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Gerhard Czermak

 

Die hebräische Bibel im Licht neuer archäologischer Erkenntnisse

Eine Skizze anhand der Untersuchungen der Archäologen Israel Finkelstein und Neil Silberman (Textfassung September 2005)

Judentum und Christentum greifen in ihrer religiösen Praxis ganz selbstverständlich auf die sehr umfangreichen Texte der Hebräischen Bibel, von den Christen Altes Testament (AT) genannt, zurück. Allerdings bleibt der Stellenwert des AT im Zusammenhang der ganzen Bibel als einer Heiligen Schrift im Christentum ziemlich unklar. Jedenfalls spielen ausgewählte Texte des AT auch im christlichen Unterricht und Gottesdienst eine doch nennenswerte Rolle. Sowohl im orthodoxen Judentum als dem traditionellen Christentum gilt das AT als göttlich inspiriert. Insgesamt zählt die Hebräische Bibel 24 Bücher, die die Christen auf 39 Bücher aufteilten und anders ordneten. In beiden Religionen stehen im Vordergrund der Betrachtung die ersten 5 Bücher des AT, die fälschlich auch die 5 Bücher (daher auch: Pentateuch) Moses genannt werden. Die Juden nennen sie die Tora im engeren Sinn. Sie ist für die Juden in der ganzen Welt das heilige Symbol der Einheit. Diese fünf Bücher und das folgende sog. Deuteronomistische Geschichtswerk, insb. die zwei Bücher der Könige, stehen im Mittelpunkt der hier vorgetragenen archäologisch begründeten Neubewertung der Geschichte Israels und der Entwicklung des jüdischen Monotheismus.

Die Tora im groben Überblick

Die Tora beginnt mit der Schöpfungsgeschichte und dem Garten Eden, berichtet dann über die Sintflut und die Familie des Erzvaters Abraham, über Jakob als Begründer der 12 Stämme Israels, und anschließend geht das Familiendrama in ein historisches Schauspiel über. Aus Not kommen die Israeliten nach Ägypten, um schließlich vom Befreier Moses durch die Wüste Sinai zurückgeführt zu werden. Dabei wird Moses von Gott persönlich der Gesetzeskodex übergeben und ein Bund zwischen Gott und dem Volk Israel geschlossen. Schließlich erfolgt die verharmlosend so genannte Landnahme und die Begründung eines Großreichs durch David und danach Salomon. Es folgt die Teilung in das Nordreich Israel und das Südreich Juda, wobei das Nordreich dauernd Probleme mit fremden Göttern hat und daher in der Tora auffällig verteufelt wird. Zur Strafe wird das Nordreich von Syrien und Assyrien her wiederholt angegriffen und schließlich 720 v. u. Z. völlig zerstört, ein großer Teil seiner Einwohner verbannt. Aber auch das Südreich ereilt schließlich ein Gottesurteil und 586 stand der Jerusalemer Tempel in Flammen. Während in anderen Epen mit einer militärischen Niederlage auch der religiöse Kult endet, wird der Gott der Bibel aber als besonders mächtig dargestellt. Nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft steht das israelische Volk im Mittelpunkt des Epos. Soviel zur stark gerafften Darstellung der Geschichte des Volkes Israel in der Tora.

Zur Entwicklung des neuzeitlichen Bibelverständnisses

Wie hat sich demgegenüber das Verständnis der Bibel in der Neuzeit entwickelt? Bis zum ersten Beginn der Bibelforschung im 17. Jh. fasste man die Heilige Schrift selbstverständlich als göttliche Offenbarung auf, die auch historische Fakten exakt wiedergab. Demnach hat Moses selbst die Tora und König David die Psalmen verfasst. Und in der Tat hat sich herausgestellt, dass viele Angaben der Bibel stimmen. Ihnen folgend hat man Dutzende Städte und Ortschaften ausgegraben und identifiziert. Aber, so stellten Gelehrte zu Beginn der Moderne fest, dass die Schriften im Licht von Logik und Vernunft doch beunruhigende Fragen aufwarfen. Wenn z. B. das 5. Buch Moses, das sog. Deuteronomium, genauestens die Umstände von Moses Tod beschreibt, konnte dieser selbst schlecht Verfasser dieses bedeutungsvollen Buches sein. Im 17. Jh. gelangten einige Vorreiter der Bibelforschung zur Überzeugung, dass die Tora im Lauf von Jahrhunderten umgeformt, erweitert und ausgeschmückt wurde. Ende des 18. Jh. und im 19. Jh. schenkte man der Tatsache Beachtung, dass der Pentateuch viele Erzählungen in unterschiedlichen Versionen enthält, hauptsächlich in den Büchern Genesis, Exodus und Numeri. Prominente Beispiele sind die Schöpfungsgeschichte (1,1 ff. und 2, 4 ff.) und die Sintflutgeschichte (6,5-9,17). Dabei fiel auf, dass die unterschiedlichen Versionen für den Gott Israels unterschiedliche Namen gebrauchten. Einerseits gebrauchten sie für Gott das Tetragramm JHWH und konzentrierten sich auf den Stamm Juda, andererseits verwendete man für Gott die Begriffe El oder Elohim und befasste sich überwiegend mit den nördlichen Gebieten. Insgesamt unterscheidet man heute vier verschiedene Textquellen: den J-Text (Jahwist), den E-Text (Elohist), die Priesterquelle (P-Quelle), die sich mit rituellen Fragen befasst und die sog. D-Quelle, die für das sehr eigenständige Deuteronomium steht. Beim Deuteronomium (sog. 5. Buch Moses), fällt im Gegensatz zu den anderen Quellen stark auf, dass es alle fremden Götter sehr scharf verurteilt und die Gottesverehrung nur in Jerusalem zulässt. Auch die Redakteure all dieser Texte haben Spuren hinterlassen. Die Ansichten über Entstehungszeit und Urheber dieser Quellen gingen in der Bibelwissenschaft der letzten Jahrzehnte stark auseinander. Eine Meinungsgruppe plädiert für den vorexilischen Zeitraum ca. 1000 bis 586 v.u.Z., die andere für die Zeit danach. Unabhängig davon ist der Pentateuch jedenfalls ein Mosaik aus Texten, die unter unterschiedlichen historischen Umständen an unterschiedlichen Orten entstanden und in denen unterschiedliche religiöse und politische Ansichten zum Ausdruck kamen. Auch nach der von den katholischen Bischöfen autorisierten deutschen Einheitsübersetzung von 1980 wurde die Tora nicht von Moses geschrieben (der übrigens außerbiblisch nirgendwo belegt ist), sondern sie ist nach den Ergebnissen der Bibelforschung eine aus mehreren Schichten bestehende Sammlung von Überlieferungen vieler Verfasser, die bis ins 13. Jh. v. u. Z. zurückreichen kann.

