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Paul
Thiry D'Holbach (1723-1789) Holbach, Paul Heinrich Dietrich Baron von, Pseudonym Paul-Henri Thiry
d'Holbach (1723-1789), französischer Philosoph deutscher Herkunft.
Holbach vertritt schon sehr früh religionskritische und materialistische
Thesen in der französischen Aufklärung. Sein Anliegen war das Aufzeigen
der Irrtümer der Metaphysik, die nach seiner Ansicht den Menschen den
Zugang zu wirklichen Erkenntnissen verstellt. Seine Werke richten sich
konsequent gegen alle Arten der Religionen und deren Absolutheitsanspruch
in moralischen Fragen. An Stelle einer geoffenbarten Ethik fordert er
eine, die sich an der gesellschaftlichen Nützlichkeit orientiert und
empirisch überprüfbar ist. |
Biographie
Zitate
Vortrag zu d'Holbachs 200. Todestag von Prof.
Dr. Brekle
Unterrichtseinheit
mit Text und Fragen zu Holbach
Paul
Thiry d'Holbach: Religionskritische Schriften (Auszüge)
08.12.1723
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Geboren im pfälzischen Edesheim als Sohn des Winzers Johann Jakob Thiry und Frau, Tochter des fürstbischöflichen Steuereintreibers |
1744
- 1748 |
Studium der Natur- und Rechtswissenschaft an der liberalen Universität Leyden |
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In Paris wurde er von seinem Onkel Baron Franz Adam Holbach adoptiert, wodurch er später dessen Titel und Vermögen erbte. |
1749 |
Bekanntschaft mit Diderot |
1750 |
Heirat mit Basile Genevieve, deren Vater Nicolas d’Aine ihm später den Titel „Conseiller du Roi“ und die franz. Adelsmitgliedschaft übergab. |
Ab
1753 |
Verfasst er als Privatgelehrter mehr als 300 überwiegend naturwissenschaftliche Artikel für die Encyclopédie |
1756 |
Heirat mit Charlotte, Schwester seiner inzwischen verstorbenen 1. Frau. |
Ab
1760 |
Beginn seiner religionskritischen Arbeiten |
1766 | Das Buch ,,Das entschleierte Christentum” erschien unter falschem Namen, da d'Holbach mit Repressalien rechnen musste. Wie sehr man dann gegen dieses Buch vorging, wird deutlich, wenn man hört, daß ein Apothekergehilfe zu neun Jahren Galeere verurteilt wurde, nur weil er ein Exemplar verkauft hatte. |
1768 |
Erscheinen des Werkes „La contagion sacrée“ (Die heilige Seuche) |
1770 |
Erscheinen des Hauptwerkes „Système de la Nature …“ unter falschem Namen aus Furcht vor Verfolgung (Band 1 und Band 2 vollständig im Internet) |
1776 |
Erscheinen des Werkes „La morale universelle ou les devoirs de l’homme fondés sur la nature“ (Allgemeine Moral oder die Pflichten des Menschen auf der Grundlage seiner Natur |
21.01.1789 |
Holbach
stirbt in Paris |
Zitate:
Wenn ein Atheist richtig geurteilt und seine Natur zu Rate gezogen hat, so
hat er Prinzipien, die zuverlässiger und immer menschlicher sind als die des
Abergläubischen, der durch eine finstere oder schwärmerische Religion entweder
zur Torheit oder zur Grausamkeit geführt wird. Niemals wird man die
Einbildungskraft eines Atheisten so sehr vernebeln, daß man ihm glaubhaft
macht, Gewalttätigkeiten, Ungerechtigkeiten, Verfolgungen, Morde seien
tugendhafte oder rechtmäßige Handlungen.
(Paul Thiry
D'Holbach)
Wem
dient also der Glaube? Einzig und allein einigen Menschen, die sich des Glaubens
bedienen, um die Menschheit zu unterjochen.
(Paul Thiry
D'Holbach)
In
der Vernunft und in unserer eigenen Natur werden wir Führer haben, die viel
sicherer sind als jene Götter, denen die Geistlichkeit nach ihrem Gutdünken
irgendwelche Worte in den Mund legt und deren Sprache sie je nach ihren
Interessen auslegt.
(Paul Thiry
D'Holbach)
Zum
200. Todesjahr eines Aufklärers aus der Rheinpfalz: Paul Thiry,
Baron von Holbach
Rundfunkvortrag
von Prof. Dr. Herbert
B. Brekle, gesendet am 24.12.1989 im Bayerischen Rundfunk II, Sendereihe
‚Freigeistige Betrachtungen’
Holbach
ist heute sowohl in seinem Geburtsland wie auch in seinem eigentlichen
Heimatland Frankreich weitgehend vergessen. Dabei
gehörte er - wie
auch sein aus Regensburg stammender gleichaltriger Zeitgenosse Friedrich
Melchior Grimm - zum
innersten Kreis der
französischen Aufklärungsbewegung, die sich durch so illustre Namen wie
Voltaire, Rousseau und Diderot charakterisieren läßt. Als Naturwissenschaftler
und radikalaufklärerischer Philosoph gehörte Holbach zweifelsfrei zu jenen
geistesgeschichtlich bedeutenden Gestalten des europäischen 18. Jahrhunderts,
die Grundlagen dafür gelegt haben, daß die Menschheit die auch heute noch
vielfach spürbaren Fesseln ihrer selbstverschuldeten geistig-intellektuellen
Unmündigkeit sprengen kann.
Holbach
wurde am 8. Dezember 1723 unter dem Namen Paul Thiry im rheinpfälzischen
Edesheim nach katholischem Ritus getauft. Sein Vater
war Johann Jakob Thiry, seine Mutter Katherina Jakobea, geborene
Holbach. Sein Onkel mütterlicherseits, Francois Adam Holbach -
1728 in den
Reichsfreiherrenstand erhoben - schuf
die materiellen Voraussetzungen für die Ausbildung und die späteren Lebensumstände
seines Neffen. 1744 verließ Holbach die engstirnig klerikal geprägte
Rheinpfalz und immatrikulierte sich an der damals geistig freiesten und
fortschrittlichsten Universität Europas, im niederländischen Leiden. Ab 1749
lebte Holbach als naturalisierter Franzose in und um Paris und wurde 1753 nach
dem Tode seines Onkels durch eine bedeutende Erbschaft zu einem sehr
wohlhabenden Mann. Seine Einkünfte erlaubten ihm ein großes gastfreundliches
Haus zu führen; in seinem Salon spielte sich ein Gutteil des französischen und
europäischen Geisteslebens im dritten Viertel des 18. Jahrhunderts ab. Darüber
hinaus unterstützte er großzügig die Arbeit an der großen französischen
Enzyklopädie, vor allem deren philosophisch und literarisch wichtigsten Kopf,
Denis Diderot, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband. Holbachs immense
wissenschaftliche und philosophisch-aufklärerische Produktion läßt sich recht
gut in drei Phasen einteilen:
Von 1752-1760 arbeitet er hauptsächlich für die Enzyklopädie; er übersetzt
und redigiert weit über 400 Beiträge zu Themen aus der Mineralogie, der
Bergbaukunde und der Chemie. Gleichzeitig sammelt Holbach Materialien zur
Geistes- und Ideologiegeschichte, hauptsächlich aus französischen und
englischen Quellen.
Hieraus ergibt sich für das Jahrzehnt von 1760-1770 die beeindruckende Zahl von
über 35, wegen der strengen Zensur fast ausschließlich in Holland publizierten
Werken. Charakteristische Titel sind etwa Das entschleierte Christentum (1761),
Briefe an Eugenie, oder Schutzmittel gegen die Vorurteile (1768), Der
Geist des Judentums (1769).
Das
dritte Jahrzehnt seines Schaffens, von 1770-1780 kulminiert mit seinen auch von
der Nachwelt immer wieder stark beachteten Hauptwerken: Versuch über die
Vorurteile (1770), System der Natur (1770,
Band
1 und Band
2 vollständig im Internet), Der gesunde
Menschenverstand (1772), Das Gesellschaftssystem, oder natürliche Grundsätze
der Moral und der Politik (1773), Die universelle Moral, oder die
Pflichten des Menschen, gegründet auf seiner Natur (1776). Holbachs
ideologiekritische, auf eine Befreiung der Gesellschaft und des Einzelnen vom
doppelten Joch des Absolutismus und der Herrschaft des Klerus hinzielenden
Werke, erschienen praktisch alle pseudonym oder anonym. Diese Vorsichtsmaßnahme
war für Holbach überlebensnotwendig; selbst sein Reichtum und hoher gesellschaftlicher
Rang hätten ihn sonst nicht vor der Bastille oder der Galeere retten können.
Der
aus bescheidenen Verhältnissen stammende rheinpfälzische Bauernbub starb als
Baron von Holbach am 21. Januar 1789 am Vorabend der Revolution; hoch geachtet
von allen freien Geistern Europas, gehaßt und wegen der weit ins 19.
Jahrhundert hinein andauernden Wirkung seiner Schriften gefürchtet von der
unheiligen Allianz von Thron und Altar.
Obwohl
Holbach historisch-objektiv mit seinen materialistisch-atheistischen Werken der
Erklärung der Menschenrechte und damit der Revolution intellektuell
vorgearbeitet hatte, wurde er von
ihren Hauptvertretern - etwa Robespierre - nicht zu ihren geistigen
Vätern gezählt.
Es waren Rousseau, Voltaire und auch Diderot, die von der Revolution als ihre Väter
anerkannt und geehrt wurden. Dies erklärt sich unter anderem aus der Tatsache, daß
Rousseau und Voltaire eben keine Atheisten waren, sondern einem eher nebulösen
Deismus, einem Glauben an irgendein höchstes Wesen anhingen. Die junge
französische Republik - erst recht nicht das nachfolgende Kaiserreich - wurde
eben nicht zu einem atheistischen
Staat; in mehr oder weniger säkularisierten Varianten bestand das auf
gegenseitigen Nutzen
ausgerichtete Bündnis zwischen Thron und Altar mit kurzen Unterbrechungen im
Zeitraum zwischen Napoleon und der Gründung der 3. französischen Republik
fort. Diesseits des Rheins - speziell in Bayern - konnten über die
Festigkeit und
Dauerhaftigkeit dieses Bündnisses bis heute zu keinem Zeitpunkt irgendwelche
ernsthaften Missverständnisse entstehen.
Holbachs
Schriften bewegen sich inhaltlich gesehen durchaus im Rahmen vieler seit der
englischen und französischen Frühaufklärung bekannten Themen. Was jedoch etwa
sein opus magnum System der Natur (Band
1 und Band
2 vollständig im Internet) von früheren oder zeitgenössischen
Abhandlungen unterscheidet, ist die strenge Systematik und Konsequenz mit der
materialistisches Gedankengut dargeboten wird; er hat ein geschlossenes Denkgebäude
errichtet; hier verdichten sich gleichsam brennpunktartig Ideen der geistigen
und politischen Freiheit des Menschen, der moralischen Selbstverantwortlichkeit
gegenüber sich selbst und der Gesellschaft, kurz das Ideal eines tugendhaften Bürgers.
