Kritische Anmerkungen zur Entstehung, Geschichte und heutigen Legitimation
des Papsttums
von
Gerhard Czermak
1. Einleitung
Das Papsttum ist eine der
interessantesten Erscheinungen der Weltgeschichte. Seine Entwicklung aus
bescheidenen Anfängen bis zur heutigen unumschränkten Machtfülle
innerhalb der katholischen Kirche ist außerordentlich. Betrachtet man die
Geschichte dieser ältesten Wahlmonarchie der Welt mit 260-270 Regenten in
Folge (Frage der Gegenpäpste) bis zur Gegenwart unter dem Blickwinkel von
Grundforderungen einer allgemein anerkannten Ethik (Friedensarbeit,
Wahrhaftigkeit, Fairness im Umgang mit Andersdenkenden) und der Frage nach
erkennbaren positiven Auswirkungen auf den Katholizismus und das
Christentum überhaupt oder gar auf das Weltgeschehen, so kann es bei
rationaler Nüchternheit nur erstaunen, wie sehr das P. auch heute Ansehen
im interreligiösen Dialog und in der internationalen Politik genießt.
2.
Das Papstamt im heutigen Kirchenrecht
Über
das Papstamt sagt der Codex Iuris Canonici von 1983, das
Gesetzbuch der röm.-kath. Kirche, folgendes (Hervorh. Cz):
Can. 331 — Der Bischof der Kirche von Rom, in dem das vom
Herrn einzig dem Petrus, dem Ersten der Apostel, übertragene und seinen
Nachfolgern zu vermittelnde Amt fortdauert, ist Haupt des
Bischofskollegiums, Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche
hier auf Erden; deshalb verfügt er kraft seines Amtes in der Kirche
über höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt,
die er immer frei ausüben kann.
Can. 333 — § 2. Der Papst steht bei Ausübung seines
Amtes als oberster Hirte der Kirche stets in Gemeinschaft mit den übrigen
Bischöfen, ja sogar mit der ganzen Kirche; er hat aber das Recht,
entsprechend den Erfordernissen der Kirche darüber zu bestimmen, ob er
dieses Amt persönlich oder im kollegialen Verbund ausübt. § 3. Gegen
ein Urteil oder ein Dekret des Papstes gibt es weder Berufung noch
Beschwerde.
Can. 749 — § 1. Unfehlbarkeit im Lehramt besitzt
kraft seines Amtes der Papst, wann immer er als oberster Hirt und Lehrer
aller Gläubigen, dessen Aufgabe es ist, seine Brüder im Glauben zu stärken,
eine Glaubens- oder Sittenlehre definitiv als verpflichtend verkündet...§
3. Als unfehlbar definiert ist eine Lehre nur anzusehen, wenn dies
offensichtlich feststeht.
Der
Papst hat somit absolute diktatorische Vollmachten und ist
letztlich nicht an Gesetze und Gremien (etwa Organe der Kurie) gebunden.
Zu keinem historischen Zeitpunkt vor dem völlig revolutionären und
irregulär verlaufenen 1. Vat. Konzil von 1869/ 1870 war der Papst mit
einer solchen universalen Machtfülle und Durchsetzungskraft ausgestattet
wie heute.
3.