Biblische Archäologie

Parallel mit einer nunmehr über 200-jährigen gründlichen Bibelforschung gingen insb. seit gut 100 Jahren die Bemühungen der Archäologen, die Bibel besser zu verstehen. Im Mittelpunkt steht ein im Vergleich zu den Nachbarregionen Ägypten und Mesopotamien winziges Land mit starken landschaftlichen und klimatischen Gegensätzen, das zwischen Wüste und Mittelmeer liegt und in seiner langen Geschichte häufig von Dürre und fast stets von Krieg heimgesucht wurde. All diese Regionen sind heute archäologisch gründlich erforscht, auch mit Labortests. Siedlungsschichten kann man heute genau datieren. Wir wissen, welche Früchte die Bewohner dieser Regionen anbauten, was sie aßen, mit wem sie Handel trieben, wie sie ihre Städte anlegten. Politik und Alltagsleben hat man rekonstruieren können. Der amerikanische Geistliche Edward Robinson konnte auf großen Forschungsreisen 1838 und 1852 überaus zahlreiche biblische Stätten anhand biblischer Informationen unter Berücksichtigung arabischer Ortsnamen identifizieren. Seine Nachfolger im späten 19. Jh. konnten schon detaillierte topographische Karten erstellen. Die Entzifferung von Funden in Ägypten und Mesopotamien ermöglichten Datierungen, auch zu biblisch erwähnten israelitischen Königen. Es gibt erwiesenermaßen zahlreiche Entsprechungen zwischen Bibeltext und archäologischen Funden.

Nun waren viele der frühen biblischen Archäologen Theologen, deren treibendes Motiv es war, die Richtigkeit der Bibel bestätigt zu bekommen. Das wirkt sich vor allem bei der oft sehr komplizierten Interpretation von Funden aus, weil sie nicht unvoreingenommen ist. In dieser Tradition stand auch der 1971 gestorbene Nestor der US-Bibelarchäologie, William Albright. Er erklärte z. B. im Hinblick auf die Erzväter: „Das Bild im Buch Genesis aufs ganze gesehen ist historisch, und es besteht kein Grund, die allgemeine Genauigkeit der biographischen Details anzuzweifeln.“ Aber wenn man die historischen Berichte der Bibel für bare Münze nimmt, nutzt man die archäologischen Daten nicht als unabhängige Rekonstruktionsquelle. Dennoch herrschte für die Geschichte seit David, d. h. etwa 1000 v.u.Z., bis in die 1990er Jahre unter den Archäologen die Meinung vor, die Bibel sei grundsätzlich als verlässlich anzusehen (Finkelstein/ Silberman 33). Dem steht aber gegenüber, dass es doch sehr viele Widersprüche zwischen archäologischen Funden und Bibeltext gibt. Um 1970 hat man in der Bibelarchäologie begonnen, nicht den Zusammenhang mit der Bibel in den Vordergrund zu stellen, sondern den gesellschaftlichen Kontext zu erforschen, wie es auch andernorts längst üblich war. Hieraus ergaben sich ganz neue Erkenntnisse. Man weiß z. B., dass das Verfassen von Chroniken und einer Nationalliteratur an ein bestimmtes Entwicklungsstadium einer Gesellschaft gebunden ist. Weltweit hat sich gezeigt, dass für ein Schrifttum zentralisierte Macht, monumentale Bauten, spezialisierte Wirtschaft und ein funktionierendes Kommunikationsnetz Voraussetzung ist. Die Beachtung solcher Kenntnisse ist von entscheidender Bedeutung für die Tora, und sie führt zu ganz anderen Ergebnissen als bisher, wie sich im Detail zeigen lässt. Während vielfach noch die J-Quelle als älteste auf die Zeit um 1000 datiert wird, liefert die Archäologie für diese Zeit keinerlei Anzeichen für die Verbreitung der Fähigkeit, lesen und schreiben zu können und für einen voll ausgebildeten Staat mit einer respektablen Hauptstadt Jerusalem. Es steht heute fest, dass der Südteil Juda der Region Israel damals arm und ganz unbedeutend war, die Hauptstadt Jerusalem war eine Kleinstadt bzw. ein großes Dorf und von einem glanzvollen Königreich eines Salomon gibt es keine Spur. Aber das greift schon voraus.

Die Abraham-Saga im Buch Genesis

Die erste große Saga der Bibel ist die des Erzvaters Abraham und seiner Sippe, aus der sich das Volk Israel entwickelte. Viele Bibelforscher waren, auch auf Grund der Schilderung vieler plausibel erscheinender Einzelheiten zu den Lebensumständen, davon überzeugt, es habe ein Zeitalter der Stammväter gegeben. Zeitlich berief man sich auf Hinweise in 1. Könige 6,1 und Exodus 12,40 und kam so zur Schätzung auf die Zeit um 2100 v.u.Z. als Zeitpunkt für den Aufbruch des Abraham aus Mesopotamien nach Kanaan. Man suchte nach Beweisen für die Zuwanderung von Hirtengruppen nach Kanaan. Die Archäologie widerlegte aber eindeutig die Behauptung, damals sei es plötzlich zu einer massenhaften Auswanderung gekommen. Die Stammväter-Erzählungen erwähnen oft Kamele und Kamelherden. Aus archäologischen Forschungen weiß man aber, dass Kamele im vorderen Orient erst weit nach 1000 als Lasttiere genutzt wurden. Die berühmte Josephsgeschichte verrät eine Vertrautheit mit dem lukrativen arabischen Handel, der im 8. bis 7. Jh. v.u.Z. blühte. Und an der einst großen Karawanenstraße zwischen Arabien und dem Mittelmeer hat man bei Grabungen in der südlichen israelischen Küstenebene eine bemerkenswert starke Zunahme von Knochen ausgewachsener Kamele, also von Lasttieren, im 7. Jh. festgestellt. Interessant ist auch, dass nach den Texten über Abrahams Sohn Isaak die Philisterstadt Gerar bei Beerscheba eine bekannte Stadt war. Man weiß aber, dass Gerar ursprünglich ein unbedeutendes Dorf war, im 7. Jh. jedoch ein schwer befestigter assyrischer Verwaltungssitz. Diese und andere Unstimmigkeiten sowie die Einzelheiten der Schilderung lassen darauf schließen, dass man sich im 7. Jh. intensiv mit dem Abfassen der Erzväter-Geschichten befasste - zu einer Zeit, als Lesen und Schreiben schon verbreitet war. Die Texte schildern auch klar das gespannte Verhältnis der Königreiche Israel und Juda gegenüber den östlich benachbarten Königreichen Ammon und Moab. Das betraf aber das 8. und 7. Jh. Sogar die Geschichte von Esau und Jakob ist Ausdruck der Rivalitäten der späten Königszeit, wurde aber als archaisierende Sage ausgestaltet.

