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Fundamentalismus und religiöser Fanatismus in der Welt von heute

Vortrag von Helmut Steuerwald

Vortrag beim Bund für Geistesfreiheit (bfg) Fürth K.d.ö.R.

in Zusammenarbeit mit dem Humanistischen Bildungswerk Bayern

16. November 2001

 

Vorwort

1. Was versteht man heute unter Fundamentalismus?

2. Die nichtchristlichen Religionen, die nicht einen Eingottglauben vertreten und der Fundamentalismus

2.1. Hinduismus

2.2. Buddhismus

2.3. Entwicklung in China

3. Die Besonderheiten der monotheistischen Religionen und der Fundamentalismus

3.1. Das Judentum

3.2. Das Christentum

3.2.1. Katholizismus

3.2.2. Evangelische Gruppen

3.2.3. Sekten, Sondergemeinschaften

3.2.4. Christlicher Fundamentalismus am Beispiel der USA

3.3. Der Islam

4. Unsere Gesellschaft und der Fundamentalismus

5. Unser Wirken

 

Mit Glaubenssätzen kann man Menschen, vor allem in jungen Jahren bestens einlullen. Dies erst recht, wenn diese Sätze tausende Male vorgesagt, beziehungsweise wiederholt werden: Ob es sich dabei um das „Vater unser" oder um „Koranverse" handelt, es ist immer dasselbe. Die Aussagekraft dieser Sprüche wird dadurch nicht wahrer, aber die so behandelten Menschen werden gläubig, ohne nach Beweisen zu suchen. Es ist nämlich häufig angenehmer und bequemer zu glauben als hinter die Dinge zu schauen.

Anstrengender ist es zu suchen und Glaubenssätze in Frage zu stellen. Letztlich ist es aber trotzdem viel schöner, nach Wissen und Wahrheit zu suchen, um sich und anderen eine überlegte Antwort geben zu können oder sich bewusst zu machen, dass es noch keine befriedigenden eindeutigen Antworten gibt.

Wir freigeistigen Menschen haben in der Vergangenheit stets auf die Gefahren fanatischer und fundamentalistischer Anschauungen hingewiesen. Wir sahen darin eine brisante Angelegenheit, obwohl damals die World-Trade-Center-Türme noch standen und das Pentagon als unangreifbar galt. Inzwischen schaut es auf der Welt anders aus. Der Terrorismus hat eine neue Qualität bekommen, wenngleich es ihn im großen Umfang schon lange in der sogenannten dritten Welt gibt. Wir im Westen fühlten uns relativ sicher und haben den fundamentalistisch-terroristischen Bewegungen in anderen Ländern wenig Beachtung geschenkt.

1. Was versteht man heute unter Fundamentalismus?

Der Begriff Fundamentalismus wird in der Gesellschaft unterschiedlich interpretiert:

Zunächst bedeutet der Begriff ja nichts anderes, als dass man zu den Fundamenten, zu den ursprünglichen Glaubensvorstellungen zurück will. Nehmen wir an: Eine Gruppe vertritt ein Christentum, das dem Urchristentum mit seinen recht menschlich anmutenden Vorstellungen von Toleranz, Liebe und Gemeinschaftssinn gleicht. Das klingt zunächst gut und wurde bzw. wird auch heute noch von kleinen Gruppen vertreten, ja man versucht dort sogar danach zu leben. Soweit diese Gemeinschaften dabei Toleranz zeigen, handeln sie im Rahmen demokratischer Glaubensfreiheit. Allerdings: Nach unserer Auffassung kann man nicht mit Vorstellungen von vor zweitausend Jahren die Probleme unserer gegenwärtigen Gesellschaft meistern und auf Dauer danach leben.

Solche Gruppen werden aber im allgemeinen Sprachgebrauch heute nicht als fundamentalistisch bezeichnet. In der Gegenwart verstehen wir etwas anderes darunter, besonders deshalb, weil sich christliche, konservativ-reaktionäre Gruppen in den USA schon seit Ende des 19. Jahrhunderts selbst fundamentalistisch nennen. Als reaktionäre Kräfte haben sie den aufkommenden Darwinismus angriffen und die biblische Vorstellung der Welterschaffung (den Kreatianismus) als einzige Wahrheit gelten lassen. Wir kommen noch darauf.

Inzwischen wird der Begriff Fundamentalismus öfter benützt und bezieht sich auf verschiedene religiöse Gruppierungen – wobei heute sicherlich die islamistische die größte Bedeutung hat. Der Begriff wird auch sonst verwendet, z. B. in der Politik: denken wir nur an die fundamentalistischen Gruppen bei den „Grünen", die man dort sicher nicht unbedingt mit einem negativen Vorzeichen versieht. Die Wortbedeutung wird verwässert und unschärfer!

Heute versteht man meistens unter „religiösem Fundamentalismus" - und so möchte ich ihn auch verstanden wissen - eine Anschauung, die nicht hinterfragt werden darf, da die vertretenen Aussagen angeblich göttlicher Natur sind. So ist zum Beispiel für islamische Fundamentalisten der Koran im Auftrag Gottes unmittelbar Mohammed mitgeteilt worden; auslegen können ihn nur ausgewählte Gelehrte, falls doch noch Unklarheiten für das praktische Leben bestehen. Für christliche Fundamentalisten ist es die Unumstößlichkeit biblischer Aussagen, für Katholiken nach wie vor die Unfehlbarkeit des Papstes, für die Juden die Thora, das Alte Testament.

Verbunden mit dem Fundamentalismus ist, da man ja an Gottes Wort nicht zweifeln darf, zwangsläufig die Anschauung, dass alle anderen Anschauungen falsch sind, und nur der eigene Glaube richtig sein kann. Man ist fanatisch, meist militant, intolerant, undemokratisch, vertritt extremistische Anschauungen, ja man zeigt sich unmenschlich. Der Fundamentalismus ist häufig „Einstiegsdroge" für den Terrorismus. Auch wenn wir den Fundamentalismus ablehnen, sollten wir keinesfalls in den Fehler verfallen, ihn mit Terrorismus gleichzusetzen. Es gibt fundamentalistische Gruppen, die trotz vorhandener Engstirnigkeit Gewalt und Terrorismus grundsätzlich ablehnen.

Fundamentalismus zeigt sich am stärksten in den Religionen mit Eingottglauben, d.h. vor allem im Judentum, Christentum und Islam. Schon Schopenhauer sah den Fanatismus gerade bei den monotheistischen Religionen:

„... zur Steuer der Wahrheit muss ich hinzufügen, dass die ... fanatischen Gräuel uns doch nur von den Anhängern der monotheistischen Religionen, also allein des Judentums und seinen zwei Verzweigungen, Christentum und Islam, bekannt sind."

In den letzten Jahrzehnten finden wir ihn aber auch bei anderen Religionen. Haben diese ihn vielleicht den Vertretern des Eingottglaubens abgeschaut?

Wir sollten uns bewusst machen, dass fanatischer Fundamentalismus sich meistens zunächst gegen den größten Teil des eigenen Volkes, gegen die eigenen bestehenden religiösen Vorstellungen wendet, wenn diese angeblich die Bestimmungen der Religion verraten haben oder diese nicht korrekt einhalten. Das gibt es sowohl im Christentum, Judentum, Hinduismus und besonders auch im Islam. Es kam und kommt hier immer wieder zu grausamen Terroranschlägen. Denken wir nur an das Beispiel Algerien.

Leider müssen wir feststellen, dass gerade in der Gegenwart fundamentalistisch-fanatische Gruppen stärker zum Tragen kommen. Der Fundamentalismus ist, wie der emeritierte Prof. für Rechts- und Religionssoziologie Dr. Johannes W. Neumann und seine Frau, die Psychoanalytikerin Ursula Neumann mit Recht betonen – „eine Folge gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Marginalisierung und Ausgrenzung". Betrachten wir die vielfältigen Ursachen des Fundamentalismus näher. Denn um fanatischen Fundamentalismus wirklich zurückzudrängen, müssen die verschiedenen Ursachen gesehen werden. Nur wenn wir alle Ursachen mit einbeziehen und beseitigen, Fehler korrigieren, wird es zu einer dauerhaften Eindämmung von Terrorismus kommen. Mit Bombardements wird er bestimmt nicht in den Griff zu bekommen sein – im Gegenteil – man erzeugt dadurch nur mehr fanatisierte Draufgänger. Ich sehe vor allem folgende Ursachen für die Entwicklung des Fanatismus und Fundamentalismus, wobei diese Ursachen natürlich ineinander verwoben sind und es auch noch weitere gibt:

a) Wirtschaftlich-soziale Problematik: An erster Stelle sehe ich wirtschaftlich-soziale Gründe, auch wenn dies gerne von Vertretern aus der Wirtschaft angezweifelt wird. Die Schere zwischen Armen und Reichen, aber auch zwischen armen und reichen Ländern wächst. Die Gegensätze werden größer, das schafft und fördert Hass. Alternativen zur Beseitigung der zunehmenden Verelendung, welche die Globalisierung mit sich bringt werden - nach dem Scheitern sozialistischer Modelle - nun stärker in religiösen fundamentalistischen Modellen gesehen, so vor allem im islamischen Fundamentalismus. Zum Beispiel leben fast 2/3 der Palästinenser unter der Armutsgrenze, Afghanistan gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, in Indonesien klafft die Schere zwischen arm und reich im letzen Jahrzehnt besonders, ähnlich ist es in Bangladesch, Indien, Pakistan usw. Kennzeichnend für die Entwicklung ist auch der Hass in vielen Ländern der 3. Welt gegen die Supermacht USA. Wenn es um Krieg geht spielen Milliarden Dollars keine Rolle, wenn es um Hilfen für Millionen hungernde Menschen verarmter Völker geht oder auch um echte Wirtschaftshilfe geht, ist man froh wenn man ein paar Millionen Dollar zusammenbringt. Man sieht aber in den USA und ihrer arroganten imperialistischen Politik, der Unterdrückung der Interessen verschiedener Völker mit ihren eigenständigen Kulturen, die Ursachen für Not und Hunger. Schon Bertold Brecht sagte: „Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral". Als Folge falscher amerikanischer Politik kommt es zur Polarisierung, und die Spirale des Hasses schraubt sich höher. Im übrigen: Arme, hungernde Menschen, mit niedriger Bildung lassen sich leicht fanatisieren.

b) Aus der Geschichte gewachsene Problematik: Ursachen für religiöse fundamentalistische Tendenzen sind auch in den nationalen Befreiungsbewegungen zu suchen, denen nicht die Erfolge beschieden wurden, die sie erwartet hatten. Reste kolonialen Denkens, aber auch die Arroganz moderner westlicher Länder, verbunden mit Profitgier und weiteren entsprechenden Haltungen schürten Hass, der von religiösen Gruppierungen aufgegriffen wurde und für ihre Zwecke missbraucht wurde. Gerade die Arroganz der USA im Umgang mit vielen Ländern ist hier beispielgebend und schürt die Wut. Rationale Auswege, um aus der Misere zu kommen - die Abhängigkeit von den Großmächten abzustreifen und auch eigene kulturelle Identität zu bewahren - werden häufig nicht gesehen, und so kommt es zur Verstärkung des religiösen Fanatismus.

c) Politische Problematik: Wir haben viele international nicht gelöste Probleme. Ursachen gehen oft weit in die Geschichte zurück, vor allem auf die Kolonialzeit und die damit verbundenen willkürlich gezogenen Staatsgrenzen. Die Vereinten Nationen oder die westlichen Industrienationen bemühen sich nicht wahrhaft um Hilfen zur Lösung, man tut es nur halbherzig oder schürt sogar religiöse und politische Konflikte. Denken wir nur an Ruanda, an Israel – Palästina usw. Denken wir an Konflikte wie in Afghanistan, wo der Westen die Taliban u.a. mit Geld und Waffen im Kampf gegen den „Kommunismus" unterstützt hat, aber sich nicht um die Probleme gekümmert hat, die als Folge im Land entstanden sind. Die Waffen, welche die fundamentalistischen Taliban viele Jahre gegen das eigene Volk und dann gegen das amerikanische Militär richteten, wurden zum größten Teil von den USA finanziert.

d) Die institutionellen Religionen, vor allem auch die Kirchen, haben in ihrem oft stark ausgerichteten politischen Engagement häufig versagt, sie haben sich meist mit den Mächtigen verbunden, opportunistisch gehandelt. Die Vermischung von Staat und Religion, die Anwendung theokratischer Vorstellungen im Recht (Scharia, aber auch Klauseln im jüdischen Recht und entsprechende Rechtsklauseln in christlich dominierten Ländern) haben zur Bevorzugung gewisser religiöser Gruppierungen geführt. Mangelnde Trennung von Staat und Kirche in vielen Ländern sind ein Nährboden für Fundamentalismus. Über Jahrhunderte wurde Hass gegen abweichende und andere Religionen geschürt, und es kam im Rahmen des Fanatismus zu Mord und Todschlag. Auch in der Gegenwart kommt es von konservativer Seite - in und außerhalb der Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften – zu Gruppierungen, die sich grenzenlos fanatisch einer bestimmten Gottesvorstellung, meist unter einem charismatischen Führer, total unterwerfen und religiösen Hass schüren.

e) Emotionale Ebene: Die Vereinsamung der Menschen spielt m.E. auch eine große Rolle. In unserer hochtechnisierten, auf Profit ausgerichteten Gesellschaft kommt der emotionale Bereich zu kurz. Fundamentalistische Gruppierungen gehen meist auf Gefühle ein, zeigen starken Gemeinschaftssinn und geben eine scheinbare Geborgenheit, die oft in absoluter Abhängigkeit endet. Dies vor allem in terroristischen Gruppen. Es kommt zu Polarisierungen. Der Gegner wird als Inbegriff des Teufels gebrandmarkt, ja als Tier oder Untermensch. Gegen Andersgläubige wird gehetzt. Da wir diese Haltung bei unterschiedlichen fanatischen Fundamentalisten haben, kommt es zu gegenseitiger Hetze, zu Gewalttaten und Kriegen.

f) Globalisierung, Geld und Technik: Die Entwicklung der Technik und der Glaube, dass man mit Geld alles machen kann, ist ein weiterer Grund für die Entwicklung des Fundamentalismus. Viele alte Kulturvorstellungen müssen aufgegeben werden, kulturelle Identität wird zerstört bzw. verändert und der Gegenwart angepasst. Dies geschieht meist mit rasanter Geschwindigkeit, so dass die meisten Menschen nicht in der Lage und auch nicht bereit sind, diese Entwicklung nachzuvollziehen. Das einseitige, gefühllose wirtschaftliche Denken löst Ängste aus. Der Fundamentalismus versteht es hier einzuhaken und Menschen für seine Ideen zu gewinnen.

g) Bildungsproblematik: Gerade in Ländern mit besonders niedrigem Sozialprodukt, mit hohem Analphabetentum und allgemein niedrigem Bildungsstand fällt auf, dass die Menschen am leichtesten für Fundamentalismus und Fanatismus zu gewinnen sind. Beispielsweise hat Afghanistan über 70 % Analphabeten und gehört zu den ärmsten Ländern der Welt.

h) Solidarität Gebildeter mit dem Volk: Fanatisierte Hochgebildete, welche den Verlust des eigenen kulturellen Erbes und die sozialen Ungerechtigkeiten im eigenen kulturellen Lager sehen, solidarisieren sich mit den Armen. Hier finden sich Anhänger mit hohen technischen Kenntnissen, die ihre Kraft für terroristische Handlungen hergeben, dabei auf die Hilfe Gottes hoffend.

i) Problematik des Traditionalismus: Der wissenschaftliche Fortschritt hat der Bedeutung von Religionen mit ihren kreatianistischen und anderen überholten Vorstellungen herbe Verluste eingebracht. Die Entwicklungslehre hat sich letztlich gegen religiöse Vorstellungen durchgesetzt. Fundamentalisten können dies nicht verkraften, zeigen sich gehässig und unbelehrbar, ja es kommt zu Attentaten. Sie möchten dem Fortschritt Einhalt gebieten und kommen mit pseudowissenschaftlichen Argumenten.

j) Ethik: In unserer Zeit fehlen allgemein verbindliche ethische Werte und Normen, bzw. werden, wie die „Charta der Menschenrechte", ignoriert. Über ethische Fragen gibt es keinen grenzenüberschreitenden Konsens; denken wir nur an die Gentechnik. Hier steigen fundamentalistische Gruppen gerne ein und kommen mit überkommenen Wertvorstellungen aus Heiligen Schriften.

k) Psychologische Probleme: Mit dem Fortschritt der Wissenschaften werden komplizierte Vorgänge der Welt aufgeklärt, aber es treten auch neue Fragen auf. Viele Zusammenhänge sind nicht mehr durchschaubar, obwohl wir Menschen eigentlich Sicherheit und klare Antworten suchen. Mit Recht betont Frau Angela Pichler-Lichtenegger: „Menschen sehnen sich in der immer wieder komplizierter werdenden Welt und Wirklichkeit nach eindeutigen Antworten, nach Sicherheit und ewiggültigen Wahrheiten". Fundamentalisten geben einfache Antworten, ohne sich auf Wahrheitsbeweise einzulassen und finden hierfür Anhänger.

l) Problematische Medienpolitik: Viele Politiker, religiöse Führer u.a. wenden sich in den Medien aus populistischen Gründen oder Wirtschaftsinteressen an die primitiven Instinkte der Menschen, erzeugen Hass durch Pauschalierungen und heizen Stimmungen an. So wird der Islam bei uns häufig gegenüber dem Christentum pauschal als minderwertig hingestellt, ebenso das Judentum oder andere Gruppierungen (ähnliches geschieht natürlich auch umgekehrt auf islamischer oder israelitischer Seite). Hass schaukelt sich hoch, Fanatismus und Fundamentalismus nehmen zu.

