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Agnostizismus [griech] - Name für erkenntnistheoretische Lehren, die das Wesen des jeweiligen Erkenntnisgegenstandes und in letzter Instanz das der objektiven Realität für unerkennbar erklären.

LENIN definiert wie folgt: „Agnostiker ist ein griechisches Wort: a bedeutet griechisch nicht, gnosis - Wissen. Der Agnostiker sagt: Ich weiß nicht, ob es eine objektive Realität gibt, die durch unsere Empfindungen widergespiegelt, abgebildet wird, ich erkläre, dass es unmöglich ist, dies zu wissen ...“

„Agnostizismus“ wird das erstemal von HUXLEY als Gegensatz zu „Gnostizismus“ gebraucht.

Der Sache nach ist die Erkenntnistheorie HUMES, wenn man von den agnostischen Momenten in den Lehren der altgriechischen Sophisten und Skeptiker absieht, der erste ausgeprägte Agnostizismus. HUME gründet seine Erkenntnistheorie auf die Behauptung, dass dem Verstand nie etwas anderes gegenwärtig sei als Impressionen. Aus diesem Grunde sei die Existenz materieller Dinge außerhalb des Bewusstseins, die objektive Realität überhaupt, nichts weiter als eine Annahme, die sich aus Gewohnheit herleite. Hieraus ergebe sich - theoretisch - die Nichtexistenz der materiellen Dinge und damit zugleich ihre Nichterkennbarkeit.

Im Anschluß an HUMES haben im 19. Jahrhundert HUXLEY, MILL, SPENCER agnostizistische Erkenntnistheorien ausgebildet.

Eine weitere Gestalt des Agnostizismus entwickelte KANT mit seiner Lehre vom Ding an sich. KANT geht von der These aus: die Erkenntnis erfasst nur Erscheinungen und nicht Dinge an sich, der Erkenntnis zugänglich (erkennbar) sind nur die Erscheinungen von Dingen, die Dinge, wie sie an sich selber sind, bleiben ihr dagegen unzugänglich (unerkennbar). „Die transzendentale Analytik hat demnach dieses wichtige Resultat: dass der Verstand a priori niemals mehr leisten könne, als die Form einer möglichen Erfahrung überhaupt zu antizipieren, und, da dasjenige, was nicht Erscheinung ist, kein Gegenstand der Erfahrung sein kann: dass er die Schranken der Sinnlichkeit, innerhalb denen uns allein Gegenstände gegeben werden, niemals überschreiten könne“. Das Wissen von einem Gegenstand kann so - nach KANT - immer nur ein Wissen darüber sein, wie uns der Gegenstand in der Empfindung als Erscheinung gegeben wird, niemals ein Wissen vom Gegenstand selber.

Die Leugnung der Erkennbarkeit der Dinge an sich schließt für KANT jedoch nicht ihre Nichtexistenz ein. Im Gegenteil. „Es folgt natürlicherweise aus dem Begriff einer Erscheinung überhaupt, dass ihr etwas entsprechen müsse, was an sich nicht Erscheinung ist, weil Erscheinung nichts für sich selbst und außer unserer Vorstellungsart sein kann, mithin das Wort Erscheinung schon eine Beziehung auf etwas anzeigt, dessen un­mittelbare Vorstellung zwar sinnlich ist, was aber an sich selbst, auch ohne diese Beschaffen­heit unserer Sinnlichkeit, etwas, d.as ein von der Sinnlichkeit unabhängiger Gegenstand sein muss“. Diesen von der Sinnlichkeit unabhängigen Gegenstand nennt KANT Ding an sich.

Mit dem Begriff „Ding an sich“ will KANT die Grenze der menschlichen Erkenntnis markieren. Der Begriff eines Dinges, „welches gar nicht als Gegenstand der Dinge, sondern als ein Ding an sich selbst, lediglich durch einen reinen Verstand gedacht werden soll“, ist ein notwendiger Begriff, „um die sinnliche Anschauung nicht bis über die Dinge an sich selbst auszudehnen, und also, um die objektive Gültigkeit der sinnlichen Erkenntnis einzuschränken“.

Indem KANT davon ausgeht, dass die menschliche Erkenntnis nur Erscheinungen erfassen kann und nicht die Dinge, wie sie an sich selber sind, gibt er seiner Erkenntnistheorie die Gestalt des Agnostizismus.

Eine umfassende Einschätzung und Kritik des Agnostizismus gaben ENGELS in Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft und Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie und LENIN in Materialismus und Empiriokritizismus.

ENGELS und LENIN weisen in ihrer Kritik vor allem darauf hin, dass mit erkenntnistheoretischen Mitteln allein dem Agnostizismus nicht beizukommen ist, sondern die Praxis als das entscheidende Kriterium der Wahrheit zu seiner Widerlegung ins Spiel gebracht werden muss. „Die schlagendste Widerlegung (des Agnostizismus) ist die Praxis ... Wenn wir die Richtigkeit unsrer Auffassung eines Naturvorgangs beweisen können, indem wir ihn selbst machen, ihn aus seinen Bedingungen erzeugen, ihn obendrein unsern Zwecken dienstbar werden lassen, so ist es mit dem Kantschen unfassbaren ,Ding an sich' zu Ende“ Indem der Mensch seine Erkenntnisse in Technik, Industrie, Wissenschaft, nicht zuletzt im gesellschaftlichen Leben erfolgreich anwendet, werden sie von der Praxis bestätigt, wodurch zugleich bewiesen wird, dass es sich um Erkenntnisse handelt, die das Wesen des jeweiligen Erkenntnisgegenstandes widerspiegeln.

Der Agnostizismus HUMES und KANTS resultiert weitgehend aus dem Entwicklungsstand der Wissenschaft ihrer Zeit und ist von diesem her historisch zu verstehen und zu erklären. Wenn jedoch seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart angesichts der immensen Fortschritte, die die Wissenschaft seit der Zeit HUMES und KANTS gemacht hat, innerhalb der bürgerlichen Philosophie immer wieder Versuche unternommen werden, den Agnostizismus als ernsthafte erkenntnistheoretische Lehre neu zu beleben, so wird dabei etwas übersehen, dass in den Naturwissenschaften durch sehr unterschiedliche Beobachtungs- und Messmethoden eines Phänomens sowie der  Widerspruchsfreiheit und des axomatischen Aufbaus der Theorien die zweifellos vorhandene Subjektivität menschlicher Impressionen objektiviert wird.