Schon das Bisherige deutet darauf hin, dass das 7. Jh. für die tatsächliche jüdische Geschichte von besonderer Bedeutung war. Nachdem das relativ wohlhabende und militärisch mächtige Nordreich Israel 720 durch Assyrien ausgelöscht worden war, schwoll die Bevölkerung des Südreichs Juda stark an und das bisher unbedeutende Juda stieg zur wichtigen Regionalmacht auf. Alles spricht dafür, dass jetzt die pan-israelitische Idee mit dem Mittelpunkt Juda und Jerusalem geboren wurde. In der Genesis sind daher wohl deshalb gemeinsame Ahnenreihen zu finden und es ist plausibel, dass die Figur Abraham der Einung von Nord und Süd dienen sollte. Und es ist wohl kein Zufall, dass Jakob in seinem letzten Segen verheißt, Juda werde niemals untergehen: „Juda, dir jubeln die Brüder zu, deine Hand hast du am Genick deiner Feinde...Nie weicht von Juda das Zepter, der Herrscherstab von seinen Füßen.“ (Gen. 49,8 und 10).

 

Das Buch Exodus und der Auszug aus Ägypten

Eine der wichtigsten Erzählungen des AT ist die von der Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei. Ihrer wird im Pessachfest, einem der drei jüdischen Hauptfeste, alljährlich gedacht. Vier der fünf Bücher der Tora sind teilweise diesen Ereignissen gewidmet. Sie sollen sich in gut 40 Jahren ereignet haben. In ihnen soll auch die Offenbarung der Gesetzestafeln auf dem Sinai geschehen sein. In hunderten Jahren sollen die Nachkommen der 12 Söhne des Jakob in Ägypten zu einem starken Volk angewachsen sein. Nach einer wundersamen Vorgeschichte ließ der Pharao schließlich die Israeliten mit ihrem Führer Moses wegziehen, „sechshunderttausend Mann zu Fuß ohne die Frauen und Kinder“ (Ex. 12,37). Gott führte das Volk durch die Wüste zum Schilfmeer (Ex. 13,17 f.). Schließlich sollen die Israeliten das verheißene Land Kanaan von Osten her über die Länder Edom und Moab erreicht haben.

Archäologisch und historisch ist in der Tat nachgewiesen, dass Einwanderer aus Kanaan nach Ägypten gekommen waren und sich im Ostdelta niedergelassen hatten. Die klimatischen Verhältnisse am Mittelmeer hatten öfters Hungersnöte zur Folge, die die Bewohner in das niederschlagsunabhängige Ägypten zwangen. Eine gewaltsame Vertreibung der Zuwanderer aus Ägypten ist für das 13. Jh. belegt. Obwohl damals die Grenze zwischen Ägypten und Kanaan streng überwacht wurde, enthalten die reichhaltigen ägyptischen Quellen keinerlei Anhaltspunkt auf ein Volk Israel, dessen Existenz auch zuvor in Ägypten unbekannt war.

Im 13. Jh. stand Ägypten auf dem Gipfel der Macht, und auch in Kanaan hatten die Ägypter Festungen errichtet. Eine große Überlandstraße führte vom Nildelta entlang der Küste bis Gaza und weiter. Dort war die Flucht einer größeren Menschengruppe unmöglich. Wes verblieb daher nur der Weg durch Sinai. Selbst wenn man die biblische Rede von den 600 000 Mann als exzessive Übertreibung ansieht, hätte eine langjährige Existenz einer großen Menschengruppe auf Sinai irgendwelche archäologischen Spuren hinterlassen müssen. Grabungen in allen Regionen der Halbinsel haben aber nicht das geringste erbracht. Auch östlich des Jordan fand man nichts. Die in der Bibel erwähnten Könige von Edom gab es damals nicht. Zwar gab es zahlreiche Orte, die im Bibeltext erwähnt sind, aber nachweislich nicht in der fraglichen Zeit, sondern erst viel später. Auffällig ist, dass das Buch Exodus keinen einzigen ägyptischen Herrscher namentlich erwähnt, obwohl das spätere Bibeltexte sehr wohl tun. Die glaubwürdigsten geographischen Einzelheiten der Erzählung stammen aus der Glanzzeit des Königreichs Juda, dem 7. Jh., d. h. 600 Jahre nach dem behaupteten Auszug aus Ägypten. Damals erlebte auch Ägypten eine letzte Glanzzeit. Auch im 7. Jh. gab es Zuwanderer aus Juda im Nildelta. Zahllose Einzelheiten sprechen für die Annahme, dass das Buch Exodus erst im 7. und 6. Jh. v.u.Z. seine endgültige Form erhielt. Im 7. Jh. herrschte in Juda König Josua, der eine Ausdehnung seines Reich in die Gebiete des früheren Nordreichs anstrebte. Damit geriet er in Konflikt mit den ägyptischen Interessen. In dieser Situation machte die Ausarbeitung einer nationalen Saga unter Verwendung alter Erzählungen mit einem gewissen historischen Hintergrund Sinn. Es geht im Buch Exodus um nationalen Widerstand gegen die herrschenden Mächte.

Die Eroberung Kanaans

Kanaan, das Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer, war das Israel verheißene Land. Die große Saga von der sog. Landnahme beginnt am Ende des Deuteronomiums im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Tod des Moses. In Dtn. 33, 27 ff. heißt es: „...Er trieb den Feind vor dir her, er sagte: Vernichte! So siedelte Israel sich sicher an...in einem Land voller Korn und Wein, dessen Himmel Tau träufeln lässt. Wie glücklich bist du, Israel!...Deine Feinde werden sich vor dir erniedrigen, und du setzt deinen Fuß auf ihre Nacken.“ Die Geschichte der Eroberung des Landes unter Führung des von Moses benannten Nachfolgers Josua ist im Buch Josua in den Kapiteln 1-12 beschrieben, und zwar als Blitzkrieg, in dem die Eindringlinge von Sieg zu Sieg eilten und die mächtigen Könige von Kanaan in einer großen Schlacht geschlagen werden. In diese brutale Eroberungsgeschichte sind die Episoden vom Fall der Mauern von Jericho und dem Stillstand der Sonne in Gibeon eingebettet.

Ausgehend von der - wie sich gezeigt hat, völlig legendären - Geschichte des Auszugs aus Ägypten muss man sich fragen: „Wie konnte eine Armee in Lumpen, begleitet überdies von Frauen, Kindern und Alten, nach jahrzehntelanger Wanderung aus der Wüste auftauchen und gleich eine siegreiche Invasion starten? Wie konnte solch ein chaotischer Haufen die großen Festungen in Kanaan mit ihren Berufsheeren und gut trainierten Wagenlenkern überwinden?“ (F/S S. 86). Die nächste Frage kann nur lauten, ob diese blutrünstige, überaus grausame und gewaltverherrlichende Sage überhaupt irgendeinen historischen Kern hat. Die gottgefällige Invasion müsste, so es sie gab, gegen Ende des 13. Jh. stattgefunden haben.

