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Materialien zum Ethikunterricht

  Inhaltsverzeichnis
  
   1.) Alter, Sterben, Tod
  
2.) Angst vor dem Tode: Gibt es ein Rezept dagegen?
  
3.) Zur Geschichte weltlicher Bestattungskultur
   4.) Neue Formen einer würdigen Bestattung

 

Angst vor dem Tode: Gibt es ein Rezept dagegen?

von Irene Nickel ( Copyright )

Veröffentlicht im Separatum zu Humanes Leben - Humanes Sterben 2/2001, 
Vereinszeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben e.V. DGHS

Gelassen dem eigenen Tod entgegensehen, das würde so mancher Mensch gern – aber nicht jedem will es gelingen. Die Umstände unseres Sterbens liegen teilweise in unserer Hand. Unvermeidlich bleibt, dass wir unser Leben verlieren werden. Bei diesem Gedanken empfinden viele Menschen heftiges Unbehagen, ja Angst.

Das Problem beschäftigt die Menschen seit Jahrtausenden. Einige haben behauptet, sie hätten eine Lösung. Drei dieser Lösungsansätze will ich näher betrachten, den christlichen, den buddhistischen und den des antiken Heiden Epikur.

Paulus: der christliche Ansatz

„Die Toten werden zur Unvergänglichkeit auferweckt... Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“, verkündet der Apostel Paulus1. Doch nicht ohne Grund schreibt der Indianer Vine Deloria: „Von allen Menschen in der Welt sind es die Christen und die von ihnen beherrschten Völker, die den Tod am meisten fürchten.“2 Er erzählt von Indianern, denen man vor ihrer Hinrichtung Heimaturlaub geben konnte, weil man damit rechnen konnte, dass sie pünktlich zur Hinrichtung wieder erschienen.

Vielen Christen wurde die Vorfreude aufs Jenseits vergällt durch die Aussicht auf einen strengen göttlichen Richter, aufs Fegefeuer, auf die Hölle. Jesus mahnte, dass viele den Weg ins Verderben gingen, aber nur wenige den Weg zum Leben.3

Heute glauben viele Christen an einen gnädigen Gott und sehen hoffnungsfroh dem Jenseits entgegen. Aber die Vorfreude wird getrübt durch offene Fragen: Gibt es denn wirklich ein Leben nach dem Tode? Und wenn ja: Was wird dort aus uns?

Diese Fragen wurden schon zu Jesu Zeiten diskutiert. Die Sadduzäer glaubten nicht an eine allgemeine Auferstehung. Sie fragten Jesus: Was sollte denn dann aus einer Frau werden, die im Leben mit mehreren Männern nacheinander verheiratet gewesen und Witwe geworden war? Zu welchem Manne sollte sie gehören?4

Jesus erwiderte, Ehen seien eine irdische Angelegenheit, nach der Auferstehung seien die Menschen wie die Engel und ehelos. Damit beantwortete er zwar die Frage der Sadduzäer, aber das hat seinen Preis: Die Menschen wären nicht mehr die gleichen. Sie hätten mehr verloren als das, was sie hatten: etwas von dem, was sie waren.

Was auch immer wir über Auferstehung glauben mögen, eines steht fest: Mit unserer körperlichen Existenz verlieren wir zugleich unsere soziale Existenz. Was auch immer wir in ein anderes Leben hinüberretten mögen, wir verlieren etwas Wesentliches.

Eine Ungewissheit ist allen Christen gemeinsam: gibt es das verheißene Leben nach dem Tode denn wirklich? Es ist eine kühne Verheißung angesichts unserer Erfahrungen. Immer wieder stellen wir fest, wie eng bewusstes Leben verknüpft ist mit entsprechenden Hirnfunktionen. Wir kennen vorüber­gehende Unter­brechungen unseres bewussten Erlebens während einer Narkose. Wir beobachten Men­schen, bei denen krankhafte Hirnverände­rungen im Alter zu einem erschreckenden Verfall der Persönlichkeit führen; manchmal ist am Ende kaum noch etwas übrig von dem Menschen, den wir einmal gekannt haben. Unsere Erfahrungen legen den Schluss nahe: Wenn wir sterben und unser Hirn endgültig zerstört wird, dann wird auch unser Leben ein endgültiges Ende finden.

Die Verheißung des ewigen Lebens kann die Angst vor einem endgültigen Ende nicht ausräumen. Schließlich wissen wir: Religiöse Verheißungen bieten nicht die gleiche Gewissheit wie das Wissen, das auf Erfahrungen beruht.

Aber die Verheißungen machen es leicht, die Angst vor dem endgültigen Ende aus dem Bewusstsein zu verbannen. Dann ist es nicht mehr möglich, diese Angst seelisch zu verarbeiten, sie ertragen zu lernen. Die Angst löst sich aber auch nicht einfach in Nichts auf; dazu ist sie zu gut begründet. Sie wird nur ins Unter­bewusstsein verdrängt und lauert dort in unverminderter Unerträg­lich­keit. So können Menschen die Angst vor einem endgültigen Ende weder loswerden noch ertragen lernen. Gerade der Glaube, der sich rühmt, die Angst vor dem Tode zu besiegen, kann zum Hindernis bei ihrer Bewältigung werden.

