der "Nationaldemokraten", der
zukünftigen Helfershelferin der Priester, die sie heute darin unterstützt,
die Sozialdemokratie zu verunglimpfen. Deshalb müssen die Arbeiter
vorbereitet sein, nicht morgen, nach dem Sieg der Revolution und der
Einführung der politischen Freiheit, den süßen Worten derer auf den Leim
zu gehen, die sich heute erdreisten, von der Kanzel herab das Arbeiter
mordende Zarenregime und die Herrschaft des Kapitals, die das Volk ins
Elend stürzt, zu verteidigen. Zum Schutz vor dieser Feindschaft der
Geistlichkeit heute, während der Revolution, und vor ihrer verräterischen
Freundschaft morgen, nach der Revolution, müssen sich die Arbeiter
schleunigst in ihrer Arbeiterpartei organisieren, sich der
Sozialdemokratie anschließen. Und auf alle Angriffe der Priester sollten
die bewussten Arbeiter die eine Antwort haben:
Die
Sozialdemokratie nimmt niemandem seinen Glauben und kämpft nicht gegen die
Religion! Sie fordert dagegen völlige Gewissensfreiheit für jeden und
Achtung vor jeglichem Bekenntnis und jeglicher Überzeugung. Aber wenn die
Priester die Kanzeln als Mittel des politischen Kampfes gegen die
Arbeiterklasse missbrauchen wollen, so wenden sich die Arbeiter gegen sie
wie gegen alle Feinde ihrer Rechte und ihrer Befreiung.
Denn wer
Ausbeuter und Unterdrücker unterstützt und versucht, die heutige
schändliche Gesellschaftsordnung zu verewigen, der ist ein Todfeind des
Volkes, ob er nun die Priestersoutane oder die Gendarmenuniform trägt.
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