Obgleich er sich durchaus dessen bewußt ist, dass "unsere Kenntnisse noch
zu begrenzt sind, um die Totalität des Seienden zu umfassen", wagte er es,
anspruchsvolle philosophische Abhandlungen zur Ideologiekritik, zur Ethik und
zur Politikwissenschaft zu publizieren, die in einer bis dahin unerhörten Kühnheit
der Argumentation die Welt, die Gesellschaft und den Menschen in einem strikt
materialistischen Sinne zu deuten versuchen.
Betrachten
wir zum Abschluß einige Thesen aus einem heute weniger denn je bekannten Werk
Holbachs, dessen Quintessenz jedoch heute wie vor 200 Jahren gültig ist, ich
meine seinen Versuch über die Vorurteile oder vom Einfluß der Meinungen auf
die Sitten und das Glück der Menschen, eine Schrift, die die Verteidigung der
Philosophie enthält (1770). Holbach will hier seinen Lesern bewußt machen,
daß ihr privates Glück und das Wohlergehen eines Volkes davon abhängt, ob sie
sich in ihren Handlungen von Vorurteilen, von nicht überprüften Meinungen oder
von der Wahrheit leiten lassen. Mit der Überwindung der Vorurteile, eines
falschen Bewußtseins, wollte Holbach einen Beitrag zur Veränderung der damals
bestehenden Gesellschaftsstruktur leisten. Die herrschenden Schichten, König,
Adel, Finanzbourgeoisie und Klerus waren nach Holbachs Überzeugung an dem
Fortbestand von politischen, moralischen und religiös fundierten Vorurteilen
beim Volk gerade im Interesse der Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft über das
Volk interessiert. Als Weg aus dieser bedrückenden, menschenunwürdigen
Situation sieht Holbach die Aufklärung des Volkes, vor allem der einigermaßen
gebildeten Schichten, über Bedingungen und Konsequenzen ungerechter Herrschaft.
Holbachs politisches Ziel war es, mittels einer durchaus bürgerlichen
Revolution zu einer aufgeklärten, ihrer eigenen Würde bewußten, demokratisch
strukturierten Gesellschaft zu kommen.
Von
einem wahrhaften Philosophen verlangt Holbach in seinem Versuch über die
Vorurteile, sich nicht durch die Verachtung des unwissenden und abergläubischen
Volkes entmutigen zu lassen, den Drohungen der Tyrannei gegenüber Widerstand zu
leisten und selbst den Tod nicht zu fürchten. Holbach wörtlich: "Der
Freund der Menschheit vermag seinen Unterdrückern nicht zu schmeicheln. Wer die
Wahrheit kennt, soll den Irrtum angreifen und sprechen; sein Schweigen würde
ihn zum Helfershelfer der Betrüger machen, deren Lügen und Schmeicheleien auf
der Erde unglückliche Menschen hervorbringen".
Nicht
weniger entschieden kritisiert der Philosoph Holbach diejenigen, die in
libertinistischer Weise "die Ausschweifung gutheiß, das Herz
verweichlichen, das Laster in liebenswürdigem Gewand darstellen, den Betrug
rechtfertigen, die Sittenstrenge in Verruf bringen, die Tugend lächerlich
machen und schließlich die unwandelbaren, heiligen Pflichten verdecken, welche
sich aus unserem Dasein
ergeben und
die Stützen
jeder Gesellschaft bilden". Deshalb kann für Holbach "der Feind der
Moral nicht der Freund der Philosophie" sein.
Schließen
wir mit zwei Holbach-Zitaten, die auch den ach so fortschrittlichen Menschen des
ausgehenden 20. Jahrhunderts noch genügend Stoff zum Nachdenken vermitteln können.
"Religiöse
und politische Institutionen, ebenso wie Vorurteile und Meinungen der Völker
stammen aus der Zeit der Unwissenheit, das heißt aus den Zeiten, wo die Völker
infolge der Unerfahrenheit und Schwäche der Nationen bedingungslos der Macht
einiger Männer ausgeliefert waren, die schlau genug waren, um sie zu betören,
oder stark genug, um sie zu unterwerfen. Unwissenheit und Furcht ließen die
Religionen und Kulte entstehen; deshalb bi1dete die Unwissenheit zu allen
Zeiten die - Grundlage der priesterlichen Macht, die jedoch nur so lange
bestehen kann, wie der Menschengeist von Finsternis umhüllt ist. Die
unbesonnene Dankbarkeit der Völker, ihre mangelnde Weitsicht, ihre abergläubischen
Vorstellungen und schließlich die Gewalt schufen den Despotismus, die unumschränkte
Macht, die ungerechten Gesetze, die parteiischen Auszeichnungen, die Vorrechte
und Würden, die den Stützen einer unrechtmäßigen Herrschaft zugebilligt
wurden."
"Die
Religion ist die Kunst, die Menschen mit Schwärmerei zu betäuben, um sie daran
zu hindern, sich mit jenen Übeln zu befassen, mit denen sie von jenen, die sie
regieren, überladen werden. Mit Hilfe der unsichtbaren Mächte, mit denen man
ihnen droht, zwingt man sie, mit Stillschweigen das Elend zu erdulden, das ihnen
von den sichtbaren Mächten auferlegt wird. Man läßt sie hoffen, daß sie in
einer anderen Welt glücklicher sein werden, wenn sie sich damit abfinden, in
dieser Welt unglücklich zu
sein."
Unterrichtseinheit Textanalyse zu d’Holbach
(mit freundlicher Genehmigung des Autors Rolf Dober, rolfdober@aol.com)
System
der Natur oder von den Gesetzen der physischen und der moralischen Welt
(1770)
Band
1 und Band
2 vollständig im Internet
Die Religion, die von jeher nur auf der Unwissenheit basierte und sich von der Einbildungskraft leiten ließ, gründete die Moral nicht auf die Natur des Menschen, auf seine Beziehungen zu anderen Menschen, auf die Pflichten, die sich notwendig aus diesen Beziehungen ergeben: sie errichtete die Moral lieber auf imaginären Beziehungen, die zwischen dem Menschen und unsichtbaren Kräften bestehen sollen, die sie sich aufs Geratewohl ausgedacht hatte und die sie auf dem Wege der Fälschung sogar sprechen ließ. Diese unsichtbaren Götter wurden von der Religion immer als böswillige Tyrannen beschrieben, die zu unumschränkten Herren und Vorbildern des Verhaltens des Menschen wurden. Der Mensch wurde böse, ungesellig, nutzlos, unruhig und fanatisch, sobald er die vergötterten Tyrannen nachahmen oder sich den Lehren ihrer Interpreten gemäß verhalten wolle. Diese allein zogen aus der Religion und aus der Finsternis, die sie über den menschlichen Geist verbreitete, Nutzen. Die Völker kannten weder die Natur noch die Vernunft noch die Wahrheit: Sie hatten nur Religionen, ohne bestimmte Ideen von der Moral oder der Tugend zu haben. Wenn der Mensch seinen Mitmenschen Böses antat, so glaubte er seinen Gott beleidigt zu haben; er glaubte aber freigesprochen zu werden, wenn er sich vor ihm demütigte, ihm Geschenke darbrachte und sich die Zuneigung des Priesters erwarb.
So
gab die Religion - weit entfernt, der Moral eine sichere, natürliche und
erkennbare Basis zu geben - ihr eine schwankende, ideelle und ganz unverständliche
Grundlage ... So kam es, dass die Summe der Leiden des Menschengeschlechts nicht
geringer wurde, sondern dass sie im Gegenteil durch seine Religionen, durch
seine Regierungen, durch seine Erziehung, durch seine Anschauungen, kurz, durch
alle Institutionen anwuchs, die man ihm unter dem Vorwand, sein Schicksal viel
angenehmer zu machen, aufzwang. Man kann es nicht oft genug wiederholen: der
Irrtum ist die wahre Quelle der Leiden von denen die Menschheit heimgesucht
wird; nicht die Natur machte sie unglücklich; nicht eine Erbsünde hat die
Menschen schlecht und unglücklich gemacht: allein dem Irrtum verdanken wir
diese bedauerlichen Wirkungen...
Die theologischen oder
metaphysischen Attribute Gottes sind in der Tat nur reine Negationen der
Eigenschaften, die sich am Menschen oder an allen ihm bekannten Dingen finden:
diesen Attributen zufolge ist die Gottheit von allem ausgenommen, was der Mensch
an sich selber oder an den ihn umgebenden Dingen als Schwächen oder
Unvollkommenheiten bezeichnet. Behaupten, Gott sei unendlich, heißt sagen ...,
dass er nicht wie der Mensch oder alle uns bekannten Dinge durch die Grenzen des
Raum eingeschränkt ist. Behaupten, Gott sei ewig, heißt sagen dass er nicht
wie wir und wie alles, was existiert, einen Anfang gehabt hat und ein Ende haben
wird ... Aus dem verworrenen Gemisch solcher negativen Eigenschaften ist der
theologische Gott entstanden . . . Durch die Zusammenstellung dieser unklaren Wörter
oder Modifikationen glaubte man irgendeine Sache geschaffen zu haben; man dehnte
diese Eigenschaften durch das Denken aus und glaubte einen Gott gebildet zu
haben, während man sich nur ein Trugbild ausgedacht hatte. ..das sind die
Stoffe, deren sich die Theologie bedient, um das unerklärbare Phantom
zusammenzusetzen, vor dem auf die Knie zu sinken sie dem Menschengeschlecht
befiehlt.
Ich werde sie fragen, worauf sie die Güte gründen, die sie ihrem Gott törichterweise zuschreiben. Ist denn dieser Gott, werde ich sie fragen gegenüber allen Menschen wohltätig? Kommen nicht auf einen Sterblichen, der den Überfluss und die Gunst des Schicksals genießt, Millionen, die in Not und Elend schmachten? ... Ist die Erde nicht mit Unglücklichen übersät, die nur hier hergekommen zu sein scheinen, um zu leiden, sich zu quälen und zu sterben? Wiegt sich die göttliche Vorhersehung im Schlaf, wenn Hungersnöte, Seuchen, Kriege, Unordnungen sowie physische und moralische Revolutionen wüten denen das Menschengeschlecht dauernd zum Opfer fällt? Ist nicht die Erde, deren Fruchtbarkeit man als eine Wohltat des Himmels betrachtet, in tausend Gegenden trocken und unergiebig?...
Liefert
dieser Gott, der das Universum lenkt und ständig über die Erhaltung seiner
Geschöpfe wacht, diese nicht schließlich fast immer der Gewalt so vieler
unmenschlicher Herrscher aus, die ihr Spiel mit dem Unglück ihrer Untertanen
treiben, während jene Elenden vergeblich den Himmel anflehen, dass er ihren
vielfältigen Nöten ein Ende bereite, die offensichtlich das Werk einer törichten
Verwaltung und nicht der erzürnten Himmel sind . . wenn man glaubt, die Natur
sei seinen (sc. Gottes) höchsten Befehlen unterworfen, so muss dieser Gott
ebenso häufig voller Ungerechtigkeit, Bosheit, Unklugheit, Unvernunft sein, wie
er voller Güte, Weisheit und Gerechtigkeit ist. Wenn ein Frommer, der weniger
voreingenommen und inkonsequent als andere ist, nur etwas vernünftig denken
wollte, so würde er einem launenhaften Gott misstrauen, der ihn selbst häufig
genug leiden lässt; er würde nicht in den Armen eines Henkers, den er törichterweise
für seinen Freund oder für seinen Vater hält, Trost suchen.