Buddha (ca. 550-483 v.u.Z.)

Buddha versprach keine ewige Seligkeit. Er versprach „nur“ die Aufhebung des Leidens. Ein Fortleben nach dem Tode hielt er gar nicht für erstrebenswert: „Alles Leben ist Leiden; alles Leiden hat seine Ursache in der Begierde, im ‚Durst’; die Aufhebung dieser Begierde führt zur Aufhebung des Leidens, zur Unter­brechung der Kette der Wiedergeburten.“5 Eine traurige Philosophie, die ein lebensfroher Mensch sich nicht leicht zu eigen macht.

Epikur (ca. 341-270 v.u.Z.)

Epikur glaubte nicht an ein Leben nach dem Tode. Er sprach vom Tode als „Verlust der Empfindung“ und verkündete: „Der Tod geht uns nichts an, denn solange wir sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht mehr.“6

Diese Ansicht steht im Einklang mit unseren Erfahrungen. Wer im Gedanken an das endgültige Ende Trost sucht, braucht keine begründeten Zweifel zu fürchten.

So ist dieser Gedanke besonders geeignet, Ängste vor einem schrecklichen Jenseits auszuräumen.

Zugleich mag er Menschen trösten, die schwer zu leiden haben oder das Leiden eines geliebten Menschen miterleben. Ein Tod, der das Ende aller Empfindung ist, ist auch das Ende allen Leidens. Und dies gewisser als bei Jesus oder bei Buddha, weil es nicht an irgendwelche Bedingungen geknüpft ist.

Weisheit liegt in Epikurs Worten, dass „die Bemühung um ein schönes Leben und einen schönen Tod dieselbe ist.“7 Ein schönes Leben ist erstrebenswert um seiner selbst willen. Vielleicht kann es uns außerdem das Sterben erleichtern. Wenigstens erspart es uns in unserer letzten Stunde das bittere Gefühl, zu kurz gekommen zu sein.

Epikur versuchte, dem Ende des Lebens jeden Schrecken zu nehmen. Er pries die Vernunft: auch in endlicher Zeit könne sie „das vollkommene Leben“ verschaffen.8 Was will ein Mensch mehr? – Hier kann ich Epikur nicht folgen. So vollkommen ist mein Leben noch lange nicht. Es gibt noch so viel, das ich tun und erleben möchte...

Die „ideale Haltung gegenüber Leben und Tod“ ist nach Epikur „die der hin­nehmen­den Gelassenheit“.9 Das erinnert ein wenig an Buddhas Idee der „Aufhebung der Begierde“. 

Und wir?

Fraglich bleibt, ob diese Empfehlungen für jeden Menschen das Richtige sind. Ich strebe nach einem erfüllten Leben. Ich will mich für Menschen und Dinge interessieren und mein Herz daran hängen. Nur so kann der Reichtum des Lebens mir etwas bedeuten; nur so habe ich etwas davon. Der Verlust am Ende mag dadurch schmerzhafter werden; aber das ist mir immer noch lieber als das bittere Gefühl, mich selbst beraubt zu haben.

Der Verlust des Lebens ist ein herber Verlust, für den Sterbenden selbst wie für seine Hinterbliebenen. Angst, Trauer und Wut sind normale Reaktionen. Sie müssen zugelassen und seelisch verarbeitet werden. Diese Trauerarbeit ist schmerzhaft, und ganz damit fertig wird manch einer sein Leben lang nicht. Trotzdem ziehe ich sie jenen Scheinlösungen vor, die auf Verdrängung beruhen. Ich denke, nur durch Trauerarbeit können wir lernen, den Gedanken an den Tod zu ertragen. Den Gedanken an den Tod lieber Menschen, und den Gedanken daran, dass wir selbst sterben müssen.

Braunschweig, den 13. Februar 2001


Nachtrag:

In einem Interview wurde ich gefragt, ob es für mich tröstlich wäre,
wenn ich an ein Weiterleben nach dem Tod glauben könnte.

Meine Antwort lautete:
„An einen solchen Trost will ich mich lieber nicht halten.
Er wäre allzu weit entfernt von dem, was uns die Erfahrung lehrt:
Wie eng bewusstes Leben verknüpft ist mit entsprechenden
Hirnfunktionen. [...] 

Angesichts solcher Erfahrungen kann ich mir nicht vorstellen,
dass ich an ein Leben nach dem Tode glauben könnte,
ohne immer wieder zu zweifeln. Wahrscheinlich würde ich
zwischen Hoffnungen und Zweifeln hin- und hergerissen.
Eine solche seelische Achterbahnfahrt wünsche ich mir nicht.
So traurig der Gedanke an ein endgültiges Ende sein mag,
ich denke, dass ich auf die Dauer besser damit umgehen kann,
wenn ich weiß, woran ich bin, und mich darauf einstellen kann.“

Braunschweig, den 19. Oktober 2005 



Fußnoten:

1 1. Korinther 15, 52-55

2 Vine Deloria, „Gott ist rot“, S. 125 im Goldmann-Taschenbuch

3 Matthäus 7, 13-14

4 u. a. Markus 12, 18-27

5 Hans Joachim Störig, „Kleine Weltgeschichte der Philosophie“, S. 53

Nachtrag am 8. April 2005:
Kürzlich schrieb mir jemand, dass die weitverbreitete Ansicht, 
dass im Buddhismus Leben mit Leiden gleichgesetzt werde, 
weitgehend auf einem Missverständnis beruhe. 
Leider werde „dukkha“ traditionell mit „Leiden“ übersetzt;
doch das sei nur eine einzige der vielen Bedeutungen. 
Zu den Übersetzungsmöglichkeiten, auf die er verwies, gehören „Unzulänglichkeit“, „Unbefriedigtheit“ 
und, als Übersetzung ins Englische, „stress“.

6 Rainer Beck, „Der Tod. Ein Lesebuch von den letzten Dingen“, S. 67

7, 8, 9 Rainer Beck, „Der Tod. Ein Lesebuch von den letzten Dingen“, S. 68 

 

Zur Geschichte weltlicher Bestattungskultur

  (Vortrag auf dem Kolloquium „Weltliche Bestattungskultur in Berlin“ am 25. Mai 2002 im Krematorium Berlin-Baumschulenweg)

Von Norbert Fischer

Ein Sozialistenfriedhof

Der Friedhof Berlin-Friedrichsfelde wird als „Sozialistenfriedhof“ bezeichnet. Dieser wurde im späten 19. Jahrhundert – genauer gesagt: 1881 - eröffnet und war ursprünglich ein außerhalb der Stadtgrenzen gelegener Armenfriedhof. Rasch wurde Friedrichsfelde zu einem bevorzugten Ort für zunächst sozialdemokratische, später auch sozialistische und kommunistische Bestattungsfeiern. Damit bildete er gesellschaftlich-politisch einen Gegenpol zu den altehrwürdigen kirchlichen Friedhöfen in Berlin mit ihren teilweise monströsen Grabstätten des Bürgertums. Friedrichsfelde wurde zugleich zum Schauplatz vieler nicht-kirchlicher, weltlicher Trauerfeiern –unserem eigentlichen Thema. Dieser „Sozialistenfriedhof“ wird uns später noch einmal beschäftigen. Zuvor möchte ich einige Stationen in der Geschichte der weltlichen Bestattungskultur skizzieren.

Zur Entwicklung der Bestattungskultur in der Neuzeit


Blickt man auf die christlich-abendländische Tradition, so gehörten Tod und Bestattung Jahrhunderte lang zur Domäne der Kirchen. Bis in die Neuzeit hinein waren die Muster der Trauerkultur vom christlichen Glauben und kirchlichen Institutionen geprägt. Das Christentum hatte die Toten bekanntlich in das Zentrum der Städte geholt, weil es der christliche Glaube erstrebenswert erscheinen ließ, bei den Reliquien bestattet zu werden.  So waren Kirche und Kirchhof zum klassischen Ort christlicher Bestattung geworden – entweder als privilegierte Grabstätte im oder direkt am Gotteshaus, zumindest aber auf dem umliegenden Kirchhof.

Neben den Kirchen gab es weitere Formen einer wohlorganisierten, immer noch christlich geprägten Totenfürsorge. Auf dem Land spielten dörflichen Gemeinschaften und Nachbarschaften eine zentrale Rolle. Zünfte entwickelten für ihre Mitglieder spezifische Rituale und Symbole, die weit bis ins 19. Jahrhundert hinein Bestattung und Trauer prägten (diese Traditionslinien wurden, wie wir noch sehen werden, später von der Arbeiterbewegung aufgegriffen). Wie die Zünfte, so richteten auch sogenannte Sterbekassen häufig Gemeinschaftsgrabstätten ein und prägten damit Bestattung und Trauer. Innerhalb der katholischen Kirche kümmerten sich die Bruderschaften in besonderer Weise um Tod und Bestattung. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts bildeten diese Bruderschaften ein regelrechtes Massenphänomen – wenigstens in katholischen Regionen.

Aber bereits zur Zeit der Kirchenspaltung, also zur Reformationszeit, begannen in Deutschland strukturelle Wandlungsprozesse, die sich in den folgenden Jahrhunderten, in der Zeit der Aufklärung und dann vor allem im 19. und 20. Jahrhundert, verstärken sollten. Es waren Entwicklungen, die mit Stichwörtern wie „Individualisierung“, „Technisierung“ und  eben „Säkularisierung“  charakterisiert werden können und einen „modernen“ Umgang mit dem Tod begründeten. Sie brachten vor allem in den Städten neue Orte der Trauer hervor: außerstädtische Friedhöfe, Leichenhallen, Krematorien.

Damit verbunden war ein allgemeiner gesellschaftlicher Säkularisierungs-, also Verweltlichungsprozess. Gerade im Zuge von Technisierung und Industrialisierung schwanden christliche Traditionen immer mehr. Liturgische Elemente wurden zu bloßen Versatzstücken, eingebaut in zunehmend bürokratisierte und technisierte Abläufe. Nicht mehr das christliche Gotteshaus, sondern die kommunalen Leichenhallen und Krematorien waren die gesellschaftlichen Orte der Trauer.