Über die damaligen Verhältnisse in Kanaan gibt es zahlreiche ägyptische Belege. Kanaan war eine ägyptische Provinz, und die Herren der kanaanäischen Stadtstaaten waren ägyptische Vasallen, aber sehr schwach. An allen entscheidenden Orten waren Garnisonen stationiert. Die Städte bestanden hauptsächlich aus befestigten Verwaltungssitzen und hatten keine Stadtmauern, die man wohl für entbehrlich hielt; die Bauern wohnten ringsum. Auch Jericho hätte daher keine Stadtmauer gehabt. Freilich gab es für diese Stadt für das 13. Jh. keinerlei Spur irgendeiner Besiedlung. Über die stark befestigte Militärstraße in Nord-Sinai konnte damals rasch zusätzliches Militär herangebracht werden. In der alten Stadt Megiddo fand man Hinweise auf einen nachhaltigen ägyptischen Einfluss noch gegen Ende des 12. Jh., d. h. lange nach der vorgeblichen Eroberung durch die Israeliten. Es ist nicht vorstellbar, dass die in der Bibel berichtete Verwüstung der ganzen Provinz durch Eindringlinge in den umfangreichen Aufzeichnungen des ägyptischen Reichs keinerlei Spur hinterlassen haben sollte, hätte die Eroberung stattgefunden. Der Name Israel wurde nach aktuellem Sachstand für diese Zeit historisch nur ein einziges Mal erwähnt, nämlich in der Siegesstele des Pharao Merenptah, die für das ausgehende 13. Jh. von einem Feldzug gegen ein Volk namens Israel berichtet, wobei dieses eine vernichtende Niederlage erlitten habe. Es handelt sich um die älteste bekannte Erwähnung dieses Volkes außerhalb der Bibel.

Bibelforscher sind der Ansicht, dass eine sich über lange Zeit erstreckende Serie von Aufständen nach hunderten Jahren zu einer Sage von der Landeroberung unter Gottes Segen zusammengefasst wurde. Sie unterstützt die Schaffung einer pan-israelitischen Identität. Eine im Buch Josua 15,21-62 verzeichnete Liste von Städten stimmt auffallend genau mit den Grenzen des Königreichs Juda unter der Herrschaft des bedeutenden Königs Josia (639-609 v.u.Z.) überein, und einige der Orte waren nur im ausgehenden 7. Jh. bewohnt. Die ersten im Buch Josia genannten Schlachten, in Jericho und Ai, wurden auf einem Gebiet ausgetragen, das nach dem Rückzug des Reichs Assur aus Samaria zum ersten Expansionsziel des Königs Josia gehörte. Alles spricht nach Finkelstein und Silberman dafür, dass das Buch Josua Ausdruck der Sehnsüchte und Phantasien eines Volks zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort waren. Hinter Josua verbirgt sich König Josia. Man hat nachgewiesen, dass die Josia-Gestalt im Deuteronomistischen Geschichtswerk, das sind die Bücher, die auf die eigentliche Tora folgen, mit Begriffen beschrieben wird, wie sie einem König vorbehalten sind.

Schon nach dem Bisherigen läuft vieles auf eine besondere Bedeutung des 7. Jh. für die Entstehung der Hebräischen Bibel hinaus. Aber wer waren die alten Hebräer überhaupt?

Zur Herkunft der Israeliten

Bis vor kurzem glaubten die meisten Bibelhistoriker und Archäologen, dass die Israeliten Zuwanderer waren. Es gab aber auch seit den 1920er Jahren die These einer friedlichen Infiltration. Man fand nämlich in altkanaanitischen Städten Reste von Monumentalbauten und Luxusartikel, während andere Hinterlassenschaften einer viel niedrigeren Kulturstufe angehörten. Neue Möglichkeiten ergaben sich nach dem Krieg von 1967, weil erst jetzt archäologische Untersuchungen des altisraelischen Kerngebiets, im Bergland, möglich wurden. Zuvor hatten das Krieg und ständige Unruhen verhindert. Jetzt wurde praktisch jedes Tal und jeder Berg durchkämmt. Es ergab sich für die Zeit um 1200 v.u.Z. die Existenz eines großen Ortsnetzes, nämlich von 250 Orten auf Bergspitzen, obwohl dieses Gebiet (weitab von den kanaanitischen Städten) zuvor dünn besiedelt war. Man schätzte die Bevölkerung auf insgesamt 45000 Menschen. Die Besiedelung schritt vom Wüstenrand nach Westen vor. Man konnte die Besiedelung der ganzen Region sogar über Jahrtausende verfolgen, wobei sich zwei vorangegangene Besiedelungswellen ergaben. Es musste ein dramatischer Wandel der Lebensweise stattgefunden haben, denn Anzeichen von Gewalt fand man nicht. Im Gegensatz zu den biblischen Berichten über einen dauernden Krieg zwischen Israel und seinen Nachbarn waren diese einfachen Dörfer unbefestigt. Waffen und Anzeichen von Zerstörung fand man ebenfalls nicht. Nach allem waren diese erstmals um 1200 auftretenden Israeliten Hirten und Bauern von wohl nomadischer Herkunft (Dorfanordnung). Erst viel später entwickelten sich größere Städte und Märkte. Für die Zeit nach Gründung der Königreiche Juda und Israel schätzt man die Bevölkerung auf 160000 in über 500 Orten. Die Forschungen ergaben, bei Einbeziehung der Verhältnisse in Jordanien, Syrien und am Euphrat, dass es wiederholt einen Wechsel zwischen Nomadentum und Sesshaftigkeit gab. In Zeiten größerer Sicherheit und besserer Wirtschaftsbedingungen wurden die nomadischen Viehzüchter sesshaft. Hirtennomaden konnten nur existieren, wenn sie Getreide einhandeln konnten. Das war in Kanaan 300 Jahre lang, als die Ägypter herrschten, der Fall. Im 12. Jh. brach diese Herrschaft zusammen, so dass die Hirten im Bergland und am Wüstenrand gezwungen waren, selbst Getreide anzubauen und sesshaft zuwerden.

Demnach war der Aufstieg des frühen Israel nicht die Ursache des Zusammenbruchs der kanaanäischen Kultur, sondern umgekehrt sein Ergebnis. Das ist das genaue Gegenteil der biblischen Aussage. Das heißt: Die meisten Israeliten kamen nicht von außen, sondern aus der Mitte Kanaans, sie waren Einheimische. Dieses Ergebnis ist keine gekünstelte Theorie, sondern wird bestätigt durch die Besiedelungsgeschichte östlich des Jordan, nämlich in Ammon, Moab und Edom. Eine ungeklärte Besonderheit wiesen speziell die frühen Bergland-Israeliten auf: sie aßen kein Schweinefleisch. Da gab es aber noch längst keine biblischen Speisevorschriften und keinen Monotheismus.