(System der Natur oder von den Gesetzen der physischen und der
moralischen Welt,
Berlin 1960, S. 251 ff., 312 f. 413,
Band
1 und Band
2 vollständig im Internet)
Aufgaben:
1.
Fassen Sie die
einzelnen Abschnitte thesenartig zusammen! 2. Wie sieht nach d'Holbach die religiöse Begründung der Moral aus? 3.
Erläutern
Sie, wie nach seiner Auffassung die Gottesvorstellung 4. Die
Güte Gottes und das
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Paul
Thiry d'Holbach: Religionskritische Schriften (Auszüge)
Das entschleierte
Christentum
oder Prüfung der Prinzipien und Wirkungen der christlichen Religion
S. 59:
Mit einem Wort, die Religion ändert nichts an den Leidenschaften der Menschen,
sie schenken ihr nur dann Gehör, wenn sie mit ihren Begierden übereinstimmt.
Vergebens predigt die Religion Tugend, wenn diese Tugend mit den
Interessen der Menschen in Widerspruch gerät und zu nichts führt.
Anstelle von Moral schärft man den Christen die wunderlichen Fabeln und
unbegreiflichen Dogmen einer Religion ein, die der gesunden Vernunft völlig
entgegengesetzt ist.
S. 60:
Trotz der Nutzlosigkeit und der Verkehrung der Moral, die das Christentum die
Menschen lehrt, wagen uns seine Anhänger zu erklären, daß es ohne Religion
keine guten Sitten geben könne. Gute Sitten - was bedeutet das aber in der
Sprache der Christen? Das bedeutet unaufhörlich beten, die Tempel besuchen, Buße
tun, den Vergnügungen entsagen und in Andacht und Zurückgezogenheit leben.
Mögen Sitten dieser Art in den Himmel führen, für die Erde sind sie äußerst
nutzlos.
S. 64:
Viele sittenlose Menschen haben die
Religion angegriffen, weil sie ihren Neigungen zuwiderlief; viele Weise haben
die Religion verachtet, weil sie ihnen lächerlich schien; viele Menschen haben
sie für gleichgültig erachtet, weil sie ihre wirklichen Nachteile nicht
bemerkt haben. Ich bekämpfe sie als Staatsbürger, weil sie mir für das Glück
des Staates schädlich zu sein scheint, weil sie eine Feindin des Fortschritts
des menschlichen Geistes ist, weil sie gegen eine gesunde Moral gerichtet ist,
von der die Interessen der Politik niemals zu trennen sind.
S. 67:
Die Priesterschaft verleumdet die Wahrheit, weil sie ihre prunkvolle Anmaßung
zunichte macht.
S. 68:
Das sicherste Mittel, die Menschen zu täuschen und ihre Vorurteile zu
verewigen, besteht darin, sie in der Kindheit zu täuschen. Bei fast allen
modernen Völkern scheint die Erziehung nur das eine Ziel zu haben, Fanatiker,
Frömmler und Mönche hervorzubringen, das heißt für die Gesellschaft schädliche
oder nutzlose Menschen. Nirgends denkt man daran, Staatsbürger heranzubilden.
S. 69:
Unter dem Vorwand, ihnen Frieden zu bringen, brachte sie ihnen nur Raserei, Haß,
Zwietracht und Krieg. Es bildeten
sich in jedem Staat zwei verschiedene Mächte heraus: die Macht der Religion,
auf Gott selbst gegründet, siegte fast immer über die Macht des Herrschers.
Dieser wurde gezwungen, Diener der Priester zu werden; und immer dann, wenn er
sich weigerte, das Knie vor ihnen zu beugen, wurde er geächtet und seiner
Rechte beraubt, wurde er von seinen Untertanen vernichtet, welche die Religion
zur Revolte anstachelte, oder von Fanatikern, in deren Händen die Religion zum
Dolch wurde.
S. 71:
Dieser unter dem Namen Moses bekannte Mann, erzogen in den Wissenschaften dieser
Gegend, die an Wundern fruchtbar und die Mutter des Aberglaubens war, setzte
sich also an die Spitze einer Schar von Flüchtigen, denen er einredete, er sei
der Deuter des Willens ihres Gottes, pflege mit ihm geheime Unterredung und
empfange direkt von ihm seine Befehle. Der
erste Befehl, den er ihnen im Auftrag seines Gottes gab, war der, ihre Herren zu
bestehlen, als die sie gerade verlassen wollten. Als er sie auf diese Weise mit
der Beute Ägyptens bereichert hatte und ihres Vertrauens sicher war, führte er
sie in eine Wüste, wo er sie vierzig Jahre hindurch an blinden Gehorsam gewöhnte.
Den Hebräern, diesen Räubern, Usurpatoren und Mördern, gelang es
schließlich, sich in einer wenig fruchtbaren Gegend niederzulassen, die ihnen
aber, da sie aus ihrer Wüste kamen, lieblich erschien. Dort gründeten sie
unter der Autorität ihrer Priester, der sichtbaren Vertreter ihres verborgenen
Gottes, einen Staat, der von ihren Nachbarn verabscheut und zu allen Zeiten der
Gegenstand ihres Hasses oder ihrer Verachtung war. Unter der Bezeichnung
Theokratie regierte das Priestertum lange dieses verblendete und wilde Volk; es
redete ihm ein, wenn es seinen Priestern gehorche, gehorche es Gott selbst.
S. 74:
Die Juden sagen, Jesus sei der Sohn eines Soldaten namens Pandiraoder Panther
gewesen, der Maria verführte, eine Haarmacherin, die mit einem gewissen
Jochanan verheiratet war; oder, wie andere berichten, vergnügte sich Pandira
mehrere Male mit Maria, während diese glaubte, es mit ihrem Mann zu tun zu
haben. Auf diese Weise wurde sie schwanger, und ihr betrübter Gatte zog sich
nach Babylon zurück. Andere behaupten, Jesus habe in Ägypten die Magie erlernt
und sei von dort nach Galiläa gekommen, wo er seine Kunst ausübte und
umgebracht worden sei. ...
S. 75:
Paulus, der ehrgeizigste und schwärmerischste unter den Jüngern Jesu, brachte
also seine Lehre mit Erhabenem und Wunderbaren schmackhaft gemacht, zu den Völkern
Griechenlands, Asiens, ja sogar zu den Einwohnern Roms; er fand Anhänger, weil
jeder, der die Einbildungskraft ungebildeter Menschen anspricht, sie für seine
Interessen verwenden kann. Dieser tatkräftige Apostel kann mit vollem Recht als
Begründer einer Religion gelten, die sich ohne ihn nicht hätte verbreiten können,
weil es seinen unwissenden Gefährten an Erleuchtung mangelte; er zauderte
nicht, sich von ihnen zu trennen, um Oberhaupt seiner Sekte zu sein.
Die Ebioniten oder ersten Christen sahen in Paulus einen Abtrünnigen,
einen Ketzer, weil er völlig vom Gesetz Moses abwich, während es die anderen
Apostel reformieren wollten. Die ersten Christen wurden geringschätzig
Ebioniten genannt, was soviel wie Bettler und Lumpen bedeutet. Siehe: Origenes
gegen Celsus Buch II, und Eusebius Kirchengeschichte, Buch III, Kap. 37. Ebion
heißt im Hebräischen arm. Später hat man das Wort Ebion personifizieren
wollen, und man hat daraus einen Ketzer, einen Sektenführer gemacht.
S. 76:
Die römische Regierung bemerkte die Fortschritte der verachteten Vereinigung zu
spät. Die Christen, zahlreich geworden, wagten es, den Göttern des Heidentums
bis in ihre Tempel hinein zu trotzen. Die Kaiser und Beamten, unruhig geworden,
wollten die Sekte, die nun ihren Argwohn erregte, auslöschen. Sie verfolgten
die Menschen, die sie nicht durch Milde zurückgewinnen konnten und die ihr
Fanatismus halsstarrig machte. Ihre Martern riefen Anteilnahme zu ihren Gunsten
hervor, ihre Verfolgung vervielfachte nur die Zahl ihrer Freunde. Schließlich
erschien ihre Standhaftigkeit unter der Folter denen, die Zeugen davon wurden,
übernatürlich und göttlich. Die Schwärmerei griff um sich und die Tyrannei
diente nur dazu, der Sekte, die man auslöschen wollte, neue Verteidiger zu
verschaffen.
S. 77:
Man verfolgte schonungslos diejenigen, die am Kult ihrer Väter festhielten; die
Christen gaben also den Heiden mit Zins und Zinseszins alle Übel zurück, mit
denen sie von ihnen bedacht worden waren. Man
entlastete die Priester von allen bürgerlichen Funktionen, damit nichts sie von
ihrem heiligen Dienst ablenke. So wurden die Priester einer ehemals demütigen
und unterdrückten Sekte unabhängig. Nachdem sie schließlich mächtiger
geworden waren als die Könige, maßten sie sich bald das Recht an, diesen
selbst zu befehlen. "Friede
auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen." So verkündet es dieses
Evangelium, welches das Menschengeschlecht mehr Blut gekostet hat als alle
anderen Religionen der Welt zusammengenommen.
S. 83:
Endlich, wie sind im christlichen System mit der Güte Gottes oder mit seiner
Weisheit sein oft barbarisches Verhalten und seine blutdürstigen Befehle zu
vereinbaren, welche die heiligen Bücher ihm zuschreiben? Wie kann ein Christ
einem Gott Güte zuschreiben, der die meisten Menschen nur erschaffen hat, um
sie auf ewig zu verdammen?
S. 86:
Gott, so sagt man uns, hat zu den Menschen gesprochen, aber wann hat er denn
gesprochen? Er hat vor Tausenden von Jahren zu auserwählten Menschen
gesprochen, die er zu seinen Werkzeugen gemacht hat. Aber wie will man sich
dessen versichern, ob es wahr ist, daß dieser Gott gesprochen hat, wenn man
sich nicht auf das Zeugnis derer verlassen will, die behaupten, seine Befehle
empfangen zu haben?
S. 87:
Wie soll man heute noch herausfinden, ob es wirklich wahr ist, daß sich Moses
vor einigen tausend Jahren mit seinem Gott unterhalten und von ihm das Gesetz
des jüdischen Volkes empfangen hat? Was für eine Veranlagung hat denn dieser
Moses? War er phlegmatisch oder schwärmerisch, aufrichtig oder verschlagen,
ehrgeizig oder uneigennützig, wahrhaft oder verlogen? Kann man sich auf das
Zeugnis eines Menschen verlassen, der, nachdem er so viele Wunder getan hat,
dennoch sein Volk nie von Götzendienerei befreien konnte und der, nachdem er 47
000 Israeliten hatte über die Klinge springen lassen, die Stirn hatte zu
behaupten, er sei der sanftmütigste aller Menschen? Sind die Bücher, die
diesem Moses zugeschrieben werden und die von so vielen Tatsachen berichten, die
erst nach ihm geschehen sind, wirklich authentisch? Endlich, welchen Beweis
haben wir von seiner Mission außer dem Zeugnis von 600 000 unzivilisierten,
abergläubischen, unwissenden und leichtgläubigen Israeliten, die sich
vielleicht von einem grausamen Gesetzgeber anführen ließen, der immer bereit
war, sie auszurotten?