 

Dr. Norbert Fischer,  Universität Hamburg
       
Foto: postmortal.de - Bernd Bruns

Auch die Organisation der Bestattung entglitt den Kirchen. Sie unterlag seit dem späten 19. Jahrhundert einem  Professionalisierungsprozess. Privatwirtschaftliche Bestattungsunternehmen entwickelten sich zur entscheidenden Instanz im Umfeld der Beisetzung. Hervorgegangen vor allem aus Schreiner- und Fuhrbetrieben, die Bestattungen zuvor als Nebengeschäft besorgt hatten, entstanden etwa ab 1870 die ersten privaten Unternehmen. Die Industrialisierung der Sargherstellung, immer zeitaufwendigere und kostenintensivere Leichentransporte und die wachsende Nachfrage nach weiteren Dienstleistungen spielten bei der Entfaltung des neuen Gewerbezweiges eine Rolle. Neben der rein logistischen Abwicklung übernahmen die Bestatter allmählich auch zeremonielle Funktionen, die zuvor von anderen gesellschaftlichen Gruppen – vor allem der Kirchen – ausgeübt worden waren. In einigen Städten, wie Kassel, war eine privatwirtschaftliche Tätigkeit auf diesem Gebiet allerdings untersagt; die Aufgaben wurden dort, wie schon seit längerem in München, seitens der Kommune wahrgenommen. So bildeten auch die Professionalisierung des Bestattungswesens und das Aufkommen privatwirtschaftlicher Unternehmer einen wichtigen Faktor der allgemeinen Säkularisierung im Bestattungswesen.

Freidenkertum, Arbeiterbewegung und Feuerbestattung:
Ausdrucksformen weltlicher Bestattungskultur

Jenseits dieser allgemeinen Säkularisierungstendenzen, die sich ja in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen bemerkbar machten, gab es auch Entwicklungen, die auf eine dezidiert anti-kirchliche, also im engeren Sinn „weltliche“ Bestattungskultur zielten. Den Anfang bildeten – abgesehen von verstreuten Sonderfällen, etwa im Umfeld von Aufklärung und Französischer Revolution – freigeistige bzw. -denkerische Bewegungen, die seit Mitte des 19.  Jahrhunderts in Deutschland entstanden. Sie strebten eine unabhängig vom christlichen Glauben begründete, naturwissenschaftlich bestimmte Sicht auf Leben und Tod an. Bis heute zeugt etwa der Friedhof der Berliner Freireligiösen Gemeinde an der Pappelallee (Prenzlauer Berg) von dieser Bewegung – auf diesem 1840 eröffneten Begräbnisplatz wurden auch einige Persönlichkeiten der frühen Berliner Sozialdemokratie beigesetzt, u.a. Wilhelm Hasenclever.

Vor allem aber brachte die sich massiv entfaltende Arbeiterbewegung die Kirchen in die gesellschaftliche Defensive. Die Sozialdemokratie nutzte beispielsweise Bestattung und Trauer, um Bismarcks Sozialistengesetz zu unterlaufen, das ihre Arbeit zwischen 1878 und 1890 massiv einschränkte. Sozialdemokratische Trauerzüge waren durch eine Vielzahl rote Bänder, Schleifen und Blumen geprägt. Noch die Bestattung von August Bebel, des langjährigen Führers der deutschen Sozialdemokratie, im Jahr 1913 bot reiches Anschauungsmaterial - sie wurde zur Manifestation einer politisch und gesellschaftlich immer noch diskriminierten Partei und gestalteten sich zu einer „Symphonie in rot“ (wie es in der Parteipresse hieß).

Auch der eingangs erwähnte „Sozialistenfriedhof“ in Berlin-Friedrichsfelde spielte für die Bestattungskultur der Arbeiterbewegung eine herausragende Rolle. Als im August des Jahres 1900 Wilhelm Liebknecht dort beigesetzt wurde, gab es einen von Zehntausenden von Menschen umrahmten fünfstündigen Trauerzug. August Bebel, Paul Singer, Viktor Adler und andere Sozialdemokraten sprachen in der Leichenhalle des Friedhofs. Später wurden auch Singer selbst, Hugo Haase, Emma Ihrer, Ignaz Auer, Carl Legien und andere hier beigesetzt. Bezeichnenderweise gab es auf dem Friedhof Friedrichsfelde keine jener Heldengedenk- oder Kriegerdenkmäler, wie sie von anderen, christlich-bürgerlichen Friedhöfen bekannt waren. Stattdessen wurde 1926 auf Friedrichsfelde ein von dem Architekten und späteren Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe geschaffenes Revolutionsdenkmal eingeweiht (das kaum zehn Jahre später von den Nationalsozialisten wieder zerstört wurde …). So zeigt der Friedhof Friedrichsfelde – wie kein anderer – eine von der Arbeiterbewegung geprägte, weltliche Bestattungs- und Gedenkkultur.