Das Königreich von David und Salomo

Laut Bibel wurden die göttlichen Verheißungen durch König David erfüllt, der als gerecht bezeichnet wird und nach Eroberung eines riesigen Reichs die zentrale Gestalt des frühen Israel wurde. Zusammen mit der Herrschaft von Salomo, Davids Sohn, gilt die Zeit dieser beiden Könige traditionell als das Goldene Zeitalter. Gott teilte dem Prophet Samuel mit, er habe den Schafhirten David ausersehen. Dieser, nach der Fällung des Riesen Goliath bereits ein Volksheld, wurde nach dem Tod des 1. israelitischen Königs Saul dessen Nachfolger. Vertreter aller Stämme riefen ihn zum König über ganz Israel aus. Er war es, der seine Hauptstadt nach einer Eroberung nach Jerusalem verlegte. Gott verhieß David nach Sam. 7,8 ff.: „Aber dein Haus und dein Königtum sollen beständig sein in Ewigkeit vor mir, und dein Thron soll ewiglich bestehen“. Daraufhin unterwarf David in mehreren Befreiungs- und Expansionskriegen alle umliegenden Gebiete und herrschte triumphal. Sein Sohn Salomo, weiser und großartiger Bauherr, errang gewaltigen Reichtum, durch den sogar die sagenumwobene Königin von Saba angelockt wurde. Dem Gott JHWH errichtete Salomo einen prachtvollen Tempel und sich einen großen Palast. Nach entsprechend üppigen Schilderungen heißt es in 1. Kön. 10,23 ff.: „So übertraf König Salomo alle Könige der Erde an Reichtum und Weisheit...Er hatte 1400 Wagen und 12000 Mann als Besatzung...“ Laut 1. Kön. 11 hatte Salomo in seiner Weisheit 700 fürstliche Frauen und 300 Nebenfrauen, die ihn aber zur Verehrung fremder Götter verführten.

Aus moralischer Sicht mag man sich die Frage stellen, wieso David und Salomo angesichts ihres in der Bibel geschilderten Lebenswandels im Judentum und Christentum zu religiösen Ikonen aufsteigen konnten. Es fragt sich sogar, ob beide in irgendeiner Form als historische Gestalten existiert haben. Beide sind in keinem einzigen der bisher bekannten ägyptischen und mesopotamischen Texte erwähnt, und in Jerusalem gibt es keinerlei archäologischen Beleg für die berühmten Bauten des Salomo, insbesondere nicht für den sagenhaften Tempel und den Palastkomplex. Heute weiß man jedoch, dass David und Salomo tatsächlich existierten. 1993 entdeckte man nämlich in Nordisrael ein Basaltbruchstück, das von einem Sieg über einen Königssohn „aus dem Hause Davids“ und der Verwüstung von Israel berichtet. Es dürfte sich um den Angriff des Königs von Damaskus, Hasael, auf das Nordreich Israel im Jahr 835 handeln. Neuerliche Sondierungen haben ergeben, dass der Bereich Juda noch nach der Zeit von David und Salomon, d. h. nach 930, dünn besiedelt und randständig war. Und Jerusalem war ein kleines Dorf. Die neueste Technik der Radiokarbondatierung hat ergeben, dass Funde, die man - freilich außerhalb von Jerusalem - als davidische und salomonische Überreste angesehen hatte, um 100 Jahre zu früh datiert waren. Die gefundenen Anzeichen einer vollen Eigenstaatlichkeit stammen aus einer späteren Zeit, in der auch in den übrigen Regionen des östlichen Mittelmeers erstmals Monumentalbauten usw. entstanden.

Wenn im Deuteronomistischen Geschichtswerk die Erzählungen um David und Salomo so herausgehoben werden, kann der Grund nur politische Propaganda zur Festigung einer geeinten Monarchie sein, die fortlebende Erzählungen benutzte. Wir sind also wieder im 7. Jh. gelandet. Damals war Jerusalem schon eine relativ große Stadt mit einem monotheistischen Tempel als Nationalheiligtum. Berufsheer und Verwaltung der Monarchie hatten ein respektables Niveau. Juda beteiligte sich am arabischen Handel mit fernen Luxusgütern. Auch hatte sich in Jerusalem eine spezielle Theologie entwickelt, die die Verbindung zwischen David und dem Gesamtvolk Israel betonen sollte. Nach dem Deuteronomistischen Geschichtswerk durchbrach der fromme David als erster den Teufelskreis von Abgötterei mit folgender göttlicher Bestrafung. Weil David treu und gerecht gewesen sei, habe Gott ihm geholfen, ein ruhmreiches Reich zu gründen. Genau das war aber die Vision einer nationalen Wiedergeburt im 7. Jh. Alte Erzählungen wie die von der Vereinung von Juda und Israel, die Stammväter, Landnahme und den Auszug aus Ägypten waren eine visionäre Komposition für das 7. Jh. Jetzt war der neue David der König Josia (639-609 v.u.Z.), der Juda vom Gräuel der Abgötterei säuberte. Josia wollte alle davidischen Gebiete wieder vereinen. Das zielte auf die Wiedergewinnung des 720 tatsächlich zerstörten Nordreichs.

Nord- und Südreich und die judäische Einheitsideologie

In der Bibel spielt eine bedeutende Rolle der Bericht darüber, wie sich nach David und Salomo die Stämme des nördlichen Berglands und von Galiläa vom davidischen Reich lossagten und Nord- und Südreich 200 Jahre voller Hass nebeneinander existierten. Im Nordreich herrschte Abgötterei, denn die dortigen zehn Stämme führten den Befehl der Ausrottung der Kanaanäer nicht aus und wurden glaubensmäßig von den kanaanäischen Frauen verführt. Dafür bezahlten die Menschen schließlich mit Staatszerstörung und Verbannung.

Die archäologischen Sondierungen der 1980er Jahre haben demgegenüber ergeben, dass es bei den genannten Besiedelungswellen schon immer eine nördliche und eine südliche Gesellschaft gab, deren Grenze etwa zwischen dem späteren Nord- und Südreich verlief. Stets war der Norden wesentlich reicher und dichter bevölkert, beide Bereiche hatten jeweils ein Zentrum. Grund für die Aufteilung waren die sehr unterschiedlichen Umweltbedingungen. Die biblische Geschichte der Abspaltung widerspricht daher den historischen Tatsachen. Richtig und archäologisch bestens belegt ist aber die Tatsache der Existenz eines teilweise überaus mächtigen, ausgedehnten und hochentwickelten Staates Israel mit Hauptstadt Samaria, im Gegensatz zu einem völlig unbedeutenden und politisch unbeachteten Gebiet Juda, das vielleicht sogar nur ein Zehntel der Einwohnerzahl des nördlichen Berglands aufwies. Eine Erzählung im 2. Buch der Könige (Kap. 14) gibt den Sachverhalt zu, indem das Königreich Juda als „Dornstrauch auf dem Libanon“ und das Königreich Israel als „Zeder auf dem Libanon“ bezeichnet wird. Der kulturell offene Nordstaat war gerade wegen seiner Prosperität immer wieder verheerenden Angriffen aus Osten und Norden ausgesetzt. Das wirft die Frage nach der Begründung der biblischen Abspaltungstheorie auf.