Neues Testament und Vorgeschichte des Papstamts
Nach
kath. Lehre hat Jesus Christus selbst und somit Gott das Papstamt
eingesetzt. Inhaber des ersten Papstamtes soll als Bischof von Rom der
Apostel Petrus gewesen sein. Nach traditioneller kath. Auffassung sollen
seit Petrus alle Päpste in ununterbrochener „apostolischer Sukzession“
bis heute gewirkt haben. Diese historisch völlig illusionäre, aber immer
noch wirkmächtige Lehre findet sich selbst im sehr traditionellen, vom
Papst genehmigten Weltkatechismus von 1993 in dieser strikten Form nicht
mehr. Biblische Hauptfundstelle für das Papstamt ist Mt 16,18 f. : „Ich
aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine
Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt [früher: Hölle] werden sie
nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben;
was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und
was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.“
Kritisch
ist hierzu anzumerken: Die Bibelworte sind schon deshalb unecht (was
weitgehend auch von katholischen Neutestamentlern anerkannt ist), weil der
Jude Jesus keine Kirche gegründet hat. Er sprach vom Reich Gottes und nie
von so etwas wie Kirche. Die Gründung einer neuen Glaubensgemeinschaft wäre
völlig im Widerspruch zu seiner (laut Neuem Testament, NT) Erwartung des
unmittelbar bevorstehenden Weltendes gewesen. Nur dies erklärt übrigens
auch, warum dem NT kein System einer Jesuanischen Ethik entnommen werden
kann, die auch Zukunftsprobleme behandelt. Die These von Petrus als erstem
Papst ist eine freie spätere Erfindung. Es ist nicht einmal ansatzweise
belegt, dass Petrus überhaupt in Rom war. Die Heidenmission hatte der
Judenapostel Petrus seinem Gegner Paulus überlassen. Römischer
Bischof konnte Petrus auch deswegen nicht sein, weil das sich in Syrien
und Kleinasien ausbildende Bischofsamt erst Mitte des 2. Jh. nach Rom kam.
Bischöfe waren erst Unter- dann Gleich- und schließlich Übergeordnete
im Verhältnis zu anderen Gemeindeämtern. Die Legende von Petrus und
Paulus als Gemeindegründer in Rom datiert um 170. Erst im 3. Jh. sprach
man vom Stuhl Petri, dessen Autorität aber noch nicht über der anderer
Bischöfe lag. Trotzdem erstreckt sich heute die römische Bischofsliste
von Petrus bis Johannes Paul II. Die älteste römische
Bischofsliste stammt vom Kirchenvater Irenäus aus Lyon (ca. 180-185). Die
erste verbürgte Primatsbehauptung eines römischen Bischofs stammt aus
dem 3. Jh. Im römischen Ostreich sprach man längst Patriarchen, Bischöfe
und Äbte als „pappas“ (gr.) gleich Vater an, während der Titel „papa“
in Rom erst Mitte des 4. Jh. belegt ist. Die bedeutenden Theologen Cyprian
und Origenes schrieben dem römischen Bischof im 3. Jh. keinen
hierarchischen Status zu, und auch der Kirchenlehrer Ambrosius
(333/339-397), Bischof von Mailand, die führende Gestalt seines
Zeitalters, tat das nicht. Das für die christlichen Kirchen grundlegende
und als erstes „Ökumenisches Konzil“ anerkannte Konzil von Nicäa
im Jahr 325 wurde bezeichnenderweise nicht vom römischen Bischof
Silvester I. einberufen, sondern von Kaiser Konstantin (dem „Großen“),
einem mordlüsternen Gewaltherrscher ersten Ranges (In der Orthodoxie wird
er, der erst am Lebensende und nur arianisch Getaufte, als Heiliger
verehrt). Das Konzil ging nicht von einem Primat des röm. Bischofs aus,
der übrigens nur durch zwei Presbyter vertreten war. Die Leitung und das
Sagen hatte allein der Kaiser durch seine Beauftragte, und der Kaiser
schloss es und bestätigte die theologisch wichtigen Ergebnisse durch
Reichsgesetz. Der Kaiser und nicht der Papst dominierte auch die folgenden
Konzilien.
4.