Die Feuerbestattungskassen


Sowohl die Arbeiterbewegung als auch die freigeistigen Vereinigungen unterstützten im allgemeinen die Feuerbestattung. Da die christlichen Kirchen die Feuerbestattung weitgehend ablehnten, waren viele Trauerfeiern in den Krematorien weltlich. Gerade die ideelle und organisatorische Verbindung von Feuerbestattung, Freidenkertum und Arbeiterbewegung verschaffte den Krematorien – und damit weltlichen Trauerfeiern –  nach dem Ersten Weltkrieg erheblichen weiteren Zulauf aus den unteren Sozialschichten. Bestattungen waren für die breite Masse in den wirtschaftlichen Krisenzeiten der Weimarer Republik ein erheblicher Kostenfaktor. Hier boten die im Umfeld von Freidenkertum und Arbeiterbewegung gegründeten Feuerbestattungskassen Abhilfe.

Bereits 1904 war aus der Berliner Freireligiösen Gemeinde heraus  der „Sparverein für Freidenker zur Ausführung der Feuerbestattung“ gegründet. Zu seinen Vorstandsmitgliedern gehörte auch ein bekannter sozialdemokratischer Stadtverordneter. Seine zunächst wenigen Mitglieder (1910: 39; 1914: 770) betrachteten die Einäscherung als eine betont atheistisch-egalitäre Bestattungsform.

Dieser Verein entwickelte sich nach dem Ersten Weltkrieg zu eine der wichtigsten Organisationen, die auf eine  Popularisierung der Feuerbestattung in den Arbeiterschichten zielten. Dies galt auch für die aus gewerkschaftlichen Kreisen heraus 1913 gegründete „Volks-Feuerbestattung V.V.a.G“ (V.V.a.G. = “Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit“; ursprünglich hieß er „Volks-Feuerbestattungsverein Groß-Berlin V.V.a.G“). Beide Vereinigungen bildeten Feuerbestattungskassen und zählten in ihren Glanzzeiten jeweils mehrere hunderttausend Mitglieder.

Die „Volks-Feuerbestattung“ nahm anfangs nur freigewerkschaftliche Mitglieder auf. Zahlstellen befanden sich in gewerkschaftsnahen Gastwirtschaften. Die Bestattung erfolgte zunächst über gewerkschaftsnahe Bestattungsunternehmer.

Angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Not nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Mitgliederzahl rasch an: 1920 auf 49 543, 1921 auf 89 895 und 1922 auf 153 628 Mitglieder. Ab 1921 wurden die Bestattungen in Eigenregie auf gemeinwirtschaftlicher Basis durchgeführt – mit eigenem Fuhrpark, Sägewerk und Schreinerei für die Sargherstellung. 1922 gab man die Beschränkung auf Groß-Berlin auf und nannte sich in „Volks-Feuerbestattungs-Verein V.V.a.G.“ um. Geschäftsstellen entstanden in vielen deutschen Städten, so dass die „Volks-Feuerbestattung“ Ende 1925 rund 600 000 Mitglieder zählte. Die Dienstleistungen bestanden in der Übernahme der Kosten für gesangsmäßige bzw. musikalische Untermalung der Trauerfeier sowie die Mitwirkung eines Geistlichen oder weltlichen Trauerredners (Sprechers).

Auf dem Weg zur Gegenwart


Wie die Arbeiterbewegung, so wurden auch die freigeistigen Organisationen vom nationalsozialistischen Regime zerschlagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zwar in beiden deutschen Staaten Ansätze zur Wiederbelebung, die jedoch nie an die Bedeutung der Weimarer Zeit anknüpfen konnte. Gleichwohl blieb der Trend zur weltlichen Bestattung ungebrochen. Im Staatssozialismus der DDR wurde er offiziell gefördert. In Ost-Berlin beispielsweise waren im Jahr 1976 77,5% der Bestattungen nicht-kirchlich. Im Mittelpunkt dieser weltlichen Trauerfeiern stand – wie auch allgemein bei nicht-kirchlichen Bestattungen – der Trauerredner mit seiner Rede (die in der DDR „ ... eine Würdigung des Verstorbenen und seine Kennzeichnung als Mitglied der sozialistischen Gesellschaft einschloss“.) Dabei profilierten sich einzelne Redner, so dass sie nach dem Zusammenbruch der DDR als weltliche Trauerredner selbstständig tätig werden konnten.

War es in der DDR der staatlich verordnete Sozialismus, der die kirchlichen Zeremonien zurückdrängte, so sorgte in der Bundesrepublik der allgemeine Trend zur Säkularisierung für einen Aufschwung nichtkirchlicher Trauerfeiern. Vor allem in Großstädten sind heutzutage weltliche Bestattungen längst nichts Ungewöhnliches mehr und machen teilweise mehr als die Hälfte aller Trauerfeiern aus. Dies verhalf nichtkirchlichen Trauerrednern zu einem enormen Aufschwung, was sich auch in neuen Verbandsgründungen niederschlug. Abgesehen von lokalen Organisationen sind beispielsweise zu nennen der 1990 gegründete “Fachverband für weltliche Bestattungs- und Trauerkultur e.V.” sowie die 1996 gegründete “Bundesarbeitsgemeinschaft Trauerfeier e.V.”, die allgemein nichtkirchliche Trauerredner vertritt.

