Materialien zum Ethikunterricht
Nürnbergs Weg ins Zeitalter der Aufklärung
Humanismus - Reformation –
Kirchenkritik -
Freies Denken
an der Schwelle der Neuzeit
Vortrag
von
Helmut
Steuerwald
Fürth,
8. Juli 2010
Inhalt
Renaissance-Humanismus, Widerstand gegen das Papsttum,
Reformation
Der Aufstand der Bauern und der neue Glaube
Neue humanistische Gedanken im Zeitalter der Reformation
Nürnberg bedeutendes Zentrum am Übergang zur Neuzeit
Nürnberg in den Jahren der Reformation
Kritische Positionen im reformierten Nürnberg
Herzlichen
Dank an Kurt Wild für Lektorat und Durchsicht
Es
geht hier einesteils um allgemeine Fragen aus der Geschichte, andernteils um
recht spezielle des fränkischen Raumes. Wir wollen betrachten, wie es zur
Entwicklung des Humanismus und freieren Denkens am Ende des Mittelalters und zu
Beginn der Neuzeit kam. Dabei werde ich insbesondere auf den fränkischen Raum
und hier speziell auf Nürnberg eingehen.
Das
Mittelalter
Man kann davon
ausgehen, dass das oft finster genannte Mittelalter das Abendland kulturell
gegenüber dem klassischen Altertum sehr zurückgeworfen hat. Dadurch, dass das
Christentum die Macht über weite Teile Europas übernommen hatte, wurden
vorchristliche kulturelle Errungenschaften weitgehend beseitigt. Vorchristliche
religiöse, wissenschaftliche, philosophische Ansichten wurden unterdrückt,
Tempel wurden zerstört, Anlagen vernichtet, Bibliotheken verbrannt oder auch
das Lesen nichtchristlicher Texte verboten. Von den kirchlichen Vorstellungen
abweichende Meinungen wurden ebenfalls schärfstens verfolgt. Dies geschah
bereits seit dem ersten Konzil von Nicäa im Jahre 325, wo man bereits den
Besitz von Schriften des „Häretikers“ Arius unter Todesstrafe stellte.
Aber, vor allem die heidnische Gedankenwelt sollte ausgelöscht werden. „Im
Kampf gegen heidnische Anschauungen haben im Jahre 390 Christen die berühmte
Serapeion-Bibliothek in Alexandria, die 200 000 Schriftrollen enthielt, in Brand
gesteckt, die berühmteste und größte Schriftensammlung der damaligen Welt.
Ein unermesslicher Verlust hinsichtlich der Kultur des Altertums! Man schleifte
Bibliothek und Tempel und baute Kirchen darauf.“[i]
Der
Absolutheitsanspruch der Kirche war grenzenlos, und dies fand seinen
Niederschlag auch auf kulturellem Gebiet. Engstirniges, fanatisches Denken war
kennzeichnend für die Haltung der Kirche. Das hohe Wissen, die hohe Kultur des
klassischen Altertums wurde während des ganzen Mittelalters als ketzerisch
abgelehnt, ausgenommen natürlich einige philosophische Schriften, die zum
Weltbild des Christentums passten, so bestimmte Texte von Platon. Später, unter
dem Einfluss der Araber, wurde mehr Aristoteles vereinnahmt, besonders seit
Thomas von Aquin – doch da zeigen sich schon Vorboten der Neuzeit. Natürlich
gab es in der Gelehrtenwelt auch Abweichler, aber diese wurden, wenn sie bekannt
wurden, häufig als Ketzer verfolgt.
Ende des 11.
Jahrhunderts begannen die ersten Kreuzzüge. Man wollte angeblich Jerusalem vom
Islam befreien, wobei eindeutig Wirtschafts- und Politikinteressen der Kirche im
Mittelpunkt standen. Die Kreuzzüge dauerten bis Ende des 14. Jahrhunderts.
Das
spätmittelalterliche Europa war gekennzeichnet von Willkürherrschaft, von
Korruption sowohl geistlicher wie weltlicher Herrscher. „Von der Mitte des 11.
Jahrhunderts an beriefen sich die Päpste bis zum Spätmittelalter nunmehr
regelmäßig auf die Konstantinische Schenkung, sowohl zur Begründung
territorialer Forderungen als auch im Konflikt mit den Patriarchen von
Konstantinopel.“[ii]
Die Kirche in Rom wollte immer mehr Macht ausüben und argumentierte mit dieser
Schenkung. Gemäß dieser Zuwendung Konstantins des Großen würde der Kirche
vor allem das ganze westliche Römische Reich gehören. Bei dieser um das Jahr
800 gefälschten Urkunde handelt sich um eine der schlimmsten und
bedeutungsvollsten Fälschungen der Geschichte!
Dass
es sich bei der Urkunde um eine Fälschung handelt, wurde von skeptischer Seite
vermutet, doch erst der berühmte kritische Theologe Nikolaus von Kues
(1401-1464) und der große italienische Humanist Lorenzo Valla (1407-1457)
wiesen 1433 bzw. 1440 nach, dass es sich eindeutig um eine Fälschung handelt.
Die Kirche selbst war allerdings erst im 19. Jahrhundert bereit zuzugeben, dass
es sich dabei um einen Betrug gehandelt hatte.
Lorenzo
Valla wurde wegen seiner Aussagen von der Inquisition wegen Häresie angeklagt.
Er hatte aber mächtige Protektoren und es geschah ihm nichts. Valla wurde auch
bekannt, weil er viele griechische philosophische Texte übersetzte, unter
anderem sogar solche von Epikur.
Das Mittelalter war
eben trotz alledem nicht so finster, wie man es uns gelegentlich nahe legt. Es
gab neue Ideen und auch viel Widerstand gegen die Kirche, doch in den
“offiziellen“ Geschichtsbüchern der Vergangenheit las man nur wenig darüber.
Widerstand gab es vor allem gegen das Papsttum wegen seiner Machtbesessenheit
und seiner weltlichen Ansprüche. Es gab auch stets Bewegungen, vom offiziellen
katholischen Glauben wegzukommen. So kämpfte das Papsttum im Innern des
christlichen Abendlandes gegen Abtrünnige, etwa ab dem 10. Jh. z. B. gegen die
Bogomilen in Südosteuropa. Aber auch bei uns in Deutschland gab es Widerstand,
z.B. vom 13. Jh. an durch die Stedinger Bauern (1204-1234): Ihr Ruf “Lever dod
as slov“ ist ja bis heute bekannt. In ihrem Kampf gegen den Erzbischof und
andere Herren wehrten sie sich gegen Abgaben wie den Zehnt und
Freiheitsverluste. Erst in einem Kreuzzug konnten sie besiegt werden. Besonders
schlimm war aber der Kampf des Papsttums gegen die Katharer, gegen die
Albigenser in Südfrankreich und Norditalien, die für ein ursprüngliches
Christentum eintraten und den Papst ablehnten. Ja, man führte mehrere
vernichtende Kreuzzüge gegen sie.
Das späte
Mittelalter war gekennzeichnet von Kriegen und Kämpfen gegen Muslime, Juden,
christliche Abweichler, aber auch durch Kämpfe innerhalb der Hierarchie der
Kirche selbst. Es kam die Zeit der Gegenpäpste, so in Avignon (1309 bis 1417).
Und natürlich gab es auch Kämpfe gegen die Konkurrenz aus dem weltlichen
Lager.
In
der arabischen Welt, die sich bis weit in den Norden Spaniens ausgebreitet
hatte, gab es in dieser Zeit zum Teil eine hohe Kultur. Ein aufgeschlossener
Islam, wie er zeitweise u. a. in Bagdad, Samarkand, dann in Nordafrika oder Südspanien
herrschte, brachte kulturell vieles weiter, war kritischer und aufgeschlossener
als das starr gewordene christliche Abendland. Aufgeschlossene Kräfte des Islam
hatten an die Antike angeknüpft, hatten sich mit der Philosophie, mit den
Erkenntnissen der Antike beschäftigt, diese weiter entwickelt und neu
gestaltet. Auch sie wurden damals, übrigens von fanatischen islamischen Kräften,
bekämpft und verfolgt. Aber ihre Ideen, Gedanken, Werke waren da und übten
Einfluss aus. Das Wissen der aufgeschlossenen Mathematiker, Ärzte, Philosophen
u.a. aus der arabischen Welt hat hat gerade in Südspanien das Judentum und dann
zusätzlich das ganze christliche Abendland beeinflußt.