Soweit Gründe für die Ursachen des Fundamentalismus und Fanatismus, die ich für besonders wichtig halte, wobei es sicherlich noch weitere gibt.

Im übrigen: Man kann feststellen, gerade weil die Mehrzahl der Menschen auf der Welt fundamentalistische Vorstellungen ablehnt, werden die sie vertretenden Gruppen militanter und aggressiver.

Außerdem, auch wenn das gelegentlich bestritten wird: Religiös fundamentalistische Anschauungen haben immer einen politischen Charakter, sind politisch orientiert, sind meist auf der rechten extremistischen Seite angesiedelt und schließen sich öfter direkt oder indirekt politischen Bewegungen an bzw. unterstützen diese.

Fundamentalismus gibt es in vielen Religionen, an erster Stelle wie gesagt bei den monotheistischen Religionen. Gehen wir aber zunächst kurz auf einige andere bedeutende Religionen ein.

 

2. Die nichtchristlichen Religionen und der Fundamentalismus.

2.1. Hinduismus

Der Hinduismus zeigte aufgrund seines Aufbaues und der Vielfältigkeit seiner Anschauungen wenig Tendenzen zum Fundamentalismus. Allerdings trat dann im 19. Jahrhundert auf dem Hintergrund des Kampfes gegen den Kolonialismus ein Wandel ein. Im Kampf gegen die Kolonialmacht England hat es auch religiösen Widerstand gegeben. Trotz des Wirkens Mahatma Gandhis (1869-1948), der den gewaltlosen Widerstand propagierte, gab es im rechten Spektrum nationalistisch-religiöse Gruppierungen, die für Gewalt eintraten. Nach der Unabhängigkeit des Landes haben sich daraus aggressive fundamentalistische Bewegungen gebildet, die militant gegen andere vorgehen. Es kam dabei zur Vermengung von Politik und Religion. Bekannt sind die mehrmals verbotenen, gewaltbereiten religiös-rechtsradikalen Vereinigungen Vishva Hindu Parishad (VHP) und Rashtriya Svayamsevak Sangha (RSS). Sie haben inzwischen Millionen Anhänger. Man wendet sich nun verstärkt gegen religiöse Minderheiten im Lande wie die der Sikhs, gegen Christen und vor allem auch gegen moslemische Minoritäten. Die Zerstörung der „Babri-Moschee" und dem damit verbundenen Blutbad in Ayodhya sind wichtige Hinweise auf den gefährlich erstarkenden religiösen Fundamentalismus im Lande. In den Grenzgebieten nach Pakistan finden wir diesen Fundamentalismus ebenfalls – im Kampf gegen moslemische Fundamentalisten.

Ähnlich problematische politisch-religiöse Bewegungen gibt es bei den unterdrückten tamilischen hinduistischen Bewegungen in Sri Lanka.

 

2.2. Buddhismus

Zunächst widerspricht dem Buddhismus jede Form des Fundamentalismus, so wie wir ihn in der Gegenwart verstehen.

Trotzdem: Auch hier finden sich in neuerer Zeit stärker Tendenzen zu fundamentalistischen Haltungen, vor allem in Sekten des Mahayana-Buddhismus, im tibetanischen Buddhismus und in Gruppen, die synkretistisch den Buddhismus mit anderen religiösen Vorstellungen verbinden. Gerade in Japan ist dies besonders augenfällig, denken wir nur an die berühmt-berüchtigte Sekte „Aum-Shinrikyo" mit ihren Anschlägen in der Tokyoter U-Bahn. Deren Führer hat ja buddhistische Elemente mit hinduistischen, islamischen und anderen vermischt und den Tod als etwas Schönes gepriesen.

Auch sonst finden sich bei japanischen buddhistischen Gruppen fanatisch-fundamentalistische Tendenzen, ebenso in Sri Lanka bei bestimmten Gruppen im Kampf gegen die Tamilen.

 

2.3. Entwicklung in China

Nachdem in China bestimmte religiöse Gruppen behindert werden, ist es schwer zu sagen, ob dort fundamentalistische Bewegungen eine größere Rolle spielen.

Über die Falungong-Bewegung haben wir in der Presse viel gehört. Unabhängig von der Tatsache, dass sie in China verfolgt wird, kann man feststellen, dass sie teilweise enge fundamentalistische Vorstellungen hat, was allerdings heute von der in Deutschland agierenden Falungong-Gruppe bestritten wird. Wenn man aber tiefer einsteigt und die Äußerungen ihres Gründers und „Meisters" Li Hongzhi näher betrachtet, findet man viele fundamentalistische Ansichten mit Absolutheitscharakter. Auf den Home-Page-Seiten der Organisation in Amerika ist dies klar zu erkennen.

 

3. Die Besonderheiten der monotheistischen Religionen und der Fundamentalismus.

Wenden wir uns den typischen monotheistischen Religionen zu. In diesen Religionen sind von vornherein Grundlagen für fanatisch-fundamentalistisches Verhalten angelegt, da sie vom Alleinvertretungsanspruchs ihres Glaubens ausgehen. Aus der Geschichte wissen wir, dass schon frühzeitig sowohl im Judentum, dann im Christentum und schließlich im Islam fanatische fundamentalistischen Anschauungen zum Tragen kamen, ohne dass diese früher so genannt wurden.

 

3.1. Das Judentum

Die älteste größere monotheistische Religion ist das Judentum. Fanatische starre Anschauungen finden wir neben sehr humanen und toleranten Haltungen bereits im Alten Testament.

Aus der Geschichte wissen wir, dass fanatisierte Gruppierungen – sicherlich zeitweise mit hären Zielen – Terroranschläge und Morde verübten, so beispielsweise unter den Zeloten im Kampf gegen die römische Vormachtsstellung in Israel.

Aber gehen wir in die Gegenwart:

Im Staat Israel finden sich jüdische Gruppen, die mit fundamentalistischem Fanatismus alles Nichtjüdische, alles was im Widerspruch zur Thora - zum alten Testament steht - bekämpfen. Sie sehen in anderen religiösen Anschauungen etwas Minderwertiges und sich selbst als Auserwählte. Obwohl sie kleine fanatische orthodoxe Minderheiten bilden, sind sie in der Politik oft das Zünglein an der Waage. Ihre feindliche Einstellung gegenüber den Palästinensern und ihre Bereitschaft, auch mit terroristischen Mitteln das alte biblische Israel zu schaffen sind kennzeichnend. Sie zeigen Hass gegen das liberalere Judentum und schrecken nicht vor Mord zurück, wie sie es bewiesen haben durch den tödlichen Anschlag auf den für Frieden und Verständigung eintretenden ehemaligen Ministerpräsidenten und Nobelpreisträger Jitzchak Rabin. Diese Fundamentalisten haben kein Interesse an einer Versöhnung oder auch nur Verständigung mit den Palästinensern, sie hetzen die Bevölkerung auf und sind mitschuldig an der sich ausbreitenden Fanatisierung auf beiden Seiten. Die heutige Regierung von Sharon arbeitet mit diesen Gruppen zusammen, ja, steht ihnen nahe. Schon durch den Besuch Sharons auf dem Tempelberg wurde die Spirale des Hasses und Fanatismus hochgeschraubt. Der kürzlich von palästinensischen Terroristen ermordete israelitische Minister Rechawam Seewi – Vorsitzender der rechtsextremen religiösen Heimatpartei „Moledet" – hatte die Palästinenser als „Läuse" und als „Krebsgeschwüre" bezeichnet und wollte alle Araber aus den palästinensischen Gebieten vertreiben und diese mit Juden besiedeln. Kein Wunder, dass es seitens islamistischer Gruppen dann zum Mord kam.

Besonnene Kräfte im Land haben es heute schwer, gegen diese Leute aufzukommen, obwohl ich viele Juden kenne, die über die Entwicklung in Israel erschüttert sind und die Verständigung mit den Palästinensern suchen.

 

3.2. Das Christentum

Ich komme zum Christentum. Trotz der schlimmen Verbrechen islamischer Extremisten und Fundamentalisten sollten wir unseren christlichen Fanatismus und Fundamentalismus nicht unterschätzen. Vieles was wir den islamischen Fundamentalisten vorwerfen, traf und trifft ebenso auf den christlichen Fundamentalismus zu.

Nachdem wir in christlich geprägten Ländern leben, ist es unsere Hauptaufgabe bei uns – in der westlichen Hemisphäre - gegen Unmenschlichkeit in ihren verschiedensten Facetten zu wirken. Hier müssen wir vor allem die Untaten christlicher Fundamentalisten – die ja in vielen Verhaltensweisen den islamistischen ähnlich sind - brandmarken.