S. 89:
Wenn der Christ Jerusalem und das Zeugnis von ganz Galiläa anführt, um mir die
Wunder Jesu Christi zu beweisen, sehe ich ebenfalls nur einen unwissenden Pöbel,
der sie bezeugen kann. Ich frage mich, wie es möglich war, daß ein ganzes
Volk, Zeuge der Wunder des Messias, seinem Tod zustimmte, ja ihn sogar mit Eifer
forderte. Würde das Volk von London oder Paris es dulden, daß man vor seinen
Augen einen Menschen umbringt, der Tote auferweckt hat, der Blinde sehend und
Lahme gehend gemacht hat und der Gelähmte geheilt hat? Haben die Juden wirklich
den Tod Jesu gefordert, so müssen alle seine Wunder für jeden
unvoreingenommenen Menschen ungültig sein.
S. 91:
Man will uns glauben machen, daß bei dem Tode des Gottessohnes die Erde gebebt
und die Sonne sich verfinstert habe und daß die Toten aus ihren Gräbern
auferstanden seien. Weshalb sind solch außergewöhnliche Ereignisse nur von
einigen Christen beobachtet worden? Waren sie denn die einzigen, die etwas davon
bemerkten? Man will uns glauben machen, daß Christus auferstanden sei. Man führt
uns Apostel, Frauen und Jünger als Zeugen an. Wäre ein feierliches Erscheinen
auf einem öffentlichen Platz nicht viel überzeugender gewesen als jene
geheimen Erscheinungen, die den Menschen zuteil wurden, die an der Bildung einer
neuen Sekte interessiert waren? Der christliche Glaube gründet sich nach dem
Heiligen Paulus auf die Auferstehung Jesu Christi. Es wäre also notwendig
gewesen, diese Tatsache den Völkern auf die klarste und unzweifelhafteste Art
und Weise zu beweisen. Die
Wunder scheinen außerdem nur erfunden worden zu sein, um stichhaltige Begründungen
zu ersetzen. Wahrheit und Evidenz haben keine Wunder nötig, um sich
durchzusetzen. Ist es nicht recht merkwürdig, daß Gott es leichter findet, die
Ordnung der Natur zu stören, als die Menschen eindeutige Wahrheiten zu lehren,
die geeignet sind, sie zu überzeugen und ihnen ihre Zustimmung abzuringen? Die
Wunder sind nur erfunden worden, um den Menschen Dinge zu beweisen, die zu
glauben unmöglich ist. Würde man die Vernunft predigen, brauchte man keine
Wunder.
Die Basilidianer und die Cerinther, Ketzer, die zur Zeit der Entstehung des
Christentums lebten, behaupteten, daß Christus gar nicht gestorben und das
Simon von Cyrene statt seiner gekreuzigt worden wäre. Siehe: Epiphanius,
Ketzereien, Kap. 28. Seit der Entstehung der Kirche zogen also die
verschiedensten Menschen den Tod und folglich auch die Auferstehung Jesu Christi
in Zweifel. Und man verlangt, daß wir heute daran glauben!
S. 92:
So dienen also unglaubliche Dinge als Beweis für andere unglaubliche Dinge.
Fast alle Betrüger, die den Völkern Religionen brachten, haben ihnen
unwahrscheinliche Dinge verkündet, und dann vollbrachten sie Wunder, um die
Menschen zum Glauben an das, was sie ihnen verkündeten zu zwingen.
Man sieht also, daß Wunder nichts beweisen, es sei denn die Geschicklichkeit
und Betrügerei derer, welche die Menschen täuschen wollen, um die Lügen zu
bekräftigen, die sie ihnen verkündet haben. Sie beweisen die dumme Leichtgläubigkeit
derer, die von diesen Betrügern verführt werden.
S.93:
Die Prophezeiungen, welche die Christen Jesus Christus nachsagen, werden von den
Juden mit anderen Augen angesehen. Sie erwarten diesen Messias noch immer, von
dem die Christen glauben, er sei vor achtzehnhundert Jahren erschienen.
Alle Menschen neigen natürlicherweise dazu, das Ende ihres Unglücks zu
erhoffen, und glauben, die Vorsehung könne nicht umhin, sie glücklicher zu
machen.
S. 94:
In der Tat, wenn wir das Verhalten dieser Propheten untersuchen, die vom Alten
Testament so gerühmt werden, so werden wir in ihnen alles andere als
tugendhafte Persönlichkeiten entdecken. Wir finden anmaßende Priester, unablässig
mit Staatsaffären beschäftigt, die sie immer mit denen der Religion zu
verbinden wußten.
S. 95:
Die Christen, deren Geist von der Idee ihres Christus erhitzt war, haben ihn überall
zu sehen geglaubt und selbst in den dunkelsten Stellen des Alten Testaments
deutlich wahrgenommen. Mit Hilfe von Gleichnissen, Haarspaltereien, Kommentaren
und gewaltsamen Auslegungen sind sie endlich dahin gekommen, sich selbst
Illusionen zu machen und in den zusammenhanglosen Träumereien, in den unklaren
Orakeln, in dem ungereimten Wortschwall der Propheten bündige Weissagungen zu
entdecken.
Der Prophet Samuel, unzufrieden mit
Saul, der sich weigerte, an seinen Grausamkeiten teilzunehmen, erklärt ihn der
Krone für verlustig und schafft ihm einen Rivalen in der Person Davids. Elia
scheint nur ein Aufsässiger gewesen zu sein, der in den Streitigkeiten mit
seinen Herrschern den Kürzeren zog und gezwungen war, sich durch Flucht
gerechten Züchtigungen zu entziehen. Jeremia läßt uns wissen, daß er ein
Verräter war, der mit Assyrien ein Bündnis gegen sein belagertes Vaterland
einging; er scheint nur mit der Sorge beschäftigt gewesen zu sein, seinen Mitbürgern
den Mut und den Willen zur Verteidigung zu nehmen. Er kauft von seinen
Verwandten einen Acker, und gleichzeitig verkündet er seinen Landsleuten, daß
sie verstreut und in Gefangenschaft geführt würden. Der König von Assyrien
empfiehlt diesen Propheten seinem Feldherrn Nebusaradan und sagt ihm, er möge
sich seiner annehmen.
Man kann sehr leicht alles in der Bibel finden, wenn man sich an sie klammert,
wie es der heilige Augustin tat, der das ganze Neue Testament im Alten Testament
gesehen hat. Ihm zufolge ist die Opferung Abels das Bild der Opferung Jesu
Christi. Die zwei Frauen Abrahams stellen die Synagoge und die Kirche dar, ein
Stück rotes Tuch, getragen von einem Freudenmädchen, das Jericho verriet,
bedeutet das Blut Jesu Christi. Das Lamm, der Bock, der Löwe sind Figurationen
Jesu Christi. Die eherne Schlange stellt das Kreuzopfer dar. Selbst die
Mysterien des Christentums sind schon im Alten Testament angekündigt. ...
Im Evangelium des heiligen Lukas, Kap. 21, kündigt er offensichtlich das Jüngste
Gericht an. Er spricht von den Engeln, die beim Schall der Trompeten die
Menschen versammeln werden, auf daß sie vor ihm erscheinen. Er fügt hinzu:
"Wahrlich, ich sage euch: Dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis daß es
alles geschehe." Allerdings existiert die Welt heute noch, und die Christen
warten nun seit achtzehnhundert Jahren auf das Jüngste Gericht.
S. 96:
Überall wo die Menschen unwissend sind, wird es Propheten, Inspirierte und
Wundertäter geben. Diese beiden Geschäftszweige verringern sich stets im
gleichen Verhältnis, in welchem die Aufklärung der Völker zunimmt.
Und die Märtyrer beweisen nichts anderes als die Kraft der Begeisterung, der
Verblendung, der Halsstarrigkeit, die der Aberglaube hervorbringen kann, und den
grausamen Wahnsinn all derer, die ihresgleichen wegen religiöser Anschauungen
verfolgen.
S. 97:
Alle starken Leidenschaften haben ihre Märtyrer: Stolz, Eitelkeit, Vorurteil,
Begeisterung für das Gemeinwohl, selbst das Verbrechen lassen jeden Tag Märtyrer
entstehen oder bewirken zumindest, daß die, welche von diesen Dingen berauscht
sind, die Augen vor Gefahren verschließen. Ist es also überraschend, daß
Begeisterung und Fanatismus, die beiden stärksten menschlichen Leiden
schafften, so oft diejenigen dem Tode trotzen ließen, welche sich an Hoffnungen
berauscht hatten, die diese beiden Leidenschaften erwecken?
Wenn Märtyrer die Wahrheit einer Religion beweisen könnten, dann gäbe es
keine Religion und keine Sekte, die nicht als wahr angesehen werden könnte.
S. 99:
Das Dogma der Trinität ist offensichtlich den Traumgespinsten Platos entlehnt
oder vielleicht den Allegorien, hinter denen dieser phantastische Philosoph
seine Lehre zu verbergen suchte. Ihm verdankt das Christentum wahrscheinlich die
meisten seiner Dogmen. Platon ließ drei Hypostasen oder Seinsweisen der
Gottheit zu.
S. 102:
Niemals sind sich die christlichen Theologen untereinander über die Beweise der
Existenz eines Gottes einig gewesen. Sie behandeln sich gegenseitig als
Atheisten, weil ihre Beweisführung nie dieselben sind. Nur sehr wenige Christen
haben über die Existenz Gottes geschrieben, ohne des Atheismus bezichtigt
worden zu sein. Descartes Clarke, Pascal, Arnauld, Nicole sind als Atheisten
angesehen worden. Der Grund hierfür ist sehr einfach: die Existenz eines so
wunderlichen Wesens wie das, zu dem das Christentum seinen Gott gemacht hat, ist
völlig unmöglich zu beweisen.
S. 104:
So haben der Tartarus und das Elysium aus der heidnischen Mythologie, die von
Betrügern erfunden wurden, welche die Menschen zittern machen oder sie verführen
wollten, in dem religiösen System der Christen ihren Platz gefunden, welche die
Namen dieser Aufenthaltsorte in Paradies und Hölle umänderten.
S. 106:
Die heiligen Bücher der Juden und Christen sind voll von Erscheinungen dieser
wunderbaren Wesen, welche die Gottheit solchen Menschen sandte, denen sie ihre
Gunst erweisen wollte, damit sie ihre Führer, ihre Beschützer, ihre Schutzgötter
seien. Hieraus ersieht man, daß die guten Engel in der Vorstellung der Christen
das sind, was die Nymphen, die Laren, die Penaten in derjenigen der Heiden
gewesen sind und was die Feen für unsere Romanschreiber waren.
S. 107:
Indem man die Menschen zittern macht, gelingt es, sie zu unterwerfen und ihre
Vernunft zu trüben.