In
der arabischen Welt gab es auch Bewegungen, welche allgemein von Religion wenig
hielten, so bei der häretischen Bewegung der Karmaten. Auch die später im
Christentum, am Beginn der Aufklärung verbreitete Ansicht über die „Drei
Betrüger Moses, Jesus und Mohammed“, dürfte ihren Ursprung in der arabischen
Welt gehabt haben.[iii]
Unabhängig
davon haben Erkenntnisse der islamischen Welt
das marode christlich-mittelalterliche Weltbild stark beeinflusst und in
Unruhe versetzt. Neue Ideen kamen im christlichen Europa auf, sowohl auf religiösem,
philosophischem, sozialem und politischem Gebiet. Wissenschaftliche Forschung
konnte langsam an Einfluss gewinnen, brachte neue Erkenntnisse und konnte sich
zunehmend durchsetzen.
Im
religiösen Bereich kam es zu neuen, unterschiedlichen, kirchenkritischen
Bewegungen und Anschauungen. Sie wurden natürlich von der Kirche als Häresien
verfolgt. Vor allem haben sich bestimmte Theologen und Philosophen vom engen
kirchlichen Weltbild abgewandt. Ein Teil dieser kritischen Stimmen kam von den
Mystikern. Mystiker glauben ja, sie würden mit Gott direkt in Verbindung treten
und bräuchten dazu nicht der Kirche. Deswegen hatten sie oft eigenwillige
Vorstellungen vom Glauben, stellten die Kirche infrage, ja sie hatten teilweise
pantheistische (Universum = gleich Gott) oder panentheistische (Gott ist in
allem allgegenwärtig)[iv]
Vorstellungen. Denken wir an Meister Eckhart (deutscher Theologe und Philosoph,
1260 bis 1328), der sagte: „Gott
aber, hat man ihn überhaupt, so hat man ihn allerorten; auf der Straße und
unter den Leuten so gut wie in der Kirche oder in der Einöde oder in der Zelle",
oder der schon erwähnte Nikolaus von Kues, der u. a. verschiedene
Machenschaften der Kirche aufdeckte. Als Bewegungen gab es
unterschiedliche „häretische“ mystische Gruppierungen. So möchte ich hier
nur die „Brüder und Schwestern des
freien Geistes“ nennen. Sie war eine nicht homogene Bewegung des
14./15. Jahrhunderts, welche unterschiedliche, meist pantheistisch-mystische
Vorstellungen vertrat, aber auch recht fortschrittliche Gedanken hatte, die z.
B. in Richtung Gleichberechtigung gingen. Sie glaubten, dass sie sich schon im
Leben mit Gott vereinten, sie
brauchten keine Kirche, keine Heilsvermittlung durch Priester und keine
Sakramente. Auch sie wurden verfolgt, weil man ihnen unterstellte, unmoralisch
zu sein und dass sie Gottes Gebote nicht beachten würden.
Das Mittelalter war
in Europa etwa Ende des 15. Jahrhunderts vorbei, und es begann die Neuzeit mit
vielen Umbrüchen. Gelehrte streiten sich bis heute, ob man mit einem Datum das
Mittelalter für beendigt erklären könnte, z. B. mit der Erfindung des
Buchdrucks (um 1450), der Eroberung von Konstantinopel 1453, mit der Entdeckung
Amerikas 1492, dem Beginn der Reformation (1517) oder auch dem großen
Bauernkrieg von 1525. Ich halte das für wenig sinnvoll: Es war ja doch ein
langer Prozess, und manchmal könnte man meinen, das Mittelalter reiche bis in
die Gegenwart. Umgekehrt: gab es auch im Mittelalter fortschrittliche Gedanken
und Bewegungen, auch wenn sie meist unterdrückt wurden. Der Spiegel schrieb unlängst
über diesen Zeitraum: „Die Neugier der Naturforscher greift weit in den
Kosmos aus, altehrwürdige Lehrsätze müssen nicht länger gelten. Aber an Gott
ist noch kein Zweifel erlaubt“[v].
Kunst und Kultur, das ganze Geistesgeschehen war im Wandel, ebenso
Wirtschaft, Politik und Religion, alles war im Umbruch. Die Erfindung des
Buchdrucks um 1450, die Erkundung der Welt, auch die (Neu-)Entdeckung Amerikas,
das Erscheinen wichtiger Werke, z. B. 1543 das Buch von Nikolaus Kopernikus
„De Revolutionibus Orbium Coelestium“ („Von den Umdrehungen der Himmelskörper“,
das in Nürnberg erstmals gedruckt wurde), veränderten das Weltbild
grundlegend. Neue Wirtschaftszweige entstanden, viele Erfindungen wurden
gemacht. Der Handel blühte auf und neue Vorstellungen entwickelten sich.
Nürnberg erlebte im
14. Jh. eine Blütezeit. Allerdings hatte man sich auch durch Judenpogrome zusätzlich
bereichert. Die Frauenkirche wurde an der Stelle der beim Judenpogrom im Jahre
1349 zerstörten Synagoge erbaut und 1358 geweiht. Gegen Ende des 14. Jhs.
wurden die Sebalduskirche (1379) und die Lorenzkirche (1390) als Bau fertig;
innen und außen wurden die Kirchen dann weiter ausgestaltet. Der „Schöne
Brunnen“, wie wir ihn heute kennen, wurde 1385 - 96 zuerst durch den
Baumeister Fritz Pfintzing, und nach dessen Tod ab 1389 vom Steinmetz Heinrich
Behaim d. Ä. vollendet. Ich wage zu behaupten, dass dieses herrliche
mittelalterliche Bauwerk 150 Jahre später ganz anders gestaltet und gegliedert
worden wäre. Es ist noch ein typisch mittelalterliches Bauwerk und
veranschaulicht uns die Gedankenwelt des Mittelalters.[vi]
Nicht nur, dass wie üblich in der Gotik, alles Weltliche spitz in den Himmel
ragt. Sehen wir uns die vielen Figuren an: oben Moses und 7 Propheten. Im
mittleren Teil geht es weltlicher zu mit 16 Herrschergestalten, von König David
über Alexander den Großen und Julius Cäsar, weiter dann vor allem mit
christlichen Herrschern. Unten am Beckenrand – und jetzt wird es für das
Weltbild der damaligen Zeit typisch - sitzen außen acht Figuren. Sie stellen
das philosophisch- wissenschaftliche Weltbild der Zeit dar (genauer die
Philosophie und die sieben Unterrichtsfächer), vertreten durch: Pythagoras
(Musik), Euklid (Geometrie), Ptolemäus (Astronomie), Nikomachus (Rechnen),
Aristoteles (Logik), Cicero (Redekunst), Donatus (Grammatik), den Philosophen
Sokrates, um die 8 voll zu machen). Soweit so gut. Aber hinter diesen acht
Philosophen und Wissenschaftlern - jetzt wird es besonders interessant - sitzen
erhöht und größer die vier Evangelisten und vier Kirchenväter als Ausdruck
der überwachenden, kontrollierenden Kirchenmacht. Ganz klar: Für die
mittelalterliche Welt galt, dass was in der Bibel steht, steht über der
Philosophie, über den Wissenschaften. Es ist die Haltung der katholischen
Kirche letztlich bis heute. „Die Philosophie ist die Magd der Theologie“, so
hatte es schon Petrus Damiani im
11. Jahrhundert ausgedrückt, und Thomas von Aquin (1225-1274) hat diese
Anschauung im 13. Jh. weiter entwickelt. Nach seiner Lehre, dem Thomismus, der
bis heute maßgebenden Lehre der katholischen Kirche, wird herausgestellt, dass
man keinesfalls den Versuch unternehmen dürfe, „die übernatürlichen
Wahrheiten des christlichen Glaubens mit der Vernunft beweisen zu wollen. Die
Auffassung, dass die Philosophie Magd der Theologie sei, ist im Thomismus voll
ausgebildet.“[vii]
Die
Kirche wurde in der damaligen Zeit immer korrupter, der Ablasshandel blühte
auf, obwohl er nur eine der vielen kirchlichen Einnahmequellen war. Ausbeutung
durch kirchliche Führer war Alltag.