Eine erste Prophezeiung gibt Salomo wegen Götzendienerei die Schuld am Zerbrechen der Einheit (1. Kön. 11,4 ff., 11 ff.). Die zweite Prophezeiung vom „Knecht Salomos“ meint den späteren König Jerobeam des Nordreichs (931-909), dessen Herrschaft von der Einhaltung der Gebote Gottes abhängig gemacht wurde. Als Jerobeam dennoch einem goldenen Kalb opfert, tritt ein „Mann Gottes“ auf mit folgender Prophezeiung: „Altar, Altar! So spricht der Herr: Siehe, es wird ein Sohn dem Hause David geboren werden mit Namen Josia; der wird auf dir schlachten die Priester der Höhen, die auf dir opfern, und wird Menschengebein auf dir verbrennen“ (1. Kön. 13,1 f.). Damit wird der Name eines bestimmten judäischen Königs genannt, der erst 300 Jahre später tatsächlich so verfuhr. Eine vierte bald folgende Prophezeiung an Jerobeam lautet: „...ich will Unheil über das Haus Jerobeam bringen und ausrotten von Jerobeam alles, was männlich ist...Der Herr aber wird sich einen König über Israel erwecken, der wird das Haus Jerobeam ausrotten...und der Herr wird Israel schlagen, dass es schwankt...und wird Israel ausreißen aus diesem guten Lande...und wird sie zerstreuen jenseits des Euphrat, weil sie Ascherabilder gemacht haben...“ (1. Kön. 14,7 ff.).

Warum nun hat die dritte Prophezeiung sogar den Namen des Königs genannt, der erst 300 Jahre später regieren würde? Zu Josias Zeiten war die Erinnerung an das zerstörte, ehemals blühende Königreich Israel bereits verblasst, das bislang bedeutungslose Juda war aufgeblüht und entwickelte Gebietsansprüche. Ein wesentlicher Punkt der Ideologie der späten Königszeit war die Überzeugung, der Kult müsse sich ausschließlich auf den Tempel in Jerusalem konzentrieren. So wurde der Sturz Israels und Triumph des Josias ein zentrales Thema der Bibel. Sie stellt einen starken Antagonismus zwischen den Bruderstaaten Nord- und Südreich heraus, dem bösen religiösen Kult im Norden wurde jede Berechtigung abgesprochen. Josia, der neue David, macht die Sünden Salomos und Jerobeams ungeschehen, indem er Israel religiös säubert, insbesondere die Kultstätte in Bethel zerstört, zumal diese nicht sehr weit von Jerusalem entfernt war. Das Volk darf nur den JHWH-Gott verehren.

Zum Königreich Juda

Während das Nordreich in der Bibel, wie gesagt, durchgehend negativ geschildert wird, erscheint das Südreich Juda als zumindest im Grundsatz gut. Für Könige, die Abgötterei zuließen, folgte rasche Strafe. Den Kreis von Abfall, Strafe und Reue wollte König Hiskia durchbrechen, der sehr lange in Jerusalem herrschte (727-698). Er führte eine umfassende religiöse Reform durch mit dem Ziel der Treue zu JHWH, die zuvor weithin nicht gegeben war. Denn mahnend wiederholte die Bibel auch bei der Würdigung der sog. gerechten Könige stets den Vorwurf: „Die Höhen wurden nicht entfernt.“ Nach wie vor brachten die Einwohner laut Bibel Opfer auf den Höhen dar. Diese sog. Abgötterei war aber in Wirklichkeit keine Abkehr vom früheren Monotheismus, sondern sie war die herkömmliche Religion. Ihre weite Verbreitung dokumentiert auch der biblische Bericht zu Hiskia: „Und er tat, was dem Herrn wohlgefiel, ganz wie sein Vater David. Er entfernte die Höhen und zerbrach die Steinmale und hieb das Bild der Aschera um und zerschlug die eherne Schlange, die Mose gemacht hatte. Denn bis zu dieser Zeit hatte ihr Israel geräuchert...“ (2. Kön. 18, 3 ff.)

Unter über 350 ägyptischen Keilschrifttafeln aus dem 14. Jh. geben sechs einen guten Einblick in das Gebiet des späteren Königreichs Juda. Briefe des damaligen Jerusalemer Königs zeigen, dass dieser nur lose über eine sehr dünn besiedelte Bergregion mit einigen Dörfern gebot, ferner gab es Hirtengruppen und Geächtete, die ähnlich wie Beduinen lebten und Banden bildeten. Über den historischen David ist nichts bekannt, nur besteht eine Ähnlichkeit zwischen dem biblischen David mit seiner Bande und den eben erwähnten Banden. Die traditionelle judäische Religion ergibt sich aus Funden von Tonfigurinen, Räucheraltären, Gefäßen für Trankopfer und Opferaltären in ganz Juda. Demnach variierten die religiösen Praktiken stark und waren dezentral. Von einer Beschränkung auf die JHWH-Verehrung im Jerusalemer Tempel konnte keine Rede sein. Der Polemik in den Büchern der Könige kann man entnehmen, dass die Landpriester auf den Höhen auch Räucheropfer für Sonne, Mond und Sterne darbrachten. Man hat an jedem Siedlungsplatz der späten Königszeit Judas Hunderte Figurinen von Fruchtbarkeitsgöttinnen gefunden. Inschriften aus dem 8. Jh. im nordöstlichen Sinai beziehen sich auf die Göttin Aschera als Gemahlin von JHWH. Auch im Hügelland Judas hat man eine Inschrift der späten Königszeit gefunden, die von JHWH und seiner Aschera spricht. In Jerusalem selbst wurden auch Baal, Astarte und andere Götter der Nachbarvölker verehrt. All die biblisch angeprangerten Könige Judas ließen zu, dass auch die ländlichen Traditionen gepflegt werden durften (vgl. näher 1. Kön. 11,5; 2. Kön. 23,13; Jer. 11,13; Ezechiel 8).

Eine politisch völlig neue Situation ergab sich 720 nach der vollständigen Zerstörung Israels, als Juda ganz von assyrischen Provinzen und Vasallen umgeben war. Juda musste Flüchtlinge aufnehmen. Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte zeigen, dass Jerusalem Ende des 8. Jh. eine beispiellose Bevölkerungsexplosion erlebte. Die Stadt dehnte sich nach Westen aus und eine gewaltige Verteidigungsmauer wurde errichtet. Innerhalb einer einzigen Generation mag sich die Einwohnerzahl von 1000 auf 15000 vervielfacht haben. Entsprechend war die Entwicklung des Umlandes und es wurden neue Städte im Süden gegründet. Erst jetzt bildete sich Juda zu einem richtigen Staat aus. Das ist durch monumentale Inschriften, Tonscherben für die königliche Verwaltung, Steinkapitelle in öffentlichen Gebäuden und die Reste zentraler Werkstätten nachgewiesen. Eine ortsübergreifende Öl- und Weinindustrie entstand. Man begann kunstvolle Gräber zu errichten. Man muss annehmen, dass Juda jetzt mit dem assyrischen Reich zusammenarbeitete.