Wo auch immer die Entwicklung hinführen wird – es scheint, als würden die bisherigen Schauplätze von Tod, Trauer und Erinnerung ihre Bedeutung künftig verlieren. Das immer häufigere anonyme Rasengrab einerseits, die digitalen Gedenkseiten im Internet andererseits sind zum sepulkralen Ausdruck der postindustriell-mobilen Gesellschaft geworden. Neue Orte der Trauer entstehen, die abseits der bisherigen liegen – auch die kleinen, blumengeschmückten Holzkreuze am Rand der Autostraßen gehören dazu. Immerhin belegen sie, dass die immer wieder laut werdenden kulturkritischen Klagen über die gesellschaftliche Verdrängung von Tod und Trauer vielleicht doch verfehlt sind.

Jedenfalls scheint mir diese „Individualisierung“ der Bestattungs- und Trauerkultur der bislang letzte Schritt in der Geschichte der Verweltlichung. Gerade in Großstädten verlassen ich immer mehr Menschen den festen Rahmen christlicher Traditionen und Zeremonien und suchen sich neue, häufig selbstbestimmte Ausdrucksformen der Trauerkultur. Ein wichtiger Katalysator dieser Entwicklung ist übrigen die AIDS-Szene gewesen, gerade in Städten wie Berlin.

Kommen wir zum Schluss: Offenbar ist das gesellschaftliche Bedürfnis, dem Tod etwas entgegenzusetzen, stärker als der aktuelle Trend zur namen- und zeichenlosen Rasenbestattung zunächst vermuten lässt. Aber es sind heutzutage nicht mehr die überlieferten Muster, die den Umgang mit den Toten prägen. In den neuen, verweltlichten Ausdrucksformen zeigt sich auch ein soziales und humanes Kapital, das sich als widerständig erweist gegenüber einer allzu eingeschliffenen, allzu funktionalen Routine, wie sie die Bestattungskultur jahrzehntelang beherrschte. Dies eröffnet zu Beginn des 21. Jahrhunderts, so denke ich, auch den Formen weltlicher Bestattungs- und Trauerkultur ein neues, vielfältiges Spektrum und weitere Horizonte.

 

Neue Formen einer würdigen Bestattung

Vortrag vom 14.11.2004

Autor: Gerhard Rampp

 

Ein Lebensende in Würde wünschen wir uns alle, doch verstehen wir oft sehr Verschiedenes darunter. In diesen Tagen scheint es aber, dass wir diesem Ziel alle ein Stückchen näher kommen, denn die Bundesjustizministerin Zypries hat einen Gesetzentwurf vorgestellt, der das Selbstbestimmungsrecht in der letzten Lebensphase stärkt. Die Verbindlichkeit der sogenannten Patientenverfügungen soll endlich gesetzlich abgesichert und geregelt werden. Die damit erreichte Autonomie der Patienten und anderer Menschen, die für den Fall einer schweren Krankheit am Lebensende vorsorgen wollen, ist ein Riesenschritt vorwärts zu einer humaneren und demokratischeren Gesellschaft. Dafür haben sich sowohl die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) als auch viele Hospizvereine jahrelang eingesetzt, die sich beide in der Praxis übrigens recht gut ergänzen. Denn eine gelingende Sterbebegleitung setzt voraus, dass der Patient nicht gegen seinen Willen künstlich am Leben gehalten wird, wenn er sich dies zuvor durch eine schriftliche Verfügung oder auch durch eine mündliche Erklärung vor Zeugen verbeten hat. So ist es nur konsequent, dass sich auch DGHS-Mitglieder als ehrenamtliche Helfer in verschiedenen örtlichen Hospizvereinen engagieren. Diese in der praktisch helfenden und betreuenden Arbeit eingebundenen Gruppen sind übrigens nicht zu verwechseln mit der Deutschen Hospizstiftung, die lediglich propagandistisch und als Spendensammlerin tätig ist und von einem fundamentalistischen katholischen Ritterorden gegründet wurde. Wenn Sie also die Hospizarbeit finanziell unterstützen wollen, dann fördern Sie besser eine Ihnen persönlich bekannte Gruppe vor Ort als diese recht umstrittene Stiftung, bei der ich nicht in Erfahrung bringen konnte, wo deren Spendeneinnahmen letztlich versickern.