Missstände
wurden immer wieder angeprangert. Schon der berühmte Dichter Dante Alighieri
(1265-1321) hat in seinem berühmten Werk „Die Göttliche Komödie“ Päpste
und andere Kirchenprominente in der Hölle schmoren lassen.
Viele
Kirchenfürsten bis zum Papst, aber natürlich auch viele einfache Geistliche führten
ein liederliches Leben und versuchten in Saus und Braus zu leben. Denken wir nur
an den Borgia-Papst Alexander VI (1431-1503, Papst von 1492-1503). Manche
Nonnenklöster waren praktisch vor allem Bordelle. Mönche und Pfarrer führten
oft ein recht flottes Leben, manche bekannten sich dazu, und wir haben Gedichte
und Vagantenlieder, die von wandernden Geistlichen geschrieben wurden. Berühmt
geworden ist ja bei uns vor allem „Carmina burana“; eine Vielzahl weiterer
Gedichte und Lieder waren in Europa populär, vor allem in Frankreich und
Spanien. Wir wollen dabei auch an François Villon (1431 - nach 1463) denken, der in vielen Liedern
Kirchenkritik übt.
Weshalb
soll uns am Ende gar der Teufel holen?
Wir haben keinem Armen was vom Geld gestohlen,
und auch dem König macht es keinen Spaß,
der bleibt viel lieber bei den Schnäpsen und Lampreten<Neunaugen>,
lässt in den Kirchen für sein Wohlergehen beten
und legt sich zu dem weißen Reh im Abendgras.
Wenn erst im Wald die Eule dreimal schreit,
ist auch der Teufel nicht mehr weit.[viii]
Im
Übrigen war es in Nürnberg und Mittelfranken nicht anders: Das zu Nürnberg
gehörende, bekannte Kloster Engelthal war z. B. total verrufen und galt eher
als Bordell:
„Die
nunen von Engelthal ligen in einem unerlichen scheusslichen wesen und haben
sampt der Priorin ihres gethanen gelubts vergessen, die Gots forcht zurucksezen,
ein unzuchtig, unverschämt und aller ding ungeistlich leben furen, in
manicherley weis ubertreten und misshandeln…“[ix]
Es gab dort Schwangere und es wurden auch Kinder im Kloster geboren.
Das Kloster war so verrufen, dass ein
Eingreifen der Kirche wie auch der Stadt Nürnberg notwendig wurde. Die Nonnen
widersetzten sich gewaltsam. So heißt es in einem Bericht dazu:
„Am
1. Oktober 1513, morgens um 7 Uhr standen der Prediger-Provinzial und der
Prior des Dominikanerklosters in Nürnberg Johann Heinlein mit den Ratsherren
Hieronymus Ebner, Jakob Muffel, und Georg Fütterer als Vertreter der Stadt und
drei Notaren an der Spitze eines Zuges von Reisigen vor dem Kloster und
begehrten Einlass… Da die Priorin die Öffnung des Klosters ablehnte, ließ es
der Provinzial stürmen. Nun erhob sich ein großer „unweyblicher streit, clag
und jammer“. Einige „derselben weyber…in verges aller weiblichen zucht und
scham“ läuteten die Sturmglocke, andere beschimpften
den Provinzial und die Ratsherren mit „groben und unzuechtigen
schmechworten“. Ein paar wackere Nonnen schlugen sogar die Nürnberger
Stadtknechte und rissen ihnen die Waffen aus den Händen…
Jetzt
riss dem Provinzial die Geduld. Er ließ die Priorin, die Subpriorin Martha Kürmreuther
sowie die Nonnen Anna von Steinling, Kunigunde Teuerlingin und Katharina Erlbeck
ergreifen und in Ketten legen. Dann wurden alle schwestern ihrer Ämter
enthoben. Diese wurden mit Nonnen von St. Katharina aus Nürnberg neu
besetzt.“
Soweit
dazu.
Der
Einfluss der arabischen Welt, aber auch die neuen Erfahrungen, die man nach den
Niederlagen der Kreuzritter und dem Niedergang im Oströmischen Reich gemacht
hatte, verstärkten den Widerstand gegen die überkommenen mittelalterlichen
Vorstellungen. Die christliche Theologie wurde stärker hinterfragt und es
entbrannten Streitigkeiten an den Universitäten und zwischen Theologen.
Auch in der Literatur fand dies seinen Niederschlag.
Kritik
an der Kirche entwickelte sich vor allem im aufkommenden Renaissance-Humanismus.
Zunehmend beschäftigte man sich mit der Kunst und Kultur des griechisch-römischen
Altertums. So entstanden aufgrund des Hintergrundwissens über das Altertum
kritische Werke gegen die Denk- und Vorgehensweisen der Kirche und seiner Repräsentanten.
Denken wir nur an Boccaccios (1313-1375) kritische Auseinandersetzungen mit
Teilen der Klerisei in seinem Dekameron. Aber es war vor allem der berühmte
italienische Schriftsteller und Gelehrte Francesco Petrarca (1304-1374), der die
Bedeutung der Antike in den Mittelpunkt stellte und als Begründer des
Renaissance-Humanismus genannt werden muss. „Petrarca sah die Welt im
Unterschied zu mittelalterlichen Vorstellungen nicht mehr als eine feindliche
und für den Menschen verderbliche, die nur Durchgangsstation in eine jenseitige
Welt ist, sondern sie besaß nun in seinen Augen eine eigene Wertigkeit.“[x]
Das Diesseits, das Humane bekam nun einen hohen Stellenwert im öffentlichen
Leben.
Trotz
aller Unterdrückung wurde gegen das Papsttum zunehmend aufbegehrt. Im 14.
Jahrhundert war die Kirchenobrigkeit gespalten und so hatten wir – wie schon
betont - gleichzeitig zwei Päpste: in Rom und Avignon. Die Kirche war durch und
durch korrupt und es ging immer wieder vor allem um Macht. Reformatorische
Bestrebungen finden sich frühzeitig: Denken wir nur an John
Wycliffe (1330-84). Er wurde von seinem Oxforder Lehrstuhl entfernt, weil
er sich gegen die Kirchenhierarchie gewandt, die Laienbewegung der Lollarden
geschaffen und die Bibel ins Englische übersetzt hatte.
Etwas
später trat dann in Böhmen der Reformator Jan
Hus (1369 -1415) auf. Auch er wandte sich gegen die Kirchenhierarchie,
weil diese in ihren Lehren und bei ihrem Handeln von den Aussagen der Bibel
abwich. 1410 wurde Hus verbannt. Er hatte aber im Volk starken Rückhalt und es
kam zu Unruhen. Hus predigte weiter und schrieb kritisch über die Kirche (de
ecclesia). 1414 wurde er aufgefordert, seinen Standpunkt auf dem Konzil in
Konstanz darzulegen. Ihm wurde freies Geleit zugesichert. Jan Hus glaubte daran
und zog hin. Über Nürnberg, wo er von der Bevölkerung bejubelt wurde, führte
sein Weg nach Konstanz. Dort wurde er bald nach seiner Ankunft festgenommen. Hus
wurde verurteilt, weil er seine Ansichten nicht widerrief, und 1415 auf dem
Scheiterhaufen verbrannt.
Es
sollten noch hundert Jahre vergehen bis Martin Luther (1483-1546) 1517 seine berühmten
95 Thesen herausgab. Dass sie an die Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen
wurden, dürfte ein Märchen sein. Trotzdem: Sein Kampf gegen den Ablasshandel,
aber auch die anderen Beanstandungen Luthers zeigten große Wirkung. Sie fanden
nicht nur bei bestimmten romfeindlichen Adligen, denen es um Abbau kirchlicher
Macht ging, Anerkennung, sondern vor allem auch beim einfachen Volk, so bei den
Bauern. Man erwartete vom neuen Glauben ein stärkeres Bekenntnis zu den
Forderungen der einfachen Menschen und Widerstand gegen die Ungerechtigkeiten
der weltlichen und kirchlichen Mächtigen. Auf die religiösen Unterschiede
zwischen dem alten und dem neuen Glauben kann hier nur am Rande eingegangen
werden. Ebenso wenig ist hier Zeit und Ort für eine Würdigung weiterer
bedeutender Reformatoren wie Ulrich Zwingli (1484-1531) oder Johannes Calvin
(1509-1564). Man darf aber nicht deren Einfluss auf die zukünftige Gestaltung
Europas verkennen! Vor allem gab es innerhalb der Täuferbewegung - abfällig
Wiedertäuferbewegung genannt - moderne Richtungen, die für die
Erwachsenentaufe eintraten, die Kirche als bruderschaftliche Gemeinschaft
betrachteten und die Forderung nach Trennung von Staat und Kirche aufstellten.