Es ist augenscheinlich, daß die römischen Katholiken ihr Fegefeuer Platon
verdanken. Dieser exaltierte Philosoph teilt die Seelen in reine, heilbare und
unheilbare ein. Die ersteren, die den Gerechten angehört hatten, strömen in
die universale Weltseele zurück, das heißt in die Gottheit, deren Emanation
sie gewesen sind. Die zweiten fahren zur Hölle, wo sie jedes Jahr den Richter
dieses finstersten Reiches vorgeführt werden; diese lassen jene Seelen, die
ihre Fehler genügend abgebüßt haben, zum Lichte zurückkehren. Die
unheilbaren Seelen schließlich bleiben in der Unterwelt, wo sie für immer
gemartert werden. Wie die christlichen Kasuisten gibt Platon die Verbrechen und
die Fehler an, die diese verschiedenen Arten der Peinigung verdienen.
S. 112:
Die ganze Geschichte der Hebräer bietet uns eine Sammlung von Märchen, die des
Ernstes der Geschichte und der Majestät Gottes unwürdig sind. Lächerlich für
den gesunden Menschenverstand scheint sie nur erfunden zu sein, um die Leichtgläubigkeit
eines kindischen und stumpfsinnigen Volkes zu unterhalten.
S. 113:
Was soll man zu den falschen und nicht vorhandenen Prophezeiungen sagen, die im
Evangelium auf Jesus angewandt werden? So behauptet St. Matthäus, Jeremia habe
geweissagt, Christus werde für dreißig Silberlinge verraten werden, hingegen
ist dieser Prophezeiung bei Jeremia gar nicht zu finden. Nichts ist seltsamer
als die Art, mit der die christlichen Gelehrten sich aus diesen Schwierigkeiten
herauswinden. Ihre Lösungen haben nur das Ziel, die Menschen zufriedenzustellen,
die es für ihre Pflicht halten, in der Verblendung zu verharren.
S. 116:
Wenn man sich an die Gelehrten der Christen hielte, hätte es den Anschein, als
ob es vor der Ankunft des Begründers ihrer Sekte keine wirkliche Moral auf
Erden gegeben habe. Sie schildern uns die ganze Welt wie in Finsternis und
Verbrechen getaucht. Die Moral war jedoch immer notwendig für die Menschen.
Eine Gesellschaft ohne Moral kann nicht bestehen. Wir sehen vor Jesus Christus
blühende Völkerschaften, aufgeklärte Philosophen, welche die Menschen beständig
an ihre Pflichten erinnert haben. Mit einem Wort, wir finden bei Sokrates,
Konfuzius, bei den Gymnosophisten Indiens Lebensregeln vor, die denen des
Messias der Christen in nichts nachstehen. Wir finden im Heidentum Beispiele von
Rechtlichkeit, Menschlichkeit, Vaterlandsliebe, von Mäßigkeit, Uneigennützigkeit,
Langmut und Güte, welche die Ansprüche des Christentums entschieden widerlegen
und beweisen, daß es vor seinem Begründer sehr viel echtere Tugenden gab als
die, welche er uns lehren kam.
S. 118:
Muß ein wahrer Christ nicht die Notwendigkeit empfinden, grausam und blutdürstig
zu sein, wenn man ihn die Heiligen und Helden des Alten Testaments als Beispiel
hinstellt? Findet er nicht Beweggründe zur Grausamkeit im Verhalten des Moses,
dieses Gesetzgebers, der zweimal das Blut der Israeliten vergoß und mehr als 40
000 Menschen seinem Gott als Opfer darbringen ließ? Findet er nicht in der
hinterlistigen Grausamkeit von Pinehas, Jael und Judith genug Gründe, um seine
eigene Grausamkeit zu rechtfertigen. Sieht er nicht in David, diesem vollendeten
Vorbild der Könige, ein Ungeheuer an Barbarei, Gemeinheit, Ehebrecherei und
Aufrührerei, Eigenschaften, die ihn keineswegs hindern, ein Mann nach dem
Herzen Gottes zu sein? Mit einem Wort, in der Bibel scheint alles den Christen
zu verkünden, daß man der Gottheit nur durch einen rasenden Glaubenseifer
gefallen kann und daß dieser Glaubenseifer genügt, um alle Verbrechen vor
ihren Augen zu verbergen.
S. 119:
Mit einem Wort, die Religion, die sich rühmte, Eintracht und Frieden zu
bringen, hat seit achtzehnhundert Jahren Verwüstungen verursacht und mehr
Blutvergießen verschuldet als aller Aberglaube des Heidentums. Zwischen den Bürgern
der gleichen Staaten wuchs eine Scheidewand. Einigkeit und zärtliche Liebe
wurden aus den Familien verbannt. Man hielt es für seine Pflicht, ungerecht und
unmenschlich zu sein. Unter einem Gott, der ungerecht genug ist, die Irrtümer
der Menschen übel zu nehmen, wurde jeder ungerecht; unter einem neidischen und
rachsüchtigen Gott glaubte sich jeder verpflichtet, in seine Streitigkeiten
einzugreifen und die Beleidigungen zu rächen, die man ihm zugefügt hatte.
Schließlich wurde es unter einem blutdürstigen Gott zum Verdienst,
Menschenblut zu vergießen.
Es gibt keinen Christen, den man nicht von Kindheit an lehrt, daß man Gott mehr
gehorchen müsse als den Menschen. Aber Gott gehorchen heißt niemals etwas
anderes als den Priestern gehorchen. Gott spricht nicht mehr selbst. Die Kirche
ist es, die an seiner Statt spricht, und die Kirche ist eine Körperschaft von
Priestern, die oft anhand der Bibel feststellt, daß die Herrscher unrecht
haben, daß die Gesetze verbrecherisch und höchst sinnvolle Einrichtungen
gotteslästerlich sind und daß Toleranz ein Verbrechen ist.
S. 120:
Die Völker lehnten sich immer dann gegen ihre Herrscher auf, wenn man ihnen
einredete, daß diese sich gegen ihren Gott auflehnten. Aufruhr und Königsmord
erscheinen den eifrigsten Christen als rechtmäßig, da sie Gott mehr gehorchen
müssen als den Menschen und, wollen sie ihre ewige Seligkeit nicht gefährden,
nicht zwischen dem ewigen Monarchen und den irdischen Königen hin und her
schwanken dürfen.
S. 121:
Sind sie allzu schwach, predigen sie Toleranz, Geduld und Sanftmut. Sind sie mächtiger,
so predigen sie Verfolgung, Rache, Räuberei und Grausamkeit. In ihren heiligen
Büchern finden sie immer etwas, womit sie die widerspruchsvollen Grundsätze
rechtfertigen können, die sie verbreiten.
S. 124:
In den vielgerühmten Geboten und Ratschlägen, die Jesus Christus uns gegeben
hat, finden wir schließlich nur überspannte Leitsätze, deren Anwendung unmöglich
ist, Regeln, die wörtlich befolgt, der Gesellschaft schaden würden. In jenen
Geboten aber, die wirklich angewendet werden können, finden wir nichts, was
nicht den Weisen der Antike ohne die Hilfe der Offenbarung schon besser bekannt
war. Dem Messias zufolge besteht sein ganzes Gesetz darin, Gott über alles zu
lieben und seinen Nächsten wie sich selbst. Ist dieses Gebot möglich? Einen
zornerfüllten, launischen, ungerechten Gott lieben, den Gott der Juden lieben!
Einen ungerechten, unversöhnlichen Gott lieben, der grausam genug ist, seine
Geschöpfe auf ewig zu verdammen! Das fürchterlichste Wesen lieben, das der
menschliche Geist jemals hervorbringen konnte! Ist ein derartiges Wesen etwa
geeignet, im Herzen des Menschen ein Gefühl der Liebe zu wecken? Wie soll man
lieben, was man fürchtet? Wie soll man einen Gott verehren, unter dessen Geißel
man zittern muß? Belügt man sich nicht selbst, wenn man sich einredet, ein so
furchteinflößendes, zur Empörung reizendes Wesen zu lieben?
Seinen Nächsten wie sich selbst lieben, ist das ehr möglich? Es liegt in der
Natur jedes Menschen, vor allen anderen sich selbst zu lieben. Seine Nächsten
liebt er überhaupt nur nach Maßgabe dessen, was sie zu seinem eigenen Glück
beitragen. Er ist tugendhaft, wenn er seinem Nächsten Gutes tut, er ist großmütig,
wenn er ihm seine Eigenliebe opfert. Er liebt ihn aber immer nur um der nützlichen
Eigenschaften willen, die er in ihm findet. Er kann ihn nur lieben, wenn er ihn
kennt, und seine Liebe zu ihm muß sich nach den Vorteilen richten, die ihm
daraus erwachsen.
S. 125:
Seine Feinde zu lieben ist also ein unmögliches Gebot. Man kann es sich
versagen, dem, der einem schadet, Böses zu tun; aber die Liebe ist eine Regung
des Herzens, die nur in uns erwacht angesichts eines Gegenstandes, den wir als
vorteilhaft für uns ansehen.
Die Christen mögen doch aufhören,
uns die Vergebung des Unrechts als ein Gebot zu rühmen, das nur von einem Gott
habe ausgehen können und das die Göttlichkeit seiner Moral beweise! Pythagoras
hatte lange vor dem Messias gesagt, man räche sich an seinen Feinden nur, indem
man sich bemüht, sie zu Freunden zu machen; und Sokrates sagte im "Kriton",
daß es keinem Menschen gestattet sei, sich mit einem neuen Unrecht für ein
erhaltenes Unrecht zu rächen.
S. 126:
Ganz allgemein kann man sagen, daß Fanatismus und Schwärmerei die Grundlage
der Moral Christi bilden. Das
Christentum ist fortwährend damit beschäftigt, entweder die Menschen durch
bedrohliche Schrecken zu entwürdigen oder sie mit leichtfertigen Hoffnungen zu
berauschen. Wie man sieht,
erfordert diese Tugend (Glauben) einen totalen Verzicht auf den gesunden
Menschenverstand, eine widersinnige Anerkennung unwahrscheinlicher Tatsachen,
eine blinde Unterwerfung unter die Autorität der Priester, der einzigen Bürgen
für die Wahrheit der Dogmen und Wunder ...
S. 127:
Diese Tugend, obgleich für alle Menschen notwendig, ist dennoch eine Gabe des
Himmels und die Wirkung einer besonderen Gnade. Sie verbietet Zweifel und Prüfung;
sie beraubt den Menschen der Fähigkeit, seine Vernunft zu gebrauchen, und der
Freiheit zu denken. Sie beschränkt ihn auf eine tierische Stumpfheit gegenüber
Dingen, von denen man ihm nichtsdestoweniger einredet, sie seien die wichtigsten
für sein ewiges Glück. Hieran erkennt man, daß der Glaube eine Tugend ist,
die von Menschen erfunden wurde, die das Licht der Vernunft fürchten ...
S. 128:
Die Wissenschaft war und wird stets ein Gegenstand des Hasses für die
christlichen Gelehrten sein. Sie wären ihre eigenen Feinde, wenn sie die Weisen
liebten.
S. 130:
Es war immer erlaubt, Hinterlist, Betrug und Lüge anzuwenden, sobald es darum
ging, die Sache Gottes zu verteidigen. Die jähzornigsten, heftigsten,
verdorbensten Menschen sind für gewöhnlich am eifrigsten.