Das Christentum hat in seiner blutigen Geschichte aus Fanatismus ganze Völker ausgelöscht, Kulturen zerstört. Kennzeichnend sind Zwangschristianisierung über Jahrtausende, Massenmorde an Andersdenkenden, Frauenfeindlichkeit, aber auch Rassismus bis in die Gegenwart. Erst mit der Entwicklung von Humanismus und Aufklärung konnte dem entgegengewirkt, konnten langsam Verbesserungen erzielt werden. Forderungen nach Verwirklichung grundlegender Menschenrechte und die Idee der Toleranz gewannen – meist im Kampf gegen die Kirchen – langsam an Bedeutung. Es ist allerdings bis heute vielerorts nicht gelungen, sie tatsächlich umzusetzen: am wenigsten in stark religiös ausgerichteten Nationen und Gebieten.

Darüber hinaus: Fanatische religiöse Gruppierungen bekämpfen sich weiter gegenseitig, denken wir nur an das menschenverachtende Verhalten fanatischer Gruppen in Nordirland, die sogar kleine Kinder traumatisierten und am Schulbesuch hinderten.

 

3.2.1 Katholizismus

In der Geschichte hat die katholische Kirche und ihr zugehörige Gruppen durch Fanatismus die größten Verbrechen heraufbeschworen: Vernichtung Andersgläubiger, Hexenverfolgungen, Kreuzzüge, die Ermordung von zig-Millionen Indianern im Rahmen der „Christianisierung" Amerikas, Glaubenskriege usw. wurden meist von fanatisch-fundamentalistisch denkenden Päpsten und religiösen Führern propagiert und durchgeführt. Das geht bis in die neue Geschichte: denken wir nur an die Errichtung der faschistischen Franco-Regierung in Spanien oder an das „Ustascha-Regime" im ehemaligen Jugoslawien. Mit Unterstützung vom damaligen Erzbischof Stepinac, der später vom Papst zum Kardinal erhoben wurde, wurden Hunderttausende Andersgläubige umgebracht.

Heute gibt es größere fanatische katholische Gruppen und Orden. Der moderner ausgerichtete Laienorden „Opus dei" mit seinen extremistisch-konservativen, ja faschistischen Anschauungen und seinen dubiosen Arbeitsmethoden gehört z.B. dazu. Opus dei hat in Franco-Spanien einen großen Teil der Minister gestellt und hat sich immer wieder stark gemacht für rechts-extreme Diktaturen in Lateinamerika. In Führungsgremien des Vatikans ist die Bewegung stark vertreten und vor allem auch in Wirtschaftsunternehmen. Die auf strengen Gehorsam ausgerichtete Organisation ist intolerant, sie ist getragen von Männlichkeitswahn und Führungskult, sieht in den Frauen etwas Minderwertiges. Sie ist wirtschaftspolitisch modern ausgerichtet, sonst aber gegen eine aufgeschlossene moderne Gesellschaft.

Eine weitere Gruppierung, „das Engelswerk" mit ca. 1 Million Mitgliedern weltweit, wird allerdings inzwischen nicht mehr offiziell vom Vatikan anerkannt, obwohl sogar Kardinäle und Bischöfe zu seinen Mitgliedern zählen. Dort wird immer wieder betont, dass man dem Papst treu ergeben sei. Das Engelswerk steht mit seinen reaktionären Ansichten dem „Opus dei" nahe. Der Kampf gegen Dämonen spielt in dieser Bewegung eine große Rolle, wobei behauptet wird, dass Zigeuner, Juden, Bauersfrauen, aber auch schwarze Katzen und anderes Getier besonders für Dämonen empfänglich seien. In ihren Reihen und vor allem in ihren Erziehungseinrichtungen herrscht eine straffe Zucht, es wird auch geschlagen und absolute Geheimhaltung in bestimmten Angelegenheiten und Anschauungen verlangt.

Das Engelswerk hat gewaltigen Einfluss auf verschiedene katholische Orden, so auf den reaktionären Orden der „Schulschwestern Unserer Lieben Frau" in Auerbach, die ja gerade in letzter Zeit in der Presse Aufmerksamkeit erregten. In der von den Schulschwestern geführten katholischen Realschule in Auerbach wurde aus den offiziellen Biologiebüchern alles zum Thema Sexualkunde herausgerissen und dadurch der Bildungsauftrag nicht eingehalten, obwohl der Sexualkundeunterricht – in Bayern zunächst nicht gerade aufgeschlossen befürwortet – sogar von den Kirche abgesegnet ist. Oberschülerinnen werden vom Unterricht heimgeschickt, weil sie zu kurze Röcke tragen, Schüler als „Werkzeuge Satans" bezeichnet, weil sie an einem Freitag in den Tanzkurs gehen, usw. „Das Mittelalter lässt grüßen!" – heißt es sogar von offizieller Seite. In dem von den Schulschwestern geführten öffentlichen Kindergarten wird den Kindern „die Hölle heiß gemacht", weil sie erzählten, dass sie ihre Eltern nackt gesehen haben. Dies alles geschieht in öffentlichen Einrichtungen und staatlich anerkannten Schulen.

In Verbindung mit dem Engelswerk steht auch die katholische Pfadfinderschaft, und es gibt noch viele weitere katholische Organisationen, die eng mit diesem verbunden oder verflochten sind.

Über weitere katholisch-fundamentalistische Anschauungen in Deutschland haben wir in den letzten Jahren genug gehört, als es um Schwangerschaftsberatung, Kruzifix oder Schulunterricht ging.

Weltweit findet man reaktionäre, militant-fundamentalistische katholische Organisationen: denken wir dabei nur an die Jahrzehnte dauernden Kämpfe der fanatischen Gruppen in Nord-Irland, wobei es natürlich auf protestantischer Seite nicht anders ist.

 

3.2.2. Evangelische Gruppen

Zunächst denkt man, evangelische Gruppen sind aufgeschlossener, demokratischer organisiert, zeigen weniger Gehorsam und Dogmatismus. Das trifft auf Teile der evangelischen Kirche zu. Es gibt aber gerade auch im Protestantismus Gruppierungen, die extrem fanatisiert und fundamentalistisch sind, auch bei uns in Deutschland. Vor allem im Rahmen der Freikirchen finden wir sie.

Besonders in Nord- und Südamerika existieren viele extremistisch organisierte evangelische Freikirchen.

Evangelische Fundamentalisten fühlen sich als die „Saubermänner" der Nation, wenden sich gegen wissenschaftlichen Fortschritt, gegen den Darwinismus, gegen eine moderne Sexualmoral und sind natürlich gegen den Schwangerschaftsabbruch, ähnlich wie katholische Kreise. Hauptsächlich in der Evangelisationsbewegung und besonders in den Pfingstgemeinden finden wir viele Vertreter dieses Spektrums. Einige dieser Gruppen haben eng zusammengearbeitet mit Diktaturen in Südamerika, ja an Massakern gegen Indios in Mittelamerika mitgewirkt.

Wir stoßen auch in Deutschland auf starre fundamentalistische evangelische Gruppierungen, welche den Kreationismus propagieren und rückwärtsgewandt denken. Man schaue sich nur im Internet um, beispielsweise im Evangeliumsnetz.

Erstaunlich ist, dass auch die Baptisten, die größte protestantische Kirche der USA, die eigentlich als aufgeschlossener galt, enger und fundamentalistischer wird. So hat der Vorstand der Southern Baptist Convention mit ihren 16 Millionen Mitgliedern beschlossen, dass sich die Frauen in Zukunft ihren Männern „huldvoll zu unterwerfen haben". Ein Weg zurück ins Mittelalter?

 

3.2.3. Sekten, Sondergemeinschaften

Gewisse christliche Sekten haben in der Vergangenheit verheerend gewirkt, ja sie sind heute noch aktiv. Auch im Rahmen der esoterischen Bewegung findet man starre Anschauungen und Gruppen mit fanatischer Einstellung. Dort vertritt man vor allem nazistisches Gedankengut, ist antisemitisch usw..

Wir wissen von Endzeitsekten, die vor Mord, ja Massenmord, und vor allem auch vor Selbstmord - und hier besonders vor Gruppen-Selbstmord - nicht zurückschrecken. Diese Endzeitsekten glauben an einen baldigen Weltuntergang. Ihre Mitglieder wären dann die Auserwählten, die nach dem Tod im Paradies oder sonst wo weiterleben bzw. eine besondere Rolle spielen würden. Man müsse auf diese Endzeit hinarbeiten, und dies geschieht eben bei manchen Sekten durch Vernichtung und Mord.

Bei der amerikanischen Volkstemplersekte des Jim Jones kam es 1978 in Guyana zum kollektiven Suizid, bei dem 923 Anhänger starben, darunter auch viele Kinder.