Kirchen-
und Sozialkritik gingen miteinander einher. Es waren politisch sehr unruhige
Zeiten und vor allem die einfachen Bauern, aber auch das aufkommende Handwerker-
und Bürgertum, begehrten auf.
Der
Aufstand der Bauern und der neue Glaube
Die
sozialen Missstände führten in ganz Europa zu Bauernaufständen.
Der
neue lutherische Glaube fasste in Teilen Deutschlands schnell Fuß. Vom neuen
Glauben erhofften sich vor allem die Bauern eine Verbesserung ihrer Lage. Es
fanden sich auch führende Geistliche, welche sich auf die Seite der Bauern
schlugen und ihre Anführer wurden. Je nach Veranlagung und Erfahrung waren
diese Führer mehr oder weniger realistisch eingestellt oder traten schwärmerisch
für ein urtümliches Christentum ein.
Solche
Bewegungen waren meist getragen von christlichen Vorstellungen einer gerechteren
Welt. Forderungen wurden aufgestellt, etwa in der Bundesordnung oder in den berühmten
12 Memminger Artikeln. Letztere fordern zum Beispiel:
-
Jede Gemeinde soll das Recht haben,
ihren Pfarrer zu wählen oder auch abzusetzen.
-
Der Kleine Zehnt soll abgeschafft
werden.
-
Die Leibeigenschaft muss aufgehoben
werden.
Weitere Forderungen
waren das Recht zur freien Jagd, zu Fischfang und Holzfällung für den eigenen
Bedarf. Man wandte sich auch gegen den Frondienst und gegen willkürliche
Bestrafungen.
Natürlich waren die
Bauernaufstände religiös fundamentiert – wie konnte es auch anders sein?
Doch sie waren gekennzeichnet von der Ablehnung des absoluten Obrigkeitsdenkens,
ja es waren quasi demokratische Forderungen, die hier auftauchten. Die
Bauernaufstände waren sowohl gegen die weltlich Mächtigen, aber vor allem auch
gegen die Kirchenobrigkeit gerichtet.
Wie heißt es im
bekannten Lied „Wir sind des Geyers schwarzer Haufen“:
(Leider ist es uns
nicht in seiner ursprünglichen Form überliefert, weil es immer wieder verändert
wurde; die folgenden Strophen dürften unverändert aus dem 16. Jh. stammen.)
1.
Wir sind des Geyers schwarzer Haufen,
heijaho, ho!
Wir woll'n mit Pfaff und Adel raufen,
heijaho, ho!
Spieß voran! Drauf und dran!
Setzt auf's Klosterdach den roten Hahn!
2.
Als Adam grub und Eva spann, Kyrieleis,
Wo war denn da der Edelmann? Kyrieleis.
Spieß voran ... usw.
Bekannteste
Figur aus dem Kreis der Aufständischen war der radikal eingestellte Geistliche
Thomas Müntzer (1489-1525). Ursprünglich war er begeisterter Anhänger
Luthers. Zunehmend distanzierte er sich jedoch von ihm, da nach seiner Meinung
Luther zu wenig die Interessen der einfachen Menschen vertrat. Müntzer hat sich
in aller Schärfe gegen die Obrigkeit gewandt und vehement die Interessen der
armseligen Bauern vertreten, unter Berufung auf Gott. So sagte er am 15. Mai
1525, kurz vor seiner Gefangennahme:
„Was
seind aber die Fürsten?
Sie
seind nichts dann Tyrannen, schinden die Leut, unser Schweiß und Blut vertön
sie mit Hoffieren, mit unnützen Pracht, mit Huren und Buben. Es hat Gott
geboten in Deuteronomio, es soll der König nicht viel Pferd bei sich haben und
einen großen Pracht führen; auch soll ein König das Gesatzbuch täglich in Händen
haben.
Was
tun aber unsere Fürsten? …verderben Land und Leut mit unnötigen Kriegen,
Rauben, Brennen, Mörden.
Das
seind die fürstlichen Tugend, damit sie jetzt umgehen.“[xi]
Luther
selbst hatte zunächst eine gewisse Sympathie für die Forderungen der Bauern
gezeigt, doch bald wandte er sich in aller Schärfe ab. Er verurteilte die
Bauernaufstände und ihre freiheitlichen Forderungen vor allem in seiner Schrift
„Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“. Daraus:
„Dreierlei
greuliche Sunden wider Gott und Menschen laden diese Baurn auf sich, daran sie
den Tod verdienet haben an Leibe und Seele mannigfältiglich: Zum
ersten, daß sie ihrer Oberkeit treu und hulde geschworen haben, untertänig
und gehorsam zu sein, wie solchs Gott gebeut…
Zum
andern, daß sie Aufruhr anrichten, rauben
und plundern mit Frevel Kloster und Schlosser, die nicht ihr sind, damit sie als
die offentlichen Straßenräuber und Morder alleine wohl zwiefältig den Tod an
Leib und Seele verschulden. … Drum soll hier zuschmeißen, wurgen und stechen,
heimlich oder offentlich, wer da kann, und gedenken, daß nichts Giftigers,
Schädlichers, Teuflischers sein kann denn ein aufruhrischer Mensch, gleich als
wenn man einen tollen Hund totschlahen muß: Schlägst du nicht, so schlägt
er dich und ein ganz Land mit dir.
Zum
dritten, daß sie solche schreckliche,
greuliche Sunde mit dem Evangelio decken, nennen sich christliche Bruder, nehmen
Eid und Hulde und zwingen die Leute zu solchen Greueln mit ihnen zu halten,
damit sie die allergroßten Gotteslästerer und Schänder seines heiligen
Namens werden, und ehren und dienen also dem Teufel unter dem Schein des
Evangelii. Daran sie wohl zehenmal den Tod verdienen an Leib und Seele,
daß ich häßlicher Sunde nie gehoret habe. …Es hilft auch die Baurn
nicht, daß sie furgeben, 1. Mos. 1 und 2, seien alle Ding frei gemeine
geschaffen, und daß wir alle gleich getauft sind, denn im Neuen Testament hält
und gilt Moses nicht, sondern da steht unser Meister Christus und wirft uns mit
Leib und Gut unter den Kaiser und weltlich Recht, da er spricht: Gebt dem
Kaiser, was des Kaisers ist. So spricht auch Paulus Rom. 12 zu allen
getauften Christen: Idermann sei der Gewalt untertan. Und Petrus: Seid untertan
aller menschlicher Ordnung. Dieser Lehre Christi sind wir schuldig zu
geleben, wie der Vater vom Himmel gebeut und sagt: Dies ist mein lieber Sohn,
den höret. Denn die Taufe macht nicht Leid und Gut frei, sondern die Seelen.“[xii]
Soweit
also Luther.
Natürlich:
Luther hatte seine Verdienste. Er hat Missstände der katholischen Kirche
aufgezeigt, hat überkommene Anschauungen verworfen, den Glauben der
aufkommenden merkantilistisch-kapitalistische Gesellschaft adäquat angepasst,
er hat die Bibel ins Deutsche übersetzt und dadurch wesentlich zur Entstehung
einer modernen, einheitlichen deutschen Sprache beigetragen, usw. Mit Sicherheit
war er aber kein engagierter Humanist. Sein Verhalten gegenüber den Bauern oder
später gegen die Juden zeigt viele unmenschliche Züge. Auch sonst fiel er
durch Unberechenbarkeit auf.