Das ökumenische Konzil zu Konstanz ließ Johannes Hus und Hieronymus von
Prag trotz des kaiserlichen Geleitbriefes verbrennen. Mehrere Christen haben
gelehrt, daß man Ketzern gegenüber sein Wort nicht zu halten brauche. Die Päpste
haben hundertmal von den Eiden und Versprechungen entbunden, die man Irrgläubigen
gemacht hat. Die Geschichte der Religionskriege zwischen Christen zeigt uns Verrätereien,
Grausamkeiten, Treulosigkeiten, die in anderen Kriegen ohne Beispiel sind. Wenn
man für Gott kämpft, ist alles gerechtfertigt. In diesen Kriegen sieht man
nichts als an Mauern zerschmetterte Kinder, hingeschlachtete schwangere Frauen
...
S. 131:
Für einen Christen war ein Ungläubiger niemals mehr als ein Hund. Daß sich
die Christlichen Nationen die Besitzungen der Bewohner der Neuen Welt
widerrechtlich angeeignet haben, ist augenscheinlich eine Folge der jüdischen
Ideen. Die Kastilien und Portugiesen hatten offensichtlich die gleichen Rechte,
sich Amerika und Afrikas zu bemächtigen, wie die Hebräer sie hatten, sich zu
Herren über die Länder der Kanaaniter zu machen, die Bewohner zu vernichten
oder in die Sklaverei zu führen.
Der heilige Augustinus lehrt uns, daß nach göttlichem Recht alles den
Gerechten gehört - ein Leitsatz, der sich auf eine Stelle aus den Psalmen stützt,
die besagt, daß die Gerechten die Frucht der Arbeit der Gottlosen essen werden
... Man weiß, daß der Papst durch eine Bulle, die er für die Könige von
Kastilien festlegte, welche die Eroberungen regelte, die jeder von ihnen in den
von Ungläubigen bevölkerten Ländern gemacht hatte.
S. 132:
Es scheint, als habe das Christentum nur den Vorsatz, niederträchtige, für die
Welt nutzlose Sklaven hervorzubringen, denen blinde Unterwerfung unter ihre
Priester jede Tugend ersetzt.
S. 133:
Als Folge dieser fanatischen Ideen bevölkerten sich, vor allem in den ersten
Zeiten des Christentums, Wüsten und Wälder mit vollkommenen Christen, die der
Welt entsagten und damit ihren Familien den Beistand und ihrem Vaterland die Bürger
entzogen, um sich einem müßigen und beschaulichen Leben hinzugeben. Daher
diese Scharen von Betbrüdern und Klostermönchen, die sich unter den Fahnen
verschiedener Schwärmer für ein dem Staate nutzloses oder sogar schädliches
Heer anwerben ließen.
S. 134:
Mit einem Wort, das Christentum scheint sich die Aufgabe gestellt zu haben, in
allem die Natur und die Vernunft zu bekämpfen. Wenn es irgendwelche Tagenden
anerkennt, die vom gesunden Menschenverstand gutgeheißen werden, will es sie
stets übertreiben. Das Christentum hält nie jene richtige Mitte, die das
Merkmal der Vollkommenheit ist. Wollust, Ausschweifung, Ehebruch, mit einem
Wort, die verbotenen und schändlichen Freuden sind offensichtlich Dinge, denen
jeder, der auf seine Erhaltung bedacht ist und die Achtung seiner Mitmenschen
erwerben will, widerstehen muß. Die Heiden haben diese Wahrheit erkannt und
gelehrt, trotz der Zügellosigkeit der Sitten, die das Christentum ihnen
vorwirft. Die christliche Religion, mit diesen vernünftigen Lebensregeln
unzufrieden, empfiehlt das Zölibat.
S. 135:
Wenn wir die Vernunft zu Rate ziehen, werden wir feststellen, daß die Freuden
der Liebe uns selber schaden, wenn wir ihnen mit Maßlosigkeit frönen, und daß
sie zum Verbrechen werden, wenn sie anderen schaden. Wir werden erkennen: ein Mädchen
verführen bedeutet sie zu Schande und Ehrlosigkeit verurteilen und ihr die
Vorteile der Gesellschaft entziehen. Wir werden feststellen, daß der Ehebruch
ein Eingriff in die Rechte eines anderen ist, der die Vereinigung der Gatten
zerstört, zumindest Herzen entzweit, die bestimmt waren, einander zu lieben.
Wir werden aus diesen Tatsachen schließen, daß die Ehe als einziges Mittel,
auf ehrbare und rechtmäßige Weise das Bedürfnis der Natur zu befriedigen, die
Gesellschaft zu vermehren, sich eine Stütze für das Alter zu verschaffen, ein
viel ehrenwerterer und geheiligter Zustand ist als jenes zerstörerische Zölibat,
jene freiwillige Kastration, die das Christentum die Dreistigkeit hat, in eine
Tugend zu verwandeln.
Es ist offensichtlich, daß die christliche Religion in der Ehe einen Zustand
der Unvollkommenheit sieht. Vielleicht rührt das daher, daß Jesus Christus der
Sekte der Essener angehörte, die ähnlich wie die Mönche der Neuzeit der Ehe
entsagten und sich dem Zölibat weihten. Diese Ideen sind wahrscheinlich von den
ersten Christen übernommen worden, die nach den Prophezeiungen Christi jeden
Augenblick das Ende der Welt erwarteten und es daher als unnütz ansahen, Kinder
zu haben und die Bande zu vervielfältigen, die sie an eine zum Untergang
bestimmte Welt fesselten. Wie dem auch sei, der heilige Paulus sagt, daß es
besser ist zu freien, den Brunst zu leiden ... Jesus selbst hat lobend von denen
gesprochen, die sich zu Eunuchen machten um des göttlichen Reiches willen.
Origenes nahm diesen Rat oder dieses Gebot wörtlich. Der heilige Märtyrer
Justinus sagt, daß Gott von einer Jungfrau geboren werden wollte, um die gewöhnliche
Zeugung, welche die Frucht einer ungesetzlichen Begierde ist, abzuschaffen. Daß
das Christentum die Vollkommenheit ans Zölibat bindet, war einer der Hauptgründe,
weshalb es aus China verbannt wurde. Eduard der Bekenner enthielt sich seiner
Frau während seines ganzen Lebens. Die Vorstellung, daß die Vollkommenheit an
die Keuschheit gebunden ist, war die Ursache des allmählichen Aussterbens des sächsischen
Königshauses in England. Der heilige Mönch Augustinus, Apostel der Engländer,
befragte Papst Gregor, wieviel Zeit ein Mann brauche, der mit seiner Frau
verkehrt habe, um wieder die Kirche betreten und in die Gemeinschaft der Gläubigen
aufgenommen zu werden.
S. 136:
Das Zölibat, den Priestern der römischen Kirche vorgeschrieben, scheint das
Ergebnis einer sehr raffinierten Politik der Päpste zu sein, die ihre Priester
diesem Gesetz unterwarfen. Zunächst sollte es die Verehrung der Völker
steigern, die glaubten, daß ihre Priester nicht Menschen von Fleisch und Blut
wie die anderen seien. Um anderen zerriß man, indem man den Priestern die Ehe
verbot, jene Bande, die sie an Familie und Staat fesselten, um sie einzig und
allein an die Kirche zu binden, deren Güter dadurch nicht geteilt und immer als
Ganzes erhalten wurden. Durch das Zölibat sind die Priester der römischen
Kirche so mächtig und so schlechte Bürger geworden. Das Zölibat macht sie in
gewisser Weise unabhängig. Sie sind nicht genötigt, an ihre Nachkommenschaft
zu denken. Ein Mann, der Familie hat, hat Bedürfnisse, die einem
Unverheiratetem unbekannt sind, für den mit seinem Tode auch alles andere zu
Ende ist. Die größten Fürsprecher des priesterlichen Zölibats waren immer
jene Päpste, die am ehrgeizigsten waren. So bemühte sich Gregor VII. Mit höchstem
Eifer, es durchzusetzen. Wenn die Priester sich verheiraten konnten, so würden
die Könige und Fürsten sich bald selbst zu Priestern machen, und der Papst fände
in ihnen keine genügend gehorsamen Untertanen mehr. Das Zölibat ist es, dem
die Hartherzigkeit, die Unmenschlichkeit, die Halsstarrigkeit, der
unruhestiftende Geist zu verdanken sind, die man der katholischen Geistlichkeit
von jeher vorgeworfen hat.
S. 137:
Scheint die Kirche mit dem Verbot der Ehe zwischen Verwandten nicht auch
gleichzeitig verboten zu haben, daß diejenigen, die sich vereinigen wollen,
einander genau kennen und allzu innig lieben?
S. 138:
Alle Tugenden, die das Christentum bewundert, sind entweder überspannt und
fanatisch oder bezwecken nur, den Menschen zu erniedrigen und ihn furchtsam und
unglücklich zu machen.
S. 141:
Kein anderer Glaube hat jemals seine Anhänger vollständiger und andauernder
von seinen Priestern abhängig gemacht als das Christentum. Sie verloren ihre
Beute nie aus den Augen. Sie ergriffen immer die geeignetsten Maßnahmen, um die
Menschen zu versklaven und sie zu zwingen, etwas zu ihrer Macht, ihrem Reichtum,
ihrer Herrschaft beizusteuern.
S. 142:
Das Leben der Christen ist ein Kreislauf von Zügellosigkeiten und periodischen
Beichten. Allein die Priesterschaft zieht Nutzen aus diesem Brauch, der sie befähigt,
eine absolute Herrschaft über das Gewissen der Menschen auszuüben.
S. 143:
In einigen christlichen Sekten scheint sich die Religion bemüht zu haben, den
Tod für den Menschen noch tausendmal bitterer zu machen. Ungerührt tritt der
Priester ans Bett eines Sterbenden, um ihn in Unruhe zu versetzen. Unter dem
Vorwand, ihn mit Gott zu versöhnen, läßt er ihn das Schauspiel seines Todes
im voraus kosten.
Man braucht sich nur ein wenig in der Geschichte umzusehen, so wird man finden,
daß sich die christlichen Priester in alles haben einmischen wollen: Die Kirche
als gute Mutter kümmerte sich um die Kopfbedeckung, die Haartracht, die
Kleidung und das Schuhwerk ihrer Kinder. Im 15. Jahrhundert nahm sie Anstoß an
den spitzen Schuhen, die man damals Schnabelschuhe nannte. Der heilige Paulus
hatte bereits zu seiner Zeit bestimmte Haartrachten verboten.
Nichts ist barbarischer als die Bräuche der römischen Kirche bezüglich der
Sterbenden. Die Sakramente lassen mehr Leute sterben als Krankheiten und Ärzte.
S. 144:
Mit Hilfe des Dogmas vom Fegefeuer und der Wirksamkeit der kirchlichen Gebete,
um diesem zu entgehen, ist s der römischen Kirche oft gelungen, die Familien
ihrer reichsten Erbschaften zu berauben. Oft enterbten gute Christen ihre
Verwandten, um ihren Besitz der Kirche zu geben.
S. 150:
Das sind die Vorteile, welche die christliche Religion der Gesellschaft
einbringt. Sie bildet einen unabhängigen Staat im Staate. Sie macht die Völker
zu Sklaven. Sie begünstigt die Tyrannei der Herrscher, wenn diese der Religion
willfährig sind; sie wiegelt die Untertanen auf und macht sie zu Fanatikern,
wenn die Fürsten nicht gefügig genug sind. Befindet sich die Religion in Übereinstimmung
mit der Politik, so richtet sie die Nationen zugrunde, erniedrigt sie, macht sie
arm und beraubt sie der Wissenschaft und des Gewerbefleißes; wenn sie sich von
der Politik trennt, macht sie die Bürger ungesellig, aufsässig, intolerant und
rebellisch.