Mit diesem Wandel gingen religiöse Änderungen einher. Die Zentralisierung wurde verknüpft mit dem Ziel einer Vereinheitlichung von Süd- und Nordisrael und der Vereinheitlichung der Religion. Die neuen Erkenntnisse führten zu der These, in dieser Zeit der Veränderung sei die monotheistische Tradition entstanden, also mehrere Jahrhunderte später, als man bisher angenommen hatte. Der genaue Ursprung der Idee eines allein zulässigen monotheistischen Kultes ist ungeklärt; die Idee ist jedoch ausgeführt bei den Propheten Amos und Hosea, die im 8. Jh. in Israel agierten. Die Ausbreitung der neuen religiösen Bewegung wurde ermöglicht durch die erst jetzt verbreitete Fertigkeit im Lesen und Schreiben. Es galt nun, der neuen religiösen Praxis eine gültige Form zu geben und eine um Jerusalem als Sitz eines vereinten Reichs zentrierte Nationalgeschichte zu schaffen. Das geschah, wie noch zu erörtern ist, mit dem Buch Deuteronomium und dem Deuteronomistischen Geschichtswerk. Abgötterei war jetzt als Symbol für eine chaotische gesellschaftliche Vielfalt verpönt. Wie in Orwells Farm der Tiere galt nur noch die neue Lehre als wahr und die alleinige Verehrung des JHWH-Gottes wurde so in die Geschichte hineingelesen, als ob sie schon immer gegolten hätte.

Die Herrschaft Hiskias (727-698) wird in der Bibel gepriesen, weil er den JHWH-Kult durchsetzte. Aber sein Gott half ihm nicht, als die Assyrer einen lange geplanten Aufstand Hiskias nicht hinnahmen und Juda 701 verwüsteten. Die Bibel redet freilich die verheerende Niederlage klein. Hiskias Sohn Manasse brachte in einer langen Herrschaft (698-642) unter Zusammenarbeit mit den Assyrern das Land wieder zur Blüte und hinterließ einen hoch entwickelten Staat. Aber unter Manasse wurde der religiöse Pluralismus wiederhergestellt. Der Wiederaufbau des Landes erforderte die Mitarbeit der Dorfältesten und Sippen. Die Kulte um Baal, Astarte und andere auf den Höhen kehrten zurück. Das 2. Buch der Könige berichtet darüber entrüstet. Er sei der sündigste aller Monarchen gewesen (2. Kön. 21, 3 ff.). Es beschuldigt ihn sogar, er werde Ursache der künftigen Zerstörung Jerusalems sein (2. Kön. 21,11 ff.).

König Josia und die eigentliche Geburt des Monotheismus

Nach der baldigen verschwörerischen Ermordung von Manasses Nachfolger, seinem Sohn Amon, kam dessen achtjähriger Sohn Josia an die Macht, dessen 31-jährige Herrschaft als die gerechteste von Juda gilt. Das religiöse Lager „JHWH-allein“ kam mit an die Macht, und mit Josia beginnt die eigentliche Geschichte der Hebräischen Bibel. Josia (639-609) erscheint der Bibel als das Ideal, in das die Geschichte des Volkes mündet. „Seinesgleichen war vor ihm kein König gewesen, der so von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften sich zum Herrn bekehrte, ganz nach dem Gesetz des Mose, und nach ihm kam seinesgleichen nicht“, so jubiliert die heilige Schrift (2. Kön. 23,25).

Nach der Bibel wurde 622, im 18. Regierungsjahrs von Hosia, mit der Tempelrenovierung begonnen. Da soll der Hohepriester im Tempel einen sensationellen Text entdeckt haben. Demnach war der traditionelle JHWH-Kult falsch. Josia rief alle Landesbewohner zusammen und schwor sie auf den Inhalt des Buches ein. Ein neuer Bund wurde mit Gott geschlossen (2. Kön. 23,2 f.). In einer intensiven Säuberung (2. Kön. 23,4 ff.) wurden alle Geräte, die dem Baal, der Aschera und dem Heer des Himmels gemacht waren und die es sogar im Tempel gab, vor die Stadt bringen und verbrennen. Die Häuser der Tempelhurer wurden abgerissen und Stätten ausländischer Kulte vernichtet. Auch im Norden räumte Josia auf. Hierzu heißt es im 2. Buch der Könige (23,15 ff.): „Und er ließ alle Priester der Höhen, die dort waren, schlachten auf den Altären und verbrannte Menschengebeine darauf...“. Die religiöse Reform des Josia ist in der Bibel eingehend beschrieben in einem sorgfältigen Text, der Anspielungen auf alle bedeutenden Personen und Ereignisse der Geschichte Israels enthält. Mit Josias Taten werden die Sünden der Vergangenheit gesühnt.

Das entdeckte Buch galt als der endgültige Gesetzeskodex des Moses. Schon im 18. Jh. entdeckten die Bibelwissenschaftler große Ähnlichkeiten zwischen der biblischen Beschreibung des 622 aufgefundenen Buchs und dem Deuteronomium, eine gemeinsame Ideologie. Im Pentateuch erhebt nur das Deuteronomium den Anspruch, das Volk müsse Bundesworte befolgen (Dtn. 29,9). Nur dort werden alle Opfer für fremde Götter verboten, während die anderen vier Bücher mehrfach den traditionellen Opferdienst im ganzen Land ohne jede Kritik erwähnen. Und nur dort wird das Pessach-Fest als nationales Opfer in einem nationalen Heiligtum beschrieben (Dtn. 16,1 ff.). Der heutige Text enthält offensichtlich spätere Zusätze. Im Ergebnis enthält das Deuteronomium anscheinend genau jene Regeln, die Josia 622 in Wahrheit erstmals setzte. Das ist auch historisch plausibel, denn erst für diese Zeit ist die Verbreitung des Lesens und Schreibens in dieser Region archäologisch belegt, auch durch zahlreiche Siegel. Auch ähnelte der literarische Bund zwischen JHWH und dem Volk auffallend assyrischen Verträgen mit Vasallen aus dem frühen 7. Jh. Es besteht nach allem kaum ein Zweifel, dass das angeblich überraschend aufgetauchte Buch die Originalversion des Deuteronomiums ist, die erst im 7. Jh. verfasst wurde. Wesentliche Punkte dieser Deutung sind auch in der katholischen Einheitsübersetzung nachzulesen.

Aus verschiedenen Gründen mussten sich die Assyrer zu Josias Zeit aus den Nordregionen Israels zurückziehen und Ägypten konnte wieder in die Levante aufrücken. Josia sah die Zeit gekommen, einen großisraelitischen Staat zu schaffen und brauchte hierzu einen zentralen Kult und eine machtvolle Propaganda. Das führte auch zur Sammlung und Überarbeitung der ersten vier Bücher des Pentateuch. Anlehnungen an das 7. Jh. wurden hineinverflochten, die Vorherrschaft Judas über ganz Israel betont. Das historisch mächtige Nordreich wurde verurteilt. Es herrschte eine messianische Stimmung, soziale Reformen standen an. Das Deuteronomium enthielt entsprechende Vorschriften, sogar zum Schutz des Individuums. Menschenrechte und Menschenwürde wurden geschützt (zum Ganzen Dtn 14,28 f., 15,7 f. und 12 ff., 16,18 f., 21,15 ff., 24,14 ff.). Der Individualismus ist neu. Den heidnischen Volkskult hat Josia aber nicht ausrotten können, denn in allen judäischen Orten hat man aus dem späten 7. Jh. zahlreiche Astarte-Figuren finden können.