Humanisten
finden wir in dieser Zeit über die Religionen hinweg. Wir finden sie bei
Katholiken wie Reformierten. Allerdings verstehen wir unter dem Humanismus
damals etwas anderes als heute. Jene Humanisten traten zwar für eine breite
Bildung mit Rückbesinnung auf das klassische Altertum ein, aber sie kannten
kaum den Toleranzbegriff und machten
sich nicht stark für eine Gleichberechtigung der verschiedenen Religionen oder
Weltanschauungen. Sie befürworteten eine menschlichere Behandlung, aber
Andersdenkenden gegenüber waren sie kaum tolerant. Nur bei der Betrachtung des
eigenen Glaubens lassen sie eine gewisse Offenheit erkennen. Als bedeutendster
Humanist gilt Erasmus von Rotterdam (1465?-1536), aber auch er blieb sein Leben lang
Katholik.
Der
Reformator Philipp Melanchthon (1497-1560) gilt als Verfechter einer breiten
humanistischen Bildung. In Nürnberg hat er das erste humanistische Gymnasium mit
Griechisch und Mathematik, 1526 die „Obere
Schule“, „Hohe Schule“ oder „Patrizierschule“ eingerichtet. Aber sonst
war auch er ein recht engstirnig denkender Christ.
Ein
einstmals bedeutender Humanist war Lorenzo di Valla, der – wie betont - mit
seiner Declamatio de falso credita et ementita donatione Constantini die
Unechtheit der Konstantinischen Schenkung nachgewiesen hatte. Valla wurde der Häresie
angeklagt, weil er auch sonst kritische Positionen bezogen hatte, zum Beispiel für
eine Säkularisierung des Kirchenstaates war: "Ut Papa tantum vicarius
Christi sit et non etiam Caesaris".
Thomas
Morus (1478-1535) trat in seinem berühmten Werk „Utopia“ für Frieden und
eine gewisse Toleranz ein, war anderseits aber überzeugter Katholik, der das
Papsttum unterstützte. In seinem Roman „Utopia“ betont er die Notwendigkeit
des Strebens nach einer allgemeinen Bildung, und sein Werk weist auch
demokratische Züge auf. In der von ihm dargestellten Republik ist Besitz
Gemeineigentum. Seine Anschauungen waren Vorreiter für soziale Veränderungen.
Humanismus
im modernen Sinne mit dem Eintreten für Toleranz, oder auch nur für die
Gleichberechtigung der verschiedenen christlichen wie nichtchristlichen
Religionen oder für freie Weltanschauungen gab es damals öffentlich kaum.
Eine
bedeutende humanistische Persönlichkeit, die wenigstens für Toleranz innerhalb
der christlichen Welt eintrat, gab es. Ihre Bedeutung wurde aber
heruntergespielt. Es ist das Verdienst des bekannten Schriftstellers Stefan
Zweig (1881-1942), dass dieser Humanist anfangs des vorigen Jahrhunderts vor dem
Vergessen bewahrt wurde. Es handelt sich um Sebastian
Castellio (1515-1563). Stefan Zweigs Buch – das ich jedem empfehlen möchte,
es ist auch als Taschenbuch erschienen – heißt: „Castellio gegen Calvin.
Ein Gewissen gegen Gewalt“.[xiii]
Sebastian
Castellio war ein großartiger französischer Gelehrter, der mit dem Schweizer
Reformator Johannes Calvin (1509-1564) über Kreuz kam und den Mut hatte, diesen
wegen seiner Starrheit und Unmenschlichkeit anzuprangern. Calvin, der keine
Widersacher duldete, hatte den bekannten Arzt und Theologen Michael Servet
(1511-1553) – der unter anderem die Trinitätslehre infrage stellte – wegen
Häresie verfolgen und ihn dann bei lebendigem Leibe verbrennen lassen. Mit viel
Mut, Engagement, unter Gefährdung des eigenen Lebens, setzte sich Castellio für
Servet und andere Häretiker ein. Er verlor dadurch seine Stellung wurde selbst
zum Verfolgten. Wie kein anderer Humanist kämpfte er für Toleranz.
Gehen
wir nun näher auf unseren fränkischen Raum ein und vor allem auf das
weltoffene Nürnberg, das damals zu den kulturellen Zentren in Europa zählte.
Im 15./16.
Jahrhundert wurde Nürnberg zu einer besonders bedeutenden Stadt.
Seine Einwohnerzahl betrug etwa 35-40.000. Fürth war zu diesem Zeitpunkt
ein recht bedeutungsloser Ort mit 1-2.000 Einwohnern.
Handwerk
und Handel, Kultur und Kunst blühten in Nürnberg, auch viele Erfindungen
wurden hier gemacht. Die Stadt brachte Persönlichkeiten von Weltruhm hervor.
Denken wir nur an den Maler Albrecht Dürer, an den Erfinder des ersten Globus
Martin Behaim (1459-1507), an den Erfinder der Taschenuhr Peter Henlein
(1479/80-1542), an den bedeutenden Buchdrucker und Buchhändler Anton Koberger
(1440-1513), an die Bildhauer Veit Stoß (1447-1533) oder Adam Kraft (geb. nach
1450, gest. 1509), an Peter Vischer (1455-1529) den Erzgießer und Bildhauer
oder an den Dichter Hans Sachs (1494-1576). Auch Gelehrte wie die Humanisten
wirkten hier.
Nürnberg
war damals Handelsmacht mit Weltbedeutung. Die Beziehungen gingen in die
islamische Welt und vor allem weiter bis nach Indien. Später auch nach Amerika.
Nürnberg hatte Handelsvertretungen in wichtigen Seehäfen und war zum Beispiel
führend im Gewürzhandel. Diese Kontakte nach außerhalb des christlichen
Abendlandes brachten neue Ideen und Aufgeschlossenheit nach Nürnberg.[xiv]
Nach
ihrer Erfindung durch Gutenberg war die Buchdruckerkunst um die Mitte des 15.
Jahrhunderts in Mainz ausgeprägt, und sie breitete sich dann rasch aus. Schon
ab 1470 finden wir die ersten Druckereien auch in Nürnberg, das bald zu einer
bedeutenden Stadt für Druck-Erzeugnisse wurde. Wichtig hierfür war auch die
Papiererzeugung vor Ort, etwa in der Hadermühle außerhalb der Stadtmauer bei Wöhrd.
Hans
Sachs schrieb über die Papierherstellung:
Ich
brauch hadern zu meiner mühl
Dran treibt mirs rad des wassers viel
dass mir die zschnittn hadern nelt
das zeug wird in wasser eingequelt
draus mach ich pogn / auff di filz bring
Durch press das wasser darauss zwing.
denn henck ichs auff / lass drucken wern
Schneeweiss und glatt so hat mans gern.[xv]
Bedeutendste
Druckerei wurde die von Anton Koberger. Er hatte schließlich 24 Druckerpressen
und Hunderte Beschäftigte, Setzer und Drucker. Für die damalige Zeit ein
bedeutender Großbetrieb!
In
der Druckstadt Nürnberg erschien u. a.1493 die Schedelsche Weltchronik. Dieses
Geschichtswerk ist eine der bedeutendsten Erscheinungen der Buchdruckerkunst.
Man wundert sich, wie dieses Buch in einer Auflage von 1400 auf Lateinisch und
770 Exemplaren auf Deutsch mit den damaligen Mitteln hergestellt werden konnte.
Hunderte Mitarbeiter der Kobergerischen Druckerei haben an der Entstehung
mitgewirkt. Ein Teil der Exemplare wurde handkoloriert.
Zwischen
1479 und 1484 entstand die erste Kodifikation des Nürnberger Stadtrechtes, die
"Nürnberger Reformation", als Druckwerk. Diese Gesetzessammlung hatte
ihre Rechtsgültigkeit bis Ende des 18. Jahrhunderts und galt vielen andern Städten
wie auch Fürstentümern als Vorbild.
„De
revolutionibus orbium coelestium“, das berühmte Werk von Nikolaus Kopernikus
(1473-1543), erschien erstmalig kurz vor dessen Tod ebenfalls hier in Nürnberg.
Die Einleitung hierzu schrieb übrigens, sehr problematisch, Andreas Osiander
(1498-1552). Er wirkte als bedeutender Pfarrer und Reformator in Nürnberg, war
ansonsten aber ein recht engstirnig denkender Mann.
Zu
denken gibt, dass 1491 der berüchtigte „Hexenhammer“ in Nürnberg immerhin
nachgedruckt wurde. Die Inquisition spielte in Nürnberg selbst nur im 14. Jh.
eine größere Rolle.