Aber zu einem würdigen Abschluss des Lebens gehört auch eine angemessene Form der Bestattung, die ja letztlich ein endgültiges Abschiednehmen von einem Angehörigen bedeutet. Früher hatten die Pfarrer der beiden großen Kirchen hier das Monopol, zumal auch viele Friedhöfe in deren Besitz waren und zum Teil auch heute noch sind. Rechtlich sind die Kirchen als Eigentümer nur dann verpflichtet, auch das Begräbnis von Nichtmitgliedern zuzulassen, wenn es vor Ort keinen anderen Friedhof gibt, zum Beispiel einen kommunalen. Aber ein weit größeres Problem stellte früher die Durchführung der Trauerfeier dar, wenn der Verstorbene nicht in der Kirche war. Die meisten Pfarrer weigerten sich selbst dann, wenn die trauernden Angehörigen, denen ja dieser Abschied ein besonderes Anliegen war, sehr wohl der Kirche angehörten. Aber da hörte die angeblich so christliche Nächstenliebe meist schnell auf. Heute besteht dieses Problem indes nur noch selten, und auch nur auf dem flachen Lande. Fast alle Bestattungsunternehmen arbeiten nämlich mit freien Begräbnisrednern zusammen, weil sich herumgesprochen hat, dass diese sprachlich oft gewandter sind und meist viel mehr auf die Persönlichkeit und Charakteristik der verstorbenen Person eingehen als Pfarrer, deren Haupttätigkeit ja eigentlich eine ganz andere Ausbildung erfordert. Daher stehen kirchliche Begräbnisse nicht einmal unter Kirchenmitgliedern so hoch im Kurs wie früher. Rein statistisch verzichtet bei uns schon heute etwa jeder achte evangelische Verstorbene auf geistliche Begleitung; bei den Katholiken sind es etwas weniger. Dabei gehören aber die meisten Betroffenen noch einer Generation an, die eine wesentlich engere Bindung an Kirche und Religion hat als die jüngeren Menschen. Unter den freien Bestattungssprechern gibt es durchaus verschiedene. Einige sind ehemalige Theologen, die nicht mehr im Kirchendienst arbeiten wollen und speziell für jene da sind, welche sich zwar noch als christlich im weiteren Sinne verstehen, aber deshalb nicht unbedingt kirchlich gebunden sein wollen. Getauft sein und Kirchensteuer zahlen sind schließlich zwei paar Stiefel. Daneben nimmt aber auch die Zahl der Nichtglaubenden erheblich zu. Für diese bieten sich neben kommerziellen Sprechern auch solche an, die einem der Konfessionslosen-Verbände angehören oder nahestehen. Die meisten von ihnen werden für Mitglieder rein ehrenamtlich tätig, nehmen aber von anderen nur in sehr begrenztem Maße Aufträge an, weil sie meist noch einen Beruf ausüben und daneben zeitlich nicht mehr stark belastbar sind. Falls Sie allerdings konfessionsfrei sind, können Sie sich ohne jegliche Kosten bei einem der Konfessionslosen-Verbände als beitragsfreies Betreuungsmitglied eintragen, was Ihnen nicht nur im Falle einer weltlichen Bestattung Vorteile bringen kann.

Eine besondere Betrachtung verdienen die zunehmenden anonymen Bestattungen. Wenn ein Mensch überhaupt keine Angehörigen oder Freunde mehr hat, mag dieser sehr unpersönliche, aber kostengünstige Weg verständlich sein. In allen anderen Fällen sollten Sie aber bedenken, dass Ihre Hinterbliebenen in aller Regel später einmal froh sein werden, wenn sie an einem ganz bestimmten Ort Ihrer gedenken können.

In den letzten Jahren kam aber eine weitere Alternative zu den herkömmlichen Bestattungsorten auf, nämlich die sogenannten Friedwälder. Ein Grund hierfür mögen auch die in Deutschland relativ hohen Begräbniskosten sein. In vielen anderen Ländern ist die Bestattung nicht so rigoros geregelt wie bei uns. So dürfen in den Benelux-Staaten und in den meisten Regionen Großbritanniens die Toten auch außerhalb der Friedhöfe begraben werden, teilweise sogar im eigenen Garten. Oder die Angehörigen dürfen die Asche von Verstorbenen zu Hause aufbewahren, wo sie den Kontakt zu ihm viel unmittelbarer verspüren können. Freilich besteht hier auch die Gefahr von pietätlosen Handlungen, was die Behörden letztlich nicht kontrollieren können. Auf jeden Fall liegen die Kosten dort erheblich unter denen in Deutschland, wo überdies die Friedhöfe aus allen Nähten zu platzen drohen und daher die Gräber in immer früheren Zeitabständen aufgelassen werden müssen, um anderen Verstorbenen Platz zu machen. Ob dies der Menschenwürde angemessen ist, darf bezweifelt werden.

Die sogenannten Friedwälder sind eigens ausgewiesene Areale, in denen jeweils der Bereich eines Baumes die letzte Ruhestätte für einen Menschen, aber ebenso gut auch für eine ganze Familie bietet. Die Asche der verstorbenen Person wird in der Regel im Wurzelwerk des Baumes der Erde zugeführt, so dass der Mensch im ganz bildhaften Sinne ein Teil des Naturkreislaufs wird. Allein schon diese Idee halten viele Menschen für bestechend. Überdies hat das Ruhen in der freien Natur für die Angehörigen schon von der gesamten Stimmung her viel Tröstendes und Beruhigendes. Nicht umsonst werden ja auch viele ältere Friedhöfe so angelegt, dass sie einer großzügig gegliederten Bewaldung entsprechen. Das Namensschild wird dann am Baum angebracht, der in gewisser Hinsicht den Grabstein ersetzt.