Etablierung und allgemeine historische Bedeutung des Papsttums
Im
Westen blieb im machtpolitischen Ringen schließlich der Papst als höchste
geistliche Kircheninstanz übrig. Seit Leo I. (440-461) verstehen sich die
Päpste ausdrücklich als höchste Richter aller Christen, oberste
Kirchenverwalter und Inhaber des höchsten Lehramts, was aber (im
Gegensatz zu heute) vielfach ein bloßer Anspruch blieb. Einen
gleichartigen Anspruch erhoben auch die Patriarchen von Byzanz für die
Ostkirche Von Unfehlbarkeit war nirgendwo die Rede. In der Spätphase
Westroms (Untergang 476) stieg die politisch-einigende Funktion des
Papsttums, im 13. Jh. war es auf dem Höhepunkt seiner auch politischen
Macht. Schon im 4. Jh. erhob die Papstkirche den Anspruch auf Freiheit von
staatlicher Bevormundung, und das Jahrhunderte lange Ringen zwischen
der weltlichen und geistlichen Gewalt um die Oberhoheit innerhalb der
einen (westlichen) Christenheit ist eine wichtige Besonderheit der europäischen
Entwicklung. Im mittelalterlichen Kampf zwischen Kaiser und Papst
(Investiturstreit) fand es seinen Höhepunkt. Der Gedanke der Trennung
zwischen Staat und Kirche blieb bis heute ein die Entwicklung Europas prägender
Zug, der Stellenwert des Papsttums aber recht unterschiedlich. Auf
Machteinbußen reagierten Päpste oft besonders allergisch. Obwohl nach
den riesigen Verwüstungen des 30-jährigen Krieges der Westfälische
Friede von 1648 dem total erschöpften, ausgemordeten und dezimierten
Europa endlich eine Verschnaufpause verschaffte, erklärte Papst Innozenz
(das bedeutet: der Unschuldige) X. ihn für null und nichtig für alle
Zeit, waren doch den Protestanten Rechte zuerkannt worden. Die französische
Erklärung der Menschenrechte von 1789 verdammte Pius VI., selbst
Oberhaupt eines weltlichen Staats, nämlich des bekanntlich mit Hilfe großer
historischer Fälschungen begründeten und erweiterten Kirchenstaats. Könne
es doch, so Pius VI., nichts Unsinnigeres geben als Religionsfreiheit,
Rede- und Pressefreiheit u. a. Traumatisch wirkte die 1798 erfolgte
Besetzung Roms und Absetzung des Papstes durch Napoleon nach.
Das
ganze 19. Jh. widersetzten sich die Päpste allen modernen Strömungen,
insb. Freiheit und Demokratie, mehr als alle anderen europäischen
Staaten. Einzigartig sowohl nach Inhalt wie Zustandekommen sind die beiden
Dogmen des 1. Vat. Konzils: päpstliche Unfehlbarkeit in Glaubens – und
Sittenfragen und „Jurisdiktionsprimat“ (vgl. die CIC-Zitate eingangs).
Auch im 20. Jh. war das Papsttum lange ein Hort der Reaktion, bis das II.
Vat. Konzil in verschiedener Hinsicht eine fundamentale Kehrtwendung
einleitete.
5.
Beurteilungsgesichtspunkte
Das
P. und seine Geschichte können unter vielen Gesichtspunkten behandelt
werden. Das P. übt auch auf Nichtkatholiken eine große Faszination aus,
wie auch die Zahl mehrbändiger großer Werke deutscher Sprache beweist.
Die Zahl der Bewunderer des P. ist groß. Aber Bewunderung ist für eine
auf Tatsachen basierende Beurteilung ebenso wenig hilfreich wie Liebe oder
Hass. Wer die Kirche als fortwirkenden Christus betrachtet und sie vom
Heiligen Geist geleitet sieht, wird zwangsläufig große Teile der
Geschichte des P. ignorieren oder umbiegen müssen. Eine wissenschaftlich
orientierte Darstellung muss immer von einem agnostischen Standpunkt
an ihren Gegenstand herangehen. Wenn dann die Ergebnisse wegen der
festgestellten Tatsachen unerfreulich sind, ist es nicht angebracht, den
jeweiligen Autoren den Vorwurf zu machen, sie produzierten „Anwurf- und
Vorwurfliteratur“, wie es Horst Fuhrmann gegenüber Autoren wie
Karlheinz Deschner und Eugen Drewermann tut. Angesichts unzähliger beschönigender
Historien ist es nur allzu legitim, wenn auch speziell diejenigen ungünstigen
Fakten zur Sprache kommen, die gern verdrängt werden, was im praktischen
Ergebnis vielfach faustdicken Lügen gleichkommt.
6.
Historisch-kritische Aspekte des Papsttums
Die
Päpste waren Herrscher wie alle anderen weltlichen Herrscher auch.
Sie kamen oft auf fragwürdige Weise als Ergebnis weltlicher Machtkämpfe
und politischer Konstellationen an die Macht und führten nicht weniger
ungerechte Kriege als andere Herrscher. Es gab viele hochgebildete Päpste.