Auch
unser bedeutendster Maler, Albrecht Dürer, hatte ab 1498 eine eigene Druckerei,
wo Grafiken von ihm und anderen Künstlern erschienen.
Namhafte
Humanisten wirkten in Nürnberg. Dazu gehörten neben dem bereits genannten
Philipp Melanchthon der Arzt Hartmann
Schedel („Schedelsche Weltchronik“ 1440-1514), Conrad Celtis (1459
bis 1508), Willibald Pirckheimer (1470 bis 1530) u.a.
Interessant
ist auch, dass in Nürnberg manches illegal gedruckt wurde, so Flugschriften zu
den Bauernaufständen, Wiedertäuferschriften und vor allem Schriften von Thomas
Müntzer, der sich 1525 auch für kurze Zeit in Nürnberg aufhielt.
Ja,
in Nürnberg gab es Opposition gegen die kirchliche wie weltliche Macht. Es ist
kein Wunder, dass sich gerade hier die Reformation frühzeitig durchsetzte.
Johannes
Hus war schon hundert Jahre vor Luther hier gewesen. Er wurde bejubelt, und es
gab dann auch eine hussitische Anhängerschaft. Auch andere reformatorische
Gruppen bildeten sich hier.
Nachdem
Luther mit seinen Thesen in weiten Teilen Deutschlands bekannt geworden war,
fanden sich in Nürnberg schon 1518 Anhänger der neuen Lehre. 1522 wurden in
den wichtigsten Kirchen reformatorische Prediger angestellt: In der Lorenzkirche
war es Andreas Osiander, in Sankt Sebald Dominikus Schleupner und in der
Heilig-Geist-Kirche Thomas Venatorius.
Der
neue Glaube fand rasch Anhänger bei den Patriziern aber auch beim einfachen
Volk, das sich größere Freiheiten erhoffte. Bereits 1522 kam es zur Neuordnung
der Kircheneinnahmen durch die Einführung des „Gemeinen Kasten“, in dem das
gesammelte Geld nur der Armenfürsorge zugute kam und nicht nach Rom oder sonst
wohin floss. Dies fand breite Anerkennung in der Bevölkerung.
1525
wurde Nürnberg offiziell evangelisch-lutherisch. Die neue Religion wurde
praktisch durch das Patriziat eingeführt.
Martin
Luther war natürlich angetan von dieser Entwicklung und er schrieb 1330: „Nurmberg
leucht warlich inn gant Deutsches Land wie eine sonne unter mon und sternen und
gar krefftiglich andere stedte bewegt, was daselbst im schwang geht“.[xvi]
Andere
reformierte Glaubensrichtungen wurden, nachdem sich Nürnberg zum lutherischen
Glauben bekannt hatte, offiziell in Nürnberg nicht erlaubt, ja unterdrückt, so
die Calvinisten, die Wiedertäufer und natürlich Anhänger von Thomas Müntzers
Lehren. Sie waren aber da, und sie waren sowohl politisch wie religiös aktiv.
Man traf sich im Geheimen oder auch vor den Toren der Stadt, besonders in Wöhrd.
Es gab in der Stadt viele Sympathisanten der revolutionären Bauernbewegung.
Aufgeschlossene Bürger wandten sich dagegen, das Bauernvolk als minderwertig
anzusehen. Von offizieller Seite, von der Obrigkeit der Städte oder auch von Fürsten
und Burgherren, wurden die geschundenen Bauern leider oft als Untervolk gesehen,
das man selbstverständlich ausbeuten und missbrauchen durfte.
Die
Bauernschaft in Franken war im 15. Jahrhundert durch viele kleinere und größere
Kriege, an denen auch Nürnberg maßgeblich beteiligt war, in einer besonders
misslichen Lage. Bei den Kämpfen der Städte gegen Grafen, Fürsten und
Raubritter, welche Kaufmannszüge überfielen, geriet sie zwischen die Fronten.
Auf
dem Lande wuchs in Franken während der Reformation massiver Widerstand. Es war
dann vor allem Thomas Müntzer, der sich der Bauern annahm und zunehmend beim
einfachen Volk – nicht nur bei den Bauern - Unterstützung fand. Der
Freiheitskampf der Bauern, ja aller einfachen Menschen, war für ihn -
trotz religiöser Verbrämung – ein Grundanliegen.
Anhänger
der täuferischen und müntzerischen Ideale gab es in Nürnberg und Umgebung
vielfach. Bekannt wurde der „Wirt von Wöhrd“. Er galt als Aufwiegler der
Bauern gegen die Stadt. Im Sommer 1424 wurde dem Wirt und zwei Tuchknappen, Hans
und Ulrich Ueberlein, der Prozess gemacht. Sie wurden am 5. Juli 1524 mit
dem Schwert hingerichtet.
Der
Wirt bzw. „Bauer zu Wöhrd” war ein Volksprediger. Es soll sich um Diebold
Schuster, einen ehemaligen Pfarrer aus Aichenbrunnen, gehandelt haben, der aus
der Umgebung Ulms vertrieben worden war und nun als Bauer unter den Namen
Peringer predigte. In Nürnberg wurden illegal Flugschriften von ihm gedruckt.
Bekannt
wurde auch das Auftreten von Hans Denck (1495-1527), der 1523 Rektor der
Sebaldusschule in Nürnberg wurde. Denck war Theologe mit humanistischer Bildung
und Anhänger der Täuferbewegung. Er war antitrinitarisch eingestellt, also
gegen die Dreieinigkeitslehre. Denck hatte einerseits rationalistische
Vorstellungen, andererseits auffallend mystische Ansichten. Er sympathisierte
mit den Bauern und vertrat deren Anliegen. Denck hatte auch Kontakt zu Müntzer,
als dieser in Nürnberg weilte, und stand dessen Vorstellungen nahe.
Aufgrund
seiner Position hatte Denck natürlich auch Verbindung zu den Nürnberger
Patriziern. Ebenso kam er in Berührung mit Albrecht Dürer (1871-1528) und
anderen Künstlern.
Gerade
Künstler zeigten Sympathie zu den armseligen Bauern, die sie häufig malten,
wie ja auch Albrecht Dürer. Unter dem Einfluss des Wirtes aus Wöhrd, und vor
allem dem von Denck und Müntzer solidarisierten sich die Maler Sebald Beham
(1500-1550), Barthel Beham (1502-1540) und Georg Pencz (auch Jörg
Pencz; 1500/02-1550) mit deren neuen Vorstellungen und Anliegen. Alle
drei waren Schüler bzw. Gesellen bei Albrecht Dürer gewesen und hatten sich
einen Namen vor allem als Kleinkunstmaler und Kupferstecher gemacht. Sie hatten
Kontakt zu Denck, waren dabei mit den Vorstellungen der Täufer konfrontiert
worden, machten sich viele Ideale von Thomas Müntzer zu eigen, und sie zeigten
sich äußerst kritisch gegenüber vielen christlichen Vorstellungen.
Dies
wurde nun in der Stadt bei Geistlichen und Patriziern ruchbar. Im Januar 1525
verhaftet man deshalb die drei Maler und machte ihnen den Prozess. Sie wurden
verhört und kamen in den Kellergewölben des Rathauses ins Lochgefängnis.
Ab da hießen sie „die gottlosen Maler“. Diese Bezeichnung ist ihnen
bis heute geblieben. Es wurde ihnen der Prozess gemacht. Da sie anerkannte Persönlichkeiten
in der Stadt waren und man keine größeren Unruhen wollte – es sollte bald
zum Bauernkrieg in Franken kommen – ging man relativ human mit ihnen um, auch
wenn die Obrigkeit äußerst beunruhigt war über die Aussagen der Maler.
Immerhin galten sie als geständig und man brauchte keine Folter anwenden. Wer
die Lochgefängnisse kennt weiß, dass der Aufenthalt in den finsteren Löchern
alleine schon bedrückend genug ist.