Wenn man nur ein wenig nachrechnet,
so wird man bemerken, daß in Italien, Spanien, Portugal und Deutschland die
geistlichen Einkünfte nicht nur diejenigen der Herrscher, sondern auch die der
übrigen Bürger überschreiten. Man sagt, daß es allein in Spanien mehr als
500 000 Priester gibt, die über ungeheure Einkünfte verfügen.
Es ist sicher, daß der König von
Spanien nicht den sechsten Teil dieser Gelder für die Verteidigung des Staates
zur Verfügung hat. Wenn die Mönche und Priester für ein Land notwendig sind,
muß man zugeben, daß der Himmel sich die Gebete ziemlich teuer bezahlen läßt.
S. 151:
Lactantius sagt, ein Christ dürfe weder Soldat noch Kläger sein ... die Quäker
und Mennoniten tragen keine Waffen, sie sind konsequenter als andere Christen.
Der heilige Papst Gregor ließ zu seiner Zeit heidnische Bücher in großer Zahl
vernichten. Zu Beginn des Christentums sehen wir, daß sich der heilige Paulus Bücher
bringen ließ, um sie verbrennen zu lassen.
S. 152:
Mit einem Wort, würde man mit aller Strenge den Leitsätzen des Christentums
folgen, so könnte kein Staatswesen existieren. Sollte man an dieser Behauptung
zweifeln, dann höre man sich an, was die ersten Kirchenväter sagen, und man
wird sehen, daß ihre Moral mit der Erhaltung und Macht eines Staates völlig
unvereinbar ist. Man wird erfahren, daß nach Lactantius kein Mensch Soldat sein
darf, daß nach dem heiligen Justinus kein Mensch sich verheiraten darf, daß
nach Tertullian kein Mensch Beamter sein darf, daß nach dem heiligen
Chrysostomus niemand Handel treiben, daß vielen anderen zufolge niemand
studieren soll. Vereinigt man schließlich diese Grundsätze mit denen des
Welterlösers, so wird sich daraus ergeben, daß ein Christ, der nach
Vollkommenheit strebt, wie er soll, das nutzloseste Glied seines Landes, seiner
Familie und seiner ganzen Umgebung ist. Er ist ein müßiger Grübler, der nur
ans Jenseits denkt, mit den Interessen dieser Erde nichts gemein hat und nichts
inniger ersehnt, als sie schnell zu verlassen.
Lactantius zeigt, daß die
Vorstellung vom nahen Ende der Welt einer der Hauptgründe für die Ausbreitung
des Christentums gewesen ist.
S. 154:
Es gab zu allen Zeiten Menschen, die aus den Irrtümern der Welt ihren Gewinn zu
ziehen verstanden. Die Priester aller Religionen fanden Mittel, auf den Ängsten
des gemeinen Volkes ihre eigene Macht, ihre Reichtümer und ihre Größe zu begründen.
S. 158:
Die Interessen der Priesterschaft wurden auf diese Weise von denen der
Gesellschaft getrennt. Menschen, die ihr Leben Gott geweiht hatten und auserwählt
waren, seine Diener zu sein, waren keine Staatsbürger mehr; sie wurden mit den
weltlichen Untertanen nicht auf eine Stufe gestellt; die Gesetze und bürgerlichen
Gerichtshöfe besaßen keine Macht über sie; nur von Menschen ihrer eigenen Körperschaft
wurden sie gerichtet. Deshalb blieben die größten Frevel oft ungestraft. Sie
waren Gott allein unterworfen, und ihre Person war daher unverletzlich und
geheiligt.
S. 159:
Denn täuschen wir uns nicht: das Christentum, noch nicht zufrieden damit, den
Menschen Gewalt anzutun, um sie äußerlich seinem Kult zu unterwerfen, hat die
Kunst erfunden, das Denken zu tyrannisieren und das Gewissen zu martern, eine
Kunst, die jedem heidnischen Aberglauben fremd war.
S. 160:
Anstatt sich mit nützlichem Wissen zu beschäftigen, kümmerten sich die
Theologen stets nur um ihre Dogmen. Anstatt die wahre Moral zu erforschen und
die Völker mit ihren wirklichen Pflichten bekannt zu machen, suchten sie nur
Anhänger zu gewinnen. Die Priester des Christentums vertrieben sich ihren Müßiggang
mit nutzlosen Spekulationen über eine barbarische und rätselhafte
Wissenschaft, die sich unter dem Namen Gotteswissenschaft oder Theologie die
Ehrfurcht des gemeinen Volkes erwarb.
S. 161:
In fast allen Jahrhunderten beklagte man sich lauthals über die Mißbräuche
der Kirche; man sprach davon, sie zu ändern. Doch trotz dieser angeblichen
Reformen der Kirche an Haupt und Gliedern blieb sie immer korrumpiert.
S. 162:
Überall läßt die herrschende Sekte die anderen ihre Überlegenheit auf
grausame Weise fühlen.
S. 164:
Die katholischen Nationen sind in Europa die unwissendsten und die am meisten
versklavten. Die religiöse Sklaverei zieht die politische Sklaverei nach sich.
Die Priester der römischen Kirche scheinen den Herrschern den gleichen
Vorschlag zu machen wie der Teufel Jesus Christus als er ihn in der Wüste
versuchte ... Wir werden dir alle deine Untertanen, an Händen und Füßen
gebunden, ausliefern, wenn du dich unseren Hirngespinsten unterwerfen willst.
S. 166:
Alles, was bisher gesagt wurde, beweist klar und deutlich, daß die christliche
Religion einer gesunden Politik und dem Wohlergehen der Nationen widerspricht.
Sie kann nur uneinsichtigen und tugendlosen Fürsten von Vorteil sein, die es für
ihre Pflicht halten, über Sklaven zu herrschen, und die sich, um die Völker
ungestraft tyrannisieren und ihnen das Fell über die Ohren ziehen zu können,
mit der Priesterschaft verbünden, deren Funktion es stets war, sie im Namen des
Himmels zu betrügen.
S. 167:
Die Religion ist die Kunst, die Menschen durch Schwärmerei trunken zu machen,
um sie daran zu hindern, sich mit den Übeln zu befassen, mit denen ihre
Herrscher sie hienieden plagen. Mit Hilfe unsichtbarer Mächte, mit denen man
ihnen droht, zwingt man sie, schweigend alles Elend zu erleiden, das ihnen von
sichtbaren Mächten zugefügt wird. Man läßt sie hoffen, daß sie in einem
anderen Leben glücklicher sein werden, wenn sie sich mit einem unglücklichen
Dasein in dieser Welt abfinden.
S. 170:
Ein paar nutzlose Bekehrungen, einige fruchtlose und späte Reuebekenntnisse,
einige wertlose Entschädigungen, können sie den fortwährenden Zwistigkeiten,
den blutigen Kriegen, den gräßlichen Metzeleien, den Verfolgungen und unerhörten
Grausamkeiten die Waage halten, für welche die christliche Religion seit ihrer
Begründung Ursache und Vorwand war? Gegen einen verborgenen Gedanken, den sie
ersticken will, bewaffnet diese Religion ganze Völker, die sich gegenseitig
vernichten. Sie trägt den Aufruhr in die Herzen von Millionen Fanatikern; sie
bringt Unruhe in die Familien und Staaten; sie tränkt die Erde mit Tränen und
Blut.
Briefe an Eugenie -
Oder Schutzmittel gegen die Vorurteile
S. 305:
Überall sind die hinterlistigen Diener der Religion offen oder insgeheim Feinde
der Vernunft gewesen, weil sie stets bemerkten, daß die Vernunft ihren
Absichten zuwiderläuft. Überall verleumdeten sie die Vernunft, weil sie zu
Recht fürchteten, daß die Vernunft ihre Herrschaft durch die Aufdeckung ihrer
Ränke und der Nichtigkeit ihrer Fabeln zerstört. Überall waren sie bestrebt,
auf den Trümmern der Vernunft die Herrschaft des Fanatismus und der Einbildung
aufzurichten.
S. 307:
Tatsächlich sehen wir recht oft, daß die aufgeklärtesten Menschen für immer
in den Vorurteilen ihrer Kindheit befangen bleiben.
Mit einem Wort, alles beweist uns, daß nichts schwieriger ist, als sich von den
Begriffen zu lösen, die uns in unserer Jugend eingeflößt worden sind.
Sie brauchen sich also nicht einer
Schwäche zu schämen, die sie fast mit aller Welt gemeinsam haben und von der
nicht einmal die größten Menschen ausgenommen sind.
S. 308:
Die religiösesten Menschen sind selten die liebenswertesten und die
geselligsten. Da die Frömmigkeit, selbst die aufrichtigste, diejenigen, welche
von ihr ergriffen sind, lästigen Andachtsübungen unterwirft, da sie deren
Einbildungskraft mit unheimlichen und niederdrückenden Gegenständen erfüllt,
da sie deren Eifer antreibt, ist sie kaum geeignet, den Frommen die
ausgeglichene Laune, die milde Sanftmut und die Anmut zu geben, die für die
Gesellschaft so wertvoll sind.
S. 310:
Die empfindlichsten und mitfühlendsten Menschen halten sich ganz ehrlich für
verpflichtet, hart zu sein, sich Gewalt anzutun, die Natur zu unterdrücken, um
sich gegen diejenigen grausam zu zeigen, die man ihnen als Feinde ihrer
Denkweise bezeichnet. Erkennen Sie zum Beispiel in den Verfolgungen, denen in
Frankreich die Protestanten so oft ausgesetzt waren, die Sanftmut unseres Volkes
und seiner Regierung wieder? Finden Sie in den Quälereien, den Einkerkerungen,
den Ausweisungen, die man heutzutage über die Jansenisten verhängt, Vernunft,
Gerechtigkeit, Menschlichkeit? Wenn diese jedoch jemals stark genug würden, um
ihrerseits Verfolgungen anstellen zu können, so würden sie ihre Gegner
zweifellos nicht gerechter und milder behandeln.
S. 312:
Ist es nicht seltsam, daß diejenigen, deren Beruf es ist, sich selbst in der
Religion zu unterrichten, um andere darin zu unterweisen, zugeben, daß sie
deren Dogmen selbst nicht verstehen, und dennoch dem Volk hartnäckig aufdrängen
wollen, was sie nach ihrem eigenen Eingeständnis nicht begreifen! Würden wir
wohl Vertrauen zu einem Arzt haben der uns - nachdem er zugegeben hat, daß er
sein Handwerk nicht versteht - dennoch einreden möchte, wie ausgezeichnet seine
Heilmittel sind? Das jedoch tun unsere geistlichen Quacksalber täglich.
S. 324:
Aber alle jene Antworten, welche die Theologen unaufhörlich im Munde führen,
dienen nur dazu, die hervorragenden Ideen, die sie uns von der Gottheit geben,
mehr und mehr zu vernichten. Aus ihren Antworten folgt in der Tat, daß Gott
sich wie ein eigenwilliger Herrscher benimmt, dem es genügt, einigen Günstlingen
Gutes zu erweisen, und der sich für berechtigt hält, seine übrigen Untertanen
zu vernachlässigen und sie im schrecklichsten Elend schmachten zu lassen.