Viele Päpste förderten Kunst und Wissenschaft. Manche galten als sehr
fromm und wollten Reformen. Aber es waren auch Päpste, die wesentlich für
viel Unheil verantwortlich oder mitverantwortlich waren, insb. für eine
systematische Verfolgungs- und Vernichtungspolitik gegenüber
„Ketzern“, den Juden und „Heiden“, z. T. völkermordähnlichen
Ausmaßes. Groß ist die Zahl der großen und kleineren Kreuzzüge.
Päpste führten die Folter ein, riefen zur Hexenverfolgung
auf, waren verantwortlich oder mitverantwortlich für die Schrecken der römischen
bzw. spanischen Inquisition, übten Zensur aus. Sie verboten
sogar Weltliteratur, einschließlich der Bibel. Jahrhunderte lang behinderten
sie (bei gleichzeitig partieller Wissenschaftspflege) den
wissenschaftlichen Fortschritt, erniedrigten Frauen, führten
ohne Glaubensgründe den naturwidrigen Zölibat ein, unterdrückten
Menschen durch ihre rigide Reglementierung der Sexualität. Mission
betrieben sie auch mit Gewalt, bereicherten die Musik durch den
Gesang von Kastraten, schlugen sich meist auf die Seite der Mächtigen,
verbreiteten millionenfach existenzielle Ängste durch Androhung
apokalyptischer Höllenstrafen, bekämpften die Menschenrechte
einschließlich der Religionsfreiheit bis zum letztmöglichen historischen
Zeitpunkt, bekämpfen auch heute angesichts des drohenden Kollapses der
explodierenden Menschheit jede vernünftige Geburtenkontrolle.
7.
Menschliche Defizite
Päpste waren gebildet
und ungebildet, liebenswürdig und grobschlächtig, theologisch beschlagen
und theologisch unwissend. Manche Päpste kümmerten sich sehr um Ordnung
in der Kirche und um Reformen. Nicht wenige waren auch Asketen und religiöse
Fanatiker und Prediger des irdischen Jammertals. Es gab sehr viele Päpste
mit Eigenschaften, die allgemein anerkannten ethischen
Mindestanforderungen oder Anforderungen des Amtes nicht genügten:
besonders viele huldigten dem Nepotismus (Vetternwirtschaft) und dem
Familiarismus (persönliche Protegierung, Günstlingswirtschaft), sie frönten
dem Luxus, waren geldgierig, verschacherten Kirchenämter, waren
bestechlich, unternahmen nichts gegen riesige Finanzskandale, förderten
den Reliquienschwindel. Andere Päpste waren abergläubisch, huldigten der
Astrologie, hielten sich Mätressen, veranstalteten ausnahmsweise sogar
große sexuelle Ausschweifungen. Es gab auch Papstwahlexzesse. Päpste begünstigten
Verbrechen und es gab auch Päpste, die persönlich grausam bzw.
unmittelbar für Morde verantwortlich waren. Alle faschistischen Regime
wurden vom Papst (Pius XI. bzw. Pius XII.) unterstützt und die
Verwicklung der papstgeleiteten Kirche in die Abgründe des
Nationalsozialismus war enorm.
8.
Judenfeindschaft und Heilige Kirche
Zwei
Gesichtspunkte wiegen besonders schwer. Einer ist die durchgängige Judenfeindschaft
der allermeisten und der brutale, ja z. T. unvorstellbare Judenhass vieler
Päpste, von den Anfängen bis auch Pius XII. Der Judenhasser und Feind
der Moderne Pius IX. (1846-1878), der seinerzeit das gebildete Europa
gegen sich aufbrachte und die theologische Katastrophe des 1.
Vatikanischen Konzils zu verantworten hatte, wurde vom „Judenfreund“
Johannes Paul II. 2000 selig gesprochen, zusammen mit dem so ziemlich einzigen
allgemein unumstrittenen Menschenfreund Papst Johannes XXIII. 1867 hatte
Pius IX. seinerseits den berüchtigten, 1485 ermordeten Inquisitor Pedro
Arbuez von der Spanischen Inquisition heilig gesprochen. Aber ungeachtet
obiger Tatbestände legt der Vatikan heute noch großen Wert auf die
offizielle Papstanrede „Eure Heiligkeit“ oder „Heiliger Vater“.