Es
gibt noch Vernehmungsprotokolle und darin zeigt sich, dass die drei Maler für
die damalige Zeit ausgesprochen modern anmutende, skeptische Einstellungen zum
Christentum hatten und sich außergewöhnlich kritisch gegenüber der Kirche, ob
katholisch oder protestantisch, äußerten. Aus der „Acta der Verneheungen“
von 1525: [xvii]
Die “fragstuck,
darauff die gottlosen Maler vberbort sind”
1 Ob er
glaub das ain got sei
2 Was er von Christo hallt
3 Ob er dem heiligen Evangelio vun Wort gottes (,)
in der Schrif verfaszt(,) glaube
4 Was er von dem sacrament desz Altars hallt,
5 Was er von der tauff hallt,
6 Ob er (an) ain weltliche oberkait glaub vund ainen Rate
zu Nurmberg für seinen Herrn erkenn.
vber sein laib vund was eusserlich ist.
Georg Pencz antwortet
auf die “fragstück”:
1 Sagt er
empfinds zum teil,
ob er aber wisz was er warhafft für den selben
got sol halten wisz er nit
2 Halt von Crist nichts
3 Konn der schrifft nit glauben
4 Halt vom Sacrament des altars nichts
5 Halt von der tauff nichts
6 Wisz von kaynem hern dann allein von got.
und die beiden Brüder Beham:
1 Ja
2 halt nichts von cristo
3 wisz nit obs heilig sey
4 halt nichts davon
5 nichts
6 neyn
Wegen
ihrer Bekenntnisse wurden alle drei zur gleichen Strafe verurteilt. Die drei
Maler mussten sofort ihre Heimat Nürnberg verlassen. Zumindest die Gebrüder
Beham waren verheiratet. Ob sie Kinder hatten, wissen wir nicht. Jedenfalls
mussten sie ihre Familien im Stich lassen.
Der
Prozess gegen die drei Maler wurde von fünf Predigern und drei Gelehrten, Beiräte
des Rates der Stadt, geführt. Diese drei waren die „Doctores“ Protz,
Scheurl und Marstaller. Ein umfangreiches theologisches Gutachten wurde
vorgelegt und die theologischen Mitglieder des Rates setzten sich für eine
harte Bestrafung ein. Die weltlichen Doctores wollten es bei einer Abmahnung
belassen. Die Theologen konnten sich mit ihrer harten Haltung durchsetzen.
Luther
selbst schrieb in einem Brief damals:
„…
der Satan hat es schon soweit gebracht, dass in Nürnberg einige Bürger
leugnen, dass Christus etwas sei, dass das Wort Gottes etwas sei, dass die Taufe
und das Abendmahl etwas sei; sie sagen es sei nur Gott.“[xviii]
Die
drei gottlosen Maler hatten es nach der Ausweisung zunächst recht schwer. Sie
hatten ihre Kundschaft verloren, wussten nicht wo und wie sie leben sollten.
Auch andernorts wurden sie ja nicht mit offenen Armen aufgenommen, obwohl
Freunde sie sicherlich unterstützten. Sie malten und hielten sich mal hier, mal
dort auf. In dieser Zeit entstand auch der Kupferstich, den Sie auf der
Einladung sehen konnten, ohne zunächst den Sinn des Bildes zu kennen. Deshalb möchte
ich hier auf den Kupferstich von Bartel Beham „Der Welt Lauf“ etwas
eingehen:
Das
Bildchen ist nur 40x65 mm groß, der kleine Kupferstich entstand während des
Exils. 1525, das Jahr von Behams Ausweisung, war ja auch das Jahr, in dem die
wichtigsten Bauernkriege niederbekämpft, Thomas Müntzer gefangen, gefoltert
und hingerichtet wurde. Das Bild ist eine Allegorie, die auch unterschiedlich
gedeutet werden kann.
Auf dem Miniaturbild sehen wir im Vordergrund eine angekettete leidende
Frau. Eine Waage liegt daneben. Im Wesentlichen dürfte der Kupferstich
aussagen: dass die Gerechtigkeit, das Recht, angekettet wurde, also auf dieser
Welt nicht gerecht geurteilt wird. Mit dem kleinen, unschuldigen Kind und dem
Lamm wird dargelegt, dass die Menschen entrechtet und schutzlos den Mächtigen
ausgeliefert sind. Im rechten mittleren Teil sehen wir einen Fuchs mit einem
Schwert im Maul, der eine Gans vor sich hertreibt. Nach Meinung der meisten
Forscher ist mit dem Fuchs Luther gemeint, der die Forderungen der Bauern zunächst
unterstützte, aber dann wild gegen sie predigte und – wie wir schon gesehen
haben – den Bauern durch seine Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen
Rotten der Bauern“ den Mut zum Widerstandskampf geraubt hat. Wie sagte
doch Thomas Müntzer in seiner letzten Schrift („Die Schutzred“) über den
„Fuchs“ Luther: „O Doctor Lügner, du tückischer Fuchs. Du hast durch
deine Lügen das Herz der Gerechten traurig gemacht…“. Man könnte noch mehr
zu dem Bild sagen, doch belassen wir es dabei.
Nachdem
die Maler der Stadt verwiesen wurden und es ihnen recht elend ging, setzten sich
Familienangehörige und Patrizier für den Erlass der Strafe ein. Vor allem der
bekannte Jurist und Humanist Christoph von Scheurl (1481 bis 1542), der bei der
Verurteilung dabei gewesen war, bemühte sich um die Aufhebung der Verbannung.
Dies geschah dann auch und wir finden die drei Maler zumindest kurzfristig
wieder in Nürnberg.
Auch
Hans Denck, der Rektor der Sebaldusschule, wurde auf Betreiben des evangelischen
Pfarrers Andreas Osianders seines Postens enthoben und ebenfalls der Stadt
verwiesen. Er erlangte bei den Wiedertäufern Bedeutung, verstarb aber frühzeitig.
Die
weitere Entwicklung der drei Maler verlief unterschiedlich.
Sebald
Beham konnte bereits 1528 nach Nürnberg zurückkehren, enthielt sich aber öffentlicher
politischer Aktivitäten. Trotzdem wurde er wegen angeblich pornografischer
Bilder angefeindet und ging zunächst nach München, dann nach Mainz und
Frankfurt. Er hat uns zahlreiche Holzschnitte, Kupferstiche, aber auch Gemälde
hinterlassen.
Sebalds
Bruder Barthel Beham ging nach München. Er wurde ein berühmter Porträtist,
war stark von der italienischen Renaissance beeinflusst und malte in deren Stil.
Er starb 38-jährig in Italien.
Auch
Georg Pencz konnte nach Nürnberg zurückkehren und lebte hier lange Zeit. Er
war ein vielseitig begabter Maler. Neben winzigen Kupferstichen hat er auch großflächige
Gemälde geschaffen, so das Deckengemälde im Hirsvogelsaal in Nürnberg. Auch
viele Portraits stammen von ihm.
Die
drei gottlosen Maler gingen vor allem als Kleinstmeister in die Kunstgeschichte
ein. Als Schüler Dürers schufen sie berühmte, detailgenaue Kupferstiche von
kleinstem Format, zum Teil nur briefmarkengroß. Sie gehören zu den ganz großen
deutschen Künstlern des 16. Jahrhunderts.
Die
drei Maler bewiesen viel Mut. So deutliche Worte gegen das Christentum sind uns
von keiner anderen Seite aus der damaligen Zeit überliefert.
Nirgends
gab es so ein klares Bekenntnis zur Freiheit des Glaubens, wie durch sie. Sie
hatten Glück, dass sie aufgrund der politischen Situation in Nürnberg 1525
nicht noch schwerer bestraft wurden. Ihre Ideen und Gedanken blieben lebendig
und haben sich in den folgenden Jahrzehnten ausgebreitet.
Vieles
lag damals in der Luft: Neue Ideen, freiheitliche Gedanken, ja freidenkerische
Ideen, und sie ließen sich nicht aufhalten. Etwa 50 Jahre später trat ein
italienischer Mönch noch energischer auf und wurde wegen seiner Ansichten ein
Verfolgter in ganz Europa: Giordano Bruno (1548-1600). 1576 geriet er in den
Verdacht der Ketzerei und musste Neapel verlassen. Knapp ein Vierteljahrhundert
später wurde er in Rom bei lebendigem Leibe verbrannt.
Aber
die neue Zeit ließ sich nicht aufhalten. Vor dem Hintergrund der Renaissance
und des Humanismus konnte sich am Übergang zur Neuzeit das moderne Weltbild der
Aufklärung langsam herausbilden. Klare freigeistige, atheistische Weltbilder
entstanden. Die religiöse Weltsicht wurde zunehmend kritisch durchleuchtet und
die Allmacht der Kirchen zurückgedrängt.
