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 Materialien zum Ethikunterricht    

Jainismus

von Prof. Dr. Vallabhbhai J. Patel

Prof. Dr. Vallabhbhai J. Patel wurde 1934 in Indien geboren, hat Zoologie und Medizin studiert. Neben seiner ärztlichen Tätigkeit in Deutschland befasste er sich in zahlreichen Vorträgen mit philosophischen Themen. Sein Buch „Das Glück liegt diesseits des Todes“ (ein-FACH-Verlag Aachen, 1998, Reihe Lebendige Philosophie, ISBN 3-928089-20-X) widmet sich der Notwendigkeit einer  rational begründeten Ethik und dem Glück als Leitmotiv menschlichen Handelns. Der folgende Vortrag über den Jainismus wurde am 1. April 2006 in Neuburg ad Donau gehalten.

V.J. Patel, Schloss Grünau, 86633 Neuburg / Donau, Tel.: 08431/49250

 

Nachdem ich ausführlich über Buddhismus berichtet habe, glaube ich, dass ich mich kurz fassen kann. Denn Buddhismus und Jainismus haben vieles gemeinsam. Beide sind atheistische Religionen, glauben an Karma, Wiedergeburt und Nirwana. Beide Religionen sind als Protestbewegungen gegen die mächtige Priesterklasse des Hinduismus entstanden. Die beiden Gründer wurden später zu Göttern degradiert. Die Hindus betrachten das Jainismus und Buddhismus als ein Teil des Hinduismus. Obwohl klein an der Zahl (etwa 4 Millionen Anhänger), ist diese Gruppe nicht nur sehr reich, sondern auch einflussreich. Obwohl sie hauptsächlich in Gujarat, also in dem Land, wo ich herkomme, leben, sind sie auf fast allen Erdteilen anzutreffen. Sie haben prächtige Tempelanlagen erbaut und das Denken von vielen Indern beeinflusst. Gandhi hat das Prinzip Ahimsa von den Jains übernommen.

 

Ahimsa ist das oberste Gebot und verbietet jegliche Tötung eines Lebewesens. Die Jains befolgen dieses Gebot konsequent. Manche tragen sogar einen Mundschutz, um die kleinsten Lebewesen nicht zufällig zu töten. Andere fegen die Strasse sauber, bevor sie darüber laufen. Sie essen aus Angst, dass sie damit anhaftende Lebewesen töten könnten, nicht alles, was unter der Erde wächst - weder Kartoffeln, Zwiebeln, Erdnüsse, Knoblauch etc. Aus dem gleichen Grund filtrieren sie ihr Trinkwasser. Ackerbau ist den Jains verboten, weil sie beim Aufreißen der Erde Insekten und Würmer töten könnten. Deswegen wurden sie Handelsleute und dadurch immens reich.

Das einzige Leben, das ein Jain töten darf, ist sein eigenes. Die Lehre billigt den Selbstmord im hohen Maße, besonders durch langsames Verhungern. Denn das ist der größte Sieg des Geistes über den blinden Lebenswillen.

Viele Jains sind in der Vergangenheit auf solche Weise gestorben und wurden als Heilige verehrt. Gewisse Parallelen zur Verherrlichung des Leides im Christentum (Simon auf der Säule oder die Geißler-Mönche) sowie zur Selbstgeißeln der Muslime am Tage der Hijra, wenn sie ihre Rücken blutig schlagen, sind unübersehbar. Aber auch hier haben sich die Zeiten geändert. Kaum ein Jain tötet sich heutzutage noch durch Verhungern.

Es gibt keinen einzigen Soldaten in Indien, der ein Jain ist. Verboten sind auch Rauschmittel und Alkohol. Der Einfluss von Jain-Ideen in Gujarat ist so groß, dass alle Hindus in diesem Landteil strenge Vegetarier sind und jeglichen Alkoholgenuss  meiden.

Wie ist nun die Weltsicht der Jains? 

Es gibt keinen Gott! Es ist nicht notwendig, einen Schöpfer oder eine erste Ursache anzunehmen. Jedes Kind könnte diese Annahme widerlegen, indem es darauf hinweist, dass ein ungeschaffener Schöpfer oder ursachenlose Ursache ebenso schwer verständlich wäre, wie eine unverursachte oder ungeschaffene Welt.

Im Prinzip ähnelt das der heutigen Diskussion, wenn es um die erste Ursache geht.

Der unaufhörliche Wechsel und die Wandlungen auf dieser Erde sind den ihr innewohnenden Naturkräften und –Gesetzen zuzuschreiben. Dafür ist keine ewig eingreifende Gottheit notwendig.

Aber auch im Jainismus ereilte den Gründer Mahavira das gleiche Schicksal wie Buddha. Beide werden als Götter verehrt und angebetet. Später kamen noch ein paar weitere Götter, bzw. die früheren Inkarnationen des Mahavira dazu. Anscheinend vertrug das geistige Klima Indiens keinen bleibenden naturalistischen Glauben. Aber die Zeiten ändern sich. Die wissenschaftliche Denkmethodik setzt sich mehr und mehr durch. Die Veränderungen werden schneller kommen, als wir denken.

Ist das nur ein Wunschdenken?  Schon möglich.

 

V. J. Patel

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