S. 343:
Dieser Gott ist nur damit beschäftigt aufzubauen, um zu zerstören, zu
vernichten, um wiederaufzurichten; gleich einem Kinde, das seiner Spielsachen überdrüssig
wird, zerstört er unaufhörlich das, was er geschaffen hat, zerbricht er das,
was der Gegenstand seiner Begierden war. Keine Voraussicht, keine Beständigkeit,
keine Harmonie in seinem Verhalten, keine Verbindung und keine Klarheit in
seinen Reden; wenn er handelt, billigt er einmal das, was er geschaffen hat, ein
andermal bereut er es; er erzürnt und ärgert sich über das, was er zu machen
erlaubt hat; er duldet trotz seiner unendlichen Macht, daß der Mensch ihn
beleidigt; er läßt zu, daß Satan, sein Geschöpf, alle seine Pläne
durchkreuzt.
S. 345:
Ein System, das von falschen Prinzipien ausgeht, kann immer nur zu einer Anhäufung
von Unrichtigkeiten führen.
S. 357:
Und man hat Zuflucht genommen zur Allmacht Gottes, zu seinem höchsten Willen
und zu Wundern, die immer die letzte Rettung der Theologen sind, wenn sie sich
nicht mehr aus der Affäre zu ziehen wissen.
S. 369:
Sie werden mich vielleicht fragen, ob es, wenn man die Idee einer künftigen
Welt zerstört, noch Gewissensbisse geben kann, also jene Strafen, die für den
Menschen so nützlich sind und so geeignet, ihn im Zaum zu halten. Ich antworte,
daß es immer Gewissensbisse geben wird, auch wenn man die entfernte und
ungewisse Rache der Gottheit nicht mehr zu fürchten braucht. Jeder Mensch,
dessen Vernunft nicht völlig getrübt ist, merkt sehr wohl, daß er sich bei
den anderen verhaßt macht, daß er ihre Feindschaft fürchten muß, wenn er
Verbrechen begangen hat, wenn er sich von seinen Leidenschaften fortreißen ließ,
wenn er sich weigerte, ihnen Gutes zu tun, wenn er sein Mitleid erstickte; er
schämt sich also, weil er von ihnen verachtet und verabscheut wird. Er weiß,
daß er ständig ihrer Wertschätzung und ihrer Hilfe bedarf. Die Erfahrung
beweist ihm, daß auch seine verborgensten Laster ihm selbst schaden; so muß er
stets befürchten, daß seine schändlichen Laster und seine geheimen
Verbrechen, die er vielleicht begangen hat, durch einen unglücklichen Zufall
aufgedeckt werden. Aus all diesen Ideen erwachen sowohl Reue als auch
Gewissensbisse selbst bei denen, die nicht an die Hirngespinste eines künftigen
Lebens glauben.
S. 370:
Das wahre Mittel, auf Erden glücklich zu leben, besteht darin, andere glücklich
zu machen; seinesgleichen glücklich zu machen heißt tugendhaft zu sein.
S. 374:
Wenn Sie mich fragen, wie es möglich war, daß sich die Menschen nicht gegen so
viele wiedersinnige und unverständliche Träumereien empörten, so werde ich
Ihnen meinerseits erklären, worin dieses große Mysterium, das Geheimnis der
Kirche, das Mysterium unserer Priester, besteht. Man muß nur die allgemeinen
Neigungen des Menschen, besonders wenn er unwissend und zum Nachdenken unfähig
ist, aufmerksam betrachten. Jeder Mensch ist neugierig. Sobald man die Dinge,
die man ihm als für sein Glück wichtig hinstellt, mit einem Geheimnis umgibt,
wird seine Neugier angestachelt, und seine Einbildungskraft beginnt zu arbeiten.
Der Pöbel verachtet, was er kennt und was er zu begreifen vermag. Das Mittel,
ihn für sich einzunehmen, besteht darin, ihn zu blenden, ihm Wunder und außergewöhnliche
Dinge zu verkündigen. Er bewundert und achtet nur das, was sein Erstaunen
bewirkt, seine Einbildungskraft reizt und seinen Geist beschäftigt, der selbst
meist keine Ideen hat. Man wird also immer den Priester, die die meisten Wunder
und Mysterien verkünden, am begierigsten lauschen; sie werden vom Volk am
besten aufgenommen, am meisten geachtet und am besten bezahlt.
S. 381:
Jene Priester merkten bald, daß sie für sich selbst arbeiteten, wenn sie für
die Götter arbeiteten, und daß sie sich die Geschenke und die Opfer zunutze
machen konnten, die man den Wesen darbrachte, die niemals erschienen, um das zu
fordern, was für sie bestimmt war.
Auf diese Weise haben die Priester mit der Gottheit gemeinsame Sache gemacht.
Ihre Politik zwang sie also, die Irrtümer des Menschengeschlechts zu begünstigen
und zu vermehren. Sie sprachen von diesem unbestimmbaren Wesen wie von einem
eifersüchtigen, von Eitelkeit und Selbstsucht erfüllten Monarchen, der nur
gibt, damit auch ihm gegeben werde; der ständig die Zeichen der Unterwerfung,
der Achtung und der Ergebenheit, die man ihm entgegenbringt, sehen und
wiederholt haben will; der um seine Gunst gebeten sein will und der sie, um sie
kostbarer zu machen, nur den ganz Eifrigen erweist und sich besonders durch
Geschenke besänftigen und gewinnen läßt, aus denen seine Priester Nutzen zu
ziehen wissen.
S. 382:
Wenn nun jemand einen solchen Menschen nach dem Grund seines Verhaltens fragt
oder von ihm wissen will, warum er dieses Verhalten zu einer wichtigen und
heiligen Pflicht gemacht hat, so wird er nur sagen können, daß man ihn von
Kindheit an gelehrt hat, ehrfurchtsvoll die Bräuche zu achten, die
heiliggehalten werden müssen, da sie ihm unverständlich sind. Wenn man ihn über
diesen gewohnheitsmäßigen Flitterkram aufzuklären sucht, so wird er entweder
nicht darauf hören, oder er wird sich gegen denjenigen erzürnen, der den in
seinem Gehirn verwurzelten Begriffen widerspricht. Jeder Mensch, der ihn zum
gesunden Verstand zurückführen und gegen die Gewohnheiten, die er angenommen
hat, angehen will, wird ihm lächerlich und unvernünftig erscheinen, oder er
wird ihn sogar als einen Ketzer und Gotteslästerer von sich weisen.
S. 385:
Würden sie tatsächlich die angeblichen Pflichten, welche die Religion Ihnen
auferlegt, mit unvoreingenommenen Augen prüfen, so müßten Sie eingestehen, daß
sie allein den Priestern nützen, für Gott und die Gesellschaft aber, der sie häufig
offensichtlich Verderben bringen, gleichermaßen nutzlos sind.
S. 389:
Diese religiösen Übungen, die sich die meisten Menschen zur Hauptsache machen,
drängen gewöhnlich die wahren Pflichten der Moral völlig zurück; sind die
Frommen religiös, so sind sie doch sehr selten tugendhaft: sie sind damit
zufrieden, das erfüllt zu haben, was die Religion fordert und sorgen sich sehr
wenig um das Übrige. Sie glauben von Gott geliebt zu werden, und kümmern sich
kaum darum, ob sie von den Menschen verachtet werden, oder sie tun nichts, um
deren Liebe zu erringen. Das gesamte Leben eines Frommen ist damit ausgefüllt,
daß er peinlich genau die Pflichten erfüllt, die einem Gott gleichgültig, dem
Frommen selbst unbequem und für die anderen nutzlos sein müssen.
S. 392:
Die guten Christen können mit jenem Philosophen aus dem Altertum verglichen
werden, welcher, da er die Augen unaufhörlich auf die Sterne gerichtet hatte,
in einen Brunnen fiel, den er vor seinen Füßen nicht sah.
S. 397:
Prüfen wir ohne Vorurteil die Quelle einer Unzahl von Übeln in unserer
Gesellschaft, so werden wir sehen, daß sie auf die unheilvollen Spekulationen
der Religion zurückzuführen sind, welche die Menschen mit Schwärmerei,
Fanatismus und Wahnsinn erfüllen und sie auf diese Weise blind, unbesonnen und
zu Feinden ihrer selbst und der anderen machen.
S. 402:
Der Gott der Christen hat wie der Janus der Römer zwei Gesichter: einmal stellt
man ihn uns unter den Zügen der Güte dar, zum anderen zeigt man ihn uns dürstend
nach Rache, Zorn und Grausamkeit.
S. 403:
In der Theorie freilich predigt das Christentum zwar Nachsicht, Duldsamkeit,
Eintracht und Frieden, aber in der Praxis üben die Christen niemals diese
Tugenden, es sei denn, sie sind nicht stark genug, ihrem vernichtenden Eifer
freien Lauf zu lassen. In der Tat zeigen die Christen nur denen gegenüber die
allgemeinen Gefühle der Menschlichkeit, die ebenso denken wie sie und die
gleichen Dinge zu glauben vorgeben; sie hegen einen mehr oder weniger großen
Abscheu gegen alle, die nicht alle theologischen Spekulationen ihrer Priester
teilen.
Mit einem Wort, nirgends herrscht aufrichtige Toleranz. Die Priester der
verschiedenen Sekten lehren die Christen von Kindheit an, sich gegenseitig zu mißtrauen
oder sich sogar um theologischer Fragen willen, die niemand jemals verstehen
wird zu hassen.
S. 416:
Sind denn jene endlosen Auseinandersetzungen, in die sich unsere tiefsinnigen
Metaphysiker verstricken, für die Völker, die nichts davon verstehen, von
Interesse? Hat das Volk von Paris oder in den Provinzen irgendwelche Vorteile
davon, wenn sich unsere Gottesgelehrten untereinander darüber streiten, was man
von der Gnade zu halten habe?
S. 417:
Im Gegenteil, würde man die Priester entsprechend ihrem Verdienst bezahlen, würde
man ihre Funktionen entsprechend ihrem wahren Wert einschätzen, so fände man
vielleicht, daß sie keinen besseren Lohn verdienen als jene Kurpfuscher, welche
an den Straßenecken Heilmittel feilbieten, die gefährlicher sind als die
Leiden, welche sie zu heilen versprechen.
S. 430:
Mit einem Wort: ein guter Christ ist ein Mensch des Jenseits; für unsere Welt
ist er nicht geschaffen.
S. 439:
Mit einem Wort, wenn man in der Bibel einige Gebote einer gesunden und nützlichen
Moral findet, so findet man dort ebenfalls alles, womit man die schrecklichsten
Verbrechen rechtfertigen kann.
S. 444:
Wenn man also fragt, was man an die Stelle der Religion setzen könnte, so würde
ich antworten: eine vernünftige Moral, eine rechtschaffene Erziehung,
vorteilhafte Gewohnheiten, klare Prinzipien und weise Gesetze, die auch die Bösen
beeindrucken, sowie Belohnungen, die zur Tugend ermuntern.