Nach Josias Tod kam bald das Ende der assyrischen und ägyptischen Herrschaft, aber auch Judas. Die Zeit der Babylonier mit ihrem König Nebukadnezar war gekommen. Über das schreckliche Ende Judas im Jahr 587 gibt es zahlreiche archäologische Belege. Auch der Tempel wurde zerstört. Die Führungsschicht und große Teile des Volks wurden deportiert. Man schätzt heute aber die Zahl der Verbannten auf höchstens 15000 bis 20000. Vor der Zerstörung hatte Juda aufgrund intensiver archäologischer Sondierungen insgesamt etwa 75000 Einwohner.

Exil und Rückkehr (586-ca. 440 v.u.Z.)

Die folgenden eineinhalb Jahrhunderte sind entscheidend für die Entstehung der jüdisch-christlichen Tradition. Für diese Zeit wird die Situation im babylonischen Exil im Buch Ezechiel, die im verbliebenen Juda im Buch Jeremia beschrieben. Über das Leben der Verbannten in der ersten Zeit weiß man kaum etwas.

Eine neue Wende brachte die Eroberung des neubabylonischen Reichs durch die Perser im Jahr 539. König Kyros erlaubte die Wiedererrichtung des Jerusalemer Tempels, und in zwei Wellen kehrte ein Großteil der Verbannten nach Jerusalem zurück. Die Einwohner Samarias, die beim Tempelbau mitwirken wollten, wies man zurück. Nach heutiger Auffassung ist maximal ein Viertel der Gesamtbevölkerung nach Babylonien verbannt worden. Archäologisch ist erwiesen, dass das Land nördlich und südlich von Jerusalem auch nach der großen Zerstörung von 587 ununterbrochen bewohnt war. Sogar die prophetischen Bücher Haggai und Sacharja wurden damals in Juda verfasst. Die persischen Könige wollten gerade wegen der strategischen Lage an der Grenze zu Ägypten eine loyale einheimische Führungsschicht, die sie unter den aus Babylon Zurückgekehrten rekrutierten. Der soziale Rang verschaffte diesen Rückkehrern eine überproportionale Bedeutung. Warum die davidische Dynastie von der Bühne verschwand, ist unbekannt. Die Priesterschaft spielte neben den persischen Statthaltern die führende Rolle. Sie meinte, den Inhalt der jüdischen Orthodoxie bestimmen zu können. 516 ist der zweite Tempel vollendet. Er rückte in den Mittelpunkt nationaler Identität.

Die Priesterschaft produzierte zur nationalen Festigung und Abgrenzung ständig Schrifttum. Mitte des 5. Jh. kommen der Schriftgelehrte Esra und der persische Hofbeamte Nehemia, letzterer als Statthalter, nach Jerusalem. Beide verbieten die offenbar zahlreich gewordenen Mischehen von Juden mit fremden Frauen und führen das deuteronomistische Gesetz streng durch. Da der Gott, der die Erlösung verheißen hatte, versagt hatte, ging man daran, die bisherige Geschichtsdarstellung zu überarbeiten: man musste der Geschichte zur Identitätswahrung einen Sinn geben. Man unterscheidet zwei Teile des deuteronomistischen Geschichtswerks. Der zweite Teil bezieht sich auf Josias Tod und die Zeit der Verbannung (2. Kön. 23,26-25,21). Man verfasste Einschübe und fügte der David gegebenen Verheißung eine Bedingung an (1. Kön. 2,4; 8,25; 9,4 ff.). Auch fügte man unheilverkündende Hinweise ein (etwa 2. Kön. 20,17 f.). Den König Manasse machte man für alles verantwortlich (2. Kön. 21,10 f.). Auch, so die kritischen Forscher, hat man nachträglich einen theologischen Schwenk eingebaut: Josia hat nicht die endgültige Erlösung gebracht, sondern nur die Zerstörung Jerusalems hinausgezögert (2. Kön. 22,18 ff.).

Man weiß seit langem, dass die Quelle P (Priesterschrift) des Pentateuch hauptsächlich nachexilisch ist. Erst jetzt erfolgte die endgültige Redaktion der ersten fünf biblischen Bücher. Die Geschichte vom Auszug aus Ägypten war jetzt, mit der Parallele Babylon, attraktiv, ebenso andere Punkte wie die nachträgliche Einfügung der Herkunft des Abraham aus der bedeutenden Stadt Ur. Die neuerliche Umgestaltung des alten Bibelkerns sollte die Volksidentität festigen.

Folgezeit

Aus der hellenischen Zeit um 300 v.u.Z. stammt die erste Beschreibung biblischer Gesetze und Gebräuche von einem Außenstehenden. Die Priesterschaft stand in hohem Ansehen und die sozialen Gesetze des Deuteronomium hatten große Bedeutung. Im gesamten Mittelmeerraum waren die Juden für ihren speziellen Gottesglauben bekannt. Infolge der Zerstreuung der Juden wurde die Bibel im 3. und 2. Jh. ins Griechische übersetzt. Die Saga vom Auszug aus Ägypten, Einnahme des verheißenen Landes und die Vision von Solidarität und Hoffnung hatte Wirkung. Als Herodes König von Roms Gnaden wurde, lieferte die Befreiungsgeschichte für die Widerstandsbewegungen eine besondere emotionale Kraft. Auch nach der Zerstörung Jerusalems 70 u. Z. erwies sich die Bibel für die Juden bekanntlich als Quelle der Solidarität und Identität. Es bleibt aber erstaunlich, dass ein derart winziges und abgelegenes Bergland einen derart umfangreichen und welthistorischen literarischen Textkorpus in relativ kurzer Zeit hervorbringen konnte. Ebenso erstaunlich ist aber, dass die hebräische Bibel noch heute von zwei Weltreligionen als heiliger Text angesehen wird, wo sie doch derart offensichtlich ein menschliches Konstrukt ist; ganz abgesehen von den moralisch verheerenden Prinzipien, die im AT textlich dominierend dargestellt sind, von denen aber nur selten die Rede ist. Aber das ist ein anderes Thema.

Literatur:

Finkelstein, Israel/ Silberman, Neil A.: Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel.

C. H. Beck, München 2002, 381 S. (mehr. Auflagen; TB-Ausgabe. - Finkelstein, Univ. Tel Aviv, ge-

hört zu den führenden israelischen Archäologen. Silberman ist ebenfalls als Archäologe und Autor ein-

schlägiger Bücher bekannt. Die US-Originalausgabe ist 2001 unter dem Titel „The Bible Unearthed“

erschienen.)

 

Ergänzend:

 

Albertz, Rainer: in Brockhaus PC-Bibliothek 2005, Art. Israel und Juda: Antike Kleinstaaten (Vergleichsbei-

spiel einer überwiegend traditionellen Darstellung unter teilweiser Einbeziehung archäologischer Er

kenntnisse.)

Buggle, Franz: Denn sie wissen nicht, was sie glauben oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein

kann. Erweiterte Neuausgabe 2004, Alibri Verlag Aschaffenburg, 445 S. (zum ethischen Problem des

Bibelglaubens)

 

Gerhard Czermak (2005)

 

© Dr. jur. Gerhard Czermak, Bgm.-Ebner Str. 33, 86316 Friedberg, Tel. 0821 - 78 18 22



 

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