Nach kirchlichem Verständnis bezieht sich die Heiligkeit des Papstes, des
Stellvertreters Jesu, auf das Amt, nicht auf die Person. Und an der
Heiligkeit der Kirche lässt dieselbe nicht rütteln: Die Kirche ist
„unzerstörbar heilig“, wobei „Seele der Heiligkeit“ die Liebe ist
(KKK Nr. 823 und 826).
9.
Heutige internationale Stellung des Papsttums
Der
„Heilige Stuhl“, die Zentrale der katholischen Glaubensgemeinschaft,
wird traditionell, aber systemwidrig neben dem von ihm zu unterscheidenden
Vatikanstaat sogar als Völkerrechtssubjekt anerkannt, ein weltweit
einzigartiges, sachlich nicht begründbares historisches Privileg.
Auch wird „Rom“ nach wie vor erfolgreich als vorbildliche sittliche
Macht ausgegeben. 1957 ersetzten die UN die Bezeichnung „Vatikanstaat“
durch „Heiliger Stuhl“ und räumten diesem den Status als Ständiger
Beobachter ein. Daher hat der „Heilige Stuhl“ – obwohl kein Staat,
sondern religiöse Instanz – im Gegensatz zu allen anderen Religionen
staatsgleiche Privilegien wie Rede- und Stimmrecht bei UN-Konferenzen. Die
Rolle des P. in Bezug auf die Weltbevölkerungsexplosion, der stärksten
Bedrohung der Menschheit, kann nur als verhängnisvoll bezeichnet werden.
Trotz häufigem Unverständnis für päpstliches Wirken auch innerhalb des
Katholizismus erfährt das heutige P. nach wie vor überwiegend positive,
jedenfalls besondere Resonanz in unseren Medien. Das wachsweiche
Schuldeingeständnis des Papstes zu historischen Verbrechen im kirchlichen
Bereich nach 2000 Jahren aus dem Jubeljahr 2000 trägt zur Verharmlosung
und Verschleierung historischer Tatsachen bei und erweist sich als
publizistischer Entlastungsschlag. Das breite Publikum bleibt trotz
Teilaufklärung zu Einzelthemen und zahlreicher auch kritischer Literatur
weitgehend unaufgeklärt.
10.
Schlussbemerkungen
Zu
einzelnen Päpsten, auch zu diversen positiven Persönlichkeiten (weit
herausragend: Johannes XXIII.) bzw. kulturellen Leistungen, kann im Rahmen
einer kritischen Kurzeinführung in die Institution des Papsttums
nicht Stellung genommen werden. Andere haben das zur Genüge getan. Dass
katholische Kirchenhistoriker die Papstgeschichte in einem anderen Licht
sehen und vieles unter den Tisch fallen lassen, ist bekannt. Anlässlich
des nur kurz zurückliegenden Todes von Papst Johannes Paul II. sei nur so
viel gesagt: Person und Wirkung des am 2. 4. 2005 verstorbenen Johannes
Paul II. sind zu komplex, um in Kurzform gerecht und angemessen bewertet
zu werden. Folgende Gesichtspunkte seien aber erwähnt: Wohl unstreitig
positiv zu vermerken sind: Menschliche Wärme, persönliche Ausstrahlung,
Kritik an den Auswüchsen des Kapitalismus; Bekenntnis zu historischen
Verfehlungen; bedeutsame symbolische Gesten und Taten gegenüber dem
Judentum; die politische Rolle im Zusammenhang der Auflösung des
Ostblocks; deutliche Ablehnung des Irakkriegs; der beginnende interreligiöse
Dialog; aus speziell kirchlicher Sicht: das Zusammenhalten der Weltkirche.
Nicht zu übersehen sind aber aus inner- bzw. außerkirchlicher Sicht
Problempunkte, die derzeit z. T. völlig übersehen werden: Zu nennen sind
nicht nur rigoroses Festhalten an Zölibat und Fernhalten der Frauen von
kirchlichen Leitungsämtern sowie Festhalten an der tradierten
Sexualmoral, die rigide Zurückweisung kritischer Nonnen, die milde
Behandlung von sexuellen Verfehlungen der Priesterschaft. Schon fast
vergessen sind demgegenüber der rigide Kampf gegen die sog.