Die Davidianersekt unter dem selbst ernannten Propheten David Koresch in Waco, USA, hatte sich lange Zeit verschanzt, und als im April 1993 das Bollwerk gestürmt werden sollte, kam es auch hier zum Massenselbstmord und Mord von 86 Menschen, unter ihnen 17 Kinder.

Bei den Sonnentemplern in der Schweiz unter dem „Großmeister" Lic. Jouret gab es durch Selbstmord und Mord im Oktober 1994 53 Tote. 1995 starben in Frankreich weitere Mitglieder.

In Deutschland gibt es natürlich auch verschiedene christliche Gruppierungen, die sich fanatisch streng verhalten, dabei oft auch nationalsozialistisches Gedankengut mit propagieren oder auch von ehemaligen Nazis gegründet wurden. Denken wir dabei nur an die „Bruderschaft Salem", die ihren Sitz in Stadtsteinach hat und verschiedene Hilfswerke betreibt. Diese Bruderschaft war schon oft in Prozesse ver-wickelt wegen ihres Finanzgebarens und vor allem wegen ihrer Erziehungsmethoden.

Auch andere Sekten, Misch- und Neureligionen haben fundamentalistischen Charakter und wollen mit ihrer Haltung die Welt erobern, so besonders die Mun-Sekte. Aber auch bei Scientology und anderen stößt man auf entsprechend gefährliche Äußerungen. Wir finden noch viele weitere Beispiele fundamentalistischen Verhaltens in verschiedenen anderen Religionen.

Etwas näher wollen wir auf den Fundamentalismus in den USA eingehen.

 

3.2.4. Christlicher Fundamentalismus am Beispiel der USA

Eine auffällige Rolle spielt der Fundamentalismus in den USA. Fanatisch-christliche Vorstellungen zeigen sich zunächst in Strömungen der großen Kirchen. Dies ist eine sehr gefährliche Entwicklung, weil sie in den letzten Jahrzehnten ihren Niederschlag auch in der Politik findet. Der jetzige US-Präsident Georg W. Bush fördert fundamentalistische Haltungen und ist sich wohlbewusst, dass er die Stimmen aus diesem Lager für seine konservative Politik braucht. Bush selbst hat sich in den vergangenen Jahren dafür eingesetzt, dass der Kreationismus, also die biblische Schöpfungslehre, in Schulbüchern wieder gleichwertig neben die Evolutionslehre gestellt wird.

Sowohl von katholischen, protestantischen als auch sonstigen fundamentalistischen Kräften der USA werden liberalere Haltungen bekämpft, frei denkende Menschen verfolgt. Der Hass wendet sich dabei gegen wissenschaftlich fundierte Anschauungen und die Freiheit der Wissenschaften. Kirchenkritiker Karlheinz Deschner schrieb schon vor einem knappen Jahrzehnt – inzwischen hat sich wenig verändert – dazu folgendes:

„In der Tat, die Nation, die egoistisch und materialistisch ist bis zum Extrem, zum Exzess, sie ist auch 'religiös' wie kaum eine zweite... 94% der US-Bürger glauben an Gott, 89% beten regelmäßig und 88% halten noch heute die Bibel für Gottes Wort - ein hoher Intelligenzausweis. Zwei Drittel der Erwachsenen wissen sich 'im Glauben neu geboren'. Und noch etwas mehr als zwei Drittel sind überzeugt, später 'in den Himmel zu kommen'. 40% eilen einmal wöchentlich zur Kirche oder Synagoge. Gleichwohl werden Religionsfragen in der Presse meist nicht diskutiert. Es gibt zu viele Kirchen und Sekten (nur ein Unterschied im Wort, nicht in der Sache), denen man dabei zu nahe treten und sich selbst das Geschäft, das Zeitungsgeschäft, vermasseln könnte."

Auf protestantischer Seite werden in der mit dem Pietismus verwandten evangelikalen Bewegungen und in der Pfingstbewegung der USA häufig extreme Auffassungen vertreten. Auch der Ku Klux Klan ist ein Kind des protestantischen Fundamentalismus. In neuerer Zeit ist es vor allem das „Christian Identity Movement" (CIM), das eine christlich-ultrareaktionäre Haltung einnimmt, Rassenhass sät, antisemitisch ist und überkommene Konspirationsthesen vertritt. Wolfgang Kreuzberger schreibt dazu: „Die Rolle der Juden wird in der CIM-Ideologie darin gesehen, dass sie den Geist der weißen christlichen Amerikaner vergiften, indem sie Multikulturalismus, Rassenmischung und sexuelle Libertinage in den Medien propagieren und durch Regierungsprogramme realisieren, die der Gleichstellung der Schwarzen, der Frauen oder sexueller Minderheiten dienen".

In den letzten Jahren kam es häufiger zu Gewaltakten, ja ging bis zum Mord an Ärzten, die legale Schwangerschaftsabbrüche durchführten.

In verschiedenen Gruppen ereignen sich immer wieder gewalttätige Übergriffe. Selbst von Schweizer evangelischer Seite heißt es dazu:

„In den USA gibt es am rechten Flügel des Fundamentalismus... allerdings auch Gruppen, die sich militant verhalten. Dazu gehört die Bildung von paramilitärischer Einheiten, welche Schießübungen und Manöver veranstalten, die auch von einem eigenen Staat träumen, in der es nur Christen gibt... Die Grenzen zwischen Fundamentalisten und Ausschwitz-Leugnern (Revisionisten) und Banden wie dem Ku-Klux-Klan sind in den USA fließend."

Der Hass einzelner rechts-extremer christlich-fundamentalistischer Strömungen gegen Schwarze und Juden, gegen demokratische Vorstellungen und moderne Lebensweisen geht soweit, dass Gruppierungen die Terroranschläge gegen das World Trade Center gutheißen, da dies ja ein Anschlag gegen die Verjudung gewesen sei. Solche fanatisierten Gruppen haben auch weiterhin ihre Trainingslager in den USA und werden geduldet, ja gelegentlich gefördert. Bis heute sind auch noch nicht die Hintergründe der Milzbrandanschläge geklärt: Vermutungen gehen dahin, dass sie von fundamentalistischen christlichen Fanatikern aus dem eigenen Land verursacht wurden.

Kennzeichnend für die meisten und weit verbreiteten christlich-fundamentalis-tischen Strömungen der USA ist, dass zwar ein wirtschaftlich-liberaler Kurs vertreten wird und die modernen Technologien verwendet werden; aber sonst ist man gegen eine moderne aufgeschlossene Gesellschaft: Die Haltung dieser Leute ist von engstirniger Prüderie getragen. Sie sind gegenüber Andersdenkenden extrem intolerant, schüren Hass, handeln brutal und unmenschlich – öfters auch im Geheimen. Sie üben vor allem über die Medien Druck aus, wobei sie das „gesunde Volksempfinden" vorschieben. Am extremrechten Flügel der Konservativen sind sie in der Politik aktiv tätig. Diese Fundamentalisten arbeiten gegen eine laizistische Schule, sind intolerant und verhindern ein gemeinsames Miteinander in einer pluralen Welt. Sie fallen als sogenannte „Saubermänner der Nation" auf, sind gegen eine modernere Sexualmoral, gegen die Homosexuellen, vor allem auch gegen die Gleichstellung der Frau und sind meist rassistisch. „Law an order" ist für sie wichtig, und sie sind die entschiedensten Verfechter der Todesstrafe. Auffallend ist ihr Kampf gegen eine vernünftige Geburtenkontrolle und besonders gegen Schwangerschaftsabbrüche: Ärzte, Verfechter des Abbruches und betroffene Frauen werden mit allen Mitteln verfolgt. Diffamierungen, wirtschaftliche Sanktionen, Psychoterror, Misshandlungen, ja Morddrohungen sind dabei an der Tagesordnung.

Die Wissenschaftsfeindlichkeit amerikanischer Fundamentalisten zeigt sich besonders am Beispiel der Entwicklungslehre.

Die bekannte Zeitschrift „Geo" hat in den vergangen Jahren mehrmals auf fanatische christliche Gruppen hingewiesen, die massiv gegen wissenschaftliche Erkenntnisse vorgehen. Vor allem streben diese fundamentalistischen Gruppen an, die wissenschaftlich fundierte darwinistische Entwicklungslehre durch die Schöpfungslehre, den Kreationismus, zu ersetzen. Dazu heißt es in „Geo" Nr. 2 vom Februar 2001:

In Europa machen die großen Kirchen Ende des 19. Jahrhunderts ihren Frieden mit Charles Darwin und Ernst Haeckel. In den USA dagegen halten vor allem die Anhänger der zahlreichen protestantischen Gemeinden an ihren "fundamentalen Wahrheiten" fest.

... Anfang der neunziger Jahre wird die kalifornische Schulbehörde zu 225000 Dollar Schadensersatz verurteilt, weil sie die Wissenschaftlichkeit des Institute for Creation Research angezweifelt hat. 1995 werden Schulbücher in Alabama mit Stickern beklebt, die verkünden, dass die Evolution "eine umstrittene Theorie ist, die nicht als Tatsache angesehen werden darf". In Kentucky müssen Buchseiten zum Thema "Urknall" verklebt werden. In Louisiana und Arizona müssen Lehrer vor Lektionen über Darwins Lehre Warnungen verlesen, in mehr als einem halben Dutzend anderer Staaten gibt es vergleichbare Bestrebungen. 1999 feiern die Kreationisten einen besonderen Erfolg: Die Schulbehörde von Kansas untersagt, Evolution und Urknall in den staatlichen Leistungsprüfungen abzufragen oder auch nur zu erwähnen.

Besonders auch hier: Wissenschaftler werden von den Kreationisten verfolgt und vor allem die humanistischen und atheistischen Organisationen diffamiert, ihre Vertreter persönlich terrorisiert.

Wie schon betont, der jetzige Präsident der Vereinigten Staaten, G.W. Bush, steht christlichen fundamentalistischen und kreationistischen Verbänden nahe und unterstützt deren Anliegen.

 

3.3. Der Islam

Nun aber zum Islam, der uns z.Z. am meisten berührt.

Wir sollten nicht in den Fehler verfallen den Islam pauschal zu sehen, weil hier fanatisierte Gruppen die westliche Welt in Angst und Schrecken versetzt haben. Im Islam kennt man – ähnlich wie bei uns im Christlichen Abendland – Bestrebungen, den Glauben auf der ganzen Welt durchzusetzen, weil er der einzig wahre sei. Bestrebungen die Welt zu beherrschen kennen wir zur Genüge: im Christentum vom Mittelalter bis in die moderne Zeit oder im Franco- und Hitlerfaschismus. Parallelen dazu finden wir auch in der islamischen Welt , etwa bei starren Fundamentalisten. So hat zum Beispiel Ayatollah Khomeini gesagt:

„Europa (der Westen) ist nichts als eine Gesamtheit von Diktaturen voller Unrecht; die ganze Menschheit muss mit eiserner Energie diese Unruhestifter schlagen, wenn sie ihre Ruhe wiederfinden will. Wenn die islamische Zivilisation den Westen geleitet hätte, wäre man nicht mehr gezwungen, Zeuge dieses wilden Treibens zu sein, das selbst für Raubtiere unwürdig wäre."

Und

„Der heilige Krieg bedeutet die Eroberung der nicht mohammedanischen Territorien. Es ist möglich, dass er nach der Bildung einer islamischen Regierung erklärt wird, die dieser Bezeichnung würdig ist, unter der Leitung des Imam oder auf seinen Befehl. Dann wird es die Pflicht jedes volljährigen und waffenfähigen Mannes sein, freiwillig in diesen Eroberungskrieg zu ziehen, dessen Endziel es ist, das Gesetz des Korans von einem Ende der Welt bis zum anderen regieren zu lassen."

Welteroberungspläne tauchen immer wieder auf. Khomeini war ein typischer Repräsentant dieser fanatisch-fundamentalistischer Haltungen. Mit der Einführung starrer Formen im Iran, wie der Scharia, der muslimischen religiösen Gesetzgebung, hat er dies auch bewiesen. Afghanistan und andere Länder nahmen das zum Vorbild. Leider finden sich in der islamischen Welt vermehrt Gruppen mit dem Ziel, die Scharia in rigoroser Form, u.U. mit Gewalt, durchzusetzen. Es kam und kommt gerade in den Islamländern selbst zu grausamen, terroristischen Anschlägen dieser fanatisch-fundamentalistischen Kräfte, wobei wir im Westen dies immer verdrängt haben: Typische Beispiele hierfür sind ja der Sudan, Algerien, Ägypten u.a.

Eine besondere Bedeutung hat gegenwärtig wieder - vor allem in den Kreisen des fanatisierten islamischen Fundamentalismus - der Dschihad bekommen. Er wird bei uns - nicht richtig übersetzt - als heiliger Krieg des Islams bezeichnet. Dadurch entstehen Missverständnisse, die zu unnötigen Gehässigkeiten führen. Aufbauend auf dem Dschihad wird behauptet, dass der Islam absolut auf kriegerische Expansion bedacht und deshalb stets eine besondere Gefahr sei. Diese Darstellung ist falsch, was aber nicht heißt, dass das Problem verharmlost werden sollte.

Dschihad bedeutet individueller Einsatz. Es ist das Bemühen, „für Gottes Sache unter Einsatz von Gut und Leben" tätig zu sein. Dieses „sich Bemühen" gilt immer für den einzelnen Muslim, nicht etwa für eine Institution wie z.B. für den Staat.

Dschihad kann in lobenswerten friedlichen Unternehmen zur Geltung kommen, erst recht aber im Krieg. Es gilt als verdienstvoll, wenn man bei dem Einsatz dabei sterben muss. Die Angehörigen können dann stolz sein, einen Märtyrer in der Familie zu haben, denn diesen Gefallenen erwartet das Paradies. Er wird dann seine Familienangehörigen nachholen. In diesem Sinne äußerte sich auch der fanatische Hisbollah-Generalsekretär Scheich Hassan Nasrallah über den Tod seines Sohnes Hadi in einem Gespräch mit dem „Spiegel":

Hadi wird uns ganz sicher zu sich ins Paradies holen, allen Märtyrerfamilien wird diese Freude zuteil werden... Ich danke Gott, daß er die Güte hatte mich zum Mitglied einer Märtyrerfamilie zu machen.

Einzelne islamische Führer können zum Dschihad aufrufen, und viele sind bereit, ihnen zu folgen.

Letztlich gibt es sehr unterschiedliche Auslegungen der Gelehrten über die Rolle des Dschihad: Im allgemeinen geht man davon aus, dass nur bei extremer Gefahr die Pflicht besteht sich am Dschihad zu beteiligen, sonst gilt die Teilnahme als freiwillig. Eine Haltung, die wir z.B. in den terroristischen Anschlägen von Fundamentalisten erkennen können.

In der Scharia – in der islamischen Rechtsprechung - besteht eben keine eindeutige Auslegung, und es hat in der Geschichte die unterschiedlichsten Meinungen zur Frage des Dschihad gegeben, wie überhaupt zu Krieg und Frieden. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Probleme ist ein verstärktes aggressiv-fundamentalistisches Verhalten bei Teilen der mohammedanischen Bevölkerung festzustellen. Das ist uns besonders aufgefallen, als wir vor einigen Jahren in Indonesien waren und wo vorher ein recht toleranter Islamglaube vertreten wurde.

Wir sollten uns bewusst machen: Der Koran kennt offiziell keine Zwangsbekehrung und hat auch auf Toleranz ausgerichtete Stellen. So heißt es in der Sure 2:

„(257) Zwingt keinen zum Glauben, da die wahre Lehre vom Irrglauben ja deutlich zu unterscheiden ist. Wer Tagut <altarabisch Götze, Irrglaube> verwirft und an Allah glaubt, ergreift eine Stütze die nie zerbricht. Er allein hört alles und weiß alles."

Und die 109. Sure lautet:

(1) Im Namen Allahs, des Allbarmherzigen. (2) Sprich: „O Ungläubige, (3) ich verehre nicht das, was ihr verehrt, (4) und ihr verehrt nicht, was ich verehre, (5) und ich werde auch nie das verehren, was ihr verehrt, (6) und ihr wollt nie das verehren, was ich verehre. (7) Ihr habt eure Religion, und ich die meine."

Wir wissen aus der Geschichte des Islams, dass die Eroberungen meistens keine Glaubenskriege waren, sondern vielmehr Wirtschafts- und Machtkämpfe im Vordergrund standen. In den eroberten Gebieten wurden die Menschen nicht zwangsbekehrt. Allerdings wurden viele Menschen mehr oder weniger freiwillig Muslime, schon weil es Vorteile brachte. Aber es gab und gibt, gerade in den Ländern des Islams, viele Juden und Christen. Diese mussten freilich erhöhte Abgaben zahlen und wurden auch sonst häufig benachteiligt. Ein Zeichen für die Duldsamkeit gegenüber Andersgläubigen ist, dass es in islamischen Gebieten christliche und jüdische Gemeinden, Kirchen und Synagogen kontinuierlich durch die Geschichte bis zum heutigen Tag gibt. Ganz anders das Christentum: Es hat in früherer Zeit in seinen eroberten Gebieten den Islam ausgerottet, keine Moscheen und häufig auch keine Synagogen geduldet."

Der Islam sieht ja bekanntlich in Moses und Jesus Propheten und Vorbilder, wobei natürlich Mohammed als letzter und größter Prophet über den andern steht, insofern duldet er die Buchreligionen.

Kennzeichnend für den Islam ist aber auch, dass er - im Gegensatz zum Juden- und Christentum - keinen Rassismus kennt. Bedeutende Persönlichkeiten des Islams vertreten humanistische Anliegen und berufen sich dabei auf den Koran und die Scharia.

Die Geschichte hat bewiesen, dass der Islam nicht aggressiver ist als das Christentum. Die Verbrechen der Kirchen von der Zeit Konstantins bis zur Gegenwart sind beredtes Beispiel dafür.

Es soll aber hier nicht bestritten werden, dass es im Koran auch sehr aggressive Aussagen gibt, in denen es nur von Hass und Kampf gegen Ungläubige, d.h. gegen Andersgläubige strotzt. Z.B. in Sure 5,5:

Und wenn die verbotenen Monate verflossen sind, dann tötet die Götzendiener, wo ihr sie trefft, und ergreift sie, und belagert sie, und lauert ihnen auf in jedem Hinterhalt. Bereuen sie aber und verrichten Gebete und zahlen Zakat, dann gebt ihnen den Weg frei. Wahrlich, Allah ist allverzeihend, warmherzig.

Solche Aussagen im Koran stammen auffallenderweise aus der späten Zeit des Wirkens Mohammeds, aus seiner kriegerischen Zeit in Medina (6. Periode). Frage: Geht es in den für Juden und Christen maßgebenden Schriften des Alten Testaments weniger aggressiv zu? Z.B. heißt es im Alten Testament:

Dtn 7,1ff: „Wenn der Herr, dein Gott, dich in das Land geführt hat, in das du jetzt hineinziehst, um es in Besitz zu nehmen, wenn er dir viele Völker aus dem Weg räumt, ... wenn der Herr, dein Gott, sie dir ausliefert und du sie schägst, dann sollst du sie der Vernichtung weihen. Du sollst keinen Vertrag mit ihnen schließen, sie nicht verschonen..."

Auch im Neuen Testament gibt es entsprechende Stellen. Z. B:

Mt. 10,34: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert".

Machen wir es uns bewusst: Man darf den islamischen Terrorismus nicht mit dem Islam gleichsetzen, genau so wenig wie wir den christlichen Terrorismus mit dem Christentum gleichsetzen dürfen.

Islam-Gelehrte stellen in Frage, ob die Selbstmordkommandos, wie wir sie von den Terrorangriffen in den USA oder auch von Israel her kennen, mit den Lehren des Islams vereinbar sind. Im Koran, in der Sure 4,30 heißt es nämlich:

„... und mordet euch nicht selbst; seht Allah ist barmherzig mit euch."

Weiter soll Mohammed nach der gültigen Überlieferung, nach dem Hadith, gesagt haben: „Wer sich selbst tötet, wird für immer das Feuer der Hölle erleiden". Und: „Wer sich selbst tötet, wird für immer vom Paradies ausgeschlossen".

Im übrigen gab es bereits während der Kreuzzüge die extremistischen Assasinen. Sie stellten schon damals Mordkommandos auf, Fedayins, welche sich selbst mit opferten. Das Wort für Mörder im Französischen und Spanischen heißt „assasins" bzw. „asesinos" und hat dort seine Wurzeln.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich die meisten fundamentalistischen Vorstellungen der verschiedensten Religionen sehr ähneln. Sie erheben einen Alleinvertretungsanspruch, nur ihre jeweilige religiöse Gottesvorstellung ist richtig, alle Aussagen ihrer Heiligen Bücher sind wahr. Ihre Vertreter sind arrogant, von sich überzeugt, intolerant und fanatisch. Die anderen Menschen würden dem Satan huldigen bzw. sind gottlos und dadurch der Hölle verfallen, ja, die anderen Menschen sind minderwertig. In der Praxis sind jene Fundamentalisten autoritär, verlangen totale Unterwerfung unter den Glauben und Gehorsam gegen ihre Führer. Sie verhalten sich unmenschlich. Sie missachten die Bedürfnisse der Menschen, sind menschenverachtend, wenden sich gegen neue wissenschaftliche Erkenntnisse, usw.

 

4. Unsere Gesellschaft und der Fundamentalismus

Wie soll es weitergehen?

Natürlich gibt es keine Patenantworten, auch wenn sich das viele wünschen. Die Antworten vieler Populisten sind nicht durchdacht, ja dümmlich. Natürlich muss man den Terrorismus mit allen rechtstaatlichen Mitteln schärfstens bekämpfen. Mit Überlegung und vor allem zielgerichtet muss er verfolgt werden. Mit Bombardements ist das nicht zu erreichen: Man erreicht eher das Gegenteil, schafft neuen Hass, Verbitterung, schafft Solidarisierung mit den Opfern des Bombenterrors und riskiert damit, dass immer mehr Menschen bereit sind, sich für terroristische Anschläge zu opfern. Die Jahrzehnte langen Kämpfe in Israel sind ein beredtes Beispiel für diese Eskalation der Gewalt. Eine friedlichere Welt lässt sich m.E. nur erreichen wenn wir die Ursachen für den Terrorismus beseitigen. Darum bin ich eingangs näher auf sie eingegangen. Selbstverständlich werden immer einige extreme Spinner mit terroristischen Vorstellungen übrigbleiben - meistens Einzelgänger - aber die dürfte man in den Griff bekommen.

Terrorismus und extrem fundamentalistische Überzeugungen werden aber an-dauern, falls es uns nicht gelingt, die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Ursachen zu beseitigen. Wir dürfen nicht weiter rücksichtslos und überheblich unsere westlichen Globalisierungsvorstellungen fremden Kulturen aufzudrücken. Beseitigung der wirtschaftlichen Ungleichheit, Respekt vor den eigenständigen kulturellen Entwicklungen, Toleranz, Dialog und Aufklärung sind dringend von Nöten. Nur dann wird es besser werden.

Vor allem werden wir mehr Sicherheit vor Gewaltakten nicht durch neue einschränkende Gesetze und Verordnungen erreichen. Mit Recht sagte Günter Wallraff:

„Durch das was jetzt geschieht, indem wir über Sicherheit reden und nicht über Menschlichkeit, werden wir jüngere Menschen gewaltbereiten Moscheen-gemeinschaften geradezu in die Arme treiben."

Dem Kampf gegen den Terrorismus dient es am wenigsten, wenn man Schlagworte benutzt, wie es in letzter Zeit leider immer wieder der Fall war. Pauschalierungen führen zur Solidarisierung der Gegner mit toleranteren Kräften des jeweiligen Lagers. Wir müssen aufpassen, dass es nicht zur Konfrontation kommt: christliches (westlich denkendes) Abendland gegen die islamische Welt. Ein Krieg der Kulturen wäre für alle Seiten katastrophal!

Mit Recht heißt es in einem Artikel des Orientalisten Brent Hentschel in der Fernsehzeitschrift „Gong":

„...Modernisierung kann nicht weltweite Verwestlichung heißen. Was gesellschaftlichen Fortschritt angeht, so sind Libyen oder der Irak die modernsten islamischen Länder (Bildung, Gleichberechtigung, Gesundheitswesen) – aber eben nicht die westlichsten. Aus westlicher Sicht ist das inakzeptabel. Wer ist also kriegerisch und intolerant? Wer heutzutage von einem "Kreuzzug" gegen andere Kulturen spricht und mit Modernisierung allein Verwestlichung nach US-Beispiel meint, stammt in seinem Denken nicht nur aus dem vorigen Jahrhundert, sondern aus dem vorigen Jahrtausend. Ebenso fatal ist eine Entwicklung, die den Begriff "Vergeltung" in unser Gerechtigkeitsverständnis übergehen lässt. Das widerspricht allen christlichen Rechtsordnungen."

Mit Schlagworten und falschen Solidarisierungen wie „wir sind alle Amerikaner" lässt sich das Problem nicht lösen. Und, wie der Osloer Friedensforscher Johan Galtung betont, ist das Schlagwort vom „Kreuzzug" gegen den Terrorismus, christlicher Fundamentalismus. Wir alle haben viel zu lange zugeschaut, als fanatischer Fundamentalismus sich anderswo breit machte. Allein in Algerien, das so in unserer Nähe liegt – nur einen Sprung über das Mittelmeer – wurden im letzen Jahrzehnt etwa 80.000 Menschen durch Fundamentalisten umgebracht und wir haben praktisch nichts dagegen unternommen. Der türkische Autor Nedim Gürsel dazu:

„Wir sind nicht alle Amerikaner. Wie jeder normale Mensch teile ich die Trauer des amerikanischen Volkes. Aber auch andere haben den Kampf gegen den islamischen Terror mit dem Leben bezahlt. Als die Zahl der Opfer der islamischen Heilfront FIS schon längst in die Zehntausende ging, hat niemand gesagt: Wir sind alle Algerier."

Wir als humanistisch denkende Menschen haben die Pflicht, Menschen gleichwertig zu sehen, unabhängig von Nationalität oder Religion. Der gewaltsame Tod eines Amerikaners ist für mich, und ich denke für uns alle, genauso schlimm wie der gewaltsame Tod eines Algeriers, Juden, Palästinensers, Nordiren oder eines Ermor-deten bei uns. So denkt auch Karlheinz Deschner. Bei allem Bedauern für die Toten vom 11. September 2001 vermisst er z.B. „die Schweigeminuten für die 36.000 täglich verhungernden Kinder".

Auffallend ist, dass die Töne bei den Kontrahenten im gegenwärtigen Kampf recht ähnlich klingen. So schreibt die bekannte indische Schriftstellerin Arundhati Roy über die Parallelen zwischen den Gedanken von Bin Laden und denen des amerikanischen Präsidenten George W. Bush:

„Jeder bezeichnet den anderen als ‚Kopf der Schlange’. Beide berufen sich auf Gott und greifen gern auf die Erlösungsrhetorik von Gut und Böse zurück. Beide sind in eindeutige politische Verbrechen verstrickt. Beide sind gefährlich bewaffnet..."

Und über Bin Laden und die amerikanische Politik schrieb sie weiter:

„Er ist der dunkle Doppelgänger des amerikanischen Präsidenten... Er ist aus der Rippe einer Welt gemacht, die durch die amerikanische Außenpolitik verwüstet wurde, durch ihre Kanonenbootdiplomatie, ihr Atomwaffenarsenal, ihre unbekümmerte Politik der unumschränkten Vorherrschaft, ihre kühle Missachtung aller nichtamerikanischen Menschenleben, ihre barbarischen Militärinterventionen, ihre Unterstützung für despotische und diktatorische Regimes, ihre wirtschaftlichen Bestrebungen, die sich gnadenlos wie ein Heuschreckenschwarm durch die Wirtschaft armer Länder gefressen haben. Ihre marodierenden Multis, die sich die Luft aneignen, die wir einatmen, die Erde, auf der wir stehen, das Wasser, das wir trinken, unsere Gedanken."

Der TV-Moderator Ulrich Wickert wurde angegriffen, weil er sich auf die Aussagen der Schriftstellerin bezog und kam dadurch prompt in die Schusslinie konservativer Medienkreise, ja man wollte ihn absetzen.

Hier nun einige Beispiele für Übereinstimmungen und Parallelen in den Aussagen der religiös geprägten Politiker und Führer Amerikas und bei den Islamisten:

Bush und seine Berater: Bin Laden und seine Führung:
Wir führen einen Kreuzzug. Der Heilige Krieg (Dschihad) hat begonnen.
Sendebewusstsein: Auf unserer Seite steht Gott. Wir werden deshalb siegen. Sendebewusstsein: Auf unserer Seite steht Gott. Wir werden deshalb siegen.
Wir führen Kampf gegen Ungläubige (Terroristen haben keinen Glauben). Kampf gegen die Ungläubigen (Juden, Christen usw.).
Terroristischer Akt (World Trade Center etc.). Terroristischer Akt (Angriff auf den Sudan, Afghanistan usw.).
Wir führen Krieg für eine gerechte Sache zur Erhaltung der Zivilisation. Wir führen Krieg für die gerechte Sache, gegen Kolonialismus und Verfall der Kultur.
Wir wollen beten und hoffen. Wir wollen beten. Allah wird uns helfen.
Christliche Moral ist anderen Vorstellungen überlegen. Islamische Moral ist der Unmoral des Westens überlegen.

Trotzdem: Wir sollten auf keinen Fall deshalb in einem Antiamerikanismus verfallen, genauso wenig wie in einen Antiislamismus. Beides ist verheerend. Sowohl Amerika wie der Islam haben wichtige Beiträge zur Geschichte, zur Kultur, zum Fortschritt und zur Humanisierung auf der Welt geleistet, auch wenn einige Führer, fanatisierte Bevölkerungskreise oder auch aufgehetzter Mob uns etwas anderes weismachen wollen. Natürlich hat es auch Unkultur auf beiden Seiten gegeben. Ähnlich geht es bekanntlich überall auf der Welt zu.

Wir sollten uns bewusst machen, dass gerade im Auftrag der großen Religionen die schlimmsten Verbrechen an der Menschheit begangen wurden durch Vernichtung Andersgläubiger, durch Tötung von Abweichlern, durch Verfolgung von sogenannten Hexen, durch Teufelaustreibungen, durch fanatischen Wahn.

Die menschliche Kultur kann nur aus der Gesamtheit der verschiedenen Kulturen begriffen werden, keinesfalls nur aus der sogenannten abendländischen Kultur. In vielen Kulturen hat es Zeiten kultureller Blüte gegeben, Zeiten in denen sie weit über anderen Kulturen standen: stets wurden dann die anderen davon beeinflusst. Unsere westliche Kultur hat durch Renaissance, Humanismus und Aufklärung wichtige Impulse bekommen und auf Toleranz und Menschlichkeit gerichtetes Gedankengut

entwickelt. Allerdings wäre dies ohne die vorangegangenen Impulse der islamischen Blütezeit, ob in Bagdad oder Südspanien, nicht möglich gewesen: Dieser Einfluss hat Europa aus dem tiefsten, primitivsten und fanatischen Mittelalter mit herausgeholt.

So wichtig es m.E. wäre, auf die anderen kulturellen Einflüsse einzugehen – es würde hier zu weit führen. Wir im Westen wurden im Laufe der Geschichte auch von asiatischen Kulturen beeinflusst – selbst wenn man dies oft zu wenig sieht. Die Indianerkulturen Amerikas und die Kulturen Afrikas hatten freilich weniger Einfluss, da sie ja vom Christentum rücksichtslos unterdrückt wurden.

Der Islam ist in vielen Ländern – auch durch eigene Fehler - aber noch viel mehr durch Kolonialismus und christlich-europäische Expansions- und Unterdrückungspolitik seit Beginn der Neuzeit in seiner Entwicklung stark zurückgeworfen worden. Ja er hat in vielen Ländern noch mittelalterliche Züge. Europa hingegen hat – nachdem es von der Blüte der islamischen Kulturen stark profitiert hatte, einen kräftigen Sprung nach vorn gemacht. Besonders durch die Aufklärung konnten überkommene mittelalterlichen Denkweisen, Vorstellungen und Geisteshaltungen in den letzten zweihundert Jahren überwunden werden. Allerdings hat dieser gewaltige Fortschritt auch seine Schattenseiten, die vor allem als total verfehlte Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik gegenüber den Ländern der dritten Welt unübersehbar sind. Es wird höchste Zeit , dass diese Fehlentwicklung überwunden wird: wir sind eine Welt!

 

5. Unser Wirken

Freigeistige, freidenkende Menschen haben keine Dogmen. Ihre Vorstellungen unterliegen dem Wandel der Zeit, stehen im Rahmen wissenschaftlichen Fortschritts und sollten von tiefem Humanismus getragen sein. Unsere Hauptaufgabe wird weiter die Aufklärung bleiben, für Humanismus einzutreten, dies in Zusammenarbeit mit den vielen Menschen und Organisationen, welche Frieden ohne Unterdrückung anstreben.

Hierfür ist Toleranz Voraussetzung und natürlich die Einhaltung von Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Wir wollen auch Grenzen: Voraussetzung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit muss sein, dass es keine Bevorzugung bestimmter Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften gibt, dass die Religionsgemeinschaften die Charta der Menschenrechte, wie sie von den Vereinten Nationen - von den verschiedensten Ländern, mit unterschiedlichsten Kulturen und Religionen - beschlossen wurde, auch vor Ort von Kirchen u. anderen Religionsgemeinschaften eingehalten werden. Sonst sind sie nicht zu dulden. Freiheitlich demokratische Staaten können nicht durch theokratische Systeme regiert werden. Unser Anliegen ist eine klare Trennung von Staat und Kirchen, wir sind gegen jegliche Bevorrechtung aufgrund der Religion oder Weltanschauung.

Wir müssen aufpassen, dass aus einem falsch verstandenen Sicherheitsbedürfnis nicht grundlegende demokratische Menschenrechte beschnitten werden. Mit Recht befürchtet m. E. der bekannte Autor Günter Wallraff:

"Wenn wir den Sicherheitswahn weiter vorantreiben, landen wir in einem
Überwachungsstaat."

Dies gilt es zu verhindern.

Wir werden uns weiter - wie bisher in unserer Geschichte - gegen religiöse und religiös verbrämte politische Organisationen wenden, die ihre Vorstellungen als alleinig gültige Werte mit undemokratischen Mitteln durchsetzen wollen oder gegen die Charta der Menschenrechte verstoßen. Deshalb sind wir gegen Fanatismus, Fundamentalismus und Unmenschlichkeit und treten ein für die Beachtung der unveräußerlichen Menschenrechte.

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