Von
Giordano Bruno stammt der Ausspruch:
„O heiliges Eseltum, o heilige
Ignoranz!
O heilige Dummheit, heilige Devotion!
Du ganz allein verschaffst ein Glück uns
ganz,
Das keiner Geistesarbeit wird zum Lohn! -
....
Was nützt euch Forschern alles Studium,
Was grübelt ihr mit wissbegierigem Hirn,
Ob Feuer, Erde, Meer hat ein Gestirn?
Nicht kümmert heiliges Eseltum sich
drum;
Es beugt die Knie, es faltet fromm die Hände,
Erwartet, dass der
Herr ihm Segen spende...“[xix]
Am Übergang
zu einer Zeit, in der die Aufklärung bedeutsam werden sollte, setzte sich Bruno
schon für ein besseres Diesseits ein, und so schreibt er:
„Wir suchen nicht eine flüchtige und aussichtslose, sondern die
ernsteste und eines vollkommenen Menschen würdigste Bahn der
Weltbetrachtung...“[xx]
Ja, die Aufklärung kündigte
sich über Jahrhunderte hinweg langsam an, wie auch der bekannte Autor Max Kruse
in seinem neuen Werk „Besen, Besen seid’s gewesen“ betont: „Zwar war auf
die Skepsis und Klugheit der Griechen das psalmodierende Christentum gefolgt,
aber immer öfter hatte sich der freie Geist
geregt …“[xxi]
Die
Tradition der drei gottlosen Maler, der „Nürnberger Kleinmeister“, wurde
weiter geführt bis in die Gegenwart. Der großartige, vor wenigen Jahren
verstorbene Nürnberger Maler Michael Mathias Prechtl (1926-2003) bekannte sich
offen zu dieser Tradition des selbstbewussten Denkens. Auch er wurde als
gottloser Maler bezeichnet und das erfüllte ihn mit Stolz.
Hans Sebald
Beham: Weiblicher Faun.
[i]
Helmut Steuerwald: „Kritische Geschichte der Religionen und freien
Weltanschauungen. Eine Einführung.“ Angelika Lenz Verlag, Neustadt am Rübenberge,
1999, S. 275.
[ii]
Siehe: Wikipedia Konstantinische Schenkung.
[iii]
Siehe dazu:
[iv]
Wikipedia Panentheismus: Besonders hervorzuheben ist der zentrale
Unterschied zum wortverwandten Pantheismus, in dem das Universum als bloßes
Synonym für Gott gilt („Alles ist göttlich und Gott ist alles, was
ist“), während im Panentheismus Gott über das materielle Universum
hinausgeht („Alles im Universum ist Teil Gottes, aber Gott ist mehr als
das Universum“). Gott und Welt sind also nicht identisch.
[v]
Der Spiegel / Geschichte,
„Die Geburt der Moderne“, Nr.
5 / 2009, S. 17
[vi]
http://www.petraschuster.de/nuernberg/geschichte/schoenerbrunnen.shtml:
Die Figuren des Brunnens:
Wie im Mittelalter üblich, deutete die himmelragende Spitze des Brunnens
an, dass alles Weltliche zum Himmel gerichtet sein muss. Unter der Spitze
sind die Vertreter des christlichen Glaubens dargestellt.
Hier die Figuren des Schönen Brunnens, jeweils beginnend im Osten gegen den
Uhrzeigersinn:
Ganz oben Moses und sieben Propheten des Alten Testaments: Hosea,
Daniel, Jeremias, Hesekiel, Amos, Jesaia und Joel.
In der mittleren Ebene sind 16 Herrschergestalten zu sehen, die
Einheit der Menschheit andeutend: Josua, Judas Makkabäus und König David
(und das zu einer Zeit erbitterter Glaubenskämpfe gegen Juden und
Mohammedaner); Julius Cäsar, Alexander der Große und Hektor von Troja (große
klassische Feldherren); die Sieben Kurfürsten: die Erzbischöfe von Köln,
Mainz und Trier, der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der
Markgraf von Brandenburg, Kurfürst von Sachsen, und der König von Böhmen
(Sie sind auch beim Männleinlaufen auf dem Turm der Frauenkirche verewigt.)
Es folgen König Artus, Karl der Große und Gottfried von Bouillon (drei
christliche Vertreter).
Zu Füßen der Herrschergestalten sollen angeblich die Fratzen der
Hauptfeinde Nürnbergs dargestellt sein, darunter Eppelein und Schüttensamen.
Am Beckenrand befinden sich 16 Figuren: Die acht außen sitzenden
kleineren Gestalten stellen mit den jeweiligen Symbolen die Philosophie und
die sieben Unterrichtsfächer der mittelalterlichen Schule dar. Pythagoras
vertritt die Musik (mit Hirtenflöte - Syrinx), Euklid die Geometrie (hält
einen Winkel und eine Zange), Ptolemäus die Astonomie (hält einen
Sextanten), Nikomachos das Rechnen (hält eine Rechentabelle), Aristoteles
stellt die Dialektik, die Kunst des logischen Denkens und Schreibens dar (trägt
eine Tasche), Cicero ist Symbol für die Redekunst (trägt eine
Schnallentasche), Donatus für die Grammatik (Unterrichtet aus einem Buch
einen Knaben) und Sokrates sitzt dabei, um die Zahl acht vollzumachen (er hält
ein Buch).
Hinter jedem Vertreter einer Wissenschaft sitzt eine größere Figur,
es sind die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes und vier
mittelalterliche Kirchenväter: Ambrosius, Hieronymus, Augustinus und
Gregorius. Sie kontrollieren gewissermaßen die Tätigkeit der vor ihnen
sitzenden kleineren Figuren.
[vii]
http://www.philolex.de/thomismu.htm
[ix]
Voit, Gustav; Engelthal – Die Geschichte eines Nürnberger
Dominikanerinnenklosters im Nürnberger Raum; Verlag Korn und Berg, Nürnberg
1977. Sieh auch:
http://staff.fim.uni-passau.de/~schmidtb/philosophie/Kunst/Kunst_in_St_Sebald/Frauenmystik.pdf
[x]
http://de.wikipedia.org/wiki/Francesco_Petrarca
[xi]
http://www.bauernkriege.de/predigt.html
[xii]
www.projektwerkstatt.de/religion/.../luther_original_bauern.rtf
-
[xiv]
Näheres dazu:
Seiffert, Albert / Wiederhold, Gerolf: „Die Nürnberger Patrizier in
Indien“, Galerie GINKGO BILOBA, Nürnberg 1997.
[xv] http://www.amuseum.de/physik/alwaze/alwazehist.htm#Papierm%C3%BChlen
[xvi]
Dr. Michael Diefenbacher, Nürnberg
– eine europäische Wirtschafts- und Geistesmetropole um 1500 (21.
November 2000, Stadtarchiv Chemnitz)
http://www-user.tu-chemnitz.de/~fna/07diefenbacher.pdf
[xvii]
Zitiert aus Herbert Zschelletzschky: Die drei „gottlosen Maler“ von Nürnberg,
VEB E. A: Seemann Verlag, Leipzig 1975. S. 48/49. Auch in:
http://bauernkrieg.diskurse.net/uber/acta-vernehmung-der-drei-gottlosen-maler-betr-1525/
[xviii]
Zitiert in Herbert Zschelletzschky: Die drei „gottlosen Maler“ von Nürnberg,
VEB E. A: Seemann Verlag, Leipzig 1975. S. 61. (Brief Luthers an Joh.
Brismann vom 4. Febr. 1525)
[xix]
In: Deschner, Karlheinz: „Das Christentum im Urteil seiner Gegner“,
Erster Band (darin: Anton Kaiser: „Giordano Bruno“), Limes Verlag,
Wiesbaden 1969. S. 61/62.
[xx]
Zitiert in: Deschner, Karlheinz: „Das Christentum im Urteil seiner
Gegner“, Erster Band (darin: Anton Kaiser: „Giordano Bruno“), Limes
Verlag, Wiesbaden 1969. S. 49.
[xxi]
Kruse, Max: „Besen, Besen, seid’s gewesen.
Eine Vorgeschichte der Aufkärung“, Angelika Lenz Verlag, 2010, S.324/25.