Niemand wird bestreiten können, dass Friedwälder eine pietätvolle Alternative zu den herkömmlichen Friedhöfen darstellen. Neben der Tatsache, dass sie einem weit verbreiteten Bedürfnis nach Naturnähe entsprechen, bieten sie eine Reihe weiterer Vorteile. Da wesentlich mehr Platz vorhanden ist, können die Bäume viel länger angemietet werden als Grabstellen, die oft schon nach 15 oder 20 Jahren aufgelassen werden müssen. Außerdem ist diese Alternative insgesamt kostengünstiger, weil zum Beispiel ein Sarg oder ein aufwendiger Grabstein entfallen können. Gerade das Kostenargument zeigt ein grundlegendes Umdenken der heutigen Generation: Während es früher als unschicklich galt, beim Begräbnis auf das Geld zu schauen, sagen sich heute viele Angehörige „Warum so viel ausgeben, wenn der Tote davon ja nichts mehr hat!" Und der Wegfall des Sterbegeldes bringt immer mehr Hinterbliebene ohnehin in eine finanzielle Zwangslage. Eben aus diesem Grund sind über die Friedwälder nicht alle glücklich, die am Bestattungsgeschäft verdienen. Die Erfahrungen in anderen Bundesländern zeigen aber, dass sich die Bestattungsunternehmen auf das neue Denken ihrer Kundschaft eingestellt haben. Der bislang wirklich entscheidende Widerstand gegen die neuen Ruhestätten kommt von der katholischen Kirche, in Einzelfällen auch mal von evangelischer Seite. Manche Kleriker behaupten, eine Friedwaldbestattung sei nicht würdig genug, die meisten bemängeln aber, sie entspreche nicht der Tradition der christlichen Friedhofskultur oder gar dem christlichen Verständnis vom Tod. Pikanterweise ist der Bundesverband der Waldbesitzer hier völlig anderer Meinung als die Bischöfe, obwohl seine Mitglieder in aller Regel ausgesprochen konservativ-christlich orientiert sind. Natürlich haben Eigentümer von Forstflächen eine neue Einnahmequelle im Auge, was ihnen aber auch nicht zu verdenken ist, denn angesichts der großen Rückschläge in den letzten Jahren mit Orkanschäden und Waldsterben müssen sie diese Defizite irgendwie ausgleichen. Außerdem haben die Wälder eine wichtige ökologische Funktion für uns alle, so dass ein zusätzlicher Anreiz für die Pflege und den Erhalt bewaldeter Flächen gewiss nicht schadet. Und vergessen wir nicht, dass auch die evangelische Kirche nach den bisherigen Äußerungen die katholische Ablehnung mehrheitlich nicht zu teilen scheint.

Der wirkliche Grund für den Widerstand gegen Friedwälder liegt auf der Hand. Einige Pfarrer haben auch schon zugegeben, dass sie um ihre bisher immer noch dominierende Rolle im Begräbniszeremoniell fürchten, und letztlich geht es damit auch um die Aufrechterhaltung ihrer bisherigen gesellschaftlichen Bedeutung. Aber letztere hat schon in den vergangenen 30 Jahren abgenommen und sie wird so oder so weiter sinken, wie – neben vielen anderen Indizien – der Rückgang der Katholikenzahl in Bayern um 65.000 allein im letzten Jahr belegt. Mit solchen Blockaden neuer Ideen verliert die katholische Kirche nur noch weiter an Ansehen, denn gerade die frommen Christen haben kein Verständnis für machtpolitisches Taktieren. Auch ihnen ist bewusst, dass niemand zur Nutzung einer Friedwald-Grabstätte gezwungen ist und dass auch Christen in solchen persönlichen Angelegenheiten gern individuell entscheiden. Und ich darf hinzufügen: Es sind auch längst nicht alle Menschen Christen, und in einer Demokratie sollten die anderen nicht gezwungen werden, sich katholischen Vorstellungen unterzuordnen. Wo also bleibt hier die Toleranz gegenüber Andersdenkenden?

Vor einigen Jahrzehnten hat die katholische Kirche gegen die Erlaubnis zur Feuerbestattung gekämpft, später hatte sie Einwände gegen neue Formen der Urnenbeisetzung, dann gegen anonyme Bestattungen und die Möglichkeit, seinen Körper der Anatomie zur Verfügung zu stellen. Man kann ja über all diese Alternativen unterschiedlicher Meinung sein und muss sie auch nicht alle für gut halten. Aber warum soll hier nicht jede Person frei für sich entscheiden dürfen? In jedem der genannten Streitfälle mussten die Klerikalen schließlich nachgeben, aber nicht freiwillig wie die Klügeren, sondern notgedrungen unter dem Druck der besseren Gegenargumente. Und jedesmal musste die Kirche dann hoffen, dass ihre Missachtung anderer Auffassungen zu Bestattung, Tod und Sterben nicht allzu lang im Gedächtnis der Menschen haften bleiben würde. Nun sollten die Bischöfe in ihrem eigenen Interesse aus diesen Fehlern lernen. Falls sie sich dagegen beratungsrestistent zeigen, dann sollten sich die bayerischen Politiker darüber hinwegsetzen und jene neue Form einer würdigen Bestattung ermöglichen, die schon jetzt in einigen norddeutschen Bundesländern erlaubt und auch bei uns von vielen gewünscht ist.


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