Befreiungstheologie, auch mit kirchenrechtlich fragwürdigen Methoden, die
Behandlung von Lehrbeanstandungsfällen, von geschiedenen Katholiken und
verheirateten Priestern; die vorzeitige Heiligsprechung des religiösen
Fanatikers, totalitär denkenden und handelnden Opus-Dei-Gründers Josemaría
Escrivá de Balaguer, die massive Privilegierung des demokratiefeindlichen
Opus Dei auf verschiedenen Ebenen, der unkritische Umgang mit
diktatorischen Regimen und Potentaten; die Duldung großer kirchlicher
Finanzskandale und anderes. Weltpolitisch steht die starke Behinderung
jeder vernünftigen Eindämmung der Bevölkerungsexplosion im Vordergrund.
Anlässlich der allseitigen Lobeshymnen nach dem Tod dieses beliebten und
verehrten Papstes dürfen legitimerweise auch diese Kritikpunkte
ausgesprochen werden. Dem Pontifikat von Johannes Paul II. kann daher aus
nichtkatholischer Sicht wohl günstigstenfalls nur das Prädikat „zwiespältig“
verliehen werden. Der weitere Fortgang der Papstgeschichte dürfte
weiterhin spannend sein.
Literatur:
Andresen,
Carl/ Denzler, Georg: Wörterbuch der Kirchengeschichte, München (dtv),
Erstausgabe 1982, mehr. Auflagen
Bernhart.
Joseph: Der Vatikan als Weltmacht. Geschichte und Gestalt des Papsttums. München
1951
Cornwell, John: Pius XII. Der
Papst, der geschwiegen hat, München 1999, 560 S. ; als TB 2001
Denzler,
Georg: Das Papsttum, München 1997, 127 S. (konzentrierter Überblick)
Denzler,
Georg (Hg.): Päpste und Papsttum, Stuttgart, 1971 ff. (viele Bände,
monumental)
Deschner,
Karlheinz: Kriminalgeschichte des Christentums, Reinbek 1996 ff. (zuletzt:
Bd. 8, 15. und 16. Jh., 2004; umfangr. dokumentiertes krit. Standardwerk;
wird gern ignoriert)
Deschner,
Karlheinz: Die Politik der Päpste im 20. Jahrhundert, Reinbek 1991 (umfangr.;
besonders brisant)
v.
Döllinger, Ignaz: Das Papsttum, Darmstadt 1969 (D. war bedeutendster
kath. Kirchenhistoriker des 19. Jh.)
Fuhrmann,
Horst: Die Päpste. Von Petrus zu Johannes Paul II. München 1998
(anschaulich; wenig kritikfreudig)
Gontard, Friedrich: Die Päpste – Regenten zwischen
Himmel und Hölle. Wien/ München 1959
Haller,
Johannes: Das Papsttum – Idee und Wirklichkeit, 5 Bde., Hamburg 1965, ND
(berühmt-klass. Werk eines Protestanten, endet mit Joh. XX., gest. 1334)
v.
Hoensbroech, Paul: Das Papsttum in seiner sozial-kulturellen Wirksamkeit,
1905
Kertzer,
David I.: Die Päpste gegen die Juden. Der Vatikan und die Entstehung des
modernen Antisemitismus. Berlin/ München 2001(erschütternde Darst. unter
Auswertung neu zugänglicher Quellen des vat. Geheimarchivs)
Kühner,
Hans: Das Imperium der Päpste, 1980 (schonungslose Darstellung eines
Katholiken)
de
Rosa, Peter: Gottes erste Diener. Die dunkle Seite des Papsttums. München
1988; TB-Ausgaben (populäre Darstellung eines krit. kath. Theologen)
Katechismus der Katholischen Kirche, 1993 (zit. KKK)
Gerhard Czermak
7. 4./9.4. 2005 © Dr.
jur. Gerhard Czermak, Bgm.-Ebner Str. 33, 86316